Geschäftsordnung des Bundestages ©
DBT/Zander
Die Fraktionen
Was im Denken und Reden der Bürger oft in eins fließt,
unterscheidet das Grundgesetz und in seiner Umsetzung
schließlich die Geschäftsordnung auf das Peinlichste:
die Parteien und die Fraktionen. So wie die Parteien "bei der
politischen Willensbildung des Volkes" mitwirken (Artikel 21 des
Grundgesetzes), so wirken die
Fraktionen an den Entscheidungsprozessen des
Parlaments mit. Die Überlappung beider Einrichtungen
rührt daher, dass die führenden, Aufmerksamkeit
erheischenden Repräsentanten der Parteien oft auch den
Fraktionen angehören (wenn nicht einer Bundestagsfraktion,
dann meistens doch einer Landtagsfraktion). Umso wichtiger ist die
klare Trennung: die Fraktionen bestehen ausschließlich aus
den bei der Bundestagswahl vom Volk direkt oder indirekt
(Listenabgeordnete) gewählten Abgeordneten; zu ihnen
gehören auch die "Nachrücker", die auf Grund der zur Wahl
gestellten Landeslisten für im Laufe einer Wahlperiode
ausgeschiedene Mitglieder des Bundestages in das Parlament
einrücken. Fraktionen haben im Bundestag Rechte, die dem
einzelnen Abgeordneten nicht zustehen.
Den Status einer Fraktion erhalten nur parteipolitisch
begründete Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die
mindestens fünf Prozent der tatsächlichen Zahl der
Mitglieder des Bundestages in sich vereinen.
Zusammenschließen dürfen sich nur die Mandatsträger
derselben Partei oder solcher Parteien, "die aufgrund
gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander in
Wettbewerb stehen". Diese im Jahre 1969 eingeführte Formel
erlaubt es den Abgeordneten der CDU und der CSU, eine gemeinsame
Fraktion zu bilden und damit die Vorteile aus der gemeinsamen
Größe zu ziehen, wie sie es seit den Anfängen der
Bundesrepublik getan haben. Wollen sich die Abgeordneten zweier
oder mehrerer Parteien, die auch nur in einem einzigen Bundesland
gegeneinander um Wählerstimmen gekämpft haben, zu einer
Fraktion verbinden, dann bedarf dies der Zustimmung des
Bundestagsplenums.
Erreichen die zur Zusammenarbeit entschlossenen Abgeordneten einer
politischen Richtung nicht ein Zwanzigstel der Gesamtstärke
des Bundestages, dann werden sie lediglich als "Gruppe" anerkannt
und erhalten nicht alle Rechte, die den Fraktionen zustehen (etwa
das Recht, einen Vizepräsidenten des Bundestages zu stellen).
Schwierig bleibt der Status von Abgeordneten, die entweder als
direkt gewählte Wahlkreisvertreter in das Parlament gelangten,
während ihre Partei an der Fünf-Prozent-Hürde
gescheitert ist, oder die im Laufe der Wahlperiode aus ihrer Partei
ausgetreten sind und dennoch das Mandat behalten. Sie können
von einer Fraktion als Gast aufgenommen werden. Sie tragen zwar
nominell nicht zur Stärkung ihrer Gastfraktion bei,
können dieser aber in Wirklichkeit bei der Zumessung von
Sitzen in den Parlamentsgremien Nutzen bringen.
Was im Sinne der Geschäftsordnung nicht ginge, wäre ein
Versuch von Abgeordnetenvereinigungen, sich alle denkbaren Vorteile
zu sichern und die sich aus der neugewonnen Größe
ergebenden Nachteile zu meiden. So dürfen zwei Fraktionen -
etwa einer Koalition - nicht als Bündnis anderen Fraktionen
den Rang ablaufen und gleichzeitig die Finanzmittel für zwei
Fraktionsführungen in Anspruch nehmen; die
Parlamentsübung belegt dies: Koalitionen geben den Fraktionen
nicht eine neue Größenordnung, so dass der
Bundestagspräsident auch dann von der größten
Fraktion gestellt werden kann, wenn diese in der Opposition ist und
die Koalitionsfraktionen naturgemäß über die
Mehrheit verfügen. Ebenso hat es sich eingeschliffen, dass
große Koalitionsfraktionen, die den kleineren Partner
überproportional berücksichtigt wissen wollen (oder von
ihm dazu gezwungen werden), dies nur auf Kosten der eigenen
Besetzungsrechte tun. "Technische Arbeitsgemeinschaften" zwischen
Fraktionen, etwa zur Minderung der Bürokratie, sind jedoch
erlaubt.
Hat sich eine Fraktion gebildet - meist geschieht dies bald nach
der Bundestagswahl und noch vor der konstituierenden Sitzung des
neuen Bundestages -, sind ihre Bezeichnung, die Namen des
Vorsitzenden, der Mitglieder und eventueller Gäste dem
Präsidenten mitzuteilen.