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Stephan Hilsberg saß am Abend des 9. November 1989 im Ost-Berliner Bezirk Mitte mit zwei Freunden in einer Kneipe. Der SPD-Politiker aus Brandenberg, der dem Bundestag von 1990 bis 2009 angehörte, erinnert sich: "Da rannte ein Nachbar vorbei, der sagte: Die Mauer ist auf. Ich habe mich nicht gewundert, hatte eigentlich schon damit gerechnet. Es hätte auch ein Abend davor oder danach sein können. Dass es der 9. November war, ist Zufall. Mir war völlig klar, man muss jetzt nicht hektisch sein, das kann man ja nicht mehr rückgängig machen. Sollen sich die anderen doch beeilen. Wir haben erst einmal darauf angestoßen und noch ein Bier bestellt.
Nach West-Berlin bin ich erst zwei Tage später, am Samstag mit meiner Frau und unseren drei kleinen Kindern im Alter von drei, fünf und sieben. Mit dem Trabi nach drüben zu fahren, zu meinem Onkel in Zehlendorf, darauf hatte ich mich besonders gefreut. Die haben schon immer gesagt: Das schaffst du nie, mit dem Trabi hier durchzukommen. Und es ging hervorragend. Die Berliner sind schnell gefahren, es gab auch mehr Autos auf den Straßen, aber ich konnte gut mithalten.
Etwas unangenehm war es, in den Schlangen die 100 West-Mark abzuholen. Ich hatte nicht das Gefühl, gegenüber West-Berlinern nicht gleichberechtigt zu sein, doch fühlte ich gleichzeitig, dass das andere nicht so sahen. Die Schokolade, die unsere Kinder bekamen, war aber ein schöner Begrüßungsakt. Wir hatten die Kinder auch in Westklamotten gepackt, sie sahen zuckersüß aus. Später kaufte meine Frau von den 500 Mark einen Geschirrspüler oder eine Waschmaschine, ich weiß es gar nicht mehr.
Ich war aber vorher schon mal in West-Berlin, ich profitierte von der Möglichkeit, Verwandte zweiten Grades zu besuchen und war als 30-Jähriger dort. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich. Die Leistungsfähigkeit der Demokratie und der Marktwirtschaft haben mich beeindruckt. Auch diese Art zu leben, damit habe ich mich eher identifiziert. Das war ein Teil von mir. Noch war ich politisch nicht aktiv, das kam später.
Wochen vor dem Mauerfall tauchte ich in die Oppositionsarbeit ein, arbeitete nur noch formal als Informatiker an der Charité. Wir bauten die SPD in der DDR auf.
Mit dem Mauerfall wurde alles noch schneller. Plötzlich gab es eine Perspektive, alles ist im Fluss. Durch meine Oppositionsarbeit hatte das Leben in der DDR einen Sinn bekommen, unabhängig von der Familie, was mich als Bürger und politischen Menschen betraf.
Die DDR habe ich zutiefst abgelehnt, dieses System war nichts Legitimes. Die DDR war eine Heimat, aber eine traurige. Eine graue Welt mit kaputten Betrieben, Straßen, Häusern, wie die Rentner leben mussten, mir taten die Menschen leid.
Dass die Mauer fallen wird, dachte ich am 4. November 89. Da lag ich mit gebrochenem Schlüsselbein nach einem Fahrradunfall zuhause und sah im Fernsehen die Masse an Demonstranten und dachte: Die kann keiner aufhalten, wenn sie zur Mauer laufen. Da sind sie ja nicht hin, aber mir war klar, das ist nur noch eine Frage der Zeit.
Tagsüber hatten wir am 9. November noch Besuch. Die Sozialistische Fraktion im Rechtsausschuss des Europaparlamentes trafen wir als erste offizielle Delegation in Ost-Berlin. Wir gingen in den Palast der Republik zur Mokka-Bar, wo man sonst nur schwer einen Platz fand. Es war schon gespenstisch und phantastisch zugleich, dass die DDR uns nicht mehr aufgehalten hat. Eine Epochenwende war eingetreten, und wir spielten da mit!"