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In der ersten Maiwoche ging es im Zusammenhang mit der Griechenland-Hilfe noch um eine Bürgschaft über 22,4 Milliarden Euro. Wenn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages am Mittwoch, 19. Mai 2010, über den von CDU/CSU und FDP vorgelegten Gesetzentwurf zur "Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus" ( 17/1685) debattieren, geht es um bis zu 123 Milliarden Euro.
Auf diesen Betrag summieren sich die Gewährleistungen, die Deutschland für Kredite eines europäischen Stabilisierungsmechanismus an "notleidende Euroländer" übernehmen soll. Bei "unvorhergesehenem und unabweisbaren Bedarf" soll der Betrag - mit Einwilligung des Haushaltsausschusses - um 20 Prozent überschritten werden können. Voraussetzung für die Übernahme der Gewährleistungen sei aber, dass der betroffene Mitgliedstaat mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Kommission unter Mitwirkung der Europäischen Zentralbank ein wirtschafts- und finanzpolitisches Programm vereinbart habe, heißt es in dem Regierungsentwurf, der am 19. Mai ab 9 Uhr zwei Stunden lang in erster Lesung beraten wird. Zu Beginn gibt Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) eine 20-minütige Reigierungserklärung zur Stabilisierung des Euro ab.
Zur Beratung steht auch ein Antrag der Linksfraktion, Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) und deren Handel vollständig zu verbieten ( 17/1733). In der Begründung schreibt die Fraktion, das weltweite Volumen dieser CDS mache rund 36 Billionen US-Dollar aus. Dies entspreche der zweieinhalbfachen Wirtschaftsleistung der USA.
CDS hätten die Finanzkrise begünstigt und seien vom US-Investor Warren Buffett als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet worden. Die Fraktion verweist auf Ermittlungen der US-Börsenaufsicht gegen die Investmentbank Goldman Sachs, die Anlegern minderwertige Hypothekenpapiere verkauft haben und dann mit CDS auf einen Ausfall dieser Hypotheken gewettet haben soll. Die Deutsche Industriebank (IKB) habe mit minderwertigen Hypothekenpapieren 150 Millionen US-Dollar verloren, so die Linksfraktion.
Die Eile bei der Aufstellung eines "europäischen Schutzschirms für den Euro" wurde von einem Regierungsvertreter bei der Sondersitzung des Haushaltsausschusses am 11. Mai mit "Entwicklungen auf den Märkten am 7. Mai" begründet. Nach den Problemen um Griechenland seien "Ansteckungseffekte" auf Spanien und Portugal zu beobachten gewesen. Die Liquidität sei zurückgegangen, und Derivate hätten auf einen Kursrückgang des Euro gewettet. In der Nacht vom 9. auf den 10. Mai seien daher auf einem Sondertreffen der EU-Finanzminister die Stabilisierungsmaßnahmen auf den Weg gebracht worden.
Außerdem sei festgelegt worden, dass die EU-Kommission bis zu 60 Milliarden Euro Kredite aufnehmen dürfe, um Mitgliedstaaten, die sich in Schwierigkeiten befänden, mit Krediten Hilfe zu leisten. Die Euroländer würden darüber hinaus eine Zweckgesellschaft gründen, die ebenfalls Kredite vergeben solle. Diese von der Regierung auch als "Stabilitätsagentur" bezeichnete Zweckgesellschaft soll Kredite bis zu einer Höhe von 440 Milliarden Euro aufnehmen können, für die die Euroländer bürgen sollten, erläuterte der Regierungsvertreter. Nach drei Jahren solle die Zweckgesellschaft aufgelöst werden. Wie nun genau diese Zweckgesellschaft aussehen solle, müsse noch geklärt werden. Es werde außerdem erwartet, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) sich mit mindestens der Hälfte der von europäischer Seite aufgebrachten Mittel beteilige.
Die Bundesregierung - das wurde vor dem Haushaltsausschuss ausdrücklich betont - sieht in dem geplanten europäischen Euro-Stabilisierungsmechanismus keinen Einstieg in eine Transferunion. Es gehe nicht um Transfers, sondern um Kredite mit Zinsen. Das sei etwas völlig anderes als eine Transferunion, hieß es. In die europäischen Verhandlungen, die mit einer Vereinbarung über ein Kreditpaket mit einem Volumen bis zu einer dreiviertel Billion Euro abgeschlossen worden waren, sei die Bundesregierung mit der klaren Zielvorstellung gegangen, den Einstieg in eine Transferunion zu verhindern, die Stabilität des Euro zu erhalten und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank zu erhalten. "Ich denke, dass ist uns gelungen", erklärte der Regierungsvertreter vor den Abgeordneten.
Die Fraktionen sehen angesichts des neuen Rettungspaketes "Klärungsbedarf". Unionsfraktionschef Volker Kauder fordert, die Bundesregierung müsse noch mitteilen, "was an konkreten Maßnahmen gemacht werden kann - auf nationaler und auf europäischer Ebene -, um diejenigen zu beteiligen, die Mitverantwortung und Verursacher dieser Entwicklung sind und um möglichst zu verhindern, dass solche Spekulationen weiter geführt werden können".
Auch Birgit Homburger, Vorsitzende der FDP-Fraktion, betont: "Diejenigen, die diese Krise mit verursacht haben, müssen mit in die Verantwortung genommen werden." Über den Rettungsschirm hinaus müsse es zudem klare Fortschritte bei der Regulierung der Finanzmärkte geben. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der in der Vergangenheit aufgeweicht worden sei, müsse verschärft werden. Zudem sollten bestimmte Finanzmarktprodukte reguliert werden. Außerdem werde eine europäische Ratingagentur sowie eine funktionierende Aufsicht über Ratingagenturen benötigt.
Die SPD-Fraktion zeigt sich verwundert, dass die Bundesregierung noch am 7. Mai, wenige Stunden vor dem erneuten Krisen-Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs, bei der Beschlussfassung über das Rettungspaket für Griechenland im Bundestag nichts über die unmittelbar bevorstehende Notwendigkeit weiterer dramatischer Schritte und finanzieller Garantien verlaute lassen habe. Dies lässt aus Sicht der Sozialdemokraten nur zwei Schlüsse zu: Entweder habe die Bundesregierung die Öffentlichkeit bewusst getäuscht. Oder sie sei unvorbereitet in die Verhandlungen in Brüssel gegangen und von den Ereignissen überrollt worden.
Zur Finanzmarktregulierung und zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik würden nur Absichtserklärungen abgegeben, kritisieren Bündnis 90/Die Grünen. Fragen nach einer Finanztransaktionssteuer oder einer europäischen Ratingagentur blieben ebenso unbeantwortet, wie die Frage, wann die Spekulanten ausgebremst werden können.
Als "völlig inakzeptabel" bezeichnet die wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, die geplanten Regelungen. "Das beschlossene Krisenpaket ist kein Rettungsschirm für die Eurozone, sondern allein ein Fallschirm für die Banken", kritisierte sie. Diese sollten "doppelt gerettet werden". Zum einen würden ihre "bestehenden faulen Kredite" durch das Hilfspaket abgesichert. Zum anderen würden sie so auch weiterhin risikolos Profite im Geschäft mit Staatsanleihen machen können.