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Carlfriedrich Claus, ein in der DDR in die innere Emigration
gedrängter Künstler, hat vor der Abgeordnetenlobby auf
der Höhe der Besucherebene seinen "Aurora-Experimentalraum"
realisiert. Der Künstler hatte noch kurz vor seinem Tod die
Installation seiner Arbeiten bestimmen können.
Carlfriedrich Claus hat seine vom Mystizismus, von der Kabbala
und von marxistischer Philosophie geprägten Gedankengänge
auf Pergament oder Glastafeln sowohl auf deren Front- als auch auf
deren Rückfläche notiert. Diese Schriftzüge verengen
und überschneiden sich fortlaufend zu Schriftgestalten,
eigenen Gestaltungen also, denen sowohl Schrift- als auch
Bildcharakter eigen ist. Seine "Sprachblätter" beispielsweise
kristallisieren sich als Ergebnis eines philosophischen
Gedankengangs heraus: Der Künstler notiert auf der Vorderseite
des Blattes mit der rechten Hand die These, auf der Rückseite
mit der linken Hand die Antithese, und erst der Blick auf das gegen
das Licht gehaltene Pergamentpapier ergibt die Vereinigung zur
Synthese.
Die kleinformatigen Arbeiten aus der Grafik-Folge "Aurora", die
auf der Plenarsaalebene in einer Vitrine als Faksimile ausliegen,
ließ er für das Reichstagsgebäude als Fotofilm auf
Acryl-Platten aufbringen. Auf diese Weise wird die Wirkung der
optischen Überlagerungen und Überschneidungen seiner
Motive noch gesteigert: Wenn die Besucher an den frei im Raum
hängenden Bildtafeln vorübergehen, schieben sich die
Bildelemente der einzelnen Blätter oder Acryl-Platten
übereinander und bilden nunmehr in vier- und sechsfacher
Überlagerung eine neue Schrift-Räumlichkeit, von der sich
der Künstler einen noch eindrucksvolleren Bezug zu seinen
"visuellen Spannungsfiguren" erhofft.
Carlfriedrich Claus verstand sich selbst als überzeugten Kommunisten. Aber im Gegensatz zum dogmatischen Schulmarxismus beharrte er so entschieden auf einem mystisch verstandenen utopischen Charakter der Ideologie, dass er sich die Gegnerschaft des SED-Regimes zuzog. Mit dem "Aurora-Raum", der das Morgendämmern der Utopie verkünden soll, will er seiner Sehnsucht "nach der Aufhebung des Entfremdetseins von sich selbst, von der Welt und von den anderen Menschen" Ausdruck verleihen.
Auf Bildtafeln übertragen, ragen diese symbolhaften Zeichen einer "skripturalen Poesie", erwachsen aus träumerischem Grübeln und poetischem Philosophieren, in den Raum. So hat Carlfriedrich Claus einen ganz eigenen und sich jeder kunsthistorischen Einordnung entziehenden Weg zwischen Poesie, Philosophie, Mystik und Schriftkunst gefunden.
geboren 1930 in Annaberg, gestorben 1998 in Chemnitz.
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages