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Walter Stöhrer, ein Stuttgarter Schüler von HAP
Grieshaber, siedelte im Jahr 1959 nach Berlin über. Dort fand
er zu seiner Malweise, die er als "intrapsychisch realistisch"
bezeichnete. Hierbei geht der Künstler zunächst von
Schriftzeichen und kalligrafischen Elementen aus, die er sodann mit
dynamischer Geste in expressiven Farbbahnen
übermalt.
In der vorliegenden Arbeit bildet der blaugraue Abdruck einer
Kaltnadelplatte den Bildhintergrund. Neben den Abdruck der Platte
hat Stöhrer zunächst schwarze Schriftzeichen, Figurinen
und schwungvolle Lineamente gezeichnet. Mit einem rotgelben
Farbstrudel überzieht er sodann in leidenschaftlicher
Bewegtheit Teile dieser Unterzeichnung. So entsteht ein kraftvolles
Bekenntnis zur großen expressiven Geste, das gleichwohl durch
eine feinnervige Hinterzeichnung diesen Gestus hinterfragt und
rätselhaft Abgründiges hindurchscheinen
lässt.
Stöhrer hat bis zuletzt Traditionen des Informel
fortgeführt, jedoch durch die Emotionalität seiner
Farberuptionen das Abgleiten in sich wiederholende dekorative
Schönlinigkeit vermieden. Zugleich hat er surreale Elemente
und Anklänge an die "art brut", an Kinderzeichnungen und
Arbeiten von psychisch Kranken eingebunden, genauer gesagt: seinen
Farbbahnen unterlegt, sodass beunruhigende, auf gärende
seelische Tiefenschichten verweisende Zeichen unter der
demonstrativ auftrumpfenden Farbvitalität sichtbar werden. So
erscheinen seine Arbeiten als Akte psychischer Selbstbehauptung,
als Protokolle eines lebenslangen Kampfes mit den Ungeheuern, die
der Schlaf der Vernunft gebiert.
geboren 1937 in Stuttgart, gestorben 2000 in Berlin.
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages