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Nach monatelangem Streit hat der Bundestag am Freitag, 12. November 2010, den zweiten Teil der Gesundheitsreform verabschiedet. Mit den Stimmen der Koalition verabschiedete er in namentlicher Abstimmung den Gesetzentwurf von Union und FDP zur "nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung" der gesetzlichen Krankenversicherung ( 17/3040) in der vom Gesundheitsausschuss veränderten Fassung ( 17/3696) In namentlicher Abstimmung votierten 306 Abgeordnete für die Reform, 253 lehnten sie ab. Den wortgleichen Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 7/3360, 17/3441) erklärte der Bundestag für erledigt.
Zwei Anträgen der SPD gegen "Vorkasse" in der gesetzlichen Krankenversicherung ( 17/3427) und der Linksfraktion für eine "solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege" ( 17/1238) verweigerten die Abgeordneten die Zustimmung. Abgelehnt wurden auch Entschließungsanträge der SPD ( 17/3707), der Linksfraktion ( 17/3708) und von Bündnis 90/Die Grünen ( 17/3709). Dem Entschließungsantrag der Linken stimmten in namentlicher Abstimmung 61 Abgeordnete zu, 308 Abgeordnete lehnten ihn ab, 186 enthielten sich.
Einen Bericht des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung über die Erfahrungen mit der gesetzlichen Möglichkeit, Kostenerstattung statt Sachleistung zu wählen ( 16/12639), nahm der Bundestag einstimmig zur Kenntnis. Danach haben im zweiten Halbjahr 2008 nur 0,19 Prozent aller gesetzlich Versicherten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
27 Abgeordnete der Unionsfraktion, zwei Parlamentarier der SPD und ein Abgeordneter der Linken gaben persönliche Erklärungen zur Abstimmung zu Protokoll, vier Abgeordnete der Linksfraktion gaben persönliche Erklärungen ab.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes werden die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung im kommenden Jahr von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen. Davon entfallen 8,2 Prozent auf die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber tragen 7,3 Prozent. Ihr Anteil wird auf diesem Stand eingefroren. Außerdem können die Krankenkassen künftig Zusatzbeiträge in unbegrenzter Höhe erheben, die allein von den Versicherten zu zahlen sind. Für Menschen mit geringerem Einkommen soll es einen Sozialausgleich geben.
Der Abstimmung vorausgegangen war eine zum Teil sehr heftige Debatte, in der die Opposition der Koalition vorwarf, sich vom Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verabschieden. Die Koalition wiederum kritisierte die Oppositionsfraktionen; sie hätten keine eigenen Konzepte vorgelegt.
Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) sagte, anders als die Opposition wolle die schwarz-gelbe Koalition "aus den planwirtschaftlichen Strukturen“ im Gesundheitssystem heraus. Dabei fange sie nicht bei Null an, sondern bei "einem Minus von neun Milliarden Euro“, das von seiner Amtsvorgängerin Ulla Schmidt (SPD) hinterlassen worden sei. Die Opposition betonte dagegen, die gesetzliche Krankenversicherung habe 2009 mit einem Überschuss von 1,9 Milliarden Euro abgeschlossen.
Mit dem Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung lasse man nicht weiter zu, so Minister Rösler, dass bei steigenden Gesundheitsausgaben aufgrund der demografischen Entwicklung "Gesundheit gegen Arbeit ausgespielt“ werde. Dies sei "ein Beitrag zu Wachstum und Entwicklung“.
Aus Sicht der Opposition verabschiedet sich die Koalition mit diesem Vorgehen aus der paritätischen Finanzierung; dies sei "sozial grob ungerecht“, so der Vorsitzende der Linksfraktion, Dr. Gregor Gysi. Den Unternehmern könne damit "völlig gleichgültig“ sein, wie sich die Gesundheitskosten weiter entwickelten.
Die SPD-Abgeordnete Andreas Nahles stellte fest, die Koalition betreibe mit der Reform einen "groß angelegten Feldversuch“ zur Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Ihre Fraktionskollegin Elke Ferner kündigte an, "diesen Murks“ spätestens nach der Bundestagswahl 2013 "komplett rückgängig“ machen zu wollen.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Ulrike Flach, warf der SPD dagegen vor, ihre Vorschläge für eine Bürgerversicherung seien "kein Modell für die Wirklichkeit“.
Sie blieben vielmehr nebulös und könnten deshalb "keine Lösung für das Gesundheitssystem“ sein. Die schwarz-gelbe Gesundheitsreform dagegen sei eine Zäsur“.
Für erheblichen Streit sorgte auch in dieser Debatte die Ausgestaltung des Sozialausgleichs. Dieser soll immer dann greifen, wenn der durchschnittliche Zusatzbeitrag zwei Prozent des Einkommens eines Versicherten überschreitet.
Die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, sagte, der Ausgleich erfolge direkt aus dem Gesundheitsfonds, der "zu 90 Prozent aus Beitragsmitteln gespeist“ werde.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn, betonte dagegen, die Steuerfinanzierung des Sozialausgleichs werde dadurch sichergestellt, dass der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds im kommenden Jahr zwei Milliarden Euro aus Bundesmitteln, also Steuermitteln, zugeführt würden.
Oppositionsredner nahmen immer wieder auf ein Positionspapier der Gesundheitsexperten von Union und FDP Bezug, in dem es heiße, es sei "nicht gerecht“, dass bei der Berechnung des Sozialausgleichs nur Einkommen und Rente, nicht aber Zinserlöse und Mieteinnahmen berücksichtigt werden. Spahn sagte, damit würden "Perspektiven für weitere Schritte“ aufgezeigt. (suk)