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Das Parlament beschließt Gesetze und Anträge, im Plenum und in den Ausschüssen wird um politische Inhalte gerungen. Damit der Bundestag sein immenses Arbeitspensum bewältigen kann, müssen Sitzungen und Debatten, Initiativen und Redebeiträge vorbereitet werden. Termine abstimmen, planen, koordinieren, beraten - das ist Aufgabe der Mitarbeiter in den Fraktionen. Ein Blick hinter die Kulissen, in den Arbeitsalltag der Referenten.
Anja Ludwig kommt aus der Praxis. Bevor sie für den Bundestag arbeitete, machte sie eine Pflegeausbildung. Sie kümmerte sich um alte Menschen in Pflegeeinrichtungen, die nur noch begrenzt für sich sorgen konnten. Dort erlebte sie oft Grenzsituationen, beispielsweise, dass sie in einer Übergangszeit alleine mit 26 Pflegebedürftigen war, darunter auch Demenzkranken: "Die laufen auch gern einfach mal weg. Was soll man denn da tun, ohne die anderen unbeaufsichtigt zu lassen?"
Dann studierte sie Pflegewissenschaften und kümmerte sich danach für die Arbeiterwohlfahrt als Referentin um die ambulante Pflege in diesem Wohlfahrtsverband. "Schon während meines Studiums war mir Pflegewissenschaft zu unpolitisch - ich wollte die Bedingungen ändern." Der Schritt in die Bundespolitik war also nur folgerichtig.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schuf 2006 eine Referentenstelle für Pflegepolitik. 1995 war die Pflegeversicherung eingeführt worden. Dann kam es durch die großen demografischen Veränderungen zu einer Verschiebung in den Krankheitsbildern - die Menschen wurden immer älter, also nahmen chronische, Mehrfach- und demenzielle Erkrankungen zu.
Nun sollte die erste Pflegereform auf den Weg gebracht und ein neues Gesamtkonzept für ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Pflegesystem in der Fraktion erarbeitet werden. Das war von da an Ludwigs Aufgabe. Sie brachte viele Erfahrungen aus Pflegepraxis und -wissenschaft mit und verband beides mit dem politisch zu realisierenden Horizont.
Dabei orientierte sie sich immer an den Idealen der Grünen wie Selbstbestimmung und Verbraucherschutz, wenn es um Rehabilitation, Prävention oder die Steuerung ambulanter Pflege ging. Wichtige Forderungen der Grünen waren beispielsweise die Entlastung pflegender Angehöriger oder die Unabhängigkeit der Beratung. "Wenn das nicht meine Ideale gewesen wären, hätte ich diese Arbeit nicht machen können und wollen. Aber meine Vorstellungen harmonierten ganz gut mit den Zielvorstellungen der Grünen."
Nachdem Ludwig in die politische Sphäre gewechselt hatte, änderten sich auch allmählich ihre Perspektive und ihre Einstellungen zu ihrem Arbeitsbereich, der Pflege: "Letztlich geht es um die Versorgung der Menschen. Doch allein die Sichtweise der Pflegenden wäre zu phlegmatisch. Es ist auch wichtig, sich von der Betroffenheit zu distanzieren durch die Wissenschaft und die politische Realisierbarkeit zu beachten, sonst betreibt man Klientelpolitik."
Beispielsweise wäre aus ihrer Sicht eine klare Forderung aus der extremen Arbeitsverdichtung in der Altenpflege, dass mehr Personal eingestellt werden soll - politisch müsse aber die Finanzierbarkeit zuerst geklärt werden. "Das ist der Spagat zwischen menschenwürdiger Pflege und finanzierbarer Versorgung."
Dadurch dass die Grünen in der Opposition sind, eröffnen sich nach Ludwigs Meinung mehr Möglichkeiten für die Entwicklung von Visionen. Andererseits ist es für sie manchmal frustrierend, weil viele Anträge der Oppositionsfraktionen in der Schublade landen, weil sie wegen der Mehrhaltsverhältnisse nicht verabschiedet werden.
Außerdem stört es sie manchmal, dass ihr Themenfeld so unterrepräsentiert ist und wenig Beachtung findet: "Die Pflege ist die kleine Schwester der Gesundheitspolitik, heißt es immer. Diesen Satz finde ich schwierig, denn er verkennt die gesellschaftlichen Entwicklungen." Gerade die Entwicklung hin zu mehr älteren Menschen offenbare immer mehr einen künftigen Pflegenotstand. "Aber wer beschäftigt sich schon gerne damit, abhängig von anderen zu werden? Das Thema ist einfach unsexy."
Ganz essenziell für die Referentenarbeit findet Ludwig, sich die fachliche Unabhängigkeit zu bewahren und nicht zu stark in eine innerfraktionelle Strömung zu geraten. Andererseits brauche man meinungsstarke Persönlichkeiten, die wiederum die Inhalte, die sie erarbeitet, nach außen tragen: "Wichtig ist aber auch eine gute Galionsfigur, jemand, der für das Thema brennt und es leidenschaftlich im Bundestag vertritt. Wenn es angenommen wird, ist das der Dank für meine Arbeit."
Spaß machen ihr aber auch ganz andere Aufgaben wie die Organisation der Pflegetour durch fünf Bundesländer "Pflege für jeden Fall". Die führte sie zusammen mit Abgeordneten der Fraktion mal in ein Kloster, mal in eine Brauerei in München, wo sie über Pflege in strukturschwachen Regionen oder innovative Pflegeprojekte informierten und diskutierten.
Dennoch kann sie sich nicht vorstellen, einmal die Seite zu wechseln und als Politikerin aufzutreten: "Ich möchte nicht in der ersten Reihe stehen, weil ich meine fachliche Unabhängigkeit bewahren möchte. Ich bin auch eher ein Spezialist und kein Generalist."
Eher könnte sie sich vorstellen wieder ‚an die Front’, also in die Praxis zu wechseln und Projekte zu entwickeln und zu organisieren. Besonders spannend findet sie Hilfssysteme der Zukunft wie gemeinschaftliche, generationenübergreifende Wohnprojekte, in denen auch neue Chancen der gegenseitigen Unterstützung und Hilfe liegen.