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Einen heftigen Schlagabtausch haben sich Regierung und Opposition über die Neuregelung der Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger am Freitag, 3. Dezember 2010, im Bundestag geliefert. Bundesarbeitsministerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU) verteidigte in einer emotional geführten Debatte den von Koalition ( 17/3404) und Bundesregierung ( 17/3958, 17/3982) vorgelegten Gesetzentwurf als transparent und passgenau. Mit dem zusätzlichen Bildungspaket würden Kinder aus Hartz-IV-Familien erstmals eine Lernförderung bekommen und könnten an Vereinsaktivitäten teilnehmen, unterstrich die Ministerin in der dreistündigen abschließenden Beratung am Freitag, 3. Dezember 2010. Der Bundestag beschloss das Gesetz in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geänderten Fassung ( 17/4033, 17/4095) mit 301 Ja- bei 253 Nein-Stimmen.
In namentlicher Abstimmung lehnte das Parlament Änderungsanträge der Linksfraktion ( 17/4084) und von Bündnis 90/Die Grünen ( 17/4096, 17/4107) ab. Für den Antrag der Linken stimmten 251 Abgeordnete, 308 lehnten ihn ab. Dem ersten Änderungsantrag der Grünen stimmten 252 Abgeordnete zu, 305 lehnten ihn ab, den zweiten befürworteten 253 Abgeordnete, 302 votierten dagegen. Keine Mehrheit fand in namentlicher Abstimmung auch ein Entschließungsantrag der SPD ( 17/4104). 303 Abgeordnete stimmten dagegen, 251 befürworteten ihn. Ebenfalls mehrheitlich abgelehnt wurden zwei Entschließungsanträge der Linken ( 17/4105, 17/4106) und sieben weitere Änderungsanträge der Grünen ( 17/4097, 17/4098, 17/4099, 17/4100, 17/4101, 17/4102, 17/4103) und einen weiteren Änderungsantrag der Linken ( 17/4085).
Als willkürlich und verfassungswidrig kritisierte die Opposition das Gesetzesvorhaben und kündigte ihren Widerstand im Bundesrat an. SPD und Bündnis 90/Die Grünen sprachen von Taschenspielertricks. Mehrfach musste Bundestagsvizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (FDP) im Plenum für Ordnung sorgen.
Auf Antrag der Fraktion Die Linke wurde die Sitzung unterbrochen und der Ältestenrat einberufen mit dem Ergebnis, die Debatte mit einer 20-minütigen Runde fortzusetzen. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte sich zuvor spontan auf die Rednerliste setzen lassen und dann die Ministerin als "Staatsschauspielerin" bezeichnet. Daraufhin war von der Leyen noch einmal zur Erwiderung als Abgeordnete ans Rednerpult getreten.
Ab dem 1. Januar 2011 soll der Regelsatz für Hartz IV um fünf Euro auf 364 Euro für Alleinstehende steigen. Der Bundesrat will am 17. Dezember über die Neuregelung beraten. Notwendig machte die Gesetzesänderung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010.
Die Karlsruher Richter hatten fehlende Transparenz bei den Hartz-IV-Sätzen bemängelt und eine Neuberechnung gefordert.
"So viel Transparenz war noch nie", sagte von der Leyen. Die SPD habe bei Einführung von Hartz IV die Kinder ausgeblendet. Deshalb sei jetzt ein Bildungspaket auf den Weg gebracht worden. "Wir sind fest entschlossen, das Bildungspaket umzusetzen, und zwar rechtzeitig", unterstrich die Ministerin. Kinder müssten spüren, dass es ohne sie nicht geht. Die Vorbereitungen in den Jobcentern liefen bereits. Von der Leyen forderte die Opposition auf, diesen "Weg der Chancen" mitzugehen.
Der CDU-Sozialexperte Karl Schiewerling sagte, die Umsetzung des Bildungspaketes gehe nur im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen. Die Bundesregierung unternehme damit alle Anstrengungen, um den Teufelskreis von Hartz IV zu durchbrechen.
Gabriel warf der Ministerin vor, die Unwahrheit zu sagen. "Wir streiten darüber, in welche Richtung Bildungspolitik in Deutschland gehen soll", sagte er. Die SPD setze auf den Ausbau der Institutionen und habe das vier Milliarden umfassende Ganztagsschulprogramm umgesetzt. Mit dem Bildungspaket würden jedoch nur die Transferleistungen für einen kleinen Teil von Familien erhöht, sagte Gabriel, der ebenfalls zweimal ans Rednerpult trat.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Elke Ferner warf der Bundesregierung "blanke Willkür" bei der Ermittlung der Regelsätze vor. Zudem kritisierte Ferner die hohen Bürokratiekosten beim Bildungspaket. "33 von 150 Euro gehen allein für Verwaltungskosten drauf, das ist absurd", sagte sie.
"Die Neuregelung ist verfassungswidrig", sagte Linksfraktionschef Dr. Gregor Gysi. Bei dem Gesetz sei getrickst und geschummelt worden. Die statistische Ermittlung des Regelverbrauchs sei geändert worden. Nicht die unteren 20 Prozent der Einkommen, sondern nur die unteren 15 Prozent seien einbezogen worden. Zudem sei die verdeckte Armut herausgerechnet worden.
Gysi kritisierte weiterhin die mangelnde Chancengleichheit für Kinder. 16 verschiedene Schulsysteme in Deutschland, das gehöre ins 19. Jahrhundert, sagte er. Deutschland brauche ein einheitliches Bildungssystem, damit alle Kinder die gleichen Chancen hätten.
Der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth hielt der Koalition vor, die Haushaltsmittel für eine vernünftige Förderung von Langzeitarbeitslosen rigoros gestrichen zu haben. Der vorgelegte Gesetzentwurf sei "Bürokratie pur und das Gegenteil von einer sachgerechten und einfachen Lösung". Auch Bündnis90/Die Grünen sprachen sich für mehr Investitionen in Schulen aus.
Der FDP-Sozialexperte Pascal Kober sagte, die Koalition habe eine Reform gemacht, die auch wirklich bei den Menschen ankomme: "Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip wird es mit der Koalition nicht geben." Deshalb sei für den ersten Schritt auch ein höherer verwaltungstechnischer Aufwand nötig.
In dem 254-seitigen, vom Arbeits- und Sozialministerium vorgelegten Gesetzentwurf ist genau aufgeschlüsselt, welche Ausgaben der Berechnung der Grundsicherung zugrunde liegen. Der Regelsatz macht für Alleinstehende insgesamt 364 Euro monatlich aus. Ehegatten oder Lebenspartner, die im gleichen Haushalt leben, bekommen 328 Euro monatlich. Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr stehen 215 Euro, bis zum 14. Lebensjahr 251 Euro und bis zum 18. Lebensjahr 287 Euro zu.
Gleichzeitig wurde für Kinder und Jugendliche aus Hartz-IV-Familien ein Bildungspaket in Höhe von rund 740 Millionen Euro geschnürt, damit diese eine angemessene Lernförderung erhalten, an Vereinsaktivitäten teilnehmen können und ein warmes Schulmittagessen bekommen. Dafür steht ein Jahresbeitrag bis zu 120 Euro zur Verfügung. Weiterhin werden unter anderem Kosten für Schulmaterial im Gegenwert von 100 Euro im Schuljahr und ein Zuschuss für Schul- und Kitaausflüge von 30 Euro im Jahr gewährt.
Der Bundestag lehnte Anträge der SPD ( 17/3648) für eine "transparente Bemessung der Regelsätze und eine Förderung der Teilhabe von Kindern", der Linksfraktion ( 17/2934) zur "gewährleistung eines menschenwürdigen Existenz- und Teilhabeminimums" sowie der Grünen ( 17/3435) für ein "menschenwürdiges Dasein und Teilhabe für alle" mehrheitlich ab.
Beschlossen wurde dagegen eine weitere Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzgebung ( 17/3631, 17/3683) auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ( 17/4033), in dem festgelegt ist, dass der Bund sich 2011 im Schnitt mit 25,1 Prozent an den Kosten für Heizung und Unterkunft der Hartz-IV-Bezieher beteiligt. In Baden-Württemberg beträgt der Bundesanteil 28,5 Prozent, in Rheinland-Pfalz 34,5 Prozent und in den übrigen Bundesländern 24,5 Prozent. Die verbleibenden Kosten tragen die Länder.
Keine Mehrheit fand schließlich ein Antrag der Grünen ( 17/3058), Leistungskürzungen bei den Unterkunftskosten im Arbeitslosengeld II zu verhindern. (sn)