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Der Bundestag hat am Donnerstag, 30. September 2010, in einer Grundsatzdebatte über die Umsetzung des Bundesverfassungsurteils für eine Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze beraten. Die Verfassungsrichter hatten mangelnde Transparenz bei der Berechnung der staatlichen Transferleistungen für Kinder und Erwachsene kritisiert. SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen verlangten in der Debatte, auch Leistungen für Bildung und Kultur in die Berechnungen miteinzubeziehen. "Wir fordern einen Rechtsanspruch auf Bildung“, sagte die SPD-Familienexpertin Christel Humme. Die Oppositionsfraktionen sehen das Gebot der Menschenwürde durch die derzeitige Berechnungsgrundlage verletzt.
Anträge der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen lehnte der Bundestag mehrheitlich ab. Die SPD-Fraktion forderte in ihrem Antrag ( 17/880), dass vor allem die Bildungsausgaben für Kinder berücksichtigt werden, damit der Kreislauf der Armut durchbrochen werde. Oberstes Ziel müsse es sein, allen Kindern gleiche Chancen auf Bildung zu ermöglichen. "Darum ist das Ziel, sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Bildung zu investieren, spätestens im Jahr 2015 zu erreichen“, schrieben die Abgeordneten.
Auch Bündnis 90/Die Grünen forderten in ihrem Antrag ( 17/2921) eine Aufstockung der Hilfeleistungen für Kinder. Zudem verlangten sie, den monatlichen Hartz-IV-Regelsatz auf mindestens 420 Euro heraufzusetzen ( 17/675). Diese Sofortmaßnahmen seien insbesondere für Kinder erforderlich, da diese derzeit überdurchschnittlich benachteiligt würden.
Der Sozialexperte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Markus Kurth, hielt den Regierungsfraktionen vor, Langzeitarbeitslose wie Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Das Verfassungsgericht habe gesagt, der tatsächliche Bedarf müsse von Hartz-IV-Leistungen gedeckt werden. Das sei derzeit nicht der Fall. In Wahrheit seien nur 14 Prozent der untersten Löhne als Grundlage für die Berechnungen gewählt worden.
Der FDP-Abgeordnete Pascal Kober hielt den Bündnisgrünen vor, sie hätten sich bei ihrer Forderung von "Schätzungen ins Blaue hinein“ leiten gelassen.
Die Sozialexpertin der Fraktion Die Linke, Katja Kipping, sagte, die Debatte über die Regelsätze sei ein Lehrstück darüber, wie Arme gegen ganz Arme ausgespielt würden. Die Niedriglöhne würden benutzt, um Hartz IV niedrigzurechnen. Das sei blamabel.
Sie hielt der Regierungskoalition vor, die Herausgabe der Daten für die Berechnungsgrundlage zu verweigern. Ihre Fraktionskollegin Diana Golze fragte die Bundesregierung, ob sie monatliche Ausgaben von 2,16 Euro für Bücher oder 6,07 Euro für Windeln, wie bei Hartz IV vorgesehen, für realistisch halte.
Die SPD-Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner sagte, die Hartz-IV-Regelsätze seien auch nach dem neuen, von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf willkürlich und nicht nachvollziehbar.
Die Menschen mit niedrigen Löhnen würden gegeneinander ausgespielt. Das sei perfide. Um den Kreislauf der Kinderarmut zu durchbrechen, müssten das Betreuungsangebot ausgebaut und mehr Ganztagsschulen geschaffen werden.
Gleichzeitig bekräftigte die SPD-Fraktion ihre Forderung nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, der allen Vollzeitarbeitskräften ein würdiges Auskommen unabhängig von sozialen Transferleistungen garantiere.
Rund 1,4 Millionen Erwerbstätige erhielten derzeit aufstockende Leistungen der Grundsicherung, weil sie mit ihrem Lohn nicht den Lebensunterhalt decken könnten, erklärte die SPD-Fraktion.
Die CDU-Sozialexpertin Mechthild Heil verwies darauf, dass die Ausgaben für den Sozialetat 2008 rund 124 Milliarden Euro betragen hätten und 2011 trotz gesunkener Arbeitslosigkeit auf 131 Milliarden Euro gestiegen seien. Die Regierung habe eben nicht nach Haushaltslage entschieden, sagte sie. "Das nenne ich Solidarität“, betonte Heil.
Der CSU-Sozialpolitiker Paul Lehrieder verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt habe, die Sätze seien zu niedrig. Aus Gründen des Vertrauensschutzes seien auch die Ausgaben für Kinder nicht gekürzt worden.
In einem weiteren Antrag ( 17/3058) wenden sich die Bündnisgrünen gegen Leistungskürzungen bei den Unterkunftskosten für Hartz-IV-Empfänger. Hintergrund ist ein seit Januar 2010 auf Betreiben der Bundesländer laufendes Verfahren im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat.
Die Länder kritisieren, dass sich der Bund bei der Berechnung der Unterkunftskosten für Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht an den tatsächlichen Ausgaben für Energie und Heizung orientiere (Bundesratsdrucksache 864/09). Nach dem Haushaltsentwurf 2011 will der Bund seine Beteiligung an den Unterkunftskosten auf durchschnittlich 24,6 Prozent festsetzen.
"Damit zieht sich der Bund zulasten der Kommunen zum vierten Jahr in Folge trotz steigender Kosten aus der Finanzierung der Unterkunftsleistungen zurück“, heißt es in dem Antrag. "Dies stellt eine Provokation für die Hilfebedürftigen und für die Städte und Gemeinden dar.“
Der Bundestag überwies diesen Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. (sn)