Navigationspfad: Startseite > Dokumente & Recherche > Textarchiv > 2010 > Debatte Internetsperren
Acht Monate nach seiner Verabschiedung durch den Bundestag hat Bundespräsident Horst Köhler am 17. Februar das "Gesetz zur Bekämpfung von Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen" nun doch unterzeichnet. Das Staatsoberhaupt habe "keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken", die ihn an einer Ausfertigung gehindert hätten, teilte das Präsidialamt mit. Das war im November des vergangenen Jahres noch anders. Damals sah sich Köhler angesichts möglicher "verfassungsrechtlicher Probleme" nicht zur Unterzeichnung in der Lage und hatte die Bundesregierung um "ergänzende Informationen" gebeten. Kaum rechtskräftig geworden, fordern nun die Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag die Aufhebung des Gesetzes ( 17/776, 17/646, 17/772). Über dahingehende Gesetzentwürfe diskutiert das Plenum am Donnerstag, 25.Februar 2010, ab 16 Uhr in erster Lesung.
Ziel des am 18. Juni 2009 mit den Stimmen der damaligen Regierungskoalition von Union und SPD verabschiedeten Gesetzes ist die Sperrung von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten. Derartige Seiten sollen auf einer vom Bundeskriminalamt (BKA) geführten Sperrliste landen.
Entgegen der ursprünglichen Intention von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen darf die Aufnahme in die Sperrliste nur erfolgen, wenn Maßnahmen zur Löschung der Inhalte nicht möglich oder nicht erfolgversprechend sind. Außerdem soll die Sperrliste darüber hinaus von einem unabhängigen Expertengremium, das beim Bundesbeauftragten für Datenschutz eingerichtet wird, regelmäßig kontrolliert werden.
Proteste gegen derartige "Internetsperren" gab es schon frühzeitig. Das angestrebte Verfahren habe einen Placebo-Effekt, kritisierte die damalige Oppositionsfraktion FDP. Die Linksfraktion kritisierte, das Gesetz diene als "Einfallstor für die nationale Zensur des Internets". Derartige Bedenken wurden nicht gerade entkräftet, als der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz laut darüber nachdachte, auch Seiten mit verfassungsfeindlichen oder islamistischen Inhalten zu blockieren.
Das sorgte auch bei den Grünen für Empörung: "Den Vorschlägen zur Einführung von Internetsperrlisten und dem Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur erteilen wir eine klare Absage, da sie rechtsstaatlich und technisch unverantwortlich sind", sagte Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftführer der Fraktion.
Auch außerparlamentarisch formierte sich Widerstand. Die "Internet-Community" sah einen Verstoß gegen Artikel 5 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Eine Zensur findet nicht statt." Eine an den Petitionsausschuss des Bundestages gerichtete Online-Petition wandte sich ebenfalls gegen die Sperrung von Internetseiten, weil darin laut Hauptpetentin Franziska Heine eine "Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit" zu sehen sei.
Schon nach gut zwei Wochen hatten 60.000 Personen die Petition mitgezeichnet. Am Ende der Zeichnungsfrist Mitte Juni 2009 waren es 134.015 Unterstützer, ein absoluter Rekord. Grund genug für den Petitionsausschuss, sich mit dieser Petition, ebenso wie mit einer Eingabe, die sich für sofortige Sperrmaßnahmen ausspricht, am Montag, 22. Februar, in einer öffentlichen Sitzung zu beschäftigen.
Wenn am Donnerstag über das Gesetz diskutiert wird, könnte sich zeigen, dass keine der fünf Fraktionen derzeit an einer Sperrung von Internetseiten interessiert ist. Union und FDP hatten sich schon im Koalitionsvertrag auf das Prinzip "Löschen statt Sperren" geeinigt.
Für Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist daher klar, dass das vom Bundespräsidenten unterschriebene Gesetz nicht angewandt wird. "Jetzt wird schnell eine neue Regelung auf den Weg gebracht, die dem Grundsatz ,Löschen statt sperren' entspricht", versichert sie. Auch aus dem Bundesinnenministerium heißt es, die Regierung plane ein neues Gesetz zur Löschung der Seiten.
Den Oppositionsfraktionen reichen derartige Bekenntnisse nicht aus. Sie wollen den Internetsperren die rechtliche Grundlage entziehen, in dem das Gesetz durch ein neues, eigenes Gesetz aufgehoben wird. Der "rechtliche und politische Wirrwarr" müsse ein Ende haben, verlangte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Olaf Scholz.
Die Linksfraktion stellt fest, dass ein nach seiner Ausfertigung geltendes Gesetz nicht einfach ausgesetzt oder nicht angewendet werden könne. Daher sei eine verfahrensrechtliche Klarstellung auf Basis eines Gesetzes notwendig.