Navigationspfad: Startseite > Dokumente & Recherche > Textarchiv > 2009 > 60 Jahre Petitionsausschuss
Die Kündigung kam am 18. September. Bis Jahresende, so teilte das Wasser- und Schifffahrtsamt Lübeck mit, sollte Petra Jarray ihr Café am Leuchtturm Bülk an der Kieler Förde schließen. "Das war schon ein Schock. Schließlich wurde mir erst vor zwei Jahren der Bauantrag für einen neuen Pavillon genehmigt." Nun die unerwartete, aber dennoch fristgerechte Kündigung des Pachtvertrages, da rund um den Leuchtturm eine neue Radaranlage installiert werden soll. Nichts zu machen. Oder doch? "Nach dem ersten Schock haben wir gesagt: So geht's nicht - wir müssen etwas tun."
Es fing an mit Unterschriftenlisten von Gästen und Anwohnern - über 6.000 kamen zusammen. "Natürlich habe ich auch das Gespräch mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt gesucht. Das lief aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt hätte - die waren sehr unzugänglich", erzählt die Café-Betreiberin. Von Kunden erfuhr sie dann von der Möglichkeit, sich an den Petitionsausschuss des Bundestages zu wenden. "Mir war bis dahin gar nicht bekannt, was ein Petitionsausschuss macht", gibt sie ehrlich zu.
Das sollte sie nun erfahren. Durch den Ausschuss wurde das Bundesverkehrsministerium eingeschaltet, das sich an das Wasser- und Schifffahrtsamt Lübeck wandte. Mit dem Ergebnis, dass Petra Jarray ein Ausweichstandort auf demselben Grundstück nur 30 Meter vom bisherigen Standort entfernt angeboten wurde. Eine Lösung, mit der die Wirtin sehr gut leben kann. "Ich kann nur jedem raten, wenn er derartige Sorgen mit Behörden hat, auf diesem Wege etwas zu tun. Es ist toll, was dort bewegt wurde", lautet ihr Resümee.
Was Petra Jarray unternommen hat, steht jedem Bürger offen. Schließlich steht in Artikel 17 des Grundgesetzes: "Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden."
Am 14. Oktober 2009 ist der Petitionsausschuss sechzig Jahre alt geworden. 1949 konstituiert, erhielt der Ausschuss 1975 die Stellung eines Bundestagsausschusses und einen eigenen Zusatzartikel im Grundgesetz, in dem es heißt: "Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschuss, dem die Behandlung der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt."
Mit den Jahren bekam der Ausschuss viele Namen. Vom "Kummerkasten der Nation" war die Rede und auch vom "Seismografen für die Stimmung in der Bevölkerung". Die amtierende Ausschussvorsitzende Kersten Steinke (Die Linke) sieht es so: "Die Eingaben an den Petitionsausschuss sind das Spiegelbild der Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land. Im Grunde kann man sagen, dass wir als Ausschussmitglieder am ehesten wissen, was in diesem Land schief läuft, wo es Gesetzeslücken gibt oder wo etwas verändert werden muss."
Zieht man die prozentuale Verteilung der Eingaben in den verschiedenen Ressorts zu Rate, scheint dies im Bereich Arbeit und Soziales der Fall zu sein. Sowohl im Jahr 2007 als auch 2008 gab es hier mit 24,97 und 22,63 Prozent die meisten Petitionen. Vielfach geht es dabei um Probleme bei Hartz IV- und Rentenberechnung. Zu den in den vergangenen Jahren öffentlich am intensivsten diskutierten Petitionen gehörten jene zum Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide und zum Schicksal der Heimkinder.
Der seit 1992 andauernde Streit um den Bombenabwurfplatz fand am 9. Juli sein Ende, als Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung (CDU) erklärte, auf eine Nutzung zu verzichten. Wenige Wochen zuvor hatte sich der Petitionsausschuss mehrheitlich gegen eine militärische Nutzung des Areals ausgesprochen - der Bundestag war diesem Votum gefolgt.
Im anderen Fall hatten ehemalige Heimkinder, die in den fünfziger und sechziger Jahren in Erziehungsheimen missbraucht und zu unentgeltlicher Arbeit gezwungen worden waren eine Petition eingebracht. Ihnen ging es um gesellschaftliche Anerkennung und Aufklärung ihrer Schicksale, aber auch um materielle Entschädigung für erlittenes Leid und geleistete Arbeit. Auf Betreiben des Ausschusses wurde zum Zwecke der Aufarbeitung ein Runder Tisch unter Vorsitz der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer eingerichtet.
Seit September 2005 können Petitionen auch online eingereicht werden. Ausgewählte Eingaben können auch öffentlich mitgezeichnet werden. Vorraussetzung für eine öffentliche Petition ist, dass die Bitte oder Beschwerde "ein Anliegen von allgemeinem Interesse zum Gegenstand hat", wie es in den Verfahrensgrundsätzen heißt. Ob die Petenten zu einer öffentlichen Beratung vor den Ausschuss geladen werden, entscheidet der Ausschuss.
Was 2005 als Modellversuch begann, ist seit Oktober 2008 eine ständige Einrichtung. Absoluter Spitzenreiter bei den Online-Petitionen ist die Eingabe der Berlinerin Franziska Heine vom 22. April 2009, die sich gegen die Indizierung und Sperrung von Internetseiten wendet. Das geplante Vorgehen, Internetseiten durch das Bundeskriminalamt indizieren und von den Providern sperren zu lassen, führe zu einer Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit, heißt es in der Petition. Bis zum Ende der Mitzeichnungsfrist am 16. Juni hatte sie 134.015 Unterstützer gefunden.
Im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" vom 12. Oktober 2009 betont die Ausschussvorsitzende Kersten Steinke (Die Linke), dass alle Bitten, Beschwerden und Verbesserungsvorschläge zu bestehenden Gesetzen oder Anregungen zu neuen Gesetzen auf Bundesebene im Ausschuss sorgfältig geprüft und diskutiert werden.
Welche Bedeutung kommt dem Petitionsausschuss in Zeiten der Politikverdrossenheit zu?
Zunächst einmal glaube ich, dass man nicht pauschal von einer Politikverdrossenheit sprechen kann, denn es gibt eine Reihe von Feldern, wo sich die Bürgerinnen und Bürger politisch engagieren und Initiativen gründen. Oftmals ist dieses Engagement auf ein Thema beschränkt. In gewisser Weise kann man diese Tendenz auch bei den Petitionen zur Gesetzgebung ablesen. Dabei engagieren sich Menschen oft für eine bestimmte Petition besonders, wie die beiden öffentlichen Petitionen gegen die Internetsperren mit 134.000 Mitzeichnungen und die Petition zur GEMA mit über 106.000 Mitzeichnungen zeigen.
Wann wird der Petitionsausschuss tätig?
Der Petitionsausschuss wird immer tätig, wenn die Angelegenheit die Gesetzgebung des Bundes betrifft. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass der Petitionsausschuss keine Petition ablehnt, wie es leider manchmal in einigen Medien, besonders Online-Medien, veröffentlicht wird. Alle Bitten, Beschwerden und auch Verbesserungsvorschläge zu bestehenden Gesetzen oder Anregungen zu neuen Gesetzen auf Bundesebene werden vom Ausschuss mit großer Sorgsamkeit geprüft und diskutiert.
In welche Ressorts fallen die meisten Petitionen?
Seit Jahren entfallen auf das Sozialressort die meisten Petitionen. Hier beklagen sich viele über ungerechte oder fehlerhafte Berechnung des Arbeitslosengeldes oder der Rente. Häufig kann hier der Ausschuss schon durch das Einholen der Stellungnahme das Problem lösen. Im letzten Jahr stieg aber auch die Zahl der Eingaben im Bereich Steuern und Finanzen, was unter anderem auf die Finanzkrise zurückgeführt werden muss.
Sie leiten den Ausschuss seit 2005. Welche Petitionen sind Ihnen noch am deutlichsten in Erinnerung?
Positiv überrascht hat mich die Unterstützung, die die Petition zum Thema der "Generation Praktikum" erhielt. Über 100.000 Menschen haben diese Petition unterstützt. Ein Thema, das zu diesem Zeitpunkt offensichtlich viele Betroffene bewegte, und das auch in den Medien dadurch viel diskutiert wurde. Zu meinem Bedauern haben wir bis heute keine abschließende Erklärung der Bundesregierung erhalten.
Wie bewerten Sie grundsätzlich die Bereitschaft der zuständigen Ministerien, auf das Votum des Ausschusses einzugehen?
Der Ausschuss achtet sehr darauf, dass das jeweilige Ministerium auch Stellung nimmt. Und wir beobachten, ob die zuständige Bundesbehörde Abhilfe schafft, wenn das Anliegen berechtigt ist. Für uns kommt es aber leider noch zu selten vor, dass die Bundesregierung unsere Empfehlungen aufnimmt und umsetzt. Eine Petition ist für uns mit der Überweisung an die Bundesregierung nicht abgeschlossen.
Inwiefern hat sich Ihre Arbeit durch die neue Möglichkeit der Online-Petition verändert?
Wir sind damit gut auf die Zukunft vorbereitet. Dennoch würde ich bei dieser Frage nicht so sehr auf den Aspekt der Online-Petition eingehen, sondern das Augenmerk mehr auf die öffentliche Petition lenken. Durch die öffentlichen Sitzungen sowie durch die öffentliche Petition im Internet wurde das Petitionssystem für die Bürgerinnen und Bürger nicht nur transparenter gestaltet, sondern es bietet eben die Möglichkeit der direkten Partizipation. Unter anderem erfährt der Petitionsausschuss in letzter Zeit dadurch auch ein höheres mediales Interesse, was natürlich die Stellung des Ausschusses stützt.
Welche Verbesserungen im Petitionsrecht könnten Sie sich vorstellen?
Es könnte aus meiner Sicht durchaus Sinn haben, die üblicherweise im Fachausschuss durchgeführten Expertenanhörungen zu Gesetzesvorschlägen durch Beratungen im Petitionsausschuss, in denen die Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen, zu ergänzen und das Gesetz erst danach abschließend im Plenum zu beraten.