Navigationspfad: Startseite > Dokumente & Recherche > Datenhandbuch > 10. Gesetzgebung > 10.5 Bundestag und Bundesverfassungsgericht
Stand: 31.3.2010
In Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen unterschiedliche Möglichkeiten einer Beteiligung des Deutschen Bundestages. Neben den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) finden sich die verfahrensrechtlichen Vorschriften im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) und in der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts (GO-BVerfG). Der Bundestag kann an bestimmten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht als Antragsteller oder Antragsgegner unmittelbar beteiligt sein. Darüber hinaus kann er bestimmten Verfahren beitreten. Mit einem Beitritt erlangt der Bundestag die Stellung eines Verfahrensbeteiligten. Verfahrensbeteiligte können unter anderem Anträge – z. B. auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung – stellen, Akteneinsicht nehmen oder Fragen an Zeugen oder Sachverständige richten. Schließlich kann oder muss das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag vor einer Entscheidung in bestimmten Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme geben. In der Praxis sind das Organstreitverfahren, die Verfahren der abstrakten und konkreten Normenkontrolle sowie Verfassungsbeschwerden für den Bundestag von besonderer Bedeutung. Auf diese drei Verfahren soll im Folgenden kurz eingegangen werden.
Das Organstreitverfahren (Registerzeichen BvE) ist ein Verfahren zwischen obersten Bundesorganen über die ihnen durch das Grundgesetz zugewiesenen Kompetenzen. Der Bundestag kann in diesem Verfahren sowohl Antragsgegner als auch Antragsteller sein. Parteifähig sind auch einzelne Abgeordnete sowie mit eigenen Rechten ausgestattete Organteile, wie Fraktionen und Ausschüsse, die eine Verletzung eigener Verfassungsrechtspositionen geltend machen können. Fraktionen können darüber hinaus im Wege der Prozessstandschaft die verfassungsmäßigen Rechte des Gesamtorgans Deutscher Bundestag auch gegen dessen Mehrheit geltend machen. Der Bundestag kann gemäß § 65 BVerfGG einem Organstreitverfahren zwischen anderen obersten Bundesorganen beitreten, soweit die Entscheidung auch für die Abgrenzung seiner Zuständigkeiten von Bedeutung ist. Das Bundesverfassungsgericht stellt in der Entscheidung eines Organstreitverfahrens mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen das Grundgesetz verstößt. Eine solche Feststellungsentscheidung hat jedoch keine unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung.
Die Normenkontrollverfahren dienen der Prüfung einer Rechtsnorm auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, insbesondere der Vereinbarkeit formeller Gesetze mit dem Grundgesetz. Die abstrakte Normenkontrolle (Registerzeichen BvF) ist ein objektives Verfahren zum Schutz der Verfassung. Der Antrag auf Entscheidung in einem solchen Verfahren muss nicht auf einen „konkreten“ Fall bezogen sein. Bei diesem Verfahren ist der Bundestag als solcher nicht antragsberechtigt. Die Berechtigung, eine abstrakte Normenkontrolle zu initiieren, ist vielmehr als Minderheitenrecht ausgestaltet und steht einem Drittel der Mitglieder des Bundestages zu. Dem Bundestag wird in abstrakten Normenkontrollverfahren gemäß § 77 BVerfGG eine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Grund dafür ist, dass die mögliche Nichtigerklärung eines Gesetzes in einem solchen Verfahren einen Eingriff in die Zuständigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers bedeutet.
Im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle (Registerzeichen BvL) legt ein Gericht dem Bundesverfassungsgericht ein in einem konkreten Fall, über den es zu entscheiden hat, entscheidungserhebliches Gesetz zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit vor, wenn es dieses Gesetz für verfassungswidrig hält. Auch in konkreten Normenkontrollverfahren wird dem Bundestag gemäß §§ 82 Abs. 1, 77 BVerfGG stets die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Darüber hinaus kann der Bundestag einem konkreten Normenkontrollverfahren gemäß § 82 Abs. 2 BVerfGG beitreten.
Stellt das Bundesverfassungsgericht in einem Normenkontrollverfahren fest, dass die überprüfte Norm mit höherrangigem Recht unvereinbar ist, so erklärt es die Norm gemäß §§ 82 Abs. 1, 78 BVerfGG für nichtig. Entscheidungen in Normenkontrollverfahren sind damit unmittelbar rechtsgestaltend; auch ihnen kommt Gesetzeskraft zu.
Eine Verfassungsbeschwerde (Registerzeichen BvR) kann „jedermann“ wegen Verletzungen seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte durch die öffentliche Gewalt, also grundsätzlich auch durch den parlamentarischen Gesetzgeber, erheben. Gemäß §§ 94 Abs. 4, 77 BVerfGG ist dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, nach § 94 Abs. 5 BVerfGG kann er einer Verfassungsbeschwerde auch beitreten. Gibt das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz statt, erklärt es das Gesetz gemäß § 95 Abs. 3 BVerfGG für nichtig.
Quelle: Deutscher Bundestag, Sekretariat Rechtsausschuss (ab 15. Wahlperiode: Matthias Köngeter und Giannina Kreutz).
Angaben für den Zeitraum bis 1990 s. Datenhandbuch 1949 – 1999, Kapitel 11.12.