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Als erstes Gesetz der rund zwei Monate währenden neuen Legislaturperiode hat der Bundestag am Freitag, 4. Dezember 2009, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ( 17/15, 17/138, 17/147) verabschiedet. 322 Abgeordneten votierten in namentlicher Abstimmung (Ergebnisse) für das von Union und FDP eingebrachten Entwurf, 246 dagegen. Keine Zustimmung fand dagegen ein Antrag von Bündnis/Die Grünen ( 17/16). Abgelehnt wurden auch sechs Änderungsanträge der Opposition zum Gesetzentwurf, über die der Bundestag teilweise ebenfalls in namentlicher Abstimmung entschied ( 17/148, 17/149, 17/151, 17/154, 17/155, 17/158, 17/159).
Die Opposition hatte in der 90-minütigen Debatte vor der Abstimmung das Wachstumsbeschleunigungsgesetz scharf attackiert: Es sei untauglich, die Konjunktur anzukurbeln und Wachstum zu erzeugen, bemängelten Redner von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen unisono. Stattdessen reiße die Koalition mit diesem Steuergesetz "tiefe Löcher" in die öffentlichen Haushalte, verschärfe die soziale Ungerechtigkeit im Land und erzeuge außerdem mehr Bürokratie.
Dr. Hans Michelbach (CDU/CSU) lobte als erster Redner der Debatte das Gesetz ausdrücklich: Es bringe insgesamt 22 Milliarden Euro Entlastung. Damit würden an wichtiger Stelle Impulse gesetzt, die die Unternehmen und die Konsumnachfrage im Land stärkten. Die Koalition beweise damit in Krisenzeiten "schnelle und entschlossene Handlungsfähigkeit".
Ziel des Gesetzes sei es, das Wirtschaftswachstum zu fördern, denn ohne gebe es "keine Nachfrage, keine Arbeitsplätze und keine Investitionen". Besonders betonte der Abgeordnete die steuerlichn Entlastung für Familien: Die Erhöhung des Kindergeldes um 20 Euro sei eine "sozial ausgewogene" Entscheidung.
Aber auch die Erhöhung der Steuerfreibeträge für Familien gibt aus seiner Sicht keinen Anlass für eine "Neiddebatte". Auch den Vorwurf der "sozialen Kälte" wies Michelbach zurück. Das Gesetz ermögliche steuerliche Entlastungen nach dem Leistungsprinzip. "Leistung soll sich wieder lohnen", bekräftigte der Unionspolitiker.
Nicolette Kressl (SPD) ging die Koalition scharf an: Die Menschen im Land hätte ein Gesetz erwarten können, dass wirklich wirtschaftliche Impulse setze, Kommunen stärke und für soziale Gerechtigkeit sorge. "Nichts davon macht aber Ihr Gesetz", sagte Kressl mit Blick zur Regierungsbank.
Selbst die Sachverständigen seien sich einig: "Es setzt so gut wie keine Wachstumsimpulse!" Stattdessen befriedige es Einzelinteressen, schaffe mehr Bürokratie und nehme den Kommunen durch die zu erwartenden Steuerausfälle die Chance, Zukunftsinvestitionen zu tätigen, monierte die SPD-Abgeordnete.
Heftig attackierte sie die Erhöhung des Steuerfreibetrags: Dies führe dazu, dass Spitzenverdiener doppelt so viel Geld behalten könnten wie Normalverdiener. "Goldene Zeiten für reiche Eltern", sagte Kressl und zitierte damit einen Beitrag in der "Financial Times".
Auch die Mehrwertsteuersenkung für das Beherbergungsgewerbe kritisierte sie: Diese bringe nicht mehr Wachstum, koste aber jährlich eine Milliarde Euro. "Und nur, weil die CSU im Wahlkampf eine Mehrwertsteuersenkung versprochen hat und Sie das Gesicht wahren wollen, nehmen Sie jetzt Länder und Kommunen in Geiselhaft! Das ist unseriös!"
Carl-Ludwig Thiele (FDP) betonte, Deutschland befinde sich immer noch in der schwersten Krise seit 60 Jahren; zu Beginn des Jahres sei das Wachstum um sechs Prozent eingebrochen. Dies bedeute Einnahmeneinbrüche für die öffentlichen Haushalte, aber am schwersten treffe die Krise die Bürger: "Und wer redet von denen?"
Es seien aber gerade die Menschen, für die Union und FDP Politik machen wollten. Daher entscheide man nun über ein Gesetz, dass die Bürger steuerlich entlasten und das Wachstum stabilisieren solle. Denn nur ein Prozent mehr werde auch wieder viel Geld in öffentliche Haushalte spülen.
Thiele hob besonders die Korrekturen in der Erbschaftsteuerreform hervor: Damit würden nun endlich wieder Geschwister bessergestellt. Dass sie vorher behandelt worden seien wie "völlig Fremde", entspreche nicht dem Gesellschaftsbild der FDP. Auch die Mehrwertsteuersenkung in der Hotellerie befürwortete der Liberale: So würden deutsche Unternehmen mit den Nachbarländern gleichgestellt.
Dr. Gregor Gysi, Vorsitzender der Linksfraktion, spottete: Wachstum bringe das Gesetz nur für Reiche - "und das beschleunigt", aber sonst werde es die Wirtschaft nicht ankurbeln. Gysi bemängelte insbesondere die Erhöhung des Kinderfreibetrags.
Aber auch, dass die Kindergelderhöhung nicht bei Hartz-IV-Familien ankomme, da diesen das Geld wieder von ihren Bezügen abgezogen werde, kritisierte er scharf: "Ich kann nicht erklären, warum ich für meine Kinder 40 Euro erhalte und ein Hartz-IV-Empfänger gar nichts. Können Sie es?" fragte Gysi in Richtung der Koalitionsfraktionen.
"Immer wieder sagen Sie, dass steuerliche Entlastungen zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen - aber Sie glauben es doch selber nicht." Stattdessen rissen die Entlastungen "tiefe Löcher" in die öffentlichen Kassen - und dort fehle dann das Geld für Investitionen, für Kultur oder Sport."
Gysi forderte statt Steuerentlastungen die Einführung eines Spitzensteuersatzes und einer Vermögenssteuer: "Statt einer Umverteilung von unten nach oben brauchen wir endlich eine Umverteilung von oben nach unten!"
Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) geißelte den Gesetzentwurf als "Schuldenbeschleunigungsgesetz mit Elementen von Willkür, Bürokratie und sozialer Ungerechtigkeit". Außerdem handele es sich auch gar nicht, wie propagiert, um Konjunkturpolitik, hob der Grüne hervor, sonst würden die Maßnahmen in ihrer Laufzeit begrenzt werden.
Kuhn kritisierte wie sein Vorredner Gysi, dass die Kindergelderhöhungen an 1,8 Millionen Kindern vorbeigingen. Wer sich nicht vorstellen könne, wie dies bei den Familien aufgenommen werde, dem fehle jedes "Verständnis" und jede "soziale Legitimation".
Die Mehrwertsteuersenkungen für das Beherbergungsgewerbe nannte der Abgeordnete zudem "irrationales Zeug", die nur die Bürokratie fördere. "Sieht so ein einfacher Steuersatz aus?", fragte Kühn in Richtung der FDP, die er im dann scharf anging: Sie habe mit "betrügerischen Versprechen" Wahlkampf gemacht. Nun aber zeige sich, dass sie von "A-Z gescheitert" sei. Insgesamt könne man das Gesetz nur "unseriös" nennen, da die Entlastungen komplett "auf Pump" finanziert seien.