Navigationspfad: Startseite > Kultur & Geschichte > Geschichte > Parlamentarische Schauplätze > Frankfurter Paulskirche
Mit der Einberufung der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main erfüllte sich eine der zentralen Forderungen der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Obwohl Wien und Berlin eindeutig die politischen Machtzentren im Deutschen Bund bildeten, gab es innerhalb der Einheits- und Freiheitsbewegung nie ernsthafte Zweifel daran, dass ein zukünftiges deutsches Nationalparlament in Frankfurt am Main als der Stadt, in der mit der Bundesversammlung die einzige Institution des Deutschen Bundes residierte, zusammentreten müsse
Lange Zeit hatten die Regierungen der Einzelstaaten die Forderungen nach Einberufung einer Nationalversammlung und Gewährung von Freiheitsrechten ignoriert. Erst unter dem Druck der Märzrevolution sahen sich die deutschen Fürsten auch in dieser Frage zum Einlenken gezwungen. Mit den Beschlüssen vom 30. März und 7. April 1848 wurden die einzelstaatlichen Regierungen vom Bundestag, der Versammlung weisungsgebundener Bevollmächtigter der deutschen Bundesstaaten, aufgefordert, Wahlen zu einer "constituirenden deutschen Nationalversammlung" auszuschreiben. Diese sollte schnellstmöglich "am Sitze des Bundesversammlung" in Frankfurt am Main zusammenzutreten, um eine neuen Bundesverfassung zu erarbeiten.
Auch die deutsche Nationalbewegung hatte seit Ausbruch der Revolution die Einberufung einer deutschen Nationalversammlung forciert. Die ,Heidelberger Versammlung’, zu der am 5. März 1848 51 oppositionelle Politiker zur Beratung über das weitere politische Vorgehen zusammengekommen waren, beschloss, "Vertrauensmänner" zu einem Vorparlament in Frankfurt einzuladen, um Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung vorzubereiten. Das Vorparlament, dem 573 Ständevertreter und Landtagsabgeordnete sowie weitere "durch das Vertrauen des deutschen Volkes ausgezeichnete Männer" angehörten, trat am 31. März 1848 in Frankfurt zusammen.
Da sich der ursprünglich als Tagungsort vorgesehene Kaisersaal im Frankfurter Römer, dem Rathaus der freien Reichsstadt, als zu klein erwies, zogen die Mitglieder nach der feierlichen Eröffnungssitzung im Kaisersaal unter großer Anteilnahme der Frankfurter Bevölkerung in die Paulskirche. Dort berieten sie bis zum 4. April 1848 Fragen der Wahl, Organisation und Kompetenzen der künftigen Nationalversammlung. Unter anderem beschloss das Vorparlament, das nach einem allgemeinen und gleichen Wahrecht zu wählende Nationalparlament zum 1. Mai nach Frankfurt zu berufen. Ein vom Vorparlament eingesetzter Fünfzigerausschuss sollte bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung für die Bewahrung der bisher erreichten politischen Fortschritte sorgen und die Wahlvorbereitungen (in Zusammenarbeit mit Vertretern der Bundesversammlung) fortsetzen.
Da sich die Wahlen aus organisatorischen Gründen verzögerten, nahm die Nationalversammlung erst am 18. Mai 1848 ihre Arbeit auf. Auch die Eröffnungssitzung der Nationalversammlung fand im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt. Und wie anderthalb Monate zuvor begaben sich auch diesmal die 382 anwesenden Abgeordneten von dort in einem feierlichen Festzug zu ihrer ersten Arbeitssitzung in die Paulskirche, wo sie mit einer kurzen Unterbrechung im Winter 1848/49 zwölfeinhalb Monate bis zum 30. Mai 1849 tagten.
Die evangelisch-lutherische Hauptkirche der Stadt Frankfurt war als Tagungsort ausgewählt worden, da es in Frankfurt keinen anderen geeigneten Tagungsort gab. Beim Einzug der Nationalversammlung war das Gotteshaus, das an der Stelle der 1787 abgerissenen gotischen Barfüßerkirche erbaut worden war, erst 13 Jahre in Benutzung. Der 1789 nach den barocken Entwürfen Andreas Liebhardts begonnene und durch Johann Georg Christian Hess im klassizistischen Stil umgeplante Kirchenbau, konnte infolge mehrerer Bauunterbrechungen erst 1833, nach fast vierzigjähriger Bauzeit durch Stadtbaumeister Johann Friedrich Christian Hess vollendet werden. Der elliptische Rundbau bot mit seinem fast 30 Meter hohen, von einer flachen Kuppel überwölbten Saal, in dem die Stuhlreihen halbkreisförmig um den Altar angeordnet waren, sowie einer auf 20 ionischen Säulen ruhenden, ca. vier Meter breiten Emporenbühne rund 2000 Personen Platz. Das im - für das Untermaingebiet typischen - Rotsandstein erbaute Gebäude gilt mit seinem mächtigen mansardenähnlichen Dach sowie den vorgelagerten Treppenhäusern und einem (mit Kreuz) rund 55 Meter hohen Turm als ein bedeutendes Monument klassizistischer Architektur in Deutschland.
Für den Parlamentsbetrieb war die Paulskirche baulich verändert und geschmückt worden. Das Gebäude erhielt eine Gasbeleuchtung und, um die schon immer bemängelte Raumakustik in dem 30 m hohen ovalen Saal zu verbessern, in 20 Metern Höhe eine hölzerne Zwischendecke. Im Winter 1848/49 wurde eine Zentralheizung, eine der ersten in Deutschland, eingebaut. Aus diesem Grund tagte die Nationalversammlung vom 6. November 1848 bis zum 9. Jan. 1849 in der Deutschreformierten Kirche am Kornmarkt, wo am 20. Dezember 1848 auch die "Grundrechte des Deutschen Volkes” verabschiedet worden sind. Schwarz-rot-goldene Fahnen und Girlanden schmückten die Rundung oberhalb der Empore. Die als Zuschauertribüne genutzte Galerie war meistens überfüllt. Die an der Südseite über dem Altar angebrachte Kanzel war mit einem schwarz-rot-goldenen Vorhang verdeckt worden. Der Altar wurde abgebaut und an dessen Stelle der erhöhte Präsidiumstisch, davor das Rednerpult aufgestellt. Neben und über dem Rednertisch hingen ebenfalls schwarz-rot-goldene Fahnen. Ein Transparent mit einem Kolossalgemälde der Germania, das der Frankfurter Maler Philipp Veit (1793-1877) im März 1848 gemalt hatte, verdeckte die über der Kanzel auf der Empore installierte Orgel. Auf dem Gemälde ist die Germania als Allegorie auf die sich bildende deutsche Nation vor der - die neue Zeit ankündigenden - aufgehenden Sonne dargestellt. Im Vordergrund liegen zur Demonstration der jüngst gewonnenen Freiheit zersprengte Eisenketten. Die Figur hält die im Vormärz unterdrückte schwarz-rot-goldene Fahne in der linken Hand. Auf ihrem Haupt trägt sie einen Eichenlaubkranz als Sinnbild deutscher Treue, Standfestigkeit und nationaler Einheit, und in ihrer rechten Hand das Wehrhaftigkeit symbolisierende Reichsschwert, um das ein Ölzweig als Zeichen der Friedfertigkeit der deutschen Nation rankt. Ihre Brust ziert der in Schwarz auf Gold mit roten Zungen dargestellte Doppeladler des Heiligen Römischen Reiches.
Da die Wahlen in einer Reihe von Regionen mit überwiegend nicht-deutscher Bevölkerung boykottiert wurden, wählten nur 585 statt der amtlich vorgegebenen 649 Wahlkreise Abgeordnete in die erste deutsche Nationalversammlung. Aufgrund des vorzeitigen Ausscheidens zahlreicher Parlamentarier und des Nachrückens gewählter Ersatzmänner erhöhte sich die Zahl der Abgeordneten insgesamt auf 809 Personen. Allerdings waren die 585 nominellen Mitglieder nie vollzählig in der Paulskirche versammelt. In der Regel nahmen 400 bis 450 an den - außer sonn- und feiertags - täglich stattfindenden Sitzungen teil, wenn wichtige Abstimmungen, etwa über die Reichsverfassung, anstanden, auch bis zu 540. Die öffentlichen Plenarsitzungen begannen um 9 Uhr morgens und dauerten in der Regel vier Stunden. Die Verhandlungen wurden vom Präsidenten oder einem der beiden Vizepräsidenten der Nationalversammlung geleitet. Ihnen zur Seite standen acht aus der Versammlung gewählte Schriftführer, die für die Protokollführung sowie die Aufzeichnung und Kontrolle der Abstimmungen zuständig waren. Präsident, Vizepräsidenten und Schriftführer bildeten gemeinsam das Präsidium, dem neben der ordnungsgemäßen Durchführung der Sitzungen die Geschäftsführung der Nationalversammlung oblag. Es wurde dabei von einem kleinen Verwaltungsapparat, dem so genannten "Büro", unterstützt, das von den Schriftführern beaufsichtigt wurde und in angemieteten Räumen am Kornmarkt residierte. Auch für kleinere Besprechungsrunden und die Sitzungen der 28 Ausschüsse und Kommissionen, die zumeist nachmittags tagten, mussten angesichts fehlender Raumkapazitäten in der Paulskirche in der ganzen Stadt verstreut Räume angemietet werden. Unter anderem wurden Ausschusssitzungen und Besprechungen der Parlamentarier in den nahe gelegenen Räumen des "Evangelischen Vereins zur Förderung christlicher Erkenntnis und christlichen Lebens" oder im Sitzungszimmer des lutherischen Gemeindevorstands abgehalten. Die Vor- und Nachbereitung der parlamentarischen Arbeit mussten die Abgeordnete privat organisieren, da seitens des Parlaments keine Arbeitsräume zur Verfügung gestellt wurden. Zum eher informellen Gedanken- und Meinungsaustausch trafen sich Abgeordnete und politisch interessierte Persönlichkeiten nicht nur in den zahlreichen Gasthäusern der Stadt, sondern auch in den - zumeist von Damen des gehobenen Frankfurter Bürgertums geführten - Salons.
In der zunächst politisch nur wenig strukturierten Nationalversammlung fanden sich politisch Gleichgesinnte erst nach und nach zusammen. In Anlehnung an die Gepflogenheiten der französischen Assemblée nationale gingen die Abgeordneten dann dazu über, sich entsprechend ihrer politischen Gesinnung im Plenum zu platzieren, wobei analog zu der in vier Blöcken arrangierten Bestuhlung der Paulskirche zunächst zwischen der Rechten und Linken sowie zwischen dem rechtem und linken Zentrum differenziert wurde. Um sich über die anstehenden Fragen auszutauschen und das weitere parlamentarische Vorgehen zu planen, schlossen sich Abgeordnete mit gemeinsamen politischen Überzeugungen und Zielen später zu parlamentarischen Klubs zusammen, die sich regelmäßig abends in verschiedenen Frankfurter Gaststätten trafen. Die nach ihren Versammlungslokalen benannten Klubs gelten als frühe Form der Fraktionen. Sie organisierten das Abstimmungsverhalten ihrer Mitglieder und schlossen sich bei bestimmten Streitfragen mit ähnlich gesinnten Klubs zu Abstimmungskoalitionen zusammen. Auch wenn die Klubs noch nicht die organisatorische Stabilität heutiger Fraktionen besaßen, Neubildungen und Zusammenschlüsse ebenso häufig auf der Tagesordnung standen wie häufige Wechsel zwischen den Klubs und zahlreiche Abgeordnete unorganisiert blieben, haben sie die programmatische wie organisatorische Ausbildung des deutschen Parteien- und Fraktionswesen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich vorgeprägt.
Als sich nach Ablehnung der Kaiserwürde durch den preußischen König Friedrich-Wilhelm IV. immer stärker abzeichnete, dass das Verfassungswerk der Paulskirche angesichts des Erstarkens der monarchisch-restaurativen Kräfte zum Scheitern verurteilt war, begann sich die Nationalversammlung allmählich aufzulösen. Ein Teil der Abgeordneten wurde wie die Österreicher am 5. April 1849 und die Preußen am 14. Mai von ihren jeweiligen Regierungen abberufen, andere wie Heinrich von Gagern und die Unterstützer einer konstitutionellen Erbmonarchie unter preußischer Führung schieden aus Einsicht in die Vergeblichkeit weiterer Bemühungen freiwillig aus. Am 30. Mai 1849 beschlossen die verbliebenen 135, mehrheitlich der Linken zuzurechnenden Abgeordneten in der Hoffnung auf Unterstützung durch die württembergische Regierung die Nationalversammlung nach Stuttgart zu verlegen. Dort tagte das so genannte "Rumpfparlament" vom 6. bis 18. Juni 1849 in unterschiedlichen Tagungslokalen insgesamt noch sechs Mal, und zwar im Halbmond-Saal der Abgeordnetenkammer des württembergischen Landtag sowie in den Sälen der Brauerei August Kolb in der Militärstraße, des Reithauses Fritz in der Kasernenstraße und des Hotels Marquardt in der Königstraße. Die gewaltsame Auflösung des Rumpfparlaments am 18. Juni durch württembergisches Militär besiegelte das definitive Ende der ersten Deutschen Nationalversammlung.
Die Paulskirche wurde im Oktober 1852 der evangelisch-lutherischen Gemeinde wieder zurückgegeben und seitdem bis zu ihrer fast völligen Zerstörung im März 1944 für Gottesdienste genutzt. Wegen ihrer großen Bedeutung als "Wiege der deutschen Demokratie" (J. F. Kennedy) erfolgte ihr Wiederaufbau in "zeitgemäß vereinfachter Gestalt" (Brockhoff-Hills) schon kurz nach Kriegsende. Zur Hundertjahrfeier der Eröffnungssitzung der ersten Nationalversammlung am 18. Mai 1948 wurde sie als politische Gedenkstätte sowie als Versammlungsort für besondere Festakte und bedeutende Preisverleihungen eingeweiht. Wie kein anderer Ort symbolisiert die Frankfurter Paulskirche bis heute das Streben der deutschen Nation nach nationaler Einheit und demokratischer Freiheit.