Navigationspfad: Startseite > Dokumente & Recherche > Textarchiv > 2010 > Sicherungsverwahrung
Die Sicherungsverwahrung soll neu geregelt werden. Das sieht ein Gesetzentwurf der Koalitions- fraktionen ( 17/3403) vor, der am Freitag, 29. Oktober 2010, ab 9 Uhr in erster Lesung durch den Bundestag beraten wird. Bislang bedeutete die Möglichkeit der "nachträglichen Sicherungsverwahrung" für ein Gericht, dass es nach Verbüßung der Haft darüber entscheiden konnte, ob Täter mit Rückfallgefahr weiterhin eingesperrt bleiben sollten.
Dieses "nachträgliche" Vorgehen hatte aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil vom Dezember 2009 als Verstoß gegen die Menschenrechte gerügt. Aus Sicht der Richter stellt die deutsche Praxis der nachträglichen Sicherungsverwahrung eine "verkappte Strafverlängerung" dar.
Dieser Kritik will die Reform nun Rechnung tragen. Die Sicherungsverwahrung soll es künftig nur noch geben, wenn sie schon im Urteil angeordnet oder zumindest "vorbehalten" war.
Zudem soll "das härteste Instrument im deutschen Strafrecht" künftig auf die wirklich gefährlichen Schwerverbrecher wie Sexual- und Gewalttäter beschränkt werden, wie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärt. Zugleich kündigt die Ministerin an, die "Möglichkeiten der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung auszubauen".
Die Frage des Umgangs mit den zu nachträglicher Sicherungsverwahrung verurteilten Straftätern, die als Folge des Gerichtshof-Urteils schon entlassen werden mussten oder noch entlassen werden müssen, soll nach den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen durch ein Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter beantwortet werden.
Danach soll es unter engen Vorgaben möglich sein, psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter zur Therapie in geschlossenen Einrichtungen unterzubringen, soweit dies zum Schutz der Allgemeinheit nötig ist.
Diese Regelung bewerten Koalition und Opposition höchst unterschiedlich. Aus Sicht des FDP-Rechtsexperten Christian Ahrendt wird mit dem Therapieunterbringungsgesetz eine "Schutzlücke" geschlossen. Die Neukonzeption der Sicherungsverwahrung beende zudem eine jahrelange Rechtsunsicherheit.
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Günter Krings, sieht das Recht der Sicherungsverwahrung mit der geplanten Regelung "auf neue Füße gestellt”. Neben den Maßnahmen zur Konsolidierung der primären und dem Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung werde vor allem mit dem Therapieunterbringungsgesetz "ein völlig neuer Weg" gegangen, mit dem die vom EGMR monierten Fälle "nunmehr einwandfrei geregelt" werden könnten.
"Rechtspolitische Hilflosigkeit" offenbare die vorgesehene Regelung für Altfälle, kritisiert hingegen der Rechtsexperte der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic: "Sie hilft niemandem und betrifft absehbar niemanden." Psychisch Kranke, die für sich oder andere eine Gefahr darstellten, könnten aufgrund der Unterbringungsgesetze der Länder bereits heute ohne weiteres weggesperrt werden, betont Neskovic.
Für diesen Personenkreis bestehe deswegen kein Regelungsbedarf. Nach bisheriger Kenntnis sei die Mehrheit der Altfälle jedoch überhaupt nicht psychisch krank oder psychisch gestört.
Der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Jerzy Montag, urteilt: "Mit dem Vorhaben, die jetzt freizulassenden Altfälle für ,psychisch gestört’ zu erklären, ist Schwarz-Gelb auf dem Holzweg." Ein Rechtstaat dürfe nachträglich keine Menschen "umetikettieren", nur um sie weiter einsperren zu können.
Christine Lambrecht, Rechtsexpertin der SPD-Fraktion, begrüßt wiederum die geplante "Altfallregelung", da die durch den Wegfall der nachträglichen Sicherungsverwahrung aufgetretene Sicherheitslücke bei möglicherweise hoch gefährlichen Gewalttätern "nicht zu verantworten" sei. (hau)