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Abgeordnete sollten die Subsidiaritätsrüge als politisches Instrument begreifen. So lautet eine Forderung der zu einem öffentlichen Expertengespräch des Unterausschusses Europarecht des Rechtsausschusses unter Vorsitz von Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) geladenen Sachverständigen am Mittwoch, 16. Juni 2010, zum Thema "Prüfung des unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips“. Durch die im Vertrag von Lissabon geregelte Subsidiaritätsrüge erhalten die nationalen Parlamente die Möglichkeit, zur Frage der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips in laufenden Gesetzgebungsverfahren Stellung zu nehmen.
Das "Frühwarnsystem“ der Subsidiaritätsrüge sei ein Kontrollinstrument mit starkem politischen Einschlag im laufenden Rechtssetzungsprozess, wogegen die Subsidiaritätsklage, die "ex-post“, also im Nachhinein möglich sei, ein "rechtliches Verfahren ist“, sagte Prof. Dr. Adelheid Puttler von der Ruhr-Universität Bochum.
Aus ihrer Sicht sollten die Parlamente "nicht allzu viel Hoffnung“ in eine Klage setzen, sondern das Frühwarnsystem der Rüge durch Kooperation mit anderen Parlamenten anwenden. Dem stimmte Rechtsanwalt Joachim Wuermeling, ehemaliger Europaabgeordneter und derzeit Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft, zu.
Eine Rüge, so Wuermeling, könne eine "kolossale“ Bedeutung haben. Wenn etwa neun nationale Parlamente gemeinsam feststellen würden, dass ein bestimmter Bereich in der nationalen Verantwortung bleiben soll, würde dies zu einem "Heidenrespekt“ in der Europäischen Kommission und auch im Europäischen Parlament führen.
Da spiele es noch nicht einmal eine große Rolle, wie die Rüge begründet sei, sagte Wuermeling, der dazu aufrief, von der Rüge "im nationalen Interesse, aber auch im europäischen Geist Gebrauch zu machen“.
Auch Prof. Dr. Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld verwies darauf, dass die "bloße Möglichkeit“ einer Subsidiaritätsrüge oder -klage eine Vorwirkung entfalte, die das Subsidiaritätskontrollverfahren weiter stabilisiere. Mayer warnte jedoch davor, dass eine "übermäßige oder unfokussierte Verwendung" der Rüge oder Klage diese Vorwirkung abschwächen könnte.
Durch die Möglichkeit der Subsidiaritätsrüge gewinne vor allem die Opposition an Gewicht, sagte Oliver Suhr vom saarländische Europaministerium: "Die Opposition erhält mehr Gestaltungskraft.“ Sie sei der "Gewinner“ der neuen Möglichkeiten.
Der wirkliche Erfolg der neu geschaffenen Subsidiaritätskontrolle hänge in erster Linie von der Mitwirkung der nationalen Parlamente ab, sagte Prof. Dr. Christian Callies von der Freien Universität Berlin. Die Entwicklung der letzten Jahre habe aber durchaus gezeigt, dass sich die nationalen Parlamente auf die neue Form der Mitwirkung vorbereitet hätten und auch von Seiten der Kommission ein Interesse an ihrer Mitwirkung bestehe.
Die Subsidiaritätskontrolle solle die Gestaltungsspielräume der nationalen Parlamente gewährleisten, sagte Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Derzeit gebe es aber noch eine "Menge offener Fragen“, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) beantworten müsse.
Damit dies geschehe, müssten jedoch die nationalen Parlamente "die Grenzen ein bisschen austesten“. Lorz weiter: "Ich lese den derzeitigen Rechtszustand auch als eine Einladung an die nationalen Parlamente, all ihre Bedenken gegen Artikel 5 des EU-Vertrages einzubringen.“
Artikel 5 des Vertrages über die Europäische Union besagt, dass "nach dem Subsidiaritätsprinzip die Union nur in den Bereichen tätig wird, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind“.