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Das Parlament beschließt Gesetze und Anträge, im Plenum und in den Ausschüssen wird um Inhalte gerungen. Damit der Bundestag sein Arbeitspensum bewältigen kann, müssen Sitzungen und Debatten, Initiativen und Redebeiträge vorbereitet werden. Termine abstimmen, planen, koordinieren, beraten - das ist Aufgabe der Mitarbeiter in den Fraktionen. Ein Blick hinter die Kulissen, in den Arbeitsalltag der Referenten.
Es ist gespenstisch still während der sitzungsfreien Zeit des Parlaments in den Gängen des Jakob-Kaiser-Hauses im Berliner Parlamentsviertel. "In Sitzungswochen geht es hier zu wie in einem Bienenstock", sagt Tillmann Löhr. Er ist Referent in der Arbeitsgruppe Inneres der SPD-Fraktion.
Seine Themenschwerpunkte sind vor allem Asylpolitik, Ausländerrecht und Migrationspolitik. Über seinem Schreibtisch hängt eine Weltkarte - damit er einen Überblick hat, wenn in Sri Lanka wieder Bürgerkrieg ausbricht oder eine Flüchtlingsbewegung in Somalia entsteht.
Bevor er in Berlin in die Fraktionsarbeit einstieg, verließ er seine Unistadt Göttingen, um während seiner Wahlstation des Jura-Referendariats in dem UNHCR-Büro in Berlin zu arbeiten. Die Einblicke in dieser Unterorganisation der Vereinten Nationen für Flüchtlingspolitik schärften sein Interesse für das Schicksal der Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen und Hilfe benötigen.
Er schrieb seine Doktorarbeit über "Kinderflüchtlinge" in Frankfurt am Lehrstuhl für Europa- und Völkerrecht und lehrte über Menschenrechte, Migration und Flucht. Dann bot sich die Möglichkeit, in das Büro des SPD-Abgeordneten Rüdiger Veit zu wechseln, des Berichterstatters über Flucht, Migration und Integration.
Löhr entschied sich bewusst gegen die wissenschaftliche Karriere, bewarb sich und erhielt die Zusage. "Ich hatte schon immer einen politischen Ansatz in Jura: Was läuft schief? Was müsste man ändern, damit es besser läuft?"
Manchmal gibt es Augenblicke in seinem neuen Job als Referent im Innenausschuss, in denen Löhr weiß, er hat ein bisschen was bewegt. So wie beim Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz. Dieses von der Regierung eingebrachte Gesetz landete im September 2008 auf seinem Schreibtisch und sollte die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt verbessern helfen.
Unter den Änderungen, die Löhr den verhandelnden SPD-Abgeordneten vorschlug, war auch ein Punkt, der ihm sehr wichtig war: "Wir wollten jungen Geduldeten ihre Ausbildungsmöglichkeit erleichtern. Also forderten wir für sie BAföG beziehungsweise Ausbildungsbeihilfe."
Diese Leistungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des dritten Sozialgesetzbuches waren Menschen bisher verwehrt, die keinen Aufenthaltstitel haben und noch nicht abgeschoben werden können, "legale Illegale" nennt Löhr sie. Nach seiner Darstellung gehören zur prekären Situation dieser rund 100.000 eine "sehr rudimentäre Gesundheitsversorgung" und Sozialleistungen von 30 Prozent unter Hartz-IV-Leistungen.
Nachdem der Regierungsentwurf in der ersten Lesung in den Innenausschuss, den Ausschuss für Arbeit und Soziales und weitere Ausschüsse überwiesen worden war, stritten sich die Fachpolitiker dort in den Koalitionsrunden über Änderungen der Kabinettsvorlage: "Es war ein harter Kampf. Um deine Forderungen durchzubringen, musst du manchmal Kröten von der anderen Seite schlucken", erinnert sich Löhr.
Das Gesetz wurde schließlich im November 2008 vom Bundestag verabschiedet - in der geänderten Fassung. "Da bin ich abends nach Hause gegangen und dachte: Irgendwo da draußen sind geschätzte 10.000 junge Geduldete, die jetzt eine Ausbildung machen können. Das kann ihnen den Weg zu einer Aufenthaltserlaubnis ebnen - und das war den ganzen Stress wert."
Zu seiner Arbeit als Referent gehören aber auch oft frustrierende Momente: "Meine Bereiche, insbesondere das Asylrecht, sind in der Großen Koalition ideologisch umkämpft und Veränderungen nur schwer möglich." Zu seinen Aufgaben zählen auch koordinierende Tätigkeiten, die manchmal jedoch eher einem Jonglieren mit zehn Bällen gleichen. "Die Terminkalender von fünf Abgeordneten abzustimmen ist manchmal quasi unmöglich."
Dann treffen sie sich auch mal in den Gängen vor dem Plenarsaal während einer Bundestagssitzung, weil das der einzige Termin in der Woche ist, an dem alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein können. Da wird das Bild von der zweiten Reihe virulent.
Er kann sich nicht vorstellen, irgendwann einmal ins Rampenlicht zu wechseln als Abgeordneter oder Bundeskanzler. "Ich finde die zweite Reihe attraktiver, weil ich mich da intensiver mit den Inhalten beschäftigen kann. Wir sind eher Impulsgeber und Einflüsterer."
Oft klingelt bei ihm das Telefon, und eine Abgeordnete fragt Löhr vor einer Podiumsdiskussion nach dem neuesten Stand in der Integrationsdebatte oder ein Lokalpolitiker braucht die neuesten Flüchtlingszahlen. "Zentralisierter Sachverstand" nennt Löhr scherzhaft seine Rolle als Ansprechpartner für seine Fraktion. Auf der Fensterbank liegen Reiseführer "Gebrauchsanweisung für Polen" - denn er organisierte zuletzt in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt eine Delegationsreise zur europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Warschau.
Ein Aufkleber an seinem Schrank "No More Deaths" erinnert an eine Nichtregierungsorganisation (NGO) aus Arizona, mit der er einen Informationsaustausch mit SPD-Migrationsexperten realisierte. Sie versorgt Flüchtlinge aus Mexiko in der Wüste von Arizona mit Wasser, um sie vor dem Verdursten zu bewahren.
Auch mit den Menschenrechtsorganisationen Amnesty International oder Pro Asyl tauscht er sich aus. "Wie intensiv diese Zusammenarbeit mit NGOs aussieht, ist aber abhängig von der eigenen Bereitschaft." Dienst nach Vorschrift ist nicht sein Ding.
Wenn Löhr mal durchatmen will, geht er zu seinem Lieblingsort in der parlamentarischen Architekturlandschaft: der Brücke über die Spree zwischen dem Paul-Löbe- und dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Parlamentsviertel. "Beamtenlaufbahn" wird sie von den Bundestagsmitarbeitern auch im Spaß genannt. Für Löhr ist sie eine willkommene Pause auf dem Weg in die Bibliothek.