Navigationspfad: Startseite > Dokumente & Recherche > Protokolle > Vorläufige Plenarprotokolle > Vorläufiges Protokoll der 66. Sitzung vom 08. Oktober 2010
66. Sitzung
Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und begrüße Sie alle sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen. Wir können gleich in die Tagesordnung einsteigen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Hightech-Strategie 2020 für Deutschland
- Drucksache 17/2691 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eineinviertel Stunden zu debattieren. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das Wort für die Bundesregierung Frau Bundesminister Professor Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Innovationen garantieren Wettbewerbsvorteile. Das gilt für unser Land insgesamt und für die Unternehmen in Deutschland im Besonderen. Ein ressourcenarmes Land wie Deutschland - wir haben in diesem Hohen Hause oft darüber diskutiert - ist auf technologische Meisterleistungen angewiesen. Technologisch fortschrittliche Unternehmen können sich wegen des harten internationalen Innovationswettbewerbs einen Verzicht auf Forschung und Entwicklung nicht leisten.
Der eigentliche Wettbewerbsvorteil der deutschen Unternehmen liegt nicht im Preis, sondern in innovativen und hochwertigen Produkten. Der überwiegende Teil der deutschen Unternehmen hat deshalb Weitblick bewiesen und die Forschungs- und Entwicklungsausgaben auch im Krisenjahr nicht angetastet, und das, obwohl das BIP überdurchschnittlich stark zurückgegangen ist. Die Investitionsbereitschaft ist deshalb so beeindruckend, weil die historische Erfahrung einen Rückgang der Investitionen erwarten ließ. Die tatsächliche Planung zeigt dagegen konstante Investitionsausgaben. Erste Schätzungen für das vergangene Jahr - mit Blick auf das 3-Prozent-Ziel - gehen von einer Quote von mehr als 2,8 Prozent aus. Das ist eine äußerst positive Entwicklung für Deutschland.
Voraussetzung für stabile und über längere Zeiträume sich positiv entwickelnde Phasen ist das Zusammenspiel, in diesem Fall von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Das ist das eigentliche Grundprinzip, die Grundstruktur der Hightech-Strategie: Staat, Wirtschaft und Wissenschaft bilden eine Allianz und sind in der Lage, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen zu treffen. Deshalb gab es einen überwältigenden Konsens in diesem Haus dafür, dass gerade in solchen Zeiten Bildung und Forschung der Vorrang vor allem anderen eingeräumt wird. Deshalb haben sich - das wird jetzt deutlich - die Konjunkturprogramme rentiert. Es war richtig, die Schwerpunkte auf Bildung und Forschung zu legen. Wir können jetzt sagen - viele sagen das, wenn sie auf Deutschland schauen -: Nach der Krise sind wir stärker als vorher.
Die EU-Kommission hat die Wachstumsprognose nach oben geschraubt. Danach erhöht sich die deutsche Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 3,4 Prozent. Das Weltwirtschaftsforum hält Deutschland für die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft der Euro-Zone. Der Aufschwung verläuft in Deutschland schneller und stärker als in den meisten anderen Industrienationen. Gute Bildung, starke Forschung und eindrucksvolle Innovationskraft, das sind die Fundamente des Aufschwungs.
Wir konsolidieren den Haushalt und geben gezielte Wachstumsimpulse. Um aus Wissen und Ideen möglichst effizient Innovationen und wirtschaftliches Wachstum zu machen, brauchen wir einen klaren Fahrplan. Dieser Plan ist die Hightech-Strategie. Mit ihr setzen wir unsere nationale Innovationsstrategie der vergangenen Legislaturperiode fort. Mehr Qualität, mehr Effizienz in das Zusammenspiel von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu bringen und die Rahmenbedingungen für Innovationen in der Wirtschaft zu verbessern - das sind die zentralen Ziele dieser Strategie. Im nächsten Schritt wird es darauf ankommen, die Erfahrungen, die wir mit der Hightech-Strategie gemacht haben, in eine europäische Innovationsstrategie einzubringen, über die der Wettbewerbsfähigkeitsrat im November diskutieren und der Europäische Rat im Dezember dieses Jahres entscheiden wird.
Neue Technologien, neue Dienstleistungen und auch gesellschaftliche Veränderungen sind die eigentlichen Innovationstreiber. In der fortgeschriebenen Hightech-Strategie richten wir die Innovationspolitik noch stärker an ganz konkreten Aufgaben und auch Bedürfnissen der Menschen aus. Deshalb konzentrieren wir uns auf fünf Schwerpunkte: Klima und Energie, Gesundheit, Kommunikation, Mobilität und Sicherheit. Das sind die Bedarfsfelder, auf denen sich die wichtigsten Menschheitsfragen des 21. Jahrhunderts entscheiden werden. Deshalb sind das unsere Schwerpunkte in der Hightech-Strategie.
Übrigens werden zu dem Instrumentenkasten, der mit der Hightech-Strategie verbunden ist, in den nächsten Monaten und Jahren auch verstärkt Bürgerdialoge gehören. Wir müssen reden, kommunizieren, die öffentliche Kommunikation über die großen Zukunftsprojekte, die mit der Hightech-Strategie verbunden sind, herstellen. Das macht moderne Innovationspolitik aus. Wir erfahren ja im Moment an einer Reihe von Stellen in Deutschland: Zu guter Politik gehört auch gute Kommunikation. Deshalb gehört zu guter Forschungspolitik auch, Lust und Leidenschaft auf Zukunft, auf die großen Zukunftsprojekte zu wecken.
Zu den Zukunftsprojekten, zu den Leuchttürmen gehört zum Beispiel die CO2-neutrale, energieeffiziente und klimaangepasste Stadt - diese Beschreibung ist etwas kompliziert -, kurz Nachhaltigkeitsstadt genannt. Sie ist nicht nur eine Vision, sie ist der Prototyp für die Zukunftsprojekte. Wichtig ist der Gesamtkontext, die Herstellung eines systemischen Zusammenhangs. Die Nachhaltigkeitsstadt steht in einem engen Zusammenhang mit dem Fortschritt des Zukunftsprojektes ?Intelligenter Umbau der Energieversorgung?. Wo es solche klaren inhaltlichen Schnittmengen gibt, werden wir sie nutzen.
Es gehört zum Markenkern der Hightech-Strategie, alle Ressorts hinter einer gemeinsamen Idee zu versammeln. Konzeption und Umsetzung der Hightech-Strategie sind vom gemeinsamen Willen der ganzen Bundesregierung getragen. Es geht darum, Innovationen und das, was in diesem Kontext relevant ist, in das Zentrum der Fachaufgaben zu rücken. Die Ausgestaltung der Hightech-Strategie ist deshalb Sache aller Ressorts. Das ist gleichsam roter Faden des Regierungshandelns: Wie sind die Entscheidungen und Prozesse, die wir auf den Weg bringen, unter dem Gesichtspunkt von Zukunftsfähigkeit und Stärkung von Innovationskraft zu bewerten?
Mit erfolgreichen Initiativen wie dem Spitzenclusterwettwerb oder ?KMU-innovativ? haben wir Maßstäbe gesetzt. International ist die Hightech-Strategie viel beachtet. Deshalb werben wir auch im Ausland verstärkt für unseren Ansatz und verzahnen nationale und europäische Forschungs- und Innovationspolitik enger miteinander. Mit Europa 2020 und der Innovationsunion haben Kommission und Europäischer Rat einen anspruchsvollen Prozess angestoßen. Vorbild für das, was jetzt auf der europäischen Ebene als europäische Innovationsstrategie beraten wird, ist unsere Hightech-Strategie.
Die europäische Innovationspolitik orientiert sich stärker als je zuvor und zu Recht an den globalen Aufgaben und nimmt innovationsfördernde Rahmenbedingungen in den Blick. Deutschland wird dank seiner Erfahrungen mit der Hightech-Strategie zu dieser neuen Forschungs- und Innovationspolitik in Europa maßgeblich beitragen. Deutschland hat die innovative Kraft, Vorreiter zu sein. Das gilt im Hinblick auf die Maßnahmen, die in den vergangenen Jahren bereits auf den Weg gebracht worden sind. Das gilt aber auch für Maßnahmen, die wir, auch wenn es schwierig ist und wenn innerhalb der Fraktionen und der Regierung unterschiedliche Akzente gesetzt werden, noch anpacken müssen.
Wie Sie wissen, zählt für mich dazu - neben institutioneller Förderung, neben Projektförderung im Bereich der Forschungspolitik und neben dem, was schon auf den Weg gebracht worden ist -, auch im Blick zu behalten, dass wir speziell für kleine und mittelständische Unternehmen steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung brauchen. Dies muss unser nächstes Thema sein.
Das ist schwierig; darüber haben wir auch gestern im Haushaltsausschuss gesprochen. Aber die Sache wird rund, wenn wir auf dieser Ebene Instrumente schaffen, um noch stärkere Anreize für Investitionen in Unternehmen zu schaffen. Denn wir wissen: Dass wir im Jahre 2009 2,8 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben, ist gut; das ist eine ausgesprochen positive Entwicklung. Aber wir wollen das 3-Prozent-Ziel erreichen. Das schaffen wir nur durch konsequente Investitionen seitens der Unternehmen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold für die SPD-Fraktion.
Florian Pronold (SPD):
Guten Morgen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD begrüßt, dass die Hightech-Strategie, die wir in der Großen Koalition gemeinsam begonnen haben, fortgesetzt wird. Ich denke, damit Deutschland Weltspitze bleibt, ist es wichtig, dass wir sehr viel Geld in den Forschungsbereich stecken. Es darf aber nicht dabei bleiben, dass man nur Leuchttürme baut, sondern man muss auch überprüfen: Was passiert damit? Man darf also nicht zu viel Weihrauch über die aktuellen Projekte gießen, ohne auch zu überprüfen: Was konkret geschieht auf den fünf Schwerpunktfeldern, und was versteckt sich dahinter?
Eine neue Innovation hätten wir gebraucht, als vor einigen Monaten der Elektromobilitätsgipfel der Bundesregierung stattfand. Man hätte ein neues Weitwinkelobjektiv gebraucht. Auf der Bühne drängten sich nämlich so viele Minister, dass man sie nur schwer auf ein Foto bekommen hat.
Es ist gut, dass wir für die Förderung der Elektromobilität eine Menge Geld ausgeben. Aber die spannende Frage ist doch: Was passiert jetzt?
Wird das Elektroauto der Zukunft tatsächlich in Dingolfing, Ingolstadt oder Stuttgart gebaut? Oder geht es wie im Märchen Des Kaisers neue Kleider? Durch all die entsprechenden Kommissionen wird zusätzliche Bürokratie geschaffen, und man hört, dass die Forschungsgelder bisher hauptsächlich verwendet wurden, um unterschiedliche Papiere auszutauschen. Man weiß aber nicht: Wie geht es in den Modellregionen weiter? Es ist doch wichtig, dass mit dem Geld tatsächlich etwas auf den Weg gebracht wird und dass nicht nur so getan wird, als würde man Aktivitäten ergreifen. Das muss nachweisbar geschehen.
Die Evaluierung der Hightech-Strategie steht bis heute aus. Es ist wichtig, dass man nicht nur darüber redet, sondern auch nachprüft, ob das Ganze richtig eingesetzt wird. Man sollte auch darauf verzichten, Dinosauriertechnologie weiterhin als Brückentechnologie auszugeben und zu fördern. Die Schwerpunktsetzung, die Sie vorgenommen haben - dass Sie wieder Klientelpolitik machen und die Atomenergie weiterhin fördern,
anstatt konsequent auf erneuerbare Energien zu setzen -, ist ein Defizit.
Frau Ministerin, ich habe sehr wohl gehört, dass Sie - wohl in Richtung Ihrer eigenen Koalition - etwas zum Thema der steuerlichen Forschungsförderung gesagt haben.
Wenn ich den Koalitionsvertrag richtig gelesen habe, haben Sie sich darin festgelegt. Wir haben vor einigen Monaten in einer Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion genau zu diesem Punkt nachgefragt. Denn in diesem Hause besteht große Einigkeit darin, dass wir auch steuerliche Forschungsförderung brauchen. Ich erinnere an den ?Deutschland-Plan? von Frank-Walter Steinmeier.
- Das stimmt nicht. Der ?Deutschland-Plan?, liebe Kollegin, kam eindeutig vor der Bundestagswahl heraus, falls Sie sich daran erinnern.
Auch die SPD-Fraktion ist immer dafür eingetreten, dass wir kleine und mittelständische Unternehmen entsprechend fördern.
Aber wir brauchen eine punktgenaue Förderung. Die Schwierigkeit auf diesem Gebiet ist, dass man nicht mit der ?steuerlichen Gießkanne? alle fördern, sondern gewährleisten sollte, dass die Mittel punktgenau bei kleinen und mittelständischen Unternehmen ankommen.
Die spannenden Fragen sind, wie das gemacht wird und was dann kommt. Da das im Koalitionsvertrag steht, haben wir eine Anfrage gestellt. Die Antwort auf die Anfrage lautete: Daran ist derzeit nicht gedacht.
Wenn die Ministerin heute den Appell an die eigene Koalition richtet, es doch zu tun, wäre es endlich mit Blick auf die staunende Öffentlichkeit an der Zeit, zu sagen, wie sie das tun möchte und was dadurch passiert. Denn das ist eine Möglichkeit, tatsächlich Bürokratie abzubauen und etwas für die kleinen und mittleren Unternehmen zu tun, um wirklich für Innovation zu sorgen. Das ist die Aufgabe.
Aber wir hören nichts außer Appellen. In dieser Debatte gibt es sehr viele Ankündigungen. Der Kollege Hagemann wird sicherlich in seiner Rede auf einige Punkte eingehen, wie ich ihn kenne.
Aber ganz wichtig ist, dass wir hier nicht gemäß Des Kaisers neue Kleider handeln. Bei der Elektromobilität und der steuerlichen Forschungsförderung scheint mir die schwarz-gelbe Koalition ganz nach diesem Märchen vorzugehen. Das scheint Ihr Drehbuch zu sein. Wie bei Des Kaisers neue Kleider steht dann Schwarz-Gelb irgendwann nackt da. Deswegen wäre es mit Blick auf die Ästhetik gut, wenn Sie alle noch ein bisschen ins Fitnessstudio gingen, damit die Auswirkungen auf die Wahlbevölkerung nicht allzu dramatisch sind.
Das Wichtige dabei ist jedoch nicht, dass dann die schwarz-gelbe Koalition nackt dasteht, sondern dass das Schwierigkeiten für die Arbeitsplätze in Deutschland mit sich bringt.
Wenn wir mit Forschung und Entwicklung nicht weiterkommen und wenn nicht mehr gemacht wird, als Weihrauch zu verbreiten und Leuchttürme in den Raum zu stellen, wird diese Sache schwierig für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir alle sind uns doch einig, dass wir in Deutschland schneller und besser entwickeln und produzieren müssen, um an der Weltspitze zu bleiben. Umso wichtiger ist es, dass Sie nicht durch das aktuelle politische Handeln Ihre Hightech-Strategie konterkarieren.
Frau Ministerin, Sie haben gerade von der klimagerechten Stadt gesprochen. Auch hier liegt ein wichtiges Zukunftspotenzial. Aber was machen Sie denn praktisch in den Haushaltsdebatten gerade? Was ist mit der CO2-Gebäudesanierung? Sie haben angekündigt, die Mittel dafür sollten gekürzt werden. Jetzt soll das ein Stück weit korrigiert werden.
Um eine klimagerechte Stadt zu entwickeln, brauchen wir auch einiges beim Stadtumbau. Schön ist, wenn der Titel für die Forschung aufgestockt wird. Aber was ist mit der Städtebauförderung? Glauben Sie denn, dass wir eine klimagerechte Stadt vernünftig hinbekommen, wenn Sie die Städtebauförderung kaputtmachen und wenn Sie den Kommunen vor allem das notwendige Geld nehmen, um genau diese Innovation, die wir jetzt erforschen, in ein paar Jahren umzusetzen? So wird das nie etwas. So kann das nicht funktionieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hightech-Strategie muss mehr als eine Strategie sein. Dabei darf es nicht nur um schöne haushaltspolitische Ansätze gehen, sondern man muss das, was man sich vorgenommen hat, in praktische Politik umsetzen. Was im Haushalt im Bereich Forschung und Entwicklung gemacht wird, widerspricht fundamental den Ansätzen, die in anderen Bereichen des Haushalts verfolgt werden. Sie erfüllen das, was Sie im Bereich Forschung und Entwicklung an die Wand malen, durch Ihre praktische Politik nicht mit Leben, sondern konterkarieren es.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Professor Dr. Martin Neumann.
Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP):
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wichtiges Kernanliegen der christlich-liberalen Koalition ist es, Deutschland zu einer Bildungsrepublik und zu einem attraktiven und innovativen Forschungsstandort zu machen. Mit den Haushalten 2010 und 2011 - das sehe ich etwas anders als Sie, Herr Pronold - zeigen wir an der Stelle sehr deutlich, wo hier Prioritäten gesetzt werden.
Mit der Weiterentwicklung der Hightech-Strategie liegt uns nun endlich ein Gesamtkonzept vor, in dem deutlich dargestellt wird, wo es in Zukunft hingehen soll. Das große Potenzial der deutschen Wissenschaft und auch der deutschen Wirtschaft muss gezielt aktiviert werden, um Lösungen für die zukünftigen globalen Herausforderungen und Probleme zu erarbeiten; denn nur so investieren wir in die Zukunft unserer Kinder.
Dass es immer etwas mehr sein könnte, glaube ich Ihnen gerne. Ich denke, es ist schon wichtig, an dieser Stelle festzustellen, dass wir den Weg in die richtige Richtung beschreiten. Es gibt vier Bedarfsfelder mit entsprechend deutlicher Schwerpunktsetzung. Mit dieser deutlichen thematischen Ausrichtung muss es Deutschland gelingen, zukünftige Leitmärkte zu entwickeln und internationale Wettbewerbsvorteile zu schaffen.
Das Konzept beinhaltet aber mehr als nur die Festlegung der Schwerpunkte. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass es auch gelungen ist, in diesem Konzept darzustellen, dass es notwendig ist, die Akteure zusammenzubringen. Die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft an der Stelle ist der Schlüssel zu weiteren Erfolgen.
Ich möchte an dieser Stelle nur hervorheben: Unter dem Stichwort Validierungsförderung ist es uns erstmals gelungen, den Kreis zwischen der Grundlagenforschung und der Forschung in angewandten Systemen tatsächlich zu schließen. So kann endlich der Weg von der Produktentwicklung zu marktreifen Produkten verkürzt und somit der Ablauf beschleunigt werden.
Wir haben damit endlich auch eine Lücke geschlossen und für deutsche Wirtschaftsunternehmen Wettbewerbsvorteile geschaffen und natürlich auch zusätzliche Arbeitsplätze möglich gemacht. Nicht nur die großen Unternehmen profitieren von der Hightech-Strategie, sondern vor allem auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese etwa 4,5 Millionen kleinen und mittelständischen Unternehmen und Selbstständigen investieren beträchtliche Summen in ihre Forschungsbereiche und sind sehr innovationsfreudig. Diese Innovationskraft muss weiter gestärkt werden.
Im Rahmen der Maßnahmen der Hightech-Strategie werden beispielsweise auch in meinem Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße bereits jetzt 33 Projekte im Bereich Forschung und Entwicklung gefördert. Insgesamt erhalten die Träger 26 Millionen Euro. Beispielsweise wird dort an einer neuen Generation von Solarzellen gearbeitet. Es geht im Kern auch darum, nicht nur irgendwelchen Ideen nachzugehen, sondern wir orientieren uns ganz stark an der Thematik Gesamtenergieeffizienz. Das ist auch im Rahmen der Energieforschung ein ganz wichtiger Punkt.
Das Bedarfsfeld Klima und Energie hat deshalb aus forschungspolitischer Sicht einen besonders hohen Stellenwert;
denn gerade an dieser Stelle konzentrieren sich Technologieoffenheit und Nachhaltigkeit in der Forschung. Das ist aus meiner Sicht der Schlüssel für eine nachhaltige und sichere Energieversorgung.
Der Forschungsbedarf - das sagte ich bereits - ist gewaltig. Es gibt eine ganze Reihe von Schwerpunktfeldern, die ich aus Zeitgründen nicht alle nennen möchte. Es geht um Transport, es geht um intelligente Netze, es geht um das Thema Fusionsforschung, und es geht um die gezielte CO2-Vermeidung, um nur einige zu nennen. Es geht dabei nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Pronold, um Dinosaurier, sondern es geht darum, die Modelle tatsächlich so zu entwickeln, dass sie auch mit Blick auf die Gesamtenergiebilanz nachhaltig sind.
Wir brauchen - das will ich an dieser Stelle hervorheben - diesen Richtungswechsel tatsächlich dringend, um endlich den Innovationsrückstand in der Energieforschung, der ja vor allen Dingen aus den Zeiten von Rot-Grün stammt, wieder aufzuholen.
In der Energieforschung brauchen wir ein Innovationsniveau von etwa 1,5 Milliarden Euro. Im Koalitionsvertrag wurden für Bildung und Forschung zusätzliche Investitionen vereinbart. Wir haben gute Voraussetzungen, weil wir über ein breitgefächertes Forschungssystem verfügen, sodass es auch vonseiten der Wissenschaft weitere Impulse geben wird. Diese Impulse schaffen dann auch Freiräume für Innovationen.
Wer frühzeitig die Potenziale neuer Technologien und ihre möglichen Anwendungsfelder erkennt, kann seine Innovationspolitik entsprechend ausrichten. Nur durch innovative Ideen, eine fundierte Grundlagenforschung und die Unterstützung neuer Wege zur Entwicklung innovativer Produkte können moderne Arbeitsplätze entstehen.
Ich betone an dieser Stelle - damit komme ich zum Schluss -: Die Koalition setzt somit ein starkes Zeichen für die Innovationsrepublik Deutschland und für die Zukunft unseres Landes.
Ich bedanke mich.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahr 2006 verkündete die Ministerin erstmals die Hightech-Strategie. Dieses Paket war genau genommen schon von der Vorgängerregierung geschnürt worden. Allerdings bekam das Ganze jetzt einen schicken und einprägsamen Aufkleber. Das reichte damals, weil sich an den Inhalten und Adressaten nicht sehr viel geändert hatte.
Deutschland sollte Hightech-Wachstums-Wunderland werden.
Es war in dem Konzept ziemlich deutlich zu erkennen, dass die geförderten Technologien den Global Playern unter den deutschen Unternehmen auf den Leib geschneidert worden waren. Mit öffentlichen Geldern wurde klassische Industrieforschung massiv unterstützt, obgleich das eigentlich gerade für die Liberalen eine Kernaufgabe innovativer Unternehmensentwicklung sein müsste. Mancher Lobbyist dürfte sich heute noch die Hände reiben.
Aber man ging in dieser Strategie sogar noch einen Schritt weiter. Man bediente vor allem diejenigen, die schon länger der Kanzler Lieblinge gewesen sind. So geht nämlich mindestens ein Drittel der Fördergelder in Richtung Automobilindustrie, und das kann, wie wir gesehen haben, sehr schnell zur Sackgasse werden.
Man wollte mit dieser Strategie nicht nur neue Märkte beherrschen. Nein, Sie wollten mit dieser Strategie künstlich neue Leitmärkte schaffen, und zwar mit Steuergeldern. Insgesamt ging es um die Poleposition Deutschlands im Kampf um die Exportweltmeisterschaft, wenn sich Europa laut Lissabon-Strategie zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt aufstellte.
2006 haben Sie große Ziele verkündet: 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze sollten entstehen. Inzwischen ist die Innovationseuphorie etwas schaumgebremst. Dafür sorgte eine Krise, die Quittung ungerechter Reichtumsverteilung und einseitiger Reichtumsanhäufung war.
Die riesigen Summen wurden nämlich in Finanzmarktspekulationen gepumpt, weil dort die Renditen höher sind als bei realen wirtschaftlichen Investitionen. Es ist völlig klar, dass diese Mittel dann fehlen, um den längst überfälligen Umbau der ressourcenfressenden und expansiven Wirtschaftsentwicklung zu vollziehen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Hightech-Strategie bis heute von dieser Logik geprägt ist. Übrigens konnte die Bundesregierung bis heute nicht nachweisen, wie viele Arbeitsplätze durch die Hightech-Strategie entstanden sind.
Die Linke hat bereits 2006 kritisiert, dass bei Ihnen Wachstum vor Nachhaltigkeit kommt. Trotz Konzentration auf wenige Themenfelder, wie Sie vorhin ausgeführt haben, und vielversprechender Titel in der neuen Strategie bleibt es dabei: Technologien allein - so sehr sie auch als Hightech daherkommen mögen - lösen viele globale Grundkonflikte nicht.
Sie können bestenfalls befristet Symptome deckeln, und das auch nur dann, wenn sich die betreffenden Länder diese tollen Entwicklungen überhaupt leisten können. Ein gleichermaßen notwendiger Bestandteil einer Hightech-Strategie ist Forschung, die die sozialen, kulturellen und ökologischen Ursachen für Konflikte untersucht und gesellschaftliche Bedingungen zu deren Lösung konzipiert. Das können und müssen Sie dann verzahnen mit Anwendungsbedingungen für Technologien in diesen Ländern. Die Bedingungen unterscheiden sich eben beispielsweise zwischen Europa und Afrika deutlich. Dieser Ansatz fehlt in diesem Konzept gänzlich, genauso wie das gesamte Forschungsfeld nachhaltiges Wirtschaften.
Dass Chancen vergeben werden - das ist vorhin angeklungen -, zeigt sich sehr deutlich im Bereich der Energieforschung. Dass Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt und Energieeffizienz drastisch und schnell verbessert werden muss, gehört zu den Grundbedingungen, um den Klimawandel zu verzögern. Wie aber reagiert diese Regierung? Sie gibt für die Erforschung fossiler und nuklearer Energieträger 290 Millionen Euro aus. Für erneuerbare Energien und Effizienztechnologien stellt sie nur 190 Millionen Euro bereit. Offensichtlich haben auch hier die Energiemonopolisten gewonnen. Das ist nun wahrlich keine Highperformance Ihres Zukunftsdenkens.
Im gleichen Licht spiegelt sich das Sicherheitsforschungsprogramm. Ihre Logik ist: Der demokratische Verfassungsstaat wird bedroht von Terror, Cyberkriminellen und näher kommenden Kriegsherden. Vor dieser Kulisse sollen Hochtechnologien zu Abwehr und Überwachung samt daraus entstehenden neuen Märkten aufgerüstet werden. So versprechen beispielsweise Körperscanner zwar leichtere Kontrollen auf Flughäfen. Aber wirklich sicherer wird es in dieser Welt nicht. Ganz abgesehen davon, dass die Italiener gerade diese Scanner als untauglich wieder abmontieren, wissen wir doch: Viele Wege führen nach Rom.
Die Hightech-Strategie bleibt so einseitig, weil in den Beratungsgremien wie der Forschungsunion ?Wirtschaft - Wissenschaft?, im Bio-Ökonomie-Rat, beim Innovationsdialog der Kanzlerin oder auch in der eben erst gegründeten Nationalen Plattform Elektromobilität zahlreiche Wirtschaftslobbyisten sitzen, und diese richten Wissenschaft nach ihren konkreten Interessen strategisch aus. Was fehlt, sind fast durchgängig Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft. So kommen beispielsweise von den 148 Mitgliedern der Arbeitsgruppe der Nationalen Plattform Elektromobilität 111 aus der Industrie. Umwelt- und Verbraucherverbände durften - raten Sie einmal! - lediglich drei Vertreterinnen und Vertreter entsenden.
Schließlich werden die Hightechlinien vor allem - das verwundert uns nicht - von Männern aufgelegt. In den genannten Beratungsgremien ist weniger als ein Drittel weiblich. Liegt da nicht der Gedanke nahe, dass die Technologiefixierung der Hightech-Strategie vor allem männlichen Denkmustern folgt? Frauen würden nachgewiesenermaßen viele gesellschaftliche Probleme anders angehen. Vielleicht wären es nicht zuerst Assistenzsysteme und Pflegeroboter, die Forscherinnen als Antwort auf die Alterung unserer Gesellschaft geben würden. Hightechentwicklung konsequent als Vereinfachung von Technologien zu denken, um diese so auch robuster sowie anwendungs- und alltagstauglicher zu machen, ist kein Ziel Ihrer Technologiepolitik.
?Demokratie heißt Entscheidung durch die Betroffenen.? So jedenfalls hat es Carl Friedrich von Weizsäcker gesehen. Forschung in der Demokratie braucht demokratische Forschungspolitik. Da haben Sie noch verdammt viel nachzuholen.
Dazu gehören nun einmal auch die Träger der Forschungsleistungen. Deshalb muss ich Sie erneut daran erinnern, dass die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine von fünf Säulen der Hightech-Strategie von 2006 war. Ich habe mich in den letzten Monaten mehrfach mit Nachwuchsforschern und -forscherinnen getroffen. Deren Erfahrungsberichte, aber auch Statistiken belegen eindeutig, dass sich die Situation des Nachwuchses in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat. Der Trend, mehr Stipendien statt Stellen zu vergeben, muss endlich gestoppt werden.
So steuert nun beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit sinnvollen Änderungen in der Förderpraxis gegen diesen Trend. Kein Umdenken lässt sich dagegen aus der Neufassung der Hightech-Strategie erkennen; denn da wird der wissenschaftliche Nachwuchs noch nicht einmal erwähnt. Wer hier ständig von Fachkräftemangel redet und ihn beklagt, muss jungen, engagierten Menschen auch in diesem Bereich echte Chancen eröffnen.
Schließlich - das darf nicht fehlen - wird die innovative Forschung durch das Kooperationsverbot erheblich beschränkt. So gibt es in Deutschland beispielsweise 46 Ministerien, die sich in irgendeiner Weise mit Energieforschung auseinandersetzen. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Universitäten können eben nach Art. 91 b des Grundgesetzes nicht direkt miteinander kooperieren. Sie müssen mühsam bürokratische, vertragliche Umwege gehen. Professor Jäckle, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, appellierte unlängst an uns Parlamentarier: Wissen muss der Anwendung vorausgehen.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass das Kooperationsverbot in der Anwendung völlig unnötige Barrieren baut. Deshalb - lassen Sie mich das abschließend sagen - muss es endlich auch im Interesse leistungsfähiger Forschung fallen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem zentralen Vorhaben Ihrer Hightech-Strategie für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen, die hochinnovativ sind, nämlich bei der steuerlichen Forschungsförderung, sind Sie kläglich gescheitert, und zwar an sich selber.
Die bittere Wahrheit ist ganz einfach: 1 Milliarde Euro an Steuergeschenken für Hoteliers war Ihnen schlicht wichtiger.
Da war einfach kein Geld mehr für die steuerliche Forschungsförderung übrig.
Ich finde es interessant, dass eine Partei, die glaubt, sie hätte den Fortschritt geradezu gepachtet, die erste ist, die dieses Vorhaben für diese Legislaturperiode für beerdigt erklärt. Die Kollegen von der CDU tun ja wenigstens noch so, als wollten sie jetzt mit den Haushältern in die nächste Runde gehen. Die Ministerin selber sagt ja immerhin noch: Wollen wir das mit der Hotelierssubventionierung nicht noch einmal überdenken? - Aber die FDP hat dieses Projekt wegen der Hoteliers tatsächlich beerdigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie haben sich die Auseinandersetzung mit den Haushältern künstlich schwer gemacht, und zwar dadurch, dass Sie die Großkonzerne in die steuerliche Forschungsförderung einbeziehen wollen.
Das macht die Sache extrem teuer, das bringt hohe Mitnahmeeffekte. Die Großkonzerne profitieren von zahlreichen Projektförderprogrammen, und sie sind Profis bei der Steuergestaltung. Sie hätten hier lieber das machen sollen, was die Grünen schon in der letzten Legislaturperiode gefordert haben: Konzentration auf kleine und mittlere Unternehmen. Das ist zielgenau und verbraucht weniger Mittel.
Sie beziehen die Großkonzerne mit ein und würden deshalb die meisten Mittel für Autokonzerne und Pharmakonzerne einsetzen. Es gäbe ein starkes Nord-Süd-Gefälle, und Ostdeutschland würden Sie dabei gar nicht erreichen.
Sie sind jetzt zweimal an Ihrem Klienteldenken gescheitert, einmal an den Hotels und der FDP und zum anderen an den Großkonzernen.
Hören Sie endlich mal auf die Grünen, dann klappt es auch mit der steuerlichen Forschungsförderung und den Haushältern.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat mehrmals angemahnt: Wir brauchen mehr Budgettransparenz bei der Hightech-Strategie, und wir brauchen vor allen Dingen eine Evaluierung der Instrumente. Davon ist auch nach sechs Jahren keine Rede. Im Gegenteil: Bei Ihrer Hightech-Strategie überhaupt zu einem differenzierten Überblick und zu einer differenzierten Bewertung zu kommen, wird immer schwieriger. Dadurch wird auch die qualitative Bewertung, ob diese Hightech-Strategie eigentlich die Antwort auf die ökologischen Herausforderungen gibt, immer schwieriger. Aber Transparenz ist offensichtlich auch gar nicht gewollt. Wenn fast 35 Prozent der Energieforschungsmittel aufgebracht werden müssen, um kerntechnische Forschungsanlagen zurückzubauen, dann ist das eine teure Vergangenheitsbewältigung.
Uns diese Ausgaben als Zukunftsausgaben unterzujubeln, ist schlicht eine gewaltige Mogelpackung.
Wenn 29 Prozent der Energieforschungsmittel in die Fusionsforschung fließen,
obwohl wir wissen, dass sie in den nächsten 30, 40 Jahren keinen Beitrag zur Energieversorgung leisten wird, dass sie auf zentrale, große Anlagen ausgerichtet ist, die sehr teuer sein werden, und in ein dezentrales System erneuerbarer Energien mit intelligenten Netzen gar nicht hineinpassen wird,
dann ist auch das keine Ausrichtung auf die ökologischen Herausforderungen, und es ist keine wirkliche Ausrichtung dieser Strategie auf Zukunftsmärkte.
Anspruch und Wirklichkeit driften bei Ihnen fundamental auseinander.
In der Forschungspolitik wollen Sie intelligente Netze und erneuerbare Energien fördern; aber durch Ihre reale Politik der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke verstopfen Sie die jetzigen Netze. Das führt dazu, dass die erneuerbaren Energien in Deutschland Marktanteile abgeben werden.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation, die Sie selber eingesetzt haben, hat mehrfach darauf hingewiesen, dass wir zu wenig Dynamik bei den Spitzentechnologien und vor allen Dingen bei den wissensintensiven Dienstleistungen haben. Die wissensintensiven Dienstleistungen sind in Ihrer Hightech-Strategie aber seit Jahren vollkommen unterbelichtet. Für diesen Bereich haben Sie in der Vergangenheit gerade einmal 17,5 Millionen Euro ausgegeben. In Ihrem eigenen Forschungsbericht nimmt dieses Thema nur eine halbe Seite ein. Die wissensintensiven Dienstleistungen sind aber von entscheidender Bedeutung bei der Frage: Wie können wir in Zukunft dafür sorgen, dass die Wertschöpfung auch in Deutschland stattfindet? Technik können inzwischen auch die anderen, und sie können sie meistens billiger. In der Verbindung von komplementären wissensintensiven Dienstleistungen mit technologischen Stärken liegt eine ganz große Chance.
Sie wird in Deutschland aber leider nicht ergriffen, und das ist ein mentales Problem, das sich auch in Ihrer Hightech-Strategie fortsetzt.
Sie sollten sich im Hinblick auf die Zukunft Ihrer Hightech-Strategie vielleicht einen kleinen Merkzettel machen: Es gibt auch Innovationen ohne einen Motor. In diese Richtung sollten Sie einmal weiterdenken.
Ein anderer Kritikpunkt der sogenannten EFI-Gutachter ist die mangelnde Fokussierung. 17 Hightechsektoren sind einfach zu viel. Was machen Sie jetzt? Sie verteilen Ihre 17 Hightechsektoren auf fünf Bedarfsfelder und sieben Schlüsseltechnologien. Es gibt nicht einen einzigen guten alten Bekannten aus den 17 Hightechsektoren, den man dort nicht wiederfindet. Sie erfinden neue Überschriften, aber nehmen keine Fokussierung vor.
Jetzt frage ich mich aber: Warum tun Sie sich bei der Fokussierung, bei der Budgettransparenz, bei der Orientierung auf innovative kleine und mittlere Unternehmen, bei der Orientierung auf ökologische Herausforderungen und bei den wissensintensiven Dienstleistungen eigentlich so schwer? Die Ausrichtung der Hightech-Strategie findet vorrangig durch Experten der sogenannten Forschungsunion statt, die gleichzeitig die entschiedensten Lobbyisten der großen, starken Traditionsbereiche sind. Das ist Eon, das ist BASF, das ist BMW, das ist Bayer, das ist Boehringer. Keine Frage, auch sie haben ihren Stellenwert für Arbeitsplätze in Deutschland.
Aber wenn sie die Hightech-Strategie dominieren und ausrichten, dann haben es neue Innovationsfelder, dann haben es hochinnovative kleine Unternehmen einfach schwer. Das zeigt doch Ihre steuerliche Forschungspolitik: Sie machen lieber überhaupt nichts, bevor Sie irgendjemandem von den Großen einmal auf die Zehen treten, indem Sie sich auf kleine und mittlere Unternehmen konzentrieren.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zum 3-Prozent-Ziel sagen. Auch dieses Jahr werden wir das 3-Prozent-Ziel nicht erreichen, obwohl der Bund mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgibt. Das liegt daran, dass die Länder leider hinterherhinken. Das liegt auch daran, dass Sie ihnen durch Ihre Steuerpolitik die Basis für Investitionen in Frühförderung, Schule und Hochschule entziehen. Ich sage Ihnen eines: Wenn wir den Ländern die Basis für die Bildungsausgaben entziehen, dann können wir das durch die beste Hightech-Strategie in Deutschland nicht kompensieren; denn die Zukunft fängt bei der Bildung in den Bundesländern an.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Sager, Sie haben mit großer Entschlossenheit dargestellt, was alles so schrecklich falsch läuft. Insbesondere klingt es bei Ihnen so, als ob wir hier einen Gegensatz zwischen großen Unternehmen einerseits und kleinen und mittleren Unternehmen andererseits aufbauen sollten. Wir brauchen aber alle.
Die Stärke Deutschlands besteht auf der einen Seite darin, dass wir mit sehr großen Unternehmen erfolgreich in den Weltmärkten sind, und auf der anderen Seite darin, dass wir einen vielfältigen und differenzierten Mittelstand haben. Die Strategie der letzten Jahre zeigt: Nirgends sind so starke Steigerungen zu verzeichnen wie beim Mittelstand, und nirgends waren wir so erfolgreich wie beim forschenden Mittelstand.
Schauen Sie sich die Zahlen an - wenn auch Geld manchmal nicht alles ist; Intelligenz ist durchaus zusätzlich hilfreich -:
Die Mittel für die Förderung des Mittelstands sind in den letzten Jahren von 600 Millionen Euro auf 950 Millionen Euro erhöht worden. Das Programm ZIM hat sich besonders in den neuen Bundesländern bei der Zusammenführung von unterschiedlichen alten Programmen glänzend bewährt. Es ist technologieoffen. Es ist für jeden da. Es ist breit aufgestellt. ZIM-SOLO - so heißt es, wenn Einzelprojekte gefördert werden - haben wir in den alten und neuen Bundesländern stark aufgestellt. Die Dynamik hat gezündet. Der Mittelstand hat seine Forschungskapazitäten in den letzten Jahren noch stärker ausgeweitet als die großen Unternehmen. Das ist der Erfolg einer gezielten Strategie in Kooperation mit den Unternehmern, die allein einstehen und kämpfen für ihre Sache, die Ideen und Unternehmungsgeist haben.
Da helfen wir und schaffen wir die Voraussetzungen.
Ich bin dankbar und glücklich, dass wir damit rechnen können, dass Sie von der SPD uns bei der steuerlichen Forschungsförderung mannhaft unterstützen werden.
Ich finde das uneingeschränkt positiv. Wir haben jetzt ein Jahr in dieser bürgerlichen Koalition die Zukunft Deutschlands gestaltet. Wenn wir nicht noch Aufgaben hätten, die wir erledigen müssten, könnten wir aufhören, zu regieren.
Die steuerliche Forschungsförderung ist eines der Themen. Wir arbeiten daran,
und zwar in der Form, dass die mittelständischen Unternehmen auf die Forschung bezogen dreimal so stark gefördert werden sollen wie die großen Unternehmen. Ich halte das für richtig, vernünftig und klug in der Gesamtstrategie.
Ich fand es prima, dass Frau Schavan vor dem Forschungsausschuss in der letzten Diskussion zum Haushalt sehr deutlich gesagt hat, dass unsere Forschungsstrategie künftig drei Säulen haben muss: die Projektförderung, die institutionelle Förderung und die steuerliche Forschungsförderung. Daran werden wir herzlich arbeiten - mit der Unterstützung unseres freundschaftlich und brüderlich verbundenen Koalitionspartners.
- Diese klatscht mit der gleichen Begeisterung. Niemand soll daran zweifeln, dass wir das gemeinsam schaffen werden. Aber auch die Opposition ist dazu herzlich eingeladen.
Was wir in den ersten vier Jahren der Hightech-Strategie erreicht haben, ist ein Sprung über die Erwartungen hinaus und über die Krise hinweg. Die Ausgaben des Bundes sind gestiegen. Wir haben die Forschungsausgaben des Bundes um ein Drittel erhöht, von 9 Milliarden Euro auf 12 Milliarden Euro im Jahr. Herr Röspel, den ich heute hier nicht in leiblicher Gestalt unter uns sehe, hat hier in einer Debatte vor der Sommerpause darauf hingewiesen, dass die Forschungsausgaben unter Schröder so wunderbar gestiegen seien. Unter Schröder stiegen die Ausgaben für Forschung in sieben Jahren um 700 Millionen Euro. In der letzten Legislaturperiode unter unserer Regierung sind diese Ausgaben innerhalb von vier Jahren um 3 Milliarden Euro gestiegen.
Wir haben in der Tat den Aufbruch Deutschlands in die Wissensgesellschaft zu einem herausragenden Thema gemacht. Für diese Periode haben wir für Bildung und Forschung einen Mittelaufwuchs von jeweils 6 Milliarden Euro vorgesehen. Wir investieren in die Bildung, weil wir die Menschen brauchen, die Forschung können, die Wissenschaft können, die Technik können, die die Welt so verstehen, dass sie sie gestalten können.
Wir investieren in die Forschung mit dem Willen, die Stärke aufzubringen, etwas zu machen, was andere noch nicht können. Nur so bewahren wir unseren Wohlstand in einer offenen und kompetitiven Welt. Das ist die Aufgabe, von der wir auszugehen haben.
Messen Sie das einmal am Erfolg! Wir sind immer noch führend in der Umwelttechnik: 16 Prozent Weltmarktanteil.
- Wir sind an der Spitze, jawohl! Wir werden weiter daran arbeiten. - Frau Präsidentin, wenn Sie mir noch eine Viertelstunde zusätzlich geben,
dann erkläre ich dem Kollegen das im Einzelnen. Das ist ein Angebot, keine Drohung, Herr Kollege.
Wir müssen doch einmal anerkennen, wo wir stehen in der Lasertechnik, in der Automobilindustrie, im Maschinenbau, in der Chemie! Die Voraussetzungen sind gut.
Die Hightech-Strategie ist ein vernünftiger Ansatz. Frau Sager, die Konzentration auf die fünf globalen Herausforderungen, die hier mehrfach zitiert worden sind, hat ihren Sinn. Bei der Vielfalt und Fülle von Wissenschaft, die überall entsteht, ist nicht alles gleichermaßen zu fördern. Der Markt regelt vieles. Dafür gibt es unsere technologieoffenen Programme und sicherlich bald auch die steuerliche Forschungsförderung. Es geht darum, das auf Ziele und Problemlösungen hin auszurichten, sodass wir das mitgestalten, was ich immer als ein Anliegen der Grünen für die künftige Welt verstanden habe: eine humane Welt, in der wir langfristig leben können, in der wir nachhaltig Wirklichkeit gestalten, in der wir verantwortlich mit begrenzten Ressourcen umgehen und in der wir Frieden dadurch garantieren, dass wir durch eine offene und starke Entwicklung unserer Technik und unserer Gesellschaft allen Völkern und Menschen in der Welt Chancen geben. Das ist die Aufgabe, an der wir arbeiten.
Nun gibt es verschiedene Zukunftsprojekte. Wir werden sie noch im Einzelnen zu definieren haben. Viele sind schon genannt worden, etwa die nachhaltige Stadt oder die Elektromobilität. Ich fand es auch prima, dass hier gesagt wurde: Man soll im Alter ein selbstbestimmtes Leben führen können. Gell?
Freunde, wir alle werden mal alt werden. Das Alter beginnt jeweils 15 Jahre nach dem Zeitpunkt, an dem ich gerade stehe.
Klug zu überlegen, wie das Ganze anzulegen ist, nicht nur im Pharmabereich, nicht nur in der Medizintechnik, sondern auch bei der sozialen Teilhabe, in den Infrastrukturen - wo es zum Beispiel in dem Projekt ?1 000 Wohnungen mit innovativer Technik? darum geht, auch im hohen Alter ein Leben in Menschlichkeit, Selbstbestimmung und mit Freude an sinnerfüllten Tätigkeiten möglich zu machen -, das ist eine der Aufgaben, für die die Strategie aufgelegt wurde.
Wir haben durchaus noch dicke Bretter zu bohren, aber unsere Stärken sind die brüderliche Verbundenheit, die Eintracht und die Standfestigkeit unserer Bundesregierung,
die Herzlichkeit, in der man dort miteinander umgeht - über alle Ressorts hinweg.
Sie beklagen, dass sechs Minister zum Thema Elektromobilität antreten. Das ist doch nichts anderes als ein Ausweis dafür: Wir alle stehen zusammen, wenn es gilt, die Herausforderungen zu meistern. Auch in den sogenannten technikfernen Ressorts haben wir begriffen, dass die Chance darin liegt, Deutschland als Wissensgesellschaft in einer offenen Welt stark und lebendig zu halten, sodass alle Freude daran haben, an der neuen Welt selbst mitzugestalten, auch die Grünen und die Sozialdemokraten. Hier stehen wir in brüderlicher Verbundenheit für die Zukunft Deutschlands, wenn auch manche auf etwas irrigen Wegen.
Was daraus entstehen kann, ist eine Zukunft, in der wir erfolgreich sind. Es geht darum, die Zukunft zu erfinden, für uns und für andere, indem wir einen Beitrag leisten zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Erde, bei der die Menschen mit Freude in die Zukunft gehen und sich nicht immer nur verhaken, wie das in den Tagesdebatten des Deutschen Bundestages mitunter der Fall ist. Es gilt, in einem gemeinsamen Geist Zukunft zu gestalten - mit fröhlicher Zuversicht, wie sie dieser Regierung in hervorragender Weise zu eigen ist.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort die Kollegin Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion.
Andrea Wicklein (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Professor Riesenhuber, ich bewundere Ihre schauspielerischen Talente wirklich sehr. Wir diskutieren jedoch heute über sehr ernsthafte Fragen, nämlich über folgende zentralen Fragen für die Entwicklung unseres Landes: Kann Deutschland auch in Zukunft seinen technologischen Vorsprung halten? Können wir die Herausforderungen meistern, denen sich eine Industrienation wie Deutschland zukünftig stellen muss?
Die Hightech-Strategie betrachtet diese Fragen aus forschungspolitischer Sicht. Wirklich spannend wird es aber erst dort, wo die Erkenntnisse der Forschung tatsächlich Eingang in den Wertschöpfungsprozess finden. Wirtschaftspolitisch geht es um die richtigen Rahmenbedingungen, damit dieser Transfer von Forschung in die Wirtschaft gelingt.
Worauf kommt es an? Was fehlt aus unserer Sicht an der Strategie der Bundesregierung, und was muss stärker gewichtet werden? Für uns Sozialdemokraten ist klar: Die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen wird daran gemessen, ob es gelingt, immer wieder neue innovative Produkte zu entwickeln. Ihre Produktivität darf also nicht nur daran gemessen werden, ob möglichst viele Arbeitsplätze freigesetzt werden, vielmehr misst sich Erfolg heute daran, wie effizient man mit den immer knapper werdenden Ressourcen umgeht und wie man mit weniger Energie, auf weniger Fläche und mit weniger Rohstoffen produziert.
Vor dem Hintergrund der sich verschiebenden Kräfteverhältnisse auf dem globalen Markt müssen wir die technologische Führerschaft bei der Lösung dieser Aufgaben verteidigen. China wird nach Prognosen der Weltbank schon in 17 Jahren die USA als größte Wirtschaftsnation der Welt überholen. Indien, Brasilien und Russland werden in 40 Jahren Deutschland an Wirtschaftskraft um ein Vielfaches übertreffen. Der Aufholprozess der Schwellenländer verläuft in einem rasanten Tempo, weil sie massiv in Forschung, Innovation und die Ausbildung ihrer Menschen investieren. Dem müssen wir etwas entgegensetzen.
Der Erfolg des Hightechstandortes Deutschland wird davon abhängen, ob es uns gelingt, Innovationspolitik aus einem Guss zu machen, wie es uns die Experten des ?Gutachtens zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands? mit auf den Weg gegeben haben. Hightech ist kein Selbstzweck. Eine Hightechstrategie braucht klar abgesteckte Ziele. Leider fehlen diese in Ihrer Strategie. Ein klares Ziel könnte sein, die Führerschaft in der Effizienzrevolution zu übernehmen, wie es Frank-Walter Steinmeier ausgedrückt hat.
Dazu müssen aber Voraussetzungen geschaffen werden.
Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei dem Umgang mit dem demografischen Wandel zu. Dazu haben Sie, Frau Ministerin, nichts gesagt. Wo sind denn Ihre Strategien zum Umgang mit der zunehmenden Überalterung und dem daraus resultierenden Fachkräftemangel? Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, eine Hightech-Strategie zu entwickeln, ohne diesen wesentlichen Fakt zu berücksichtigen. Natürlich ist die Nachwuchssicherung die Voraussetzung für unsere technologische Leistungsfähigkeit. Aber so, wie wir unsere Anstrengungen verstärken müssen, jungen Menschen technologieaffine Bildung schmackhaft zu machen, so müssen wir gleichzeitig die Erfahrungen der Älteren nutzen und alles dafür tun, dass diese auch zukünftig Leistungsträger unserer Gesellschaft sein können.
Die SPD-Fraktion hat deshalb gefordert, in den Haushalt 2011 des Bundeswirtschaftsministeriums einen eigenen Titel zur Bewältigung des demografischen Wandels in der Wirtschaft aufzunehmen. Die Koalitionsfraktionen haben diesen Antrag leider abgelehnt.
Eine weitere wesentliche Herausforderung mit erheblicher Tragweite für die Wirtschaft ist der zunehmende Rohstoffmangel und der immer schärfer werdende Konkurrenzkampf darum. China schränkt aktuell den Export von Spezialrohstoffen, den sogenannten seltenen Erden, ein, die für wichtige Hochtechnologiebranchen unentbehrlich sind, und auf dem afrikanischen Kontinent ist der Verteilungskampf längst im vollen Gange. Wo ist denn da die Strategie der Bundesregierung? Meines Erachtens hätte die Sicherstellung der Rohstoffe als sechstes Bedarfsfeld in ihre Hightech-Strategie aufgenommen werden müssen.
Die Hightech-Strategie muss nicht zuletzt die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass dynamische Hochtechnologiefelder nicht in die Schwellenländer abwandern. Wichtig bleibt dabei vor allem, die KMUs zu unterstützen, die sich stark in Forschung und Entwicklung engagieren wollen. Deshalb ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand unverzichtbar; das sieht die SPD genauso. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass die nicht ausgeschöpften Mittel aus dem Konjunkturpaket dem ZIM auch weiterhin zur Verfügung stehen. Ergänzt werden muss diese wichtige Projektförderung durch eine steuerliche FuE-Förderung. Das hat die Bundesregierung, wie wir heute gehört haben, bereits ad acta gelegt. Der neue Impuls für mehr Forschung in den Unternehmen bleibt also leider aus.
Ich wiederhole: Wir brauchen eine Innovationspolitik aus einem Guss. Wir brauchen mehr Anreize für die Forschung in den Unternehmen. Wir brauchen intelligente ressourcenschonende Technologien, um den Rohstoffbedarf von morgen zu sichern. Wir brauchen dringend eine Strategie, um dem demografischen Wandel gerecht zu werden und Bildung und Qualifikation der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.
Ganz herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Peter Röhlinger für die FDP-Fraktion.
Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute in Anwesenheit von Herrn Professor Riesenhuber über Strategien für Forschung zu sprechen, ist für mich eine ganz besondere Freude. Ich will vor diesem Hohen Haus diesbezüglich ein Geheimnis lüften: Herr Professor Riesenhuber war einst Bundesminister für Forschung und Technologie und in dieser Funktion in Jena auf dem Beutenberg, und zwar an der Stelle, wo heute das Max-Planck-Institut, das Leibniz-Institut, das Fraunhofer-Institut und weitere Institute stehen. Ich war damals der Oberbürgermeister dieser Stadt. Mir war daran gelegen, das Potenzial, das in dieser Stadt seit Generationen vorhanden war, auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. Lieber Herr Professor Riesenhuber, dass wir nun in diesem Hohen Hause als Redner einander ablösen, zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt Strategien entwickelt worden sind, die dazu geführt haben, dass es in dieser Stadt vorwärtsgegangen ist. Ansonsten stünde ich heute nicht hier,
und unserem Land ginge es nicht so gut.
Ich kann mich gut erinnern, dass es im Jahre 1990 so schien - das wurde uns glauben gemacht -, als befänden wir uns an einem Übergang zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Die Realität sieht Gott sei Dank anders aus. Die Bundesrepublik Deutschland, im Herzen von Europa gelegen, ist eine starke Industrienation. Wir sind Jobmotor geworden. Wir sind mit der Krise schneller fertig geworden als andere Länder. Dabei ist festzuhalten: Die Bruttowertschöpfung in diesem Land liegt zu 25 Prozent in der materiellen Produktion und zu 25 Prozent in der Dienstleistungswirtschaft. Das ist ein gesundes Verhältnis und ein gutes Zeichen für die hohe Disponibilität unseres Landes in den vergangenen Jahren.
Da wir gerade über Disponibilität sprechen, möchte ich noch auf eines hinweisen: Die Kraft, derer es bedurfte, diese Situation zu meistern, wurde aus der hohen Bildung und der Motivation der Bürger geschöpft. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer; das wird häufig unterschätzt. Auch die Bürger der DDR waren gebildet. Wir waren nicht nur gebildet, sondern obendrein auch noch geschult: Wir haben mit einem hohen Abstraktionsvermögen auf Durchzug geschaltet, wenn die Rotlichtbestrahlung angestellt wurde; aber wenn es um wissenschaftliche Fakten ging, haben wir sehr aufmerksam zugehört und es uns gut gemerkt.
Wie ist der gegenwärtige Stand?
Führende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft haben sich im Jahr 2010 in der Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft zusammengetan. Erst gestern konnten wir die Vorstellung der Ergebnisse der Expertenkommission Forschung und Innovation, EFI, erleben. Nun sind beide Gremien heute in den Reden nicht so gut weggekommen. Mein Eindruck ist: Es war eine kluge Entscheidung der vorhergehenden Regierungen, sich des Rates von Experten zu bedienen.
- Liebe Frau Sager, wir bedienen uns, um so gut aus der Krise herauszukommen, natürlich auch der Leistungen vorhergehender Regierungen.
Es wäre doch töricht, so zu tun, als hätte das die bürgerliche Koalition allein geschafft. Sie dürfen davon ausgehen, dass wir die Chancen, die wir jetzt haben, mit besonderer Vehemenz nutzen.
In der Forschung gibt es sehr positive Entwicklungen. Allein die Wirtschaft hat ihre Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in den letzten fünf Jahren von 1,7 Prozent auf 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Die Wirtschaft gibt heute pro Jahr über 5,5 Milliarden Euro mehr aus als 2005.
Nun sehe ich, dass das Licht blinkt. Die Präsidentin hat sich noch nicht zu Wort gemeldet; aber ich weiß, dass ich meine Ausführungen beenden sollte. Lassen Sie mich zusammenfassen: Heute ist ein guter Tag, weil wir uns im Hohen Hause über diese Dinge unterhalten können. Wir gehen auf eine gute Zeit zu.
Ich bin so weit optimistisch, dass dies unter der christlich-liberalen Regierung besonders gut gelingen wird.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Hagemann für die SPD-Fraktion.
Klaus Hagemann (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Riesenhuber, ich kann nicht so wie Sie in lyrischer Perfektion und epischer Breite schildern, worum es geht, und nicht - wie Sie es getan haben - Wunsch und Wolke darstellen.
In einem Punkt hat die Kollegin Sitte recht: Die Hightech-Strategie, über die wir beraten, ist eine Weiterentwicklung der rot-grünen Forschungspolitik unter Edelgard Bulmahn und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Frau Sitte, da haben Sie völlig recht.
Ich bin dankbar, dass wir in der Zeit der Großen Koalition die Strategie weiterentwickeln konnten, hier mehr Geld zur Verfügung stellen und entsprechende Konzepte vorlegen konnten.
Zuvor hatte Herr Rüttgers, bis 1998 Forschungsminister - da muss ich mich an die jetzige Koalition wenden -, die Mittel für Bildung und Forschung deutlich abgesenkt. Erst unter Edelgard Bulmahn konnten die Gelder wieder aufgestockt werden;
das sei hier deutlich herausgestellt. Dadurch konnten wir die Lissabon-Strategie umsetzen.
Der Spitzencluster-Wettbewerb, die Zusammenarbeit von Universitäten mit anderen Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft, ist ein Erfolg. Hier steht genügend Geld zur Verfügung; da muss etwas Positives herauskommen. Ich kann das in meiner Region, im Rhein-Neckar-Raum, immer wieder beobachten. Die Exzellenzinitiative hat frischen Wind in die Universitäten gebracht; das sagen die Universitäten selbst. Auch das ist sicherlich positiv herauszustellen. Auch diese Initiative wurde von Edelgard Bulmahn angestoßen.
Es gibt aber auch eine Menge Schatten - auch darauf möchte ich jetzt hinweisen -: Beim Vollzug, Herr Meinhardt, ist es oft so, dass es nicht ordentlich organisiert wird. Es werden zu viele Erwartungen geweckt. Es wird zu viel Luft hineingeblasen. So haben Sie, Frau Ministerin, im Jahr 2006, als die Hightech-Strategie gestartet wurde, gesagt: 1,5 Millionen Arbeitsplätze sind zu erwarten. - Wir haben nachgefragt, wie es damit aussieht, und haben erfahren, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze im forschungsnahen Bereich in einer Größenordnung zwischen 10 und 100, aber nicht von 1 Million bewegt. Eine etwas geringere Prognose wäre sinnvoll gewesen. Wir erwarten, dass in wenigen Monaten - wenn der Vollzug beendet sein wird - durch die Evaluation nachgewiesen wird, wo die 1,5 Millionen Arbeitsplätze entstanden sind.
Herr Riesenhuber hat gesagt: Wir brauchen sie alle, große und kleine Betriebe. Das ist richtig. Das ZIM, ein ordentliches Programm, wurde von der Großen Koalition gestartet. Aber wir haben auch ein anderes Programm gestartet, nämlich die Forschungsprämie, Frau Ministerin Professor Schavan. Es wurden von Ihnen große Erwartungen geweckt.
- Es war ein Flop, Herr Meinhardt, völlig richtig. - 100 Millionen Euro wurden gefordert, ganze 14 Millionen Euro sind abgeflossen. Das ganze Projekt ist zwischenzeitlich beerdigt worden. Es wurde falsch angegangen. Daran möchte ich erinnern.
An dieser Stelle sei noch das Technikum erwähnt. Auch das ist eingestellt worden.
Zur Elektromobilität. Die ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete wurde bereits deutlich dargestellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es war sinnvoll, dass Konjunkturpakete geschnürt wurden, auch für Elektromobilität. 70 Millionen Euro wurden im Konjunkturprogramm I veranschlagt.
Im Konjunkturpaket II waren es 500 Millionen Euro. Sie waren immer gegen Konjunkturprogramme. Wir haben das on der Großen Koalition auf den Weg gebracht.
Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht, dass die Werkstoff- und Materialforschung ausgebaut werden soll. Im Haushaltsansatz für das nächste Jahr ist vorgesehen, dass die Projektmittel heruntergefahren werden. Herr Professor Neumann, Sie haben die Validierungsforschung erwähnt.
- Ja. - Aber dazu wird nichts vorgelegt. Es fehlen konkrete Vorschläge und die notwendigen Mittel, obwohl die SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode konkrete Vorschläge gemacht hat. Es gibt nur große Ankündigungen, aber es geschieht nichts auf diesem Sektor. Es geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in Produkte umzusetzen und die Forscher dabei zu unterstützen und zu begleiten.
Ein anderes Beispiel sind die nationalen Gesundheitszentren. Sie sind eine sinnvolle Einrichtung, Frau Ministerin. Wir haben das unterstützt und im Haushaltsausschuss dafür gekämpft. Woran scheitert es, dass es flott vorangeht? Es fehlen einige wenige W3-Professuren; es fehlen Planstellen. Beim Finanzminister konnten Sie die vorgesehenen Planstellen für den Haushalt 2011 nicht durchsetzen. Dadurch können unter anderem Leitungsfunktionen nicht besetzt werden. Frau Ministerin, die 500 Millionen Euro, die in Ihrer Amtszeit für Investitionen genehmigt worden waren, konnten aber nicht ausgegeben werden, sie sind von Ihrem Ministerium nicht investiert worden. In diesem Bereich müssen Sie handeln und nicht so viel angekündigen.
Zur Verschiebung von Forschungseinrichtungen. Man hat das Institut für Meeresforschung zwischen der Helmholtz-Gemeinschaft und der Leibniz-Gemeinschaft hin- und hergeschoben. Den Wissenschaftsrat hat man dazu nicht befragt. Man hat noch nicht einmal das betroffene Institut gefragt. Der Gewinn ist wissenschaftlich gesehen gleich null. Doch es gibt einen Gewinner: Das ist Schleswig-Holstein. Damals wurde die Landesregierung gebraucht, um die Mehrheit für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundesrat zu sichern.
Das ist keine nachhaltige Politik. Das sind zu viele Ankündigungen. Das wollen wir so nicht hinnehmen. Hoffentlich ist der ?Wissenschaftszug? nicht Symbol für Ihre Politik. Er ist eine tolle Einrichtung der Max-Planck-Gesellschaft. Er ist voriges Jahr durch Deutschland getourt und hat junge Menschen für Wissenschaft begeistert. Wo steht er jetzt? Auf dem Abstellgleis in Potsdam-Rehbrücke. Hoffentlich ist das nicht das Ziel Ihrer Forschungs- und Wissenschaftspolitik.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion.
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Hightech-Strategie begründet eine neue Qualität. Erstmals haben wir ein nationales Gesamtkonzept. Die wichtigsten Akteure des Innovationsgeschehens in Deutschland setzen eine gemeinsame Strategie um, und das mit einem Mitteleinsatz wie nie zuvor. Seit 2005 hat der Bund die Forschungs- und Entwicklungsausgaben um sage und schreibe 33 Prozent erhöht. Auch die Wirtschaft zieht mit. Sie hat ihren Anteil trotz Wirtschaftskrise um 20 Prozent erhöht. Das ist entscheidend. Wir müssen die Wirtschaft mit im Boot haben, wenn aus der Hightech-Strategie letztendlich Wohlstand für Deutschland entstehen soll.
Eine erfolgreiche Hightech-Strategie braucht zudem eine breite gesellschaftliche Grundlage. Wir kommen auch deswegen schneller als fast alle anderen Industriestaaten auf der Welt aus der Wirtschaftskrise heraus, weil wir in Deutschland eine Infrastruktur haben, die stimmt, und einen Geist haben, der stimmt. Das Land der Tüftler und Techniker hat eine Infrastruktur, um die es weltweit beneidet wird. Bei uns gibt es ordentliche Straßen, Häfen, Flughäfen, Stromnetze und Schienennetze. Unser Rechtsstaat und unsere parlamentarische Demokratie bieten ein hohes Maß an Verlässlichkeit. Forschung und Innovation können in Deutschland gedeihen, weil man dem Land, den Menschen und den Institutionen vertrauen kann.
Widersprüchlichkeit, Beliebigkeit und Wankelmütigkeit hingegen machen dieses Vertrauen kaputt. Es ist kaum zu glauben: Grüne fordern seit Jahrzehnten vehement, dass mehr Verkehr auf die Schiene kommt. Wenn es aber ernst wird, stehen sie in der ersten Reihe, um Bahnstrecken und Bahnhöfe zu verhindern.
Die Grünen sind auch im Jahr 2010 nicht über ihren historischen Ursprung als Antibewegung hinausgekommen.
Die SPD ist 15 Jahre für Stuttgart 21 - auch hier, im Deutschen Bundestag -, aber wackelt wie ein Fähnchen im Wind, sobald der erste Widerstand auftaucht.
Sie reden von der Energiewende, kritisieren aber den zwingend notwendigen Ausbau der Stromnetze. Wir brauchen für den Transport von Wind- und Sonnenenergie 3 500 Kilometer Hochspannungsleitungen. Ohne Leitungen gibt es keine Energiewende. Der Strom kommt eben nicht aus der Steckdose. Wir brauchen in diesem Zusammenhang Infrastruktur in großen Dimensionen.
60 Prozent der Deutschen würden nach Umfragen gerne in Bayern leben.
Bayern steht für eine wunderbare Natur. Bayern steht für Tradition und Fortschritt zugleich. Hätten SPD und Grüne in den vergangenen Jahrzehnten in Bayern regiert, wären wir noch heute arm wie eine Kirchenmaus.
Sie waren praktisch gegen alles, was den heutigen Wohlstand Bayerns begründet. Sie waren gegen den Rhein-Main-Donau-Kanal,
gegen den Schnellen Brüter in Garching,
gegen den neuen Flughafen in München,
gegen den Ausbau der Autobahnen,
gegen die Forschungsneutronenquelle, gegen Wasserkraftwerke usw. Sie waren immer dagegen.
Wir werden die Hightech-Strategie nur dann zu einem nachhaltigen Erfolg führen, wenn wir die Forschungsergebnisse und die Innovationen auch verwerten können.
Dazu bedarf es aber der Bereitschaft, langfristige und auch große Projekte zu stemmen. Dazu bedarf es der Bereitschaft zum Risiko. Wir brauchen eine Risikokultur. Zukunftsverweigerung, Irrationalität und Antistimmung bringen uns keinen Zentimeter weiter.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold?
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Später.
Wir brauchen Visionen, die zeigen, wofür wir stehen. Deswegen fokussieren wir die Hightech-Strategie auf die globalen Herausforderungen. Die großen Fragen der Menschheitsgeschichte erfordern Visionen: Klima, Energie, Gesundheit und Ernährung, Mobilität, Sicherheit und Kommunikation. Allein in der Gesundheitsforschung geben wir zwischen 2011 und 2014 ganze 6 Milliarden Euro im Kampf gegen Krebs, Herzinfarkt, Alzheimer und andere Krankheiten aus.
Die Verbesserungsvorschläge zur Strategie aus dem EFI-Gutachten beziehen sich vor allem auf die stärkere Verwertung von Forschungsergebnissen durch die Wirtschaft. Das nehmen wir sehr ernst. Deswegen haben wir das Programm zur Validierungsförderung gestartet. Herr Hagemann, da Sie gesagt haben, dass man nichts davon hört: Es ist existent und mit Mitteln ausgestattet.
Wir schaffen neue Technologiecampus.
Wir haben erste Verbesserungen bei der Wagniskapitalfinanzierung beschlossen. Weitere Schritte müssen folgen. Im Übrigen war dies eines der Themen, bei denen die Sozialdemokraten in der Großen Koalition massiv geblockt haben.
Nach wie vor gilt die Vereinbarung, die im Koalitionsvertrag steht - Frau Ministerin Schavan hat es angesprochen -, dass wir in dieser Legislaturperiode in die steuerliche Forschungsförderung einsteigen wollen.
Die Hightech-Strategie wird von der Fachwelt hoch gelobt. Sie ist ein historischer Meilenstein der Forschungspolitik in unserem Land. Sie wird sich aber nur dann voll entfalten können, wenn es eine Bereitschaft zum Risiko, eine Risikokultur in Deutschland gibt.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Krista Sager.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Kollege, ich finde es bemerkenswert, dass Sie die Diskussion über die Hightech-Strategie dazu nutzen, Ihre Verärgerung über die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger zum Ausdruck zu bringen.
Sie tun auch noch so, als wären diese Bürgerinnen und Bürger von den Grünen ferngesteuert.
In Stuttgart geht es offenkundig nicht um einen Technologiestreit, sondern um das Misstrauen gegenüber der Politik. Es ist offensichtlich so, dass die Bürgerinnen und Bürger darüber nachdenken, dass die Bahn ihre Verpflichtungen im ländlichen Raum zunehmend weniger wahrnimmt,
dass viele Strecken, die die Menschen für ihre Mobilität brauchen, immer schlechter oder stillgelegt werden und gleichzeitig an einer Stelle ein Großprojekt gebaut wird, das immer teurer wird. Die Bürgerinnen und Bürger fragen nach Kosten und Nutzen.
Als Hamburgerin weiß ich, dass ein Volksentscheid nicht immer das Ergebnis hat, das sich eine Regierung wünscht, aber es ist ein sehr gutes Mittel, um die Bürger auf Fragen, die sie stark betreffen und bei denen ein gewisses Misstrauen besteht, selbst die Antwort geben zu lassen. Ich frage mich, warum Sie diesen Weg in Baden-Württemberg nicht gehen. Stattdessen jammern Sie hier über das, was dort stattfindet.
Im Übrigen sind gerade in Niedersachsen oft CDU-Oberbürgermeister an der Spitze der Gegenbewegung, wenn es um Trassenführung von Stromleitungen geht. Wir Grünen haben gesagt, dass wir das Geld ausgeben sollten, um neue Trassen, neue Netze unterirdisch zu verlegen, weil das auf mehr Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürger stößt.
Wenn Sie meinen, immer noch so tun zu können, als wären die Grünen die Zukunftsverweigerer,
haben Sie offensichtlich nicht mitbekommen, dass die von Ihnen selbst eingesetzte Expertenkommission ?Forschung und Innovation? Solartechnologie zu den neuen Spitzentechnologien zählt. Sie sind mit der Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerke gerade dabei, den erneuerbaren Energien in Deutschland die Marktchancen zu nehmen, weil Sie mit Atomstrom die Netze verstopfen und den Spitzentechnologien mit großer Zukunft das Leben schwer machen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Rupprecht, bitte.
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Frau Kollegin Sager, wir nehmen jede Frau, jeden Mann, jedes Kind, jeden Jugendlichen und jeden Rentner, der in Stuttgart Sorge hat, sehr ernst. Deswegen suchen und führen wir das Gespräch. Das, was Sie gerade dargestellt haben, war überhaupt nicht die Aussage meiner Rede. Die Aussage meiner Rede war, dass sich die Grünen nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung nicht weiterentwickelt haben und nach wie vor die Partei sind, die letztendlich Deutschland blockiert, Großprojekte verhindert und nicht die Bereitschaft zum Risiko hat.
Wir werden, ob im Energiebereich, im Verkehrsbereich oder wo auch immer, allein durch ungefährliche dezentrale Kleinprojekte die Probleme dieser Welt nicht lösen. Wenn wir technologischen Fortschritt wollen, wenn wir die Probleme der Welt lösen wollen, dann braucht es Dezentralität, Kleinstrukturiertheit, Subsidiarität, aber auch die Kraft der Langfristigkeit, es braucht die Großprojekte. Überregionale Schienenverkehrsstränge sind Großprojekte. Stromleitungen durch das Land sind Großprojekte. Kernfusion ist ein Großprojekt. Dem, der wie Ihre Kollegin Hinz sagt, dass Kernfusion im nächsten Jahr nichts bringt, sage ich: Okay, vielleicht bringt es in den nächsten drei, vier Jahren noch nichts. Meine kleine Tochter ist anderthalb Jahre alt. Ich möchte, dass meine Tochter noch mit 60 Jahren von der Politik, die wir heute, im Jahr 2010, machen, profitiert. Meine Aussage ist: Die Grünen sind ein Wolf im Schafspelz, der sich in den letzten 30 Jahren nicht von der Antibewegung wegentwickelt hat, sondern immer noch dem alten Geist frönt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion.
Axel Knoerig (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Diskussion über die Hightech-Strategie der Bundesregierung wollen wir darstellen, wie sich die Rahmenbedingungen für Innovationen weiter verbessern. Innovationen haben keinen Selbstzweck. Sie sollen den Menschen nutzen. Das geschieht dadurch, dass vorhandene Produkte verbessert oder neue entwickelt werden. Eine gute Forschungs- und Innovationspolitik ist der Garant für neue Wertschöpfungsketten in unserer Volkswirtschaft. Doch dafür braucht man einen langen Atem.
Kurzfristige Effekte können in bis zu drei Jahren erzielt werden, beispielsweise durch Forschungs- und Entwicklungskooperationen und die Bildung von regionalen Wirtschafts- und Forschungsnetzwerken. Mittelfristige Effekte treten nach bis zu sechs Jahren auf; sie zeigen sich in der kommerziellen Verwertung von Produkten oder der Bildung strategischer Allianzen von Unternehmungen. Bis zu zehn Jahre brauchen wir, um technische Veränderungen auf Zukunftsmärkten spürbar durchzusetzen. Die Hightech-Strategie der Bundesregierung ist auf dieses lange Zeitfenster ausgerichtet.
Das dokumentiert eindrucksvoll der Innovationsreport des Deutschen Industrie- und Handelskammertages aus dem Jahre 2009. Dieser belegt, dass 30 Prozent der deutschen Unternehmen Innovationen auf eine verbesserte Forschungs- und Innovationspolitik zurückführen. Frau Ministerin, sehr geehrte Frau Professor Schavan, das ist Ihr Verdienst und sehr wohl auch das Verdienst Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Leistungen der Praktiker nicht verschweigen, zum Beispiel die der Techniker, der Chemielaboranten, der Mitarbeiter in den Forschungseinrichtungen, den Hochschulen, den Universitäten und den Unternehmen. Auch ihnen möchte ich für ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit einen herzlichen Dank aussprechen.
Mittelständische Unternehmen sind Vorreiter des technologischen Fortschritts und Beschäftigungsmotor für unsere Wirtschaft. Denn im Mittelstand entstehen viele der Innovationen, welche die Industrie zu weltweiten Exportschlagern ausbaut. Das ist die Einheit von Industrie und Mittelstand, von der Sie, Herr Professor Riesenhuber, gerade gesprochen haben. Ich hoffe, dass auch bei der Kollegin Sager das eine oder andere Argument angekommen ist.
Wir unterstützten die Hightech-Strategie 2020 mit der Förderinitiative ?KMU-innovativ? für kleine und mittelständische Unternehmen. Wir spüren, dass diese Regierungspolitik in unseren Regionen und Wahlkreisen ankommt. In meinem Wahlkreis Diepholz-Nienburg werden durch diese Programme Unternehmen aus der Wasserwirtschaft, dem Klimaschutz, der Fertigungstechnologie, der Pflanzenforschung, der Sicherheitsbranche und der Luftfahrttechnik gefördert.
Information und Kommunikation sind die Grundlage für Innovation. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung eine Förderberatung des Bundes eingerichtet. Damit kommen die mittelständischen Unternehmungen schnell, einfach und unbürokratisch an die Förderprogramme der Hightech-Strategie.
Mithilfe der Hightech-Strategie wollen wir Deutschland in Europa zum Schrittmacher für marktfähige Lösungen machen. Die Strategie ?Europa 2020? für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum nimmt die Hightech-Strategie 2020 der Bundesregierung auf. Die Europäische Kommission startet jetzt mit der Innovationsunion eine Initiative zur Forschungs- und Innovationspolitik. Damit greifen unsere Validierungsprozesse auf die europäische Ebene durch. Auf diese Weise wollen wir sicherstellen, dass innovative Ideen grenzüberschreitend in wachstums- und beschäftigungswirksame Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden. Das ist ein Erfolg, der unser aller Lebensqualität verbessert und unseren Arbeitsmarkt mit zukunftsfähigen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen bereichert.
Ich halte fest: Die konservativ-liberale Bundesregierung hat mit der Hightech-Strategie einen Mehrwert in der Forschungspolitik in Europa erzielt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2691 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete
- Drucksachen 17/1616, 17/2568 -
Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eineinviertel Stunden zu debattieren. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Wolfgang Tiefensee für die SPD-Fraktion das Wort.
Wolfgang Tiefensee (SPD):
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete ist atemberaubend gut. Die ökonomische Wirkung der Regierungsarbeit von Schwarz-Gelb ist atemberaubend schlecht.
Wir diskutieren in einer sehr schwierigen Phase. Es ist an der Zeit, dass wir mit dem Vorurteil aufräumen, Schwarz-Gelb und speziell die FDP mit dem Wirtschaftsminister, Herrn Brüderle, stünden für eine strategische Wirtschaftspolitik und würden den aktuellen Erfordernissen entsprechend handeln. Vor allen Dingen müssen wir mit dem Vorurteil aufräumen, Schwarz-Gelb und speziell die FDP stünden für den Mittelstand und für die Kommunen. Das ist falsch, und das muss geradegerückt werden.
Wir erleben einen konjunkturellen Aufschwung. Das IWF prognostiziert 3,3 Prozent Wachstum des BIP. Das ist nicht zu erwarten gewesen. Das ist grandios. Aber was erleben wir? Wir erleben, dass sich der Wirtschaftsminister mit diesen Federn schmückt. Er sagt zum Beispiel, diese Wirtschaftsentwicklung sei exportgetrieben, das könne unmöglich etwas mit der SPD zu tun haben.
Sehr verehrter Herr Minister - lieber Herr Staatssekretär, bitte richten Sie es ihm aus -,
wie kann man sich in dieser Art und Weise irren und Ursache und Wirkung verwechseln? Gerade durch die Konjunkturpakete, gerade durch unser beherztes Handeln ist dieser Aufschwung möglich gewesen, der sowohl exportgetrieben ist als auch im Inland stattfindet. Das ist die Wirkung der Konjunkturpakete und der segensreichen Arbeit der wirtschaftsverständigen Sozialdemokratie.
Das Schlimme ist, dass die schwarz-gelbe Koalition und speziell der Wirtschaftsminister keine Strategie haben. Deshalb geht es nicht nur darum, rückwärts, sondern auch nach vorn zu schauen.
Ich will Folgendes in Erinnerung rufen: Die Konjunkturpakete und der Schirm über die Finanzwelt sind in eine Strategie eingebettet. Ich darf an den ?Deutschland-Plan? von Frank-Walter Steinmeier erinnern. Es gibt in diesem Hause von Schwarz-Gelb und speziell vom Wirtschaftsminister nichts Vergleichbares. Es wird nur herumgedoktert.
In seiner Regierungserklärung sagte der Herr Wirtschaftsminister im April: Wir erleben in Deutschland ein Wirtschaftswachstum und beobachten ein Jobwunder. - Das sind die Ausführungen unseres Wirtschaftsministers. Er beobachtet. Er greift nicht ein, wo er beherzt eingreifen müsste, sondern steht daneben und beobachtet. Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.
Erstens. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist der wesentliche Baustein im Konjunkturpaket und der Treiber für das Wirtschaftswachstum. Was macht die Bundesregierung, und wogegen stemmt sich der Wirtschaftsminister nicht? Dieses CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird massiv gekürzt. Das ist eine Politik gegen den Mittelstand. Ich wünsche mir, dass der Mittelstand aufwacht und sagt: Halt, so geht das nicht.
Ich sage in allem Ernst: Wenn wir bei diesem Programm kürzen - es hilft auch nicht, es jetzt zwangsweise ein bisschen aufzustocken - und es nicht verstetigen, werden wir nicht nur die negativen Entwicklungen beim Klima haben, werden wir nicht nur die erneuerbaren Energien nicht vorantreiben, sondern vor allem dem Mittelstand schaden.
Zweitens. Auf der gleichen Linie liegt Ihr Vorgehen im Bereich der Städtebauförderung. Auch die Städtebauförderung ist Wirtschaftsförderung pur für den Mittelstand. Aber was macht Schwarz-Gelb? Die Förderung wird auf die Hälfte gekürzt - sowohl jetzt als auch in der Mittelfristplanung. Durch eine solche Politik werden Arbeitsplätze vernichtet und die Wirtschaft belastet. Das ist keine kluge Wirtschaftspolitik.
Drittens. Schauen Sie sich das Kurzarbeitergeld an. Das ist der eigentliche Grund, das Fundament für den Wirtschaftsaufschwung. Was erleben wir bei Schwarz-Gelb? Was erleben wir beim Wirtschaftsminister? Erst ist er dagegen; er will sich nicht einmischen und tritt massiv gegen den Mindestlohn auf. Jetzt aber, da es wohlfeil ist, fordert er einen Lohnzuwachs. Die ganze Zeit herrscht Ruhe; er verschränkt seine Arme und schaut zu. Aber dann, wenn es ihn eigentlich überhaupt nichts angeht, kommt er aus der Deckung und fordert etwas zulasten Dritter. Das ist schlechte Wirtschaftspolitik. Herr Brüderle, kümmern Sie sich um die Arbeitsplätze, wie wir das mit dem Konjunkturpaket gemacht haben.
Es gibt eine weitere Baustelle, nämlich die Förderung der neuen Technologien. Schauen Sie sich die Elektromobilität an. Das ist das Zukunftsthema. Auch hier können in hohem Maße Arbeitsplätze entstehen. Was macht Schwarz-Gelb? Was macht der Wirtschaftsminister? Er zeigt keine Perspektive auf, er kürzt bzw. lässt zu, dass gekürzt wird, in der Hoffnung darauf, dass mit dem Geld, das die Stromkonzerne zur Verfügung stellen, vielleicht eine geringfügige Aufstockung möglich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser Art des Zuschauens, des Gewähren-Lassens und des Eingreifens an den falschen Stellen können wir keine Wirtschaftspolitik machen. Nehmen Sie die unsinnigen Teile dieses unsäglichen Wirtschaftsbeschleunigungsgesetzes zurück, und konzentrieren Sie sich darauf, die gute Arbeit, die in den Konjunkturpaketen zum Ausdruck kommt, zu verstetigen und sie den modernen Erfordernissen anzupassen. Um es mit einem Satz zu sagen: Hören Sie auf, von Ihrer Wirtschaftskompetenz und von Ihrer Mittelstandsfreundlichkeit zu schwadronieren, sondern schauen Sie sich ab, wie man Konzepte macht, nämlich bei der Sozialdemokratie.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Lena Strothmann für die CDU/CSU-Fraktion.
Lena Strothmann (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer von uns hätte vor einem Jahr erwartet, dass wir in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von circa 3 Prozent erreichen und dass die Arbeitslosenzahl auf 3 Millionen und bald sogar auf unter 3 Millionen sinkt? Deutschland steht gut da. Die Wirtschaft wächst, der Arbeitsmarkt erholt sich, und auch die Haushaltskonsolidierung ist wieder auf einem guten Weg. Wir haben in der Krise die Konjunkturpakete beschlossen; sie zeigen jetzt ihre ökonomische Wirkung. Aber wer A sagt, muss auch B sagen. Wir haben dafür zusätzliche Schulden gemacht, und die müssen wir nun abbauen.
Wir haben die Krise dank der Konjunkturpakete, aber auch dank des politischen Geschicks unserer Kanzlerin Angela Merkel gemeistert.
Andere europäische Staaten wie Frankreich beneiden uns, weil wir alles richtig gemacht haben. Ich habe in den vergangenen Wochen mit französischen Handwerkern gesprochen, die mir das bestätigt haben.
Aber auch die Handwerkskammer in meinem Wahlkreis Bielefeld liefert den Beweis für den Erfolg. Wir haben in diesem Herbst hervorragende Ergebnisse in den Konjunkturumfragen erzielt. Das sind die besten Daten seit der Wiedervereinigung - und das bei fast allen Gewerken.
Das Handwerk in Ostwestfalen-Lippe entwickelt sich dank der Konjunkturpakete und der sich daraus entwickelnden Wachstumskräfte zur Jobmaschine.
Die bereits positive Entwicklung im Frühjahr wurde im Herbst nochmals übertroffen. Dies gilt für ganz NRW, für den ländlichen Raum und das Ruhrgebiet.
Ein Zeichen des Erfolges ist aber auch die Ausbildungsquote im Bund. Betriebe - gerade im Handwerk - bilden aus, wenn die Auftragslage stimmt, und sie stimmt wieder. Es wird wieder mehr ausgebildet. Es gibt keine Lehrstellenlücke im Handwerk, und wir erwarten in diesem Jahr 160 000 neue Ausbildungsplätze.
Das sind gute Nachrichten auch für unsere jungen Menschen.
Deutschland war von der Krise besonders betroffen: Rückgänge beim Export, Einbrüche beim Umsatz und drohender Arbeitsplatzabbau. Wir haben darauf schnell und zielführend reagiert und mit den Konjunkturpaketen die richtigen Maßnahmen auf den Weg gebracht. Der Erfolg gibt uns recht.
Die Kurzarbeit bewahrte uns vor hoher Arbeitslosigkeit. Unsere Betriebe konnten im Vorfeld des sich abzeichnenden Fachkräftemangels ihre gut ausgebildeten Fachkräfte halten.
Die Einführung der Abwrackprämie und die Kfz-Steuerbefreiung führten zu einem Boom. Viele haben gerade diese Maßnahme abgelehnt, da im Anschluss der Untergang der deutschen Kfz-Branche und gähnende Leere in den Werkstätten orakelt wurde. Aber nichts von alledem ist eingetreten. Die Sorge war unberechtigt. Die Automobilindustrie meldet gute Verkaufszahlen, und die Handwerker berichten von ausgelasteten Werkstätten.
Die Verdopplung des Steuerbonus für Handwerkerleistungen hatte sogar Mehrfacheffekte: Davon hat nicht nur der Handwerker durch mehr Aufträge profitiert, sondern vor allen Dingen der private Auftraggeber. Nicht zu vergessen ist auch die Bekämpfung der Schwarzarbeit.
Besonders richtig und wichtig war die Aufstockung der Fördermittel für energetische Gebäudesanierung und energieeffizientes Bauen. Das ist ein enormer Beitrag zum Klimaschutz und meiner Ansicht nach keine Subvention. Nicht zu vergessen: Für jeden Euro Fördermittel werden weitere 12 Euro privat investiert, wie das Bauministerium bestätigt.
Insgesamt bedeutet das die Sicherung von 290 000 Arbeitsplätzen - eine wahre Erfolgsstory.
Ähnlich nachhaltig wirken die zusätzlichen Investitionen der öffentlichen Hand in Infrastruktur. Damit wurde die Auftragslage im Baugewerbe stabilisiert. Die Lockerung der Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge hat viele Investitionen zeitlich beschleunigt.
Auch Bielefeld hat in besonderer Weise davon profitiert. Viele Pläne für notwendige Investitionen waren bereits vorbereitet,
weil die Stadt seit 2001 die Sanierung ihrer Schulen systematisch durchgeführt hat. Wo andere Kommunen noch debattierten, wurde dank der Konjunkturpakete in Bielefeld längst gearbeitet, renoviert und investiert.
Die Konjunkturpakte haben aber nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine psychologische Bedeutung.
In weiten Teilen der Bevölkerung war die Krise überhaupt nicht spürbar, und die Menschen in unserem Land haben weiter konsumiert. Dieses besonnene Verhalten der Menschen und die Konjunkturpakete haben Schlimmeres verhindert. Jetzt ist der Aufschwung da.
Wir haben aber auch immer gesagt, dass wir rechtzeitig die Exit-Strategie einleiten müssen. Jetzt müssen wir aus Teilen der Konjunkturpakete aussteigen.
Es muss klar sein: Eine zeitweilige Konjunkturhilfe darf keine Dauersubvention werden. Erfolgreiche Maßnahmen, die wir bereits vor der Krise durchgeführt haben, wollen wir natürlich fortführen. Gerade Elemente mit hohem Nachhaltigkeitspotenzial wollen wir beibehalten. Dazu gehören die zukunftsgerichteten Maßnahmen in unserem Energiekonzept. Ich nenne nur das Gebäudesanierungsprogramm als Baustein.
Hier werden ökonomische und ökologische Ansprüche vereint. Wer also eine Fortführung der Konjunkturpakete fordert, kann sich unserem Energiekonzept gerne anschließen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Michael Schlecht das Wort.
Michael Schlecht (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Konjunkturpaket I im Jahre 2008 war ein schlechter Scherz. Es hat nämlich überhaupt nichts gebracht. Dann hat die damalige Bundesregierung aufgrund massiven Drucks von außen, gerade auch von den Gewerkschaften - ich habe das damals noch von der anderen Seite aus miterlebt -, Ende 2008/Anfang 2009 ein zweites Konjunkturpaket aufgelegt, das man zwar in der Tat so nennen konnte, aber in seiner Bedeutung außerordentlich begrenzt war.
Für dieses zweite Konjunkturpaket waren 25 Milliarden Euro pro Jahr vorgesehen, von denen aber gerade einmal 9 Milliarden Euro sinnvoll ausgegeben wurden, indem Länder und Kommunen besser ausgestattet und investive Impulse gegeben wurden. Rund 10 Milliarden Euro des Konjunkturpaketes II wurden vor allem für Steuersenkungen verpulvert. Der Konjunktur hat das in der Tat kaum etwas gebracht. Es war jedoch außerordentlich profitabel und lukrativ für Besserverdienende. Während Geringverdiener durch das Konjunkturpaket um gerade einmal 150 Millionen Euro entlastet wurden, entfiel auf die Spitzenverdiener das Zehnfache, nämlich 1,5 Milliarden Euro. Das war nicht nur ungerecht, sondern auch ökonomischer Schwachsinn.
Denn bekanntermaßen tragen Menschen mit geringen und mittleren Einkommen ihr Geld fast vollständig in die Geschäfte und konsumieren. Reiche tragen es auf die Bank, zocken oder verzocken es. Dies ist bekanntermaßen einer der Gründe für die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise, die wir erlebt haben und deren Auswirkungen noch längst nicht überwunden sind.
Nun will die Bundesregierung aus diesem zaghaften Konjunkturpaket wieder aussteigen. Mehr noch: Sie will mit einem 80-Milliarden-Euro-Kürzungsprogramm, beginnend mit dem nächsten Jahr, die wirtschaftliche Entwicklung strangulieren. Herr Brüderle sagt in seiner rheinland-pfälzischen Fröhlichkeit natürlich: Das ist überhaupt kein Problem. Wir haben ja einen Aufschwung XXL. - Das Wort von einem neuen Wirtschaftswunder ist, glaube ich, auch schon gefallen. Die wirtschaftliche Lage ist jedoch höchst wackelig und in keiner Weise so risikolos, wie es hier immer dargestellt wird. Das Plus im ersten Halbjahr 2010 ging zu einem Drittel auf den Lageraufbau zurück. Herr Tiefensee, die Bedeutung des auch von Ihnen so glorreich geschilderten Konjunkturpaketes ist - um das zu relativieren - außerordentlich minimal. Wie gesagt, der Lageraufbau hatte im ersten Halbjahr dieses Jahres eine viel größere Wirkung.
Der Rest kommt ein ganz kleines bisschen aus dem Konjunkturpaket. Entscheidend ist aber in der Tat - hier muss ich fast Herrn Brüderle gegen Sie verteidigen, Herr Tiefensee - der Export; das hat Herr Brüderle schon richtig beobachtet. Dass der Export so gut läuft, hängt aber vor allen Dingen mit den Konjunkturpaketen der Chinesen und der US-Amerikaner zusammen.
Die Chinesen haben 14 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes in die Konjunktur investiert, die US-Amerikaner 7 Prozent. Bei uns bewegte sich das Konjunkturpaket in einer Größenordnung von gerade einmal 2 bis 2,5 Prozent. Die wirtschaftliche Verbesserung, die zurzeit zu verzeichnen ist, ist kein Resultat der Konjunkturpakete in Deutschland, sondern vor allen Dingen ein Resultat der Konjunkturpakete der Chinesen und der US-Amerikaner; das muss man sehr deutlich sehen.
Es ist eigentlich eine Schande für ein Land wie Deutschland, das nicht gerade arm ist, dass man im Grunde genommen versucht, von den Konjunkturpaketen anderer Länder zu profitieren. Nein, hier müsste etwas ganz anderes gemacht werden.
Als Risikoszenario kommt hinzu, dass in Europa auf massiven Druck der Bundesregierung - die Kanzlerin brüstet sich immer damit - viele Länder, Griechenland, Portugal, Spanien usw., gezwungen werden, große Kürzungspakete aufzulegen. Europa ist aber der Hauptabsatzmarkt für deutsche Exporte. Wenn die Länder, die eine große Bedeutung für unseren Export haben, ihre Wirtschaft strangulieren, dann wird das erhebliche Auswirkungen auf die deutschen Exporte haben. Das birgt enorme Risiken, genauso wie die wirtschaftliche Entwicklung in China und den USA; denn die dortigen gigantischen Konjunkturprogramme können nicht unendlich fortgesetzt werden. Deshalb wird das Wachstum wieder zurückgehen. Das ist bei allen, die sich gutachterlich äußern, vollkommen unbestritten. Ob es zu einem neuen Einbruch kommt, ist in der Tat offen. Aber es bestehen Risiken. Man muss diese Risiken sehen und ihnen auch begegnen. Das findet momentan überhaupt nicht statt. Die Risiken werden von der Regierung komplett negiert. Ich habe auch von Ihnen von der SPD nichts gehört, das man im Fokus haben müsste. Wirtschaftsminister Brüderle hat in seiner altbekannten Fröhlichkeit überhaupt keinen Blick dafür.
Es ist zumindest vollkommen klar - das ist auch das Votum vieler anderer, die sich damit befassen -: Es ist viel zu früh, das Ende der Krise auszurufen. Wir müssen vielmehr wachsam sein und müssten eigentlich eine ganz andere Politik einleiten. Zum Ende einer Krise gehört nämlich ein selbsttragender Aufschwung mit einer deutlichen Steigerung der Binnennachfrage, und das ist in keiner Weise erkennbar. Wir leiden nach wie vor darunter, dass sich in den letzten zehn Jahren die Löhne in Deutschland außerordentlich gedrückt entwickelt haben. Wir hatten in den letzten zehn Jahren eine Reallohnstagnation. Diese Reallohnstagnation ist für die binnenwirtschaftliche Entwicklung natürlich außerordentlich problematisch.
Herr Tiefensee, da Sie die sozialdemokratischen wirtschaftspolitischen Weisheiten so gelobt haben, möchte ich darauf eingehen: Dass die Binnennachfrage so desaströs ist und die Reallohnentwicklung stagniert, ist Folge der Agenda 2010 mit Befristungen, Leiharbeit, Minijobs sowie mit Hartz IV und dem Arbeitslosengeld II. Das ist der Skandal, den man immer wieder sehr deutlich benennen muss, vor allen Dingen wenn man sich eine solche Lobhudelei anhören muss.
Wir brauchen hier dringend eine Umkehr. Wir brauchen eine Erhöhung der Löhne, aber zuallererst einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro.
Im Grunde genommen brauchen wir mehr als Konjunkturprogramme. Wir benötigen eine nachhaltige Umsteuerung auf binnenwirtschaftliche Dynamik und Logik. Dazu gehört zuallererst, dass die öffentliche Hand ein Zukunftsprogramm in der Größenordnung von jährlichen Mehrausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro auflegt.
Wir wollen, dass in Zukunft jedes Jahr 30 Milliarden Euro mehr in Erziehung und Bildung fließen, damit unsere Kinder, und zwar alle Kinder, endlich wieder optimale Chancen haben.
- Dass in Berlin Probleme bestehen, hat damit zu tun, dass Sie dafür verantwortlich sind, dass auf bundespolitischer Ebene
in den letzten zehn Jahren Reichen und Vermögenden 300 Milliarden Euro geschenkt worden sind. Sie wissen doch auch, dass über die Finanzausstattung der Länder vom Bund entschieden wird. Dort ist stranguliert worden, und das ist der Skandal.
Wir wollen natürlich auch, dass in den Ländern und Kommunen jedes Jahr 50 Milliarden Euro mehr für den sozial-ökologischen Umbau ausgegeben werden. Es muss endlich Schluss damit sein, dass in vielen Städten 30-km/h-Schilder aufgestellt werden, weil die Löcher im Straßenbelag mittlerweile zu groß sind. Es muss Schluss damit sein, dass Deutschland von unten, von der Kanalisation her, verrottet, weil die Stadtkämmerer kein Geld haben.
All das würde 2 Millionen Arbeitsplätze bringen, was dringend notwendig ist, weil die von Ihnen immer so fröhlich verkündeten Arbeitslosenzahlen natürlich getürkt sind. Die stimmen nicht.
Wir haben mindestens 4 oder 5 Millionen Arbeitslose, wenn man realistisch rechnet. Die sogenannte stille Reserve rechne ich Ihnen hier, weil ich heute großzügig bin, gar nicht vor.
All das ist auch finanzierbar. Wir brauchen eine massive Umsteuerung in der Steuerpolitik. Ich sage Ihnen nur eine entscheidende Hausnummer: Wir müssen Reiche und Vermögende, die zehn Jahre ?gepampert? worden sind, endlich wieder stärker zur Kasse bitten. Wir wollen die Wiedereinführung der Vermögensteuer vor allen Dingen bei Millionären und Milliardären. Es ist möglich, mit einer 5-prozentigen Besteuerung mindestens 80 Milliarden Euro jährliche Mehreinnahmen zu erzielen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich Ihnen weitere steuerpolitische Maßnahmen darlegen, mit denen man endlich zu einer Sanierung, zu einer deutlich besseren finanziellen Ausstattung der öffentlichen Hand kommen könnte.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Lindner für die FDP-Fraktion.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man meinem Vorredner von der Linken zugehört hat, hätte man eigentlich zu dem Ergebnis kommen müssen, wir hätten nicht ein Wachstum, sondern eine Rezession von 3 Prozent. Lieber Kollege Schlecht, das Einzige, was noch gefehlt hätte, wäre, dass Sie uns hätten weismachen wollen, dass unser Wirtschaftswachstum von knapp 3 Prozent auf Konjunkturprogramme in Nordkorea und Venezuela zurückgeht.
Wir sind hier auf richtigem Kurs; das muss ich auch dem Kollegen Tiefensee sagen. Ein Wachstum von 3 Prozent,
ein Sinken der Arbeitslosigkeit auf etwa 3 Millionen - das ist dank einer vernünftigen, liberal-konservativen Politik dieser Bundesregierung erfolgt.
Das muss man ganz klar sagen. Wir wären nie so weit gegangen, es so zu machen wie Gerhard Schröder, der etwa drei Wochen nach Amtsantritt gesagt hat, die etwas niedrigeren Arbeitslosenquoten seien seiner Politik geschuldet. Er meinte im Nachsatz, man habe bereits im Vorgriff auf seine Regierung investiert. So weit wären wir nicht gegangen. Aber nach einem Jahr ist klar: Schwarz-Gelb wirkt.
Das zeigt sich bei der Arbeitslosigkeit und an der wachsenden Wirtschaft.
Das Entscheidende bei den Konjunkturprogrammen ist, dass diese Bundesregierung nicht auf interventionistische Strohfeuer setzt, sondern auf eine nachhaltige Förderung, auf Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Auch unter Berücksichtigung des Konsolidierungszwangs, insbesondere der Schuldenbremse, haben wir hier maßgebende Entscheidungen getroffen, in die Zukunft dieses Landes, in die Zukunft unserer nachfolgenden Generationen zu investieren. Das ist tatsächlich sinnvolle langfristige Konjunkturpolitik und kein einmaliges Strohfeuer.
Weiterhin setzen wir auf antizyklische Fiskalpolitik. Dauerhafte staatliche Subventionen verzerren den Wettbewerb, verursachen hohe Kosten und stehen effizienten Marktmechanismen im Wege. In dieser Phase ist es richtig und vernünftig, auf die Stabilisierung unserer Staatsfinanzen zu setzen. Bei allen Umfragen, bei allen Erhebungen in der deutschen Wirtschaft wurden in den letzten Monaten, im letzten Jahr die hohe staatliche Verschuldung und die Gefahren, die sich daraus für die gesamte Euro-Zone entwickelt haben, als zentrales Problem identifiziert.
Es ist richtig, dass wir hier trotz der Schwerpunktsetzungen bei Bildung und Forschung einen klaren Blick auf die Rückführung der staatlichen Defizite gerichtet haben.
- Der Staatssekretär hört selbstverständlich zu.
Er sitzt da und ist völlig gespannt, was ihm sein liberaler Koalitionspartner so zu erzählen hat.
Wir sind uns auch völlig einig: Wir sind eine geschlossene Bundesregierung, die in den letzten Monaten gezeigt hat, was geht.
Wir haben in den letzten Wochen so viel angeschoben, wie Sie in Ihrer gesamten rot-grünen Bundesregierungszeit insgesamt nicht angeschoben haben:
Wir haben die Staatsfinanzen stabilisiert, Hartz IV reformiert, ein Energiekonzept auf den Tisch gelegt,
die Bundeswehrreform angeschoben. Sie hätten sich doch nicht träumen lassen, dass wir all das innerhalb von Wochen auf den Weg bringen.
Meine Damen und Herren, es war richtig und vernünftig, die Konjunkturprogramme so anzulegen, dass sie Impulse setzen, aber dass sie in den nächsten ein, zwei Jahren auch sanft wieder auslaufen. Herr Tiefensee, da besteht der gravierende Unterschied zwischen uns. Konjunkturpakete können und müssen im Einzelfall sinnvoll eingesetzt werden. Da sind wir nicht ideologisch und sagen nicht: Auch in solch dramatischen Phasen, wie wir sie gerade in den letzten Jahren hatten, spielt der Staat keine Rolle. - Er spielt eine Rolle. Wenn er sie langfristig ausfüllt, ist das auch sinnvoll. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns hat sich in Ihrer Rede gezeigt. Sie haben gefragt, warum dieses oder jenes Programm nicht fortgeführt wird. Wir müssen in einer Phase der wirtschaftlichen Erholung - ich gebe den Vorrednern recht, dass sie noch nicht zu Ende ist - die Ressourcen ausschöpfen, um in späteren Abschwungphasen über genug Mittel zu verfügen, um wieder anzuschieben. Aber wir können solche Programme nicht ad infinitum fortsetzen, wie Sie sich das wünschen, so sinnvoll die Programme im Einzelnen auch sein mögen. Langfristiges Ziel muss sein, durch gescheite Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass sich dieser Aufschwung, der sich am Ende dieses Jahres so drastisch zeigt, in den nächsten Jahren verstetigt und solide fortsetzt.
Meine Damen und Herren, die Verstetigung des Aufschwungs und die Kräftigung der Wirtschaft sind auch für das Gedeihen des Sozialstaats entscheidend. Hier müssen wir Grundlagen erwirtschaften, die wir im Anschluss wieder verteilen können. Bei Ihnen - das ist auch bei meinem Vorredner wieder deutlich geworden - ist die Reihenfolge umgekehrt. Für uns kommt zuerst die ökonomische, dann die soziale Leistungsfähigkeit. Bei Ihnen scheint das jedes Mal umgekehrt zu sein.
Wir haben noch einiges vor. Wir brauchen eine steuerliche Systematisierung. Das ist selbstverständlich. Hier geht es nicht darum, im Einzelfall riesige Entlastungen zu erreichen. Vielmehr geht es darum, einzelne Steuern, beispielsweise die Gewerbesteuer, zu betrachten und zu überlegen, ob man sie nicht durch andere, sinnvollere Steuern ersetzen kann,
die zu einem solideren Aufkommen gerade der Kommunen beitragen, aber zu einer Vereinfachung der gesamten Steuersystematik führen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tiefensee?
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Ja. - Herr Tiefensee, bitte.
Wolfgang Tiefensee (SPD):
Vielen Dank für die Möglichkeit, zu fragen. - Herr Dr. Lindner, Sie haben die einzelnen Programme des Konjunkturpaketes in die Nähe von Strohfeuern gerückt. Sie haben deutlich gemacht, dass nach Ihrer Wirtschaftspolitik diese Programme endlich seien, und haben gesagt, man müsse zu einer Kontinuität außerhalb dieser Programme kommen, wenngleich die Programme wichtig und gut seien.
Bei der energetischen Gebäudesanierung ist das Finanzvolumen auf zunächst 400 Millionen Euro, dann auf 900 Millionen Euro gekürzt worden. Staatssekretär Mücke spricht davon, dass in diesem Jahr und in den folgenden Jahren jeweils 3 Milliarden Euro nötig seien. Herr Bundesminister Röttgen spricht davon, dass 2 Milliarden Euro nötig seien. Ich frage Sie: Sind Sie mit mir einer Meinung, dass genau das, was ich angesprochen habe, nötig ist, nämlich dass diese Programme nicht abgebrochen werden, wie Sie es wollen, sondern verstetigt werden?
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Kollege Tiefensee, ich sehe eine ganze Reihe von anderen Feldern, in denen es ebenfalls durchaus wünschenswert wäre, mehr Mittel einzusetzen. Bei der steuerlichen Forschungsförderung beispielsweise habe ich ganz persönlich den Eindruck, dass man da noch etwas tun könnte. Ich glaube auch, dass wir bezüglich der Infrastruktur des Staates noch mehr machen könnten. Wir haben eine ganze Reihe von Ideen, die - da werden wir uns relativ schnell einig sein - durchaus sinnvoll sind. Aber wir haben andererseits den Druck der notwendigen Konsolidierung der Staatsfinanzen. Die Einführung der Schuldenbremse haben nicht allein die FDP und die Union beschlossen, sondern auch die SPD,
in einer Zeit, in der Sie noch nicht in einer Art Populismus light wie ein Rohr im Winde durch die Gegend trieben, sondern noch Verantwortung getragen haben. Wenn Sie jetzt an unserer Stelle wären, würden Sie nicht anders handeln.
Auch Sie müssten sich ebenso wie wir den Zwängen und dem Druck der Haushaltskonsolidierung beugen.
Natürlich wollen wir die Programme fortsetzen. Es ist ja nicht so, dass diese Programme auslaufen. Wir haben 4,9 Milliarden Euro für die Umweltprämie vorgesehen,
3,1 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in den Kommunen und Ländern, 1,3 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen des Bundes. Das haben wir doch alles, und es läuft auch weiter. Wir sind hier aber nicht in einer Art Wüsch-dir-was-Kino, in dem jeder sein Lieblingsprogramm bekommt.
Meine Damen und Herren, ich war bei der steuerlichen Systematisierung stehen geblieben, die ein dringendes Erfordernis ist; die Verknappung und Konzentration von Regeln ist ein weiteres Erfordernis. Wir müssen insbesondere mehr für unsere Exportwirtschaft tun, auch weil wir wissen, dass wir uns im Export in den nächsten Jahren großen Herausforderungen zu stellen haben; die Amerikaner wie auch die Chinesen und andere werden mit Macht auf den Markt drängen. Wir müssen der Exportwirtschaft helfen, ihre Spitzentechnologieprodukte, zum Beispiel im Maschinenbau, noch leichter und besser ins Ausland verkaufen zu können.
Wir brauchen Verfahrensbeschleunigung. Wir leben in einem Lande, in dem es nicht nur 12- bis 15-jährige Planfeststellungsverfahren und Raumordnungsverfahren für Infrastrukturprojekte gibt. In diesem Land muss man teilweise auch drei Jahre auf einen ersten Termin beim Verwaltungsgericht warten. Das schädigt und hemmt die Wirtschaft.
- Wenn Sie hier schon wieder ?Stuttgart 21? dazwischenrufen: Natürlich brauchen wir auch Infrastruktur. Seit ich denken kann, hat es Demonstrationen gegen jedes Infrastrukturprojekt gegeben. Ich bin in München aufgewachsen. Gegen den Flughafen waren damals mehr als 50 000 auf der Straße. Ebenso war man gegen die Startbahn West, gegen Mutlangen. Sie waren immer dabei.
- Wackersdorf. - Es spielt gar keine Rolle;
wenn es um Kraftwerke, Autobahnen, Flughäfen usw. geht, finden sich in diesem Land immer genug, die sich irgendwie dagegen positionieren. Wir brauchen diese Projekte aber trotzdem. Wenn dieses Land eine Zukunft haben will, werden wir solche Projekte auch zukünftig realisieren müssen. Es gilt, auch in solchen Fragen Verlässlichkeit zu demonstrieren, für alle Partner, die an solchen Projekten beteiligt sind.
Wir brauchen weiterhin - auch das haben wir gezeigt - ein sinnvolles Energiekonzept statt Ideologien.
- Sie betreiben Ideologie! Sie suggerieren den Menschen, dass es möglich sei, hier in Deutschland Kernkraftwerke abzuschalten mit der Folge, dass es das Problem nicht mehr gibt
völlig ignorierend, dass um uns herum Kernkraftwerke erhalten und sogar neue gebaut werden. Da ist es doch pure Ideologie, zu sagen: Wir schalten Biblis und Neckarwestheim ab,
lassen zu, dass in Frankreich die Kraftwerke laufen, und lassen die ausländischen Kernkraftwerksbetreiber die Gewinne machen.
Das ist Ihre Politik. Sie betreiben das Geschäft ausländischer Kraftwerksbetreiber. Wir betreiben Politik im Sinne des deutschen Verbrauchers.
- Niemand tut das. Es gibt eine Vorrangeinspeisung, Frau Kollegin, und das wissen Sie genau.
- Ja, jetzt sind wir endlich wieder da! Jetzt kommt die Trinitas der Teufelei: Rüstungslobby, Atomlobby und - was habe ich vergessen? -
Autolobby. Zum Schluss kommt noch der Satan selbst: Ackermann.
Das ist Ihre einfache Welt, aber so einfach ist die Welt da draußen nicht.
Weiterhin bedarf es sinnvoller Anreize, in Arbeit zu kommen und nicht in Sozialsysteme; auch das haben wir gezeigt. Es war richtig und wichtig, dass sich diese Koalition gestern Abend darauf geeinigt hat, die Zuverdienstmöglichkeiten im Hartz-IV-Bezug zu erweitern und die Regelsätze nicht dramatisch zu erhöhen.
Auch das ist ein Unterschied. Wir wollen, dass die Leute in Arbeit kommen. Wir wollen sie nicht dauerhaft alimentieren. Sie stellen sich ja eine Art Daueralimentation vor.
Das ist purer Populismus. Von den Parteien, die Hartz IV eingeführt haben, hört man jetzt das lauteste Geschrei. Legen wir einmal Ihre Zahlen zugrunde: Sie fordern 420 Euro Mindestregelsatz - davon brauche ich gar nicht zu reden - und gleichzeitig 7,50 Euro bzw. 8,50 Euro Mindestlohn. Rechnen Sie sich das doch einmal aus! Eine Familie mit zwei Kindern im Hartz-IV-Bezug steht dann dauerhaft finanziell besser da als eine Familie, in der man arbeiten geht. Das ist purer Populismus. Den machen wir nicht mit. Das unterscheidet uns.
Das haben die Menschen gewählt, und das bekommen sie jetzt auch; ganz klar.
- Sie können sich die Umfragen täglich im Badezimmer oder Schlafzimmer aufhängen; entscheidend in Deutschland - das muss ich Ihnen ganz klar sagen - sind Wahlen und nicht Umfragen. Wir haben einen Regierungsauftrag für vier Jahre. Den werden wir wahrnehmen. Danach - das kann ich Ihnen schon jetzt versprechen - werden wir auch wiedergewählt.
Die größte Herausforderung ist, für eine Integration auch der ausländischen Zuwanderer in den Arbeitsmarkt zu sorgen. Es wird wirklich eine der großen Herausforderungen für diese Koalition sein, in den nächsten Jahren dafür zu sorgen, dass wir nicht Zuwanderung in die Sozialsysteme, sondern Zuwanderung in den Arbeitsmarkt bekommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland - dazu werden wir große Anstrengungen unternehmen - sowie eine vernünftige Lohn- und Gehaltspolitik. Es hat sich nämlich gezeigt, dass wir durch moderate Lohnerhöhungen in der Vergangenheit im verarbeitenden Gewerbe innerhalb der Europäischen Union wettbewerbsfähig geworden sind und weiterhin solide auf dem vierten Platz stehen. Auch das ist ein Zeichen dieser Koalition.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie müssen nun zum Schluss kommen.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Für all dies - moderate, vernünftige Lohnpolitik, vernünftige Fiskalpolitik, Investitionen in Forschung und Bildung - steht diese Bundesregierung und steht unser Bundesminister Brüderle. Wir stehen für den Aufschwung in Deutschland.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Herr Staatssekretär, schön, dass Sie zuhören. Bevor ich zu meiner Rede komme, möchte ich auf Stuttgart 21 eingehen, weil auch Sie, Herr Lindner, Stuttgart 21 angesprochen haben. Seit Tagen hören wir ja von Ihnen dieses Lamento: Dagegen sein wäre das Einzige, was wir könnten.
Ich sage Ihnen eines: Man kann auch für etwas sein, indem man gegen etwas ist.
Natürlich sind wir dagegen, 10 Milliarden Euro in der Erde zu verbuddeln. Natürlich sind wir für eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur. Natürlich sind wir dafür, dass die 10 Milliarden Euro sinnvoll eingesetzt werden. Aber diskreditieren Sie nicht Zehntausende von Menschen, die auf Demonstrationen gehen und sagen: Dieses Projekt ist falsch. Wir wollen etwas anderes. - Das ist keine Dagegen-Haltung, sondern es ist ein Eintreten für eine zukunftsfähige, moderne Politik. Seien Sie da vorsichtig!
Die Konjunkturpakete - wir haben sie in weiten Teilen positiv begleitet, auch wenn wir herbe Kritik an Einzelmaßnahmen hatten - waren eine teure Angelegenheit: 100 Milliarden Euro. Wir haben heute mit enormen Verschuldungsproblemen zu tun. Vor allem gibt es Risiken aus Bankenrettung und Unternehmensbürgschaften, die noch nicht richtig dargestellt sind.
Wir haben uns nicht grundsätzlich gegen Konjunkturprogramme gestellt, aber wir haben immer gesagt: Konjunkturpolitische Maßnahmen müssen eine doppelte Rendite haben. Sie müssen die konjunkturelle Lage stabilisieren bzw. verbessern, aber sie müssen vor allem dahin gehend wirken, dass hin zu mehr Nachhaltigkeit umgesteuert wird. Durch sie muss die Möglichkeit eröffnet werden, einen neuen Pfad einzuschlagen. Dieser neue Pfad heißt Ökologisierung und Modernisierung der Wirtschaft hin zu Zukunftstechnologien, hin zu Zukunftsmärkten. Wir müssen anerkennen, dass wir auf einem begrenzten Planeten mit begrenzten Ressourcen leben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Konjunkturpolitik immer unter der Maßgabe der Ökologie diskutieren. Das haben Sie in weiten Teilen nicht gemacht. Das kritisieren wir an den Konjunkturprogrammen, die Sie aufgelegt haben.
China ist zwar kein Vorzeigemodell für uns, hat aber in seinen Konjunkturprogrammen einen Schwerpunkt auf Ökologie gelegt, deutlich stärker als Deutschland. Warum hat man das dort gemacht? Man hat es deswegen gemacht, weil das wirtschaftspolitisch langfristig mehr Erfolg nach sich zieht. Hier haben Sie eine enorme Chance verpasst.
Sie haben für die Abwrackprämie 5 Milliarden Euro in die Hand genommen, ohne damit ökologische Lenkungswirkungen zu verbinden. Sie hätten diese Prämie doch auf verbrauchsarme Autos ausrichten können.
Beim Kurzarbeitergeld hatten Sie am Anfang eine kluge Idee, als Sie sagten: Wir verbinden Kurzarbeit mit Qualifizierung. Dies haben Sie dann irgendwann klammheimlich einkassiert. Damit haben Sie eine enorme Chance verpasst, während der Zeit der Kurzarbeit Qualifizierung in den Vordergrund zu stellen. Damit hätten Sie einen Teil dazu beitragen können, die Wirtschaft auf einen neuen Pfad auszurichten und neue Technologien zu implementieren. Dieses Vorhaben haben Sie einkassiert. Auch hier haben Sie eine Chance verpasst.
Jetzt geht es um die Frage: Führen wir diese Konjunkturprogramme fort? Ich bitte wirklich darum, dass wir das sehr intensiv diskutieren. Wir können die Konjunkturprogramme nicht einfach fortsetzen. Das macht keinen Sinn, und das können wir uns auch nicht leisten. Wir brauchen jetzt strukturelle Veränderungen. Wir brauchen Strukturprogramme und keine Konjunkturprogramme. Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die wir haben, um an ganz entscheidenden Stellschrauben zu drehen und tatsächlich strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft zu bewirken. Ich will Ihnen im Einzelnen sagen, wie Sie das tun könnten.
Sie, Herr Lindner, sagten ja, Sie hätten umfangreiche Programme aufgelegt und sich gute Ideen einfallen lassen. Ich frage mich: Was haben Sie denn gemacht? Sie haben das Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Das finden die Leute nicht wirklich toll. Das haben wir im Einzelnen diskutiert. Sie haben den Atomausstieg gekippt. Sie sagen nun, mit dem Atomausstieg hätten Sie einen Weg zu den erneuerbaren Energien beschritten.
Unterhalten Sie sich einmal mit den Vertretern von Verbänden und Betreibern erneuerbarer Energien! Warum sehen sie das denn ganz anders?
Sie sehen es deswegen anders, weil Sie mit Ihrem Energiekonzept zu einer Deindustrialisierung Deutschlands beitragen, weil die Produzenten erneuerbarer Energien Deutschland verlassen werden - entsprechende Anlagen lohnen sich nämlich hier nicht mehr -,
weil Sie die Monopolgewinne der großen Atomkonzerne verstetigen und den Wettbewerb kaputtmachen.
- Herr Lindner, ich würde Ihnen als Vertreter der FDP empfehlen, erstens ganz vorsichtig sein, über Spendenempfänger zu reden,
und zweitens ganz vorsichtig zu sein, über Lobbypolitik zu reden. Sie können den Anspruch, Wettbewerbspartei zu sein - ich weiß nicht, warum Sie den jemals für sich reklamiert haben -, völlig einsammeln. Sie sind eine Partei der Konzerne, der Atomlobby,
der Pharma- und der Hotellobby. Sie haben keine Politik zugunsten des Wettbewerbs gemacht.
Ich sage Ihnen, an welcher Stelle Sie strukturelle Veränderungen vornehmen müssen: beim Fachkräftemangel.
Sie haben den Fachkräftemangel zwar angesprochen; es handelt sich dabei aber um ein weites Feld. Verbinden wir es doch einmal mit dem Thema Kurzarbeit. Der letzte Tag der Kurzarbeit ist auch der erste Tag des Fachkräftemangels. Sie müssen anerkennen, dass die Unternehmen durch den Fachkräftemangel keine Möglichkeit mehr haben, offenen Stellen zu besetzen.
Wir brauchen ein langfristiges Konzept. Was machen wir mit der Bildung? Was machen wir mit den Menschen, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben? Was machen wir mit den älteren Beschäftigten? Was machen wir mit den Ressourcen, die wir hier im Land haben? Was machen wir ganz konkret für die IT-Firma, die gern einen indischen Programmierer einstellen würde, es aber nicht kann, weil sie keine 66 000 Euro für sein Jahresgehalt bezahlen kann? Dazu sagen wir: Senkung der Einkommensschwelle für Hochqualifizierte auf 40 000 Euro! In diesem Punkt sehen wir uns im wunderbaren Einklang mit der FDP.
Diese Senkung wurde im Sommer sowohl von Herrn Brüderle als auch von Herrn Lindner gefordert. Wir haben sie am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss und im Innenausschuss gefordert. Wer aber hat sie abgelehnt? Die FDP. Ankündigungspolitik, sonst nichts.
Ich möchte ein weiteres Beispiel für Ihre Ankündigungspolitik nennen: Die kleinen und mittleren Unternehmen ächzen unter den bürokratischen Belastungen. Was aber machen Sie? Sie wollten eigentlich den Normenkontrollrat stärken. Sie wollten den Normenkontrollrat - Fahne hoch - schon in Oppositionszeiten immer stärken. Man wollte herausfinden, wie hoch die Belastungen für die Unternehmen sind. Wir haben uns gesagt, dies jetzt gemeinsam mit Ihnen anzugehen. Sie in der Regierung und wir in der Opposition hätten die Stärkung des Normenkontrollrats auf den Weg bringen können. Der Gesetzentwurf ist aber in der Versenkung verschwunden.
Was ist noch in der Versenkung verschwunden? Auch das Entflechtungsgesetz ist in der Versenkung verschwunden. Ich frage deshalb: Wie gehen wir eigentlich mit monopolistischen Strukturen um? Haben wir ein scharfes Schwert, angesichts dessen wir sagen können: Ja, wir wollen in diesem Bereich mehr Wettbewerb und werden ihn einfordern? Minister Brüderle sagt, das Instrument der Entflechtung sei grundsätzlich in Ordnung. Aber das Gesetz verschimmelt in der Schublade. Das ist Ankündigungspolitik.
Bei der Umsatzsteuer-Strukturreform haben Sie mit der 1 Milliarde Euro einen ordnungspolitischen Sündenfall begangen, Stichwort Hotellobby. Grundsätzlich hätten Sie an die komplizierte Umsatzsteuer herangehen können. Was aber ist passiert? Eingesammelt, Ankündigungspolitik. Stellen Sie sich also nicht hierhin und behaupten, Sie würden große Programme machen. Dieser Aufschwung geht nicht auf Ihre Kappe. Die schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik berauscht sich an Wachstumszahlen, Sie tun aber nichts für positive strukturelle Veränderungen.
Das Problem ist, dass sich Ihr Verhalten eines Tages rächen wird. Wir müssen uns einmal anschauen, wo der Aufschwung herkommt. Wir haben eine enorme Exportabhängigkeit. Wir müssen strukturelle Veränderungen vornehmen, die unser Land stabilisieren und stärken. Wir müssen die Binnennachfrage thematisieren und die Unternehmen in den Wettbewerbsstrukturen des Weltmarkts in Position bringen. Das alles machen Sie aber nicht. Sie berauschen sich stattdessen an den exportgeleiteten Wachstumszahlen. Nächstes Jahr wird Ihnen das bitter auf die Füße fallen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dann treffen wir uns wieder hier und will ich sehen, wie Sie das dann erklären.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ernst Hinsken ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich kurz auf das replizieren, was von meinen Vorrednern gesagt worden ist. Herr Tiefensee, Sie haben mich ein bisschen enttäuscht - bei mir stehen Sie sonst immer hoch im Kurs -: Sie sollten eine Rede zur Großen Anfrage, die Sie gestellt haben, halten, haben aber völlig am Thema vorbeigeredet.
Bei Ihnen, Herr Schlecht, möchte ich Nachsicht üben. Sie sind erst seit einem Jahr im Deutschen Bundestag.
Lärm erzeugen und keine Substanz haben bringt uns aber nicht weiter. Es wäre also auch bei Ihnen angebracht, sich ein bisschen mehr in die Materie zu begeben.
Verehrte Frau Kollegin Andreae, Sie haben selbst gesagt, dass Sie die Konjunkturprogramme in weiten Teilen positiv begleitet haben. Bei der Abstimmung waren Sie aber dagegen.
- Ja, das haben Sie nebenbei erwähnt. - Es stünde Ihnen gut an, sich einmal vom Chefberater von BMW und Rewe, Herrn Joschka Fischer, dem früheren Vorsitzenden Ihrer Fraktion, beraten zu lassen, der seine Meinungen vielleicht in der Zwischenzeit geändert hat, um überhaupt in solch eine Position zu kommen.
Ich meine schon, dass wir stolz sein können, weil wir allen Unkenrufen zum Trotz die zwei größten Krisen der Nachkriegszeit bewältigt haben. Wir sind besser durch die Krise gekommen, als wir befürchtet hatten. Ein weiterer erfreulicher Aspekt kommt hinzu: Die Konjunkturerholung festigt sich zunehmend. Dazu haben gerade die zwei Konjunkturprogramme einen wichtigen Beitrag geleistet. Herr Schlecht, die Programme haben eben auch die Binnenkonjunktur angekurbelt.
Ich möchte der Vollständigkeit wegen darauf verweisen, dass wir zusammen mit der SPD in der Großen Koalition die Weichen richtig gestellt haben.
Warum werden wir denn momentan weltweit gelobt, etwa vom Internationalen Währungsfonds und von der EU-Kommission? Warum werden wir momentan weltweit um dieses Jobwunder beneidet? Warum werden wir weltweit an verschiedener Stelle immer wieder gefragt, wie wir Deutsche das gemacht haben? Warum wird uns weltweit nachgeeifert? Weil die Bundesregierung unter Angela Merkel auf diesem Gebiet hervorragende Politik betrieben hat. Das soll nicht unter den Tisch gekehrt werden, sondern das verdient Anerkennung. Wir alle sollten stolz darauf sein.
Die Konjunkturprogramme hatten ein Gesamtvolumen von 23,5 Milliarden Euro. Herr Schlecht, jetzt passen einmal gut auf:
Erstens. Die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung für Maschinen für die Jahre 2009 und 2010 sowie die Ausweitung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen für Privathaushalte mit einem Volumen von circa 5 Milliarden Euro waren die richtigen Maßnahmen für Handwerk und Mittelstand. Es war goldrichtig, denn dadurch wurde die Investitionsbereitschaft der mittelständischen Unternehmen erhöht. Das wollten wir; zu guter Letzt haben wir es erreicht.
Zweitens - dies wurde vor allen Dingen von Frau Kollegin Andreae angesprochen -: die Abwrackprämie. Dafür haben wir wiederum 5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Auch die Abwrackprämie war richtig.
Das kann man erst jetzt, im Nachhinein betrachtet, doppelt und dreifach feststellen.
Drittens: die Bereitstellung von weiteren 10 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in den Jahren 2009 und 2010. Damit gelang der große Wurf. Bei diesem Konjunkturprogramm bilden die Investitionen in Bildung und Forschung das Herzstück. Es handelt sich um das größte Investitionsprogramm für Bildung, das es je in Deutschland gegeben hat.
Es liegt auf der Hand: Der Bund schiebt den Bildungsbereich - über diese subsidiäre Hilfe hinaus - mit Investitionen in Höhe von insgesamt 4 Milliarden Euro weiter an.
Herr Staatssekretär Dr. Scheuer, es gab weitere richtige Weichenstellungen am laufenden Band: allein 2 Milliarden Euro für den Ausbau von Verkehrswegen, 750 Millionen Euro für die energetische Sanierung von Bundesliegenschaften, 650 Millionen Euro für Investitionen in den Ministerien, 500 Millionen Euro für die Modernisierung der Informations- und Kommunikationstechnologie.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht vergessen: Die steuerlichen Maßnahmen im Rahmen dieser Konjunkturprogramme waren eine kleine Einkommensteuerreform. Wir haben alle Bürger einbezogen, alle haben davon profitiert. Der Eingangssteuersatz wurde von 15 auf 14 Prozent gesenkt, der Grundfreibetrag für eine vierköpfige Familie auf über 28 000 Euro angehoben. Weil uns Kinder einfach viel bedeuten, haben wir zusätzlich das Kindergeld um einmalig 100 Euro erhöht. Das kann sich sehen und hören lassen. Es war die Regierung unter Angela Merkel. Das soll heute im Mittelpunkt meiner Ausführungen stehen dürfen.
Weil die jetzige Bundesregierung weiterhin eine richtige Politik macht, sinken die Arbeitslosenzahlen Monat für Monat. Aktuell sind es gerade noch 3 Millionen. Nach allem, was wir hören, wird die magische 3-Millionen-Grenze zum Winter hin sogar noch geknackt werden. All das stimuliert den privaten Konsum.
Werte Frau Kollegin Andreae, richtig gehandelt wurde auch durch die Auflage des Kurzarbeitergeldes. Dadurch blieben mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze erhalten. Was ein Arbeitsplatz bedeutet, kann der am meisten schätzen, der keinen mehr hat. Die Menschen danken es uns. Sie sagen: Jawohl, ihr von der Regierung habt das richtig gemacht. Ihr habt uns - auch bildhaft ausgedrückt - über den Winter geholfen. Jetzt sind wir wieder in festen Arbeitsverhältnissen.
Ich will bei dieser Gelegenheit auch darauf verweisen, dass es für mich als Regionalpolitiker besonders wichtig war, dass die Bundesregierung insbesondere den strukturschwachen Regionen unter die Arme greift und ein Zeichen setzt. So wurden allein im Jahr 2009 zusätzlich 100 Millionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe ?Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur? ausgegeben.
- Kollege Lämmel, ich bedanke mich für den Beifall. Ich weiß, dass die Bürger in Ihrem Wahlkreis davon profitiert haben.
Dadurch wurde verhindert, dass die großen Bereiche beispielsweise in den Grenzregionen durch die Krise in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Schlicht auf den Nenner gebracht: Es waren Glücksgriffe für die ganze Nation. Das Machbare wurde getan. Gerade durch die Konjunkturprogramme wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen konnten sinnvolle Projekte in Angriff genommen werden, die dringend der Verwirklichung bedurften. Zum anderen konnten Arbeitsplätze vor Ort geschaffen bzw. gehalten werden. In meinem Heimatland Bayern beispielsweise laufen die Konjunkturprogramme bestens. Ich war vor Ort und werde demnächst wieder vor Ort sein, Herr Landesgruppenvorsitzender Dr. Friedrich, um mit den Menschen zu reden, um zu erfahren, woran es mangelt.
Ich möchte mich bei der Bundesregierung und bei der Staatsregierung dafür bedanken, dass unbürokratisch gehandelt wurde und dass man schnelle Entscheidungen herbeiführen konnte, die uns Gott sei Dank in die Vorderhand gebracht haben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, -
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Ich weiß Bescheid, Herr Präsident.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
- das wäre ein hervorragender Schlusssatz gewesen.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Ich komme zum Schluss. - Insgesamt gesehen wurden die richtigen Weichenstellungen vorgenommen, die richtigen Programme aufgelegt und richtige Politik gemacht. Der Wille zum Erfolg ist da. Das sind die Zauberworte der Gegenwart und der Zukunft. Wenn wir das berücksichtigen, wie es die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage vorsieht, dann bin ich der festen Überzeugung, dass wir den Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Ängste nehmen können, den Arbeitsplatz eines Tages zu verlieren.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Garrelt Duin für die SPD-Fraktion.
Garrelt Duin (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hinsken, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mit deutlicher Euphorie noch einmal darauf hingewiesen haben, dass wir gemeinsam in der Großen Koalition die genannten Vorhaben auf den Weg gebracht haben.
- Einzelne von Ihnen sind so, Sie zum Beispiel, aber nicht alle.
Meine erste Botschaft ist: Die Konjunkturpakete haben deutlich gemacht, wie richtig und wichtig politisches Handeln ist. Es ist nicht so, wie die FDP über Jahre hinweg immer wieder erzählt hat: Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht, und in der Politik solle man sich am besten heraushalten. Wenn wir uns in dieser massiven Krise herausgehalten und nicht diese Kraftanstrengung unternommen hätten, dann sähe es in Deutschland gänzlich anders aus. Es ist gut, dass wir Ihnen nicht gefolgt sind, es ist gut, dass Sie nicht regiert haben, als die Krise auf dem Höhepunkt war, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
Es ist richtig, dass die positive Entwicklung, die sich zurzeit in vielen Branchen niederschlägt, sehr stark vom Export abhängt. Deswegen und aufgrund der Tatsache, dass die Konjunkturpakete zum Ende dieses Jahres auslaufen, müssen wir uns jetzt überlegen, was noch getan werden kann.
Jede Analyse, die sagt, dass wir eine Stärkung der Binnennachfrage brauchen, ist richtig. Herr Brüderle hat gestern erstaunlicherweise gesagt - man muss fast Mitleid mit ihm haben, weil er seitdem so viel Haue bekommt -, dass ein wichtiges Element zur Stärkung der Binnennachfrage höhere Löhne sind. In diesem Zusammenhang hat er sogar einen einzelnen Tarifabschluss gelobt. Das ist eine sehr späte Erkenntnis und eine aus seinem Mund überraschende Aussage, aber damit allein ist es nicht getan. Wer nur auf die jetzt anstehenden Tarifabschlüsse wartet, gleichzeitig aber ausblendet, dass wir im Bereich der Leiharbeit endlich den Grundsatz der gleichen Bezahlung brauchen, und ausblendet, dass wir in ganz vielen Bereichen endlich Mindestlöhne brauchen, der wird der Herausforderung Stärkung der Binnennachfrage nicht ausreichend gerecht.
Was wir dringend brauchen, sind Investitionen. Ich freue mich, dass der Kollege Döring anwesend ist, weil ich auf ihn Bezug nehmen will. Sie haben noch im Sommer ein sogenanntes Investitionsbeschleunigungsgesetz angekündigt. Im internationalen Vergleich und im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn und Partnern hat Deutschland eine der niedrigsten Investitionsquoten. Das muss uns über das Ende dieses Jahres hinaus mit Sorge erfüllen. Dazu haben Sie, Herr Döring, gesagt:
Wir müssen jetzt schnell ein umfassendes Gesetzespaket schnüren, um die wirtschaftliche Erholung zu sichern, Investitionen zu erleichtern ...
Das haben Sie im Juni eingefordert. Jetzt sind vier Monate herum, aber passiert ist nichts. Es kommt nichts.
Ich zeige Ihnen einmal eine Darstellung der Arbeitsplanung des Bundeswirtschaftsministeriums; Frau Andreae hat zu Recht darauf hingewiesen.
Hier stehen fünf Punkte. Zwei davon sind internationale Zwangsvereinbarungen, die man mitmacht. Dann steht da das ERP-Wirtschaftsplangesetz; auch das ist Standard. Aus diesem Ministerium kommt nichts an Initiativen, auch nicht das, was Sie von der Koalition selbst fordern, obwohl das für den Standort Deutschland wichtig wäre. Es passiert einfach viel zu wenig.
Deswegen sind wir in dieser Debatte herausgefordert, auf das hinzuweisen, was man tun kann.
Herr Hintze, es gibt eine Reihe von guten Elementen, die Begleitmaßnahmen der Konjunkturpakete waren. Da sie nicht der europäischen Reglementierung unterliegen und dementsprechend nicht zum Ende dieses Jahres auslaufen müssen, könnten sie fortgeführt werden. Warum tun Sie im Bereich der Bürgschaftsbanken nichts, um die Eigenkompetenz der Bürgschaftsbanken beizubehalten? Das würde den KMUs helfen. Warum denken Sie nicht darüber nach, wie wir die Laufzeit der Vereinfachungsregelung beim Vergaberecht verlängern können? Warum wird nicht darüber nachgedacht, wie wir die Mittel, die wir für den Ausbau der Breitbandnetze zur Verfügung gestellt haben - das wäre im Interesse der Kommunen -, weiterhin ausreichen können? Warum wird die auch von Ihnen, Frau Strothmann, gelobte Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen nicht fortgeführt? Warum wird darüber nicht gesprochen?
All diese Elemente haben sich bewährt. Dabei geht es nicht um ein neues Programm mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro, wie die Linkspartei es fordert, sondern schlichtweg darum, aus ordnungspolitischen Gründen die Dinge fortzuführen, die sich in den letzten zwei Jahren bewährt haben.
Verschließen Sie doch nicht die Augen. Sagen Sie doch nicht einfach: Wir machen jetzt eine Exitstrategie; das muss jetzt alles zu Ende sein, weil die Krise vorbei ist. Schauen Sie sich die Dinge an, die gut funktioniert haben, die gut für die Kommunen sowie die kleinen und mittelständischen Unternehmen waren. Führen Sie diese fort, und beenden Sie sie nicht zum Ende dieses Jahres!
Über das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist schon gesprochen worden. Deswegen will ich diesen Punkt überspringen.
Herr Hinsken, weil Sie die regionale Wirtschaftsförderung erwähnt haben, möchte ich auf dieses Thema zurückkommen. Ich halte das ebenso wie Sie - ich weiß, dass Sie so denken - für ein ganz entscheidendes Instrument. Wenn wir uns die Zahlen des Wirtschaftsministeriums anschauen, dann wissen wir, dass wir mit dem Instrument der GRW-Förderung in den Bereichen Beschäftigung und Lohnentwicklung, in all den Bereichen, die für die Binnennachfrage von großer Bedeutung sind, herausragende Ergebnisse erzielt haben. Ich frage nicht Sie, Herr Hinsken - Sie sind da standhaft -, sondern die Regierungskoalition insgesamt: Wie kann man in einer konjunkturellen Situation wie dieser überhaupt auf die Idee kommen, die Mittel massiv zu kürzen? Wir brauchen keine Kürzung bei der GRW-Förderung, sondern eine Verstetigung, damit der Aufschwung, den wir alle begrüßen, auch in allen Regionen Deutschlands ankommen und die positive Förderung fortgeführt werden kann.
Wir unterstützen Sie, Herr Hinsken. Ich hoffe, dass auch alle anderen das begreifen.
Ich komme zum Schluss. Herr Brüderle hat gesagt, man könnte jetzt aus allem aussteigen, was durch die Konjunkturpakete auf den Weg gebracht wurde.
Denn - so war sein Bild - wenn es nicht mehr regnet, könne man den Regenschirm zuspannen. Das ist ein schönes Bild. Herr Brüderle nutzt gerne schöne Bilder; das möchte ich gar nicht kritisieren. Er betätigt sich ja quasi als konjunkturpolitischer Wetterfrosch, um die weitere Entwicklung vorherzusagen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Aber das können Sie jetzt nicht mehr weiter ausführen.
Garrelt Duin (SPD):
Unsere Botschaft ist: Werfen Sie den Schirm nicht weg, sondern lassen Sie uns die Dinge nutzen, die gut waren und die wir weiterführen können, ohne weitere Neuverschuldung zu verursachen, um für die mittelständischen Unternehmen etwas zu tun.
Denn sie tragen diesen Aufschwung. Deswegen ist nicht Tatenlosigkeit gefordert, sondern Engagement - hier in Deutschland, aber auch auf der europäischen Ebene.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Matthias Heider ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Matthias Heider (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir hatten befürchtet, Herr Duin, dass die Große Anfrage der SPD offenbar nur darauf abzielt, noch ein paar Fleißkärtchen für die damalige Regierungsbeteiligung einzuheimsen. Aber dass Sie hier heute Morgen die Leistungen der Arbeitnehmer und der Unternehmer in der Krise in Zweifel ziehen, dass Sie den Aufschwung kleinreden, überrascht uns dann doch.
Sie werden in den nationalen Parlamenten Europas unglaubliches Staunen für solche Reden, wie Sie sie heute gehalten haben, ernten.
Liest man die Große Anfrage der SPD, ereilt einen sehr schnell die Erkenntnis, dass die Zeit über die Grundlage Ihrer Anfrage bereits hinweggegangen ist. Im Mai dieses Jahres, als Sie Ihre Anfrage formuliert haben, sprachen Sie von einem prognostizierten leichten Wachstum für 2010. Die Dynamik hat Sie überholt. Ich gebe zu: Die heute vorliegenden Schätzungen von rund 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum übertreffen unsere Erwartungen. Aber sie verdeutlichen die zentrale Erkenntnis: Konjunktur und Wirtschaftswachstum kann man nicht im Parlament beschließen.
Politik hingegen kann in der wirtschaftlichen Krise Folgendes leisten: Sie kann Risiken aus dem konjunkturellen Fahrwasser ziehen, die gesamtwirtschaftliche Aktivität stimulieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen fördern. Diese Aspekte zusammen schaffen ein Gegengewicht zum konjunkturellen Abschwung. Wir, die Regierungskoalition, werden dafür sorgen, dass ein innovations- und investitionsfreundliches Klima geschaffen wird, das über den Tag hinaus seine Wirkung zeigen wird.
Die Bundesregierung führt in ihrer Antwort zu Recht die großen Erfolge der einzelnen Maßnahmen auf: Umwelt- bzw. Abwrackprämie, Verlängerung der Kurzarbeiterregelung, Vereinfachung des Vergaberechts. All das ist schon genannt worden. Ich betone, dass die Koalition der Vorgängerregierung kluge Entscheidungen getroffen hat, von denen Beschäftigte und Unternehmer, von denen wir alle heute profitieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die jetzige Regierung diese Politik klug fortgesetzt hat. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat die christlich-liberale Koalition Familien und Unternehmen mit einem Bündel von Maßnahmen um zusätzliche 8,5 Milliarden Euro entlastet.
Auch das hat dazu beigetragen, dass der aktuelle Konsumindex der GfK das höchste Ergebnis seit Mai 2008 ausweist.
Neben dem Export, der dieses Jahr um rund 16 Prozent steigen wird, steigt erfreulicherweise auch die heimische Nachfrage. Auch die aktuellen Lohnabschlüsse lassen die Hoffnung zu, dass sich dieser Trend verstetigt. Eine echte Trendwende erkennen wir auch bei den Investitionen. Zu Beginn des Jahres hat noch niemand damit gerechnet, dass die Ausrüstungsinvestitionen in diesem Jahr 8 Prozent übersteigen. Das zeigt: Die Unternehmen haben Vertrauen in diesen Aufschwung. Ich könnte es auch kurz machen und sagen: ?Alles wird besser?, so wie es das Institut der deutschen Wirtschaft in dieser Woche in seiner Schlagzeile festgestellt hat. Das Wirtschaftswachstum wird sich im nächsten Jahr, wahrscheinlich bei etwas gedrosseltem Tempo, um 2 Prozent fortsetzen. Herr Kollege Schlecht, es gibt in der Wirtschaft Wellenbewegungen; es geht etwas rauf und etwas runter. Das gehört zum Wirtschaftsleben dazu.
Zur Krisenbewältigung gehört auch - meine Damen und Herren, geben Sie jetzt acht -, dass wir in diesem Frühjahr die Stützungsmaßnahmen im Hinblick auf den Euro beschlossen haben. Da sich die SPD-Fraktion für ihre Beteiligung an den Konjunkturpaketen hier auf die Schulter klopfen lässt, möchte ich feststellen: Sie haben rein gar nichts dazu beigetragen, dass das Vertrauen in den Euro und die europäische Solidarität wiederhergestellt wurde
und die Wirtschaftsstandorte Europa und Deutschland in einer schwierigen Phase gefestigt wurden.
Alle Konjunkturpakete helfen nichts, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn man sich bei einer so zentralen Frage wie der Sicherung der Stabilität des Euros in die Büsche schlägt.
In der Krise war es wichtig, dass wir den Unternehmen mit rund 10 Milliarden Euro im Rahmen von Bürgschaften und Krediten unter die Arme gegriffen haben. Der Deutschlandfonds mit seinen Förderprogrammen hat Tausenden von Unternehmen geholfen. Nicht große Millionenbeträge waren hier ausschlaggebend, sondern die Breitenwirkung. Zahllose Darlehen zwischen 20 000 Euro und 100 000 Euro haben vielen mittelständischen Unternehmen in der Krise Luft zum Atmen gegeben.
Jetzt aber müssen wir umschwenken, von einem rettenden Feuerwehreinsatz zu einer substanziellen Wirtschaftsförderung; ab heute geht es wieder um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein hervorragendes Instrument dafür ist die Forschungs- und Entwicklungsförderung, zum Beispiel im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms für den Mittelstand.
Die Projektförderung des ZIM ist auf die Innovationsentwicklung mittelständischer Betriebe ausgerichtet, die weniger in großen Forschungsabteilungen stattfindet, sondern eher in anwendungsspezifischen Projekten. Deswegen ist es gut und richtig, dass die Finanzplanung nicht nur eine Verstetigung, sondern sogar eine Aufstockung der ZIM-Mittel auf deutlich über 500 Millionen Euro vorsieht.
Das ist kluge Strukturpolitik, so wie wir sie verstehen.
Die SPD fordert jetzt in breitem Umfang weitere Stützungsmaßnahmen über 2010 hinaus. Wo das sinnvoll erscheint, handelt die Bundesregierung. Wo die staatlichen Eingriffe jedoch eine dauerhafte Verzerrung des Wettbewerbs bedeuten, müssen wir sie jetzt, in der Aufschwungphase, abbauen.
So wie das Pendel in Zeiten der Krise in Richtung Ausgabenpolitik schlägt, so gehört das Zurückpendeln zu einer Konsolidierungspolitik. Dies leistet die Regierungskoalition mit dem Haushalt 2011 und einem Zukunftspaket. Dies dient der Festigung unseres Wirtschaftsstandortes. Ich darf sagen: Ich sehe die Bundesregierung im Gegensatz zu Ihnen auf einem guten Weg.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion.
Klaus Barthel (SPD):
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf unsere Große Anfrage und die Antwort der Bundesregierung eingehen. Viele der Fragen, die wir uns sehr gut überlegt haben, bleiben unbeantwortet. Ihre Antworten sind mit Worten wie ?dürfte?, ?könnte?, ?sollte? usw. bestückt, und Ihre Lieblingsformulierung lautet: ?Die Bundesregierung geht davon aus ??. Es wurde die Chance vertan, das Konjunkturpaket im Hinblick auf die Wirkungen einzelner Maßnahmen zu durchleuchten. Das kann mit Unfähigkeit zu tun haben, das kann aber auch Absicht sein. Denn Ihr Interesse daran, dass man sich das Konjunkturpaket genauer anschaut, dürfte durchaus gebremst sein.
Wenn man zum Beispiel danach fragt, was die Steuerermäßigung für die Hotellerie im Verhältnis von Kosten und Nutzen bringt, stellt man fest: Es bleibt nicht viel übrig. Sinnvolle Maßnahmen wie die Städtebauförderung werden gestrichen, obwohl jeder Euro, den der Staat hierfür zur Verfügung gestellt hat, Investitionen in Höhe von 8 Euro nach sich gezogen hat. Das ist spannend.
Ich kann gut verstehen, dass sich Herr Ramsauer folgendermaßen zur Halbierung der Mittel für die Städtebauförderung äußert - ich zitiere aus einer Ausgabe der Bayerischen Staatszeitung von vor einer Woche; liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, insbesondere von der CSU, hören Sie bitte zu -: Insofern bin ich über jede Stimme eines Bundestagsabgeordneten wie der des Nürnberger Abgeordneten Michael Frieser (CSU) froh, der diese Kürzung nicht hinnehmen will, betont Ramsauer. Er werde sich dafür einsetzen, dass noch einmal verhandelt wird.
Dabei geht es um sinnvolle Maßnahmen, die gewirkt haben. Aber genau so etwas wird in der Antwort auf die Anfrage weder hinterfragt noch beleuchtet, sondern eher verschleiert. Da wird alles in eine Soße gerührt.
Dann findet man auch spannende Widersprüche, was die Zukunft angeht. Auf der einen Seite heißt es, man wolle jetzt - wörtliches Zitat -: ?den Rückzug aus der expansiven Finanzpolitik? einleiten. Einige Zeilen weiter steht aber, es sollten die Spielräume für weitere Steuersenkungen genutzt werden. Was denn jetzt?
Wir hören in diesen Tagen von Herrn Brüderle den Vorschlag, die Löhne zu erhöhen.
Frau Merkel warnt im Handelsblatt vor Lohndumping aus China in der Europäischen Union. Man muss die beiden Herrschaften fragen - inhaltlich sind wir uns ja einig -, was sie tun. Sie müssen endlich wieder Ordnung und Fairness am Arbeitsmarkt durchsetzen, damit die Löhne steigen können.
Denn mit Leiharbeit, mit Befristungen, mit Minijobs, mit Ausweitung von Prekarität und mit Niedriglohn kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Deswegen muss in der Koalition jetzt endlich die Frage entschieden werden: Wollen Sie zum Beispiel in der Zeitarbeit einen Mindestlohn, oder wollen Sie Equal Pay? Das Ergebnis ist: Sie blockieren sich, und es kommt gar nichts. Wir fordern, dass in der Leiharbeit beides kommt.
Gestern wurden Fragen der Mindestlöhne und des Weiterbildungssektors hier diskutiert. Ich nenne ergänzend die Post und viele andere Bereiche. Wenn es keine Mindestlöhne gibt, dann werden Sie das Lohnniveau insgesamt nicht erhöhen können. Ganz im Gegenteil: Der Strudel geht immer weiter nach unten.
Bei der Kurzarbeit ist der entscheidende Punkt - darüber ist heute noch gar nicht viel geredet worden - gut dokumentiert, nämlich dass sie ein riesiger Erfolg war. Aber entscheidend ist doch, dass Kurzarbeit nur auf der Basis von geordneten Verhältnissen in den Betrieben, von Normalarbeitsverhältnissen, von Betriebsräten, von Gewerkschaften und von Mitbestimmung funktioniert. Das funktioniert eben nicht im gesamten prekären Sektor.
Das führt im Ergebnis dazu, dass nur die Kernsektoren - das war uns wichtig; das ist überhaupt nicht zu mindern - davon profitiert haben, während der gesamte prekäre Bereich davon aber nicht profitiert hat.
Zum Beispiel sind die Auswirkungen auf die Geschlechter sehr unterschiedlich. Frauen haben von diesen Maßnahmen kaum profitiert. Das war zu weniger als 30 Prozent der Fall, während zu mehr als 70 Prozent die Männer davon profitiert haben.
Wir beklagen den Erfolg der Kurzarbeit nicht, aber es gibt noch etwas nachzuarbeiten. Das muss bei solch einer Evaluation auch erwähnt werden. Bei der Fortsetzung dieser Programme muss es in Zukunft um Qualität und weniger um Quantität gehen. Es muss um Industriepolitik gehen. Auf Ihre Positionen hierzu bin ich sehr gespannt; denn die Bundesregierung antwortet auf konkrete Fragen ausweichend, zum Beispiel auf die Fragen, wie es mit dem Breitbandausbau oder mit den Netzen im Bereich der Energiepolitik weitergehen soll. Dabei fordert die Europäische Kommission, dass 1 Billion Euro in Europa investiert wird.
Die Bundesregierung weicht auch der Antwort auf die Frage aus, wie es mit der Mobilität weitergehen soll. Mehr noch: Bei der Mobilität werden der Bahn jährlich 500 Millionen Euro entzogen, die sie eigentlich für Investitionen braucht. In keinem dieser Bereiche sagen Sie, wie es weitergehen soll.
Vielmehr ist von ?könnte?, ?müsste? und ?sollte? die Rede.
Nun zur Weiterentwicklung der Dienstleistungswirtschaft bzw. zum Abbau von Prekarität. Sie finden zum Beispiel eine Analyse der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, die ich hier zitieren will:
Die Uno-Organisation empfiehlt den Regierungen eine stärkere Konzentration auf die Arbeitsmärkte auch deshalb,
- bitte hören Sie genau zu -
weil sie einen weltweiten Vertrauensverlust in die Regierungen und die politischen Systeme als Folge der Arbeitslosigkeit beobachtet. ?Der soziale Zusammenhalt steht auf dem Spiel?, heißt es in dem Bericht. In drei Vierteln der 82 Staaten, in denen es entsprechende Umfragen gab, haben die Menschen den Eindruck, dass Lebensstandard und Lebensqualität sinken.
Die Bundesrepublik Deutschland gehört dazu.
Sie müssen den Kommunen jetzt auch einmal erklären, wie Sie die öffentlichen Investitionen verstetigen wollen, während sie gleichzeitig ausbluten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Klaus Barthel (SPD):
Vorletzter Satz. - Wir haben beim Konjunkturprogramm gesehen, dass die Angabe darüber, welcher Bedarf hier herrscht, stimmt und dass zum Beispiel die vorgesehenen Investitionen durch die Kommunen mehrfach überzeichnet wurden.
Das alles soll am Ende dieses Jahres auslaufen. Ich denke, hier gibt es viel zu tun. Die Europäische Union bewegt sich in dieser Frage jetzt ja sogar wieder. Wir öffnen uns für eine Fortsetzung gezielter strukturpolitischer und konjunktureller Maßnahmen, und diesen Spielraum, der sich hier wieder auftut, sollte die Bundesregierung nutzen, um da, wo es sinnvoll ist, die Konjunktur zu stützen und den Aufschwung zu verstetigen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie hatten vor geraumer Zeit einen vorletzten Satz angekündigt.
Klaus Barthel (SPD):
Es waren viele Kommas dazwischen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja. Wir werden das im Protokoll präzise so festhalten, um möglichen präjudizierenden Wirkungen entgegenzutreten.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dieter Jasper für die CDU/CSU-Fraktion.
Dieter Jasper (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ?Ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete?, das ist das Thema heute. Zur Erinnerung: Was war die Ausgangssituation? In der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise der Bundesrepublik Deutschland hat die unionsgeführte Bundesregierung zwei Konjunkturpakete aufgelegt, mit denen geholfen werden sollte, die Folgen dieser Krise abzumildern. Das Bruttoinlandsprodukt - auch das zur Erinnerung - ist um 4,9 Prozent eingebrochen. Die Wirtschaft hatte die schwerste Rezession der Nachkriegsgeschichte zu bewältigen.
Durch das Konjunkturpaket I aus dem Jahre 2008, ?Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung? genannt, werden Investitionen und Aufträge von Unternehmen, privaten Haushalten und Kommunen in einer Größenordnung von rund 50 Milliarden Euro gefördert. Das Konjunkturpaket II aus dem Jahre 2009, ?Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland? genannt, umfasst weitere Maßnahmen mit einem Umfang von weiteren 50 Milliarden Euro. Wichtige Impulse zur Stützung der Binnenkonjunktur und zur nachhaltigen Stärkung des Landes wurden gesetzt.
Wie stehen wir heute da? Erneut waren es die kleinen und mittelständischen Unternehmen und ihre Mitarbeiter, die sich in dieser Zeit als Rückgrat der deutschen Wirtschaft und als stabilisierender Faktor erwiesen haben. Gestärkt durch die Maßnahmen der beschriebenen Konjunkturprogramme konnte ein Weg aus der Krise gefunden werden.
Deutschland weist im laufenden Jahr ein Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent auf. Die größte Volkswirtschaft des Euro-Raums lässt alle anderen klassischen europäischen Industriestaaten hinter sich. Dies ist insbesondere durch den unerwartet kräftigen Anstieg der Auftragszahlen in der Industrie begründet, dem Herzen der deutschen Wirtschaft. Zum sechsten Mal innerhalb von acht Monaten ist die Zahl der Auftragseingänge gegenüber dem Vormonat gestiegen.
Vor allem durch die verbesserte Kurzarbeiterregelung wurde den Unternehmen und ihren Mitarbeitern Sicherheit und Stabilität gegeben. Die Unternehmer konnten ihre Mitarbeiter in den Krisenjahren weiter beschäftigen, Entlassungen wurden vermieden, und besonders das Ziel, die Fachkräfte zu binden, konnte erreicht werden. Das ist gerade bei der jetzt zu verzeichnenden konjunkturellen Erholung von besonderer Bedeutung. Hinzu kamen zahlreiche Neueinstellungen. Somit haben wir heute eine historisch niedrige Arbeitslosenquote von 7,2 Prozent.
Auch die Geldwertstabilität ist gegeben. Die Inflationsrate, der ?Taschendieb des kleinen Mannes?, wie sie genannt wird, liegt bei rund 1 Prozent. Die Lage im Finanzsektor hat sich entspannt. Das Kredit- und Bürgschaftsprogramm im Rahmen des Wirtschaftsfonds Deutschland hat dazu beigetragen, dass die Kreditversorgung auch in der Krise sichergestellt wurde.
In einzelnen Branchen sind natürlich Liquiditätsprobleme zu beobachten, aber ich kann nicht erkennen, dass es eine allgemeine Kreditklemme gibt, wie in vielen Medien propagiert wird.
Durch diesen Dreiklang aus gutem Wachstum, niedrigen Arbeitslosenzahlen und geringer Inflation zeigt sich, dass die Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung und zur Konjunkturstützung offensichtlich gegriffen haben. Diesen Erfolg kann die unionsgeführte Bundesregierung deutlich für sich verbuchen. In schwierigen Zeiten ist es gelungen, richtige und zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen.
Welche Handlungsoptionen haben wir? Wir haben die schlimmsten Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise überwunden, aber es wird noch einige Zeit dauern, bis die Euro-Zone wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat. Viele dauerhafte steuerliche Entlastungen für private Haushalte und Unternehmen werden auch zukünftig Wachstum und Beschäftigung sichern. Hier sei exemplarisch die verbesserte Absetzbarkeit von Handwerksdienstleistungen oder die Erhöhung der Kinderfreibeträge genannt. Andere Maßnahmen waren schon im Vorfeld befristet angelegt und nur als vorübergehende Stützung in einer Phase konjunktureller Schwäche gedacht.
Eine unnötige Verlängerung der Geltungsdauer dieser Maßnahmen oder gar ein Ausbau dergleichen führt zu Wettbewerbsverzerrungen und hebelt wichtige Marktmechanismen aus. Es darf nicht vergessen werden, dass die 100 Milliarden Euro, die in die Hand genommen worden sind, nicht auf der hohen Kante lagen. Für diese 100 Milliarden Euro musste ein Kredit aufgenommen werden, der inklusive Zinsen zurückzuzahlen ist.
Es wäre fahrlässig, weitere konjunkturelle Stützungsmaßnahmen zu fordern und diese auf Pump zu finanzieren. Die Solidität und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen müssen wieder erste Priorität haben. Natürlich ist es leichter, weiterhin Versprechungen und Zusagen zu machen, diese über Kredite zu finanzieren und die Rückzahlung den kommenden Generationen zu überlassen. Auf diese Art und Weise haben wir inzwischen einen Schuldenberg von über 1,7 Billionen Euro aufgebaut. Das kann nicht der richtige Weg sein. Diesen Weg wollen wir auch nicht gehen.
Wir müssen sparen, und wir müssen vor allen Dingen konsolidieren. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und das daraus resultierende Sparpaket der Bundesregierung ermöglichen es, die Neuverschuldung in den nächsten Jahren zurückzufahren. Solide Staatsfinanzen sind die beste Gewähr für eine positive wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Kernthemen der deutschen Wirtschaftspolitik müssen Fiskalkonsolidierung, Schuldenabbau und Strukturreform sein. Investitionen in Forschung, Entwicklung und Bildung sind nötig und müssen weiterhin gefördert werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Jasper, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler?
Dieter Jasper (CDU/CSU):
Gerne.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte.
Kathrin Vogler (DIE LINKE):
Herr Kollege Jasper, würden Sie uns bitte erklären, inwieweit das von Ihnen genannte Sparpaket der Bundesregierung, das in erster Linie die Schwachen trifft,
Auswirkungen auf den Mittelstand hat, weil es ja die Binnenkaufkraft beeinträchtigt, wenn die sozial Schwachen in diesem Land weniger Geld zum Ausgeben haben, und wie das Ganze im Verhältnis zu dem steht, was Sie gerade gelobt haben, dass nämlich durch die Erhöhung der Kinderfreibeträge und durch die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerksleistungen vor allem die Besserverdienenden, die Menschen mit höherem Einkommen gefördert worden sind?
Dieter Jasper (CDU/CSU):
Danke für die Frage. Ich habe es ja gerade darzustellen versucht. Für mich ist es so, dass die beste Gewähr für eine prosperierende Wirtschaft solide Staatsfinanzen sind. All das, was gerade von Ihrer Seite immer wieder gefordert wird, ist nicht finanzierbar. Dafür wären Kredite erforderlich. Unser Weg muss es aber sein, die Staatsfinanzen zu regulieren. Wir müssen konsolidieren, damit die Dinge, die wir uns leisten wollen, auch finanzierbar sind. Wir müssen sparen. Das ist für mich der einzig richtige Weg.
Welches Fazit ist trotz allem zu ziehen? Die ökonomischen Wirkungen der Konjunkturpakete sind grundsätzlich positiv. Die staatlichen Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass sich unsere Wirtschaft erholt hat und wir auf einem guten Weg sind, unsere alte Stärke wieder zu erreichen. Wir besitzen eine hohe Wettbewerbsfähigkeit auf europäischer und auf internationaler Ebene.
Kritische Punkte sind, wie angemerkt, die Finanzierung dieser Konjunkturpakete durch Kredite ebenso wie die jetzt lauter werdenden Forderungen nach Verlängerung und Ausbau staatlicher Unterstützungen. Der Staat hat in der Krise Sicherheit und Vertrauen geschaffen und in schwierigen Zeiten Rückhalt gegeben. Jetzt sind die Unternehmer und ihre Mitarbeiter grundsätzlich wieder in der Lage, ihre erfolgreiche Arbeit selbstständig fortzusetzen und den weiteren Weg aus der Krise eigenverantwortlich zu gehen.
Eine prosperierende Wirtschaft ist die entscheidende Voraussetzung für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. In diesem Sinne wird die CDU/CSU gemeinsam mit den Kollegen von der FDP eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik für die Menschen in unserem Lande machen.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 66. Sitzung - wird am
Montag, den 11. Oktober 2010,
auf der Website des Bundestages unter ?Dokumente & Recherche?, ?Protokolle?, ?Endgültige Plenarprotokolle? veröffentlicht.]