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"Doppel-Skulptur-Boden-Relief": Der Granit für die Arbeit Rückriems stammt aus der Normandie © DBT/Friedrich Rosenstiel
Im südlichen Innenhof des Reichstages liegen zwei
Bodenskulpturen von Ulrich Rückriem, die durch ihre
Proportionen und ihre Konzeption die Architektur des Innenhofs
kommentieren und gedanklich weiterentwickeln. Der Künstler hat
für seine Skulpturen zwei Krusten von einem Granitrohblock aus
der Normandie abtrennen lassen und sie jeweils vertikal in
fünf Teile geschnitten. Alle Teile wurden, dem Fugenraster des
Innenhofbodens folgend, wieder zu ihrer ursprünglichen Form
zusammengefügt, die mittlere Platte jedoch wurde gefräst,
geschliffen und poliert. Diese Platte zeigt dadurch einen
blau-grauen Ton und spiegelt wie Wasser, sodass die sie
einfassenden rostfarben-grauen Teilstücke ihrerseits wie eine
Brunnenfassung wirken. So setzt Rückriem dem aus bearbeiteten
Steinen gefügten Innenhof die Ursprünglichkeit einer
unbearbeiteten Granitkruste entgegen und führt damit den
Entwurf des Architekten des alten Reichstagsgebäudes, Paul
Wallot, konsequent weiter.
Wallot hatte das untere Geschoss im Innenhof mit so genannten
bossierten Steinen markiert, deren unregelmäßige,
scheinbar unbearbeitete Oberfläche wenigstens den Eindruck
rustikaler Natürlichkeit erzeugen soll. Die unbearbeiteten
Krusten der Granitplatte von Rückriem hingegen verkörpern
tatsächlich eine solche Ursprünglichkeit. Zugleich wird
für den Betrachter der Skulpturen der künstlerische
Prozess der Bearbeitung des Naturmaterials Granit nachvollziehbar.
So sind an den Außenrändern noch die Reste der
Spaltlöcher erkennbar, an denen der Granitblock aus dem Fels
getrennt wurde, und das Entgegensetzen von bearbeitetem und
unbearbeitetem Material enthüllt die Materialqualitäten
des Granits.
Ulrich Rückriem absolvierte zunächst eine Steinmetzlehre, zuletzt an der Dombauhütte in Köln, und errang in den 1960er- und 1970er-Jahren rasch Anerkennung als einer der führenden und konsequentesten deutschen Bildhauer. Bezog er anfangs noch Stahl und Holz in seine künstlerische Arbeit ein, so beschränkt er sich seit 1980 ausschließlich auf Stein und zuletzt auf Granit. In gleicher Weise konsequent ist seine Verweigerungshaltung gegenüber jeder inhaltlichen Vereinnahmung der Skulpturen. Vielmehr bekennt er sich ausdrücklich dazu, als "Formalist" zweckfreie Kunstwerke zu schaffen, die das Material und den handwerklichen Prozess in den Mittelpunkt stellen: "Das Material, seine Form, seine Eigenschaften und Ausmaße beeinflussen und begrenzen meine bildnerische Tätigkeit. Arbeitsprozesse müssen ablesbar sein und dürfen nicht von nachfolgenden verwischt werden. Die von mir am Material vorgenommenen Bearbeitungen bestimmen das Objekt selbst und dessen Beziehung zum neuen Standort."
So hat Rückriem mit seinen beiden Bodenskulpturen für
den südlichen Innenhof des Reichstagsgebäudes eine der
für ihn charakteristischen spröden und
zurückhaltenden Arbeiten geschaffen, die sich in bewusster
Reduktion auf die Proportionalität der Skulptur, die Wirkung
des Materials und die Veranschaulichung des künstlerischen
Werkprozesses beschränken.
geboren 1938 in Düsseldorf, lebt und arbeitet in Clonegal, Irland.
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages