Geschäftsordnung des Bundestages ©
DBT/Zander
Die Plenarsitzungen - Einberufung, Tagesordnung, Leitung,
Rederechte
Die Sitzungen des Bundestagsplenums sind öffentlich. Das
Grundgesetz lässt jedoch zu, dass mit einer
Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten die
Öffentlichkeit im Einzelfall ausgeschlossen (und damit auch
die Fernsehübertragung unterbrochen) wird; die
Geschäftsordnung trägt dem Rechnung.
Termin und Tagesordnung der Plenarsitzungen werden vom
Ältestenrat vereinbart oder vom Bundestag vorher beschlossen
oder - das ist die dritte Möglichkeit - vom Präsidenten
festgesetzt, falls das Plenum ihn dazu ermächtigt hat oder
sich ein dringender Grund ergibt. Wird der Präsident von sich
aus tätig, muss er die Einberufung nachträglich
genehmigen lassen. Verpflichtet ist der Präsident zur
Einberufung allerdings, wenn ein Drittel der Abgeordneten, der
Bundeskanzler oder der Bundespräsident dies verlangen.
Die Festlegung der Tagesordnung dient dazu, die Abgeordneten vor
Überraschungen, etwa unvorhergesehenen Abstimmungen zu
bewahren. Die Änderung einer angekündigten Tagesordnung
kann jeder Abgeordnete bis 18 Uhr des Vortages beantragen, -
aussichtsreich ist ein solcher Antrag jedoch nur, wenn ihn eine
Fraktion stellt. Mit dem Eintritt in die Tagesordnung sind
Änderungen in der Regel nicht mehr möglich. Ausnahmen
bewirkt die Mehrheit, wenn sie einen Punkt von der Tagesordnung
nehmen will. Die Aufnahme neuer Themen ist möglich, wenn ein
Einvernehmen darüber zustande kommt und eine Minderheit in
Fraktionsstärke (fünf Prozent der Mitglieder) dem nicht
widerspricht. Nicht mehr so lange wie ehedem lassen sich die
Antragsteller aus der Mitte des Hauses vertrösten: die
früher sechs Sitzungswochen lange Frist zur Erzwingung der
Aufnahme eines Antrages auf die Tagesordnung wurde 1995 auf drei
Kalenderwochen verkürzt.
Recht schnell kann der Präsident in dem Fall reagieren, dass
bei einem Punkt die Beschlussunfähigkeit des Hohen Hauses
festgestellt wurde: er kann die Sitzung noch für denselben Tag
neu einberufen. Allerdings ist es schwer auszumachen, wann der
Bundestag tatsächlich beschlussunfähig und wann er in
Wirklichkeit beschlussunwillig ist.
Der Präsident - bei der Leitung der Beratungen sind
Präsident und Vizepräsidenten gleichberechtigt -
"eröffnet, leitet und schließt" die Sitzungen. Über
jeden Verhandlungsgegenstand auf der Tagesordnung ist in der Regel
eine Aussprache zu eröffnen, wobei verwandte Themen
miteinander verbunden werden dürfen. Sind keine weiteren
Redner mehr angemeldet, so erklärt der Präsident die
Debatte für geschlossen. Auch das Plenum kann auf Antrag einer
Fraktion oder einer bunten Gruppe in der Mindestzahl einer Fraktion
den Schluss der Debatte beschließen, allerdings erst, wenn
jede Fraktion einmal zu Wort gekommen ist.
Mit Ausnahme der Zwischenrufe ergreifen Mitglieder des Bundestages
nicht das Wort, sondern sie erhalten es auf Antrag (bei den
Schriftführern) durch den Präsidenten. Dies gilt für
die Reden, aber auch für Einwürfe zur
Geschäftsordnung oder für "kurze" Erklärungen. Will
ein Abgeordneter sein Abstimmungsverhalten erläutern, dann
erhält er "in der Regel" dazu noch vor der Abstimmung die
Gelegenheit. Das Recht, das Wort zu erteilen, gibt der
Präsident dann an den Redner weiter, wenn ein Zwischenfrager
dessen Redefluss unterbrechen würde. Die Reden werden vom
Rednerpult aus gehalten, Erklärungen und Zwischenbemerkungen
werden in ein Saalmikrofon gesprochen. Will der Präsident
selber zu einer Sache sprechen, so gibt er - mit Ausnahme von Reden
oder Erläuterungen in seiner Eigenschaft als
Sitzungpräsident - die Leitung der Sitzung ab und setzt von
seinem Abgeordnetenplatz aus zum Debattenbeitrag an.
Nach der Geschäftsordnung bestimmt der Präsident die
Reihenfolge der Redner, im Alltag aber vereinbaren dies die
Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen.
Übung ist, dass man sich auf die Gesamtzeit für die
Behandlung eines Tagesordnungspunktes einigt, und diese Gesamtzeit
dann auf die einzelnen Fraktionen im ungefähren
Verhältnis zu ihrer Stärke verteilt. Beschnitten ist die
Gestaltungsfreiheit des Präsidenten auch dadurch, dass die
Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrates "sowie ihre
Beauftragten" laut Grundgesetz auf ihr Verlangen "jederzeit"
gehört, also ihre Reden entgegengenommen werden müssen.
Mit dem Rederecht der Regierungsvertreter korrespondiert das Recht
der Fraktionen oder eines Zwanzigstels der Abgeordneten auf
Herbeirufung des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers.
Die Geschäftsordnung hat auch für den seltenen Fall
vorgebaut, dass sich der Ältestenrat einmal nicht einigen
könnte. Dann gilt die Regel: Sprechen Regierungsvertreter
länger als 20 Minuten, so kann eine Fraktion, die eine
abweichende Auffassung vortragen will, eine gleichlange Redezeit
verlangen. Ansonsten beträgt, die Redezeit gewöhnlich 15
Minuten: für jeden Abgeordneten, es sei denn, eine Fraktion
hätte für einen ihrer Redner bis zu 45 Minuten verlangt.
Dementsprechend verlängern sich meist auch die Ansprüche
der anderen Fraktionen. In solchen Fällen kann der
Präsident die Debattendauer insgesamt verlängern.
Ergreift nach dem Schluss einer Aussprache ein Regierungs- oder
Bundesratsmitglied noch einmal zum selben Thema das Wort, dann ist
die Aussprache für die Abgeordneten wieder eröffnet. Es
ist aber nicht zwingend, dass letztere tatsächlich davon
Gebrauch machen.
Überschreitet jedoch ein Redner bei irgendeiner Gelegenheit
die ihm vorher zugemessene Zeit, so "soll" ihm der Präsident
nach einmaliger Mahnung "das Wort entziehen". Des Weiteren muss der
Präsident dieselbe Sanktion ergreifen, wenn ein Redner trotz
Mahnung dreimal von der Sache abgewichen oder dreimal wegen
ausfälliger Äußerungen zur Ordnung gerufen worden
ist.
Wegen "gröblicher Verletzung der Ordnung" kann der
Präsident einen Abgeordneten auch ohne Vorwarnung, aber mit
sofortiger Wirkung aus dem Plenarsaal verweisen. Dieser Ausschluss
aus der Parlamentsarbeit einschließlich der Ausschüsse
kann sich sogar auf einen längeren Zeitraum erstrecken; dabei
erleidet der Abgeordnete auch finanzielle Einbußen, weil er
als nicht anwesend gilt. Der Ordnungsruf und der Ausschluss
können auf Antrag des Betroffenen am nächsten
Plenarsitzungstag vom Bundestag aufgehoben werden. Eine Aussprache,
in der die Kollegen über den Gemaßregelten und dessen
Tat streiten könnten, darf dabei nicht stattfinden.