Navigationspfad: Startseite > Dokumente & Recherche > Textarchiv > > Serie Wahlperioden > Der 7. Deutsche Bundestag (1972-1976)
Die Bundestagswahl am 27. September 2009 folgte auf ein Jubiläum: Vor 60 Jahren, am 7. September 1949, trat die Volksvertretung in der provisorischen Hauptstadt Bonn zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Anlass für einen Rückblick auf 16 Wahlperioden, auf Meilensteine, Wendemarken, Personen und Entscheidungen.
Triumph für die Sozialdemokraten: Die erste vorgezogene Bundestagswahl bestätigt im November 1972 die seit 1969 regierende sozialliberale Koalition unter Willy Brandt, die SPD wird zum ersten Mal stärkste Fraktion. Brandt tritt jedoch 1974 zurück, nachdem sein enger Mitarbeiter Günter Guillaume als DDR-Spion enttarnt worden war.
Neuer Bundeskanzler wird Helmut Schmidt (SPD). Die parlamentarische Arbeit ist zuweilen zäh, die Dauer der Gesetzgebungsverfahren mit durchschnittlich 266 Tagen die längste in der Geschichte des Bundestages. In der Ostpolitik setzt die Mehrheit im Bundestag weiter auf Entspannung. 1973 wird die Bundesrepublik in die Vereinten Nationen aufgenommen. Die erste Ölkrise beschert den Industrienationen eine Rezession.
Nach einem kurzen, aber heftigen Wahlkampf gehen am 19. November 1972 so viele Wähler wie niemals zuvor zur Wahl. Die Wahlbeteiligung erreicht - seither unübertroffene - 91,1 Prozent.
Die Entscheidung der Wähler bei dem um ein knappes Jahr vorgezogenen Urnengang läuft auf ein Votum über Brandt und seine Ostpolitik hinaus. Die Wahl war vorgezogen worden, nachdem Brandt im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt und - wie geplant - keine Mehrheit erhalten hatte, um dadurch Neuwahlen möglich zu machen.
Zum ersten Mal seit 23 Jahren wird die SPD mit 45,8 Prozent stärkste Fraktion. Für die CDU/CSU stimmen 44,9 Prozent, die FDP wird von 8,4 Prozent der Wähler gewählt. Ihren Erfolg verdanken die Sozialdemokraten vor allem einer starken Mobilisierung der Wähler, die sich aufgrund der Auseinandersetzung um die Ostverträge, des versuchten Misstrauensvotums gegen Brandt und der vorzeitigen Auflösung des Bundestages zum Urnengang aufgerufen fühlten.
Bei dieser Wahl dürfen nach einer Grundgesetzänderung erstmals auch die 18- bis 21-Jährigen ihr Votum abgeben.
Premiere im zweithöchsten Amt des Landes: Annemarie Renger wird die erste Bundestagspräsidentin in einem Parlament, in dem mit einem Frauenanteil von 5,8 Prozent die wenigsten weiblichen Abgeordneten überhaupt vertreten sind. Zugleich besetzt zum ersten Mal in der Bundesrepublik die SPD als stärkste Fraktion diese Position.
Walter Scheel, bisher Vizekanzler und Außenminister im Kabinett Brandt, wird am 15. Mai 1974 von der Bundesversammlung zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Er folgt Dr. Gustav W. Heinemann im Amt des Bundespräsidenten. Nach Prof. Dr. Theodor Heuss ist er der zweite Liberale im höchsten Staatsamt.
Bundeskanzler Willy Brandt tritt am 6. Mai 1974 als Folge der so genannten Guillaume-Affäre zurück. Seine Nachfolge tritt Helmut Schmidt an, der bis 1982 Kanzler bleiben wird. Bereits am 6. Juni setzt der Bundestag zum Kanzlerspion Günter Guillaume einen Untersuchungsausschuss ein.
Brandt ist bereits Gegenstand eines weiteren Untersuchungsausschusses. Seit Juni 1973 prüfen die Parlamentarier, ob Abgeordnete in der vorangegangenen Wahlperiode beim konstruktiven Misstrauensvotum gegen Brandt beeinflusst worden sind. Der CDU-Abgeordnete Julius Steiner behauptete damals, vom SPD-Geschäftsführer Karl Wienand 50.000 DM dafür erhalten zu haben, in der Abstimmung im April 1972 gegen den Brandt-Herausforderer Rainer Barzel zu stimmen.
In der siebten Wahlperiode werden nahezu so viele Gesetze wie in der ersten Wahlperiode des Bundestages verabschiedet. Insgesamt beschließen die Abgeordneten 516 Gesetze. Deutlich mehr als sonst, 104 Mal, wird der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat angerufen, was mit ein Grund für die langen Gesetzgebungsverfahren ist.
Dennoch geht es beim Energiesicherungsgesetz so schnell wie selten. Innerhalb von drei Tagen zwischen der ersten Lesung im Bundestag und der Verkündung beschließt das Parlament angesichts der weltweiten Ölpreiskrise eine rechtliche Grundlage, um im Notfall Verbrauchsbeschränkungen wie etwa die vorgesehenen Sonntagsfahrverbote anordnen zu können.
Ein wichtiges Vorhaben der Wahlperiode scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht: die Reform des Paragrafen 218. Die 1974 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Fristenregelung für Schwangerschaftsabbrüche - Straffreiheit bei Abbrüchen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten - wurde im Februar 1975 von Karlsruhe für unvereinbar mit der im Grundgesetz verankerten Unantastbarkeit des menschlichen Lebens erklärt.
Im Juni 1976 tritt eine Reform als Kompromisslösung in Kraft. Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb festgelegter Fristen straffrei.
Im Jahre 1975 stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Abgeordnetentätigkeit zu einer Hauptbeschäftigung geworden ist und die finanzielle Entschädigung, die Diäten, wie ein regelrechtes Einkommen behandelt werden müssen: das heißt für jeden Parlamentarier gleich, angemessen hoch und zu versteuern.
Auf der Tagesordnung des Bundestages steht weiterhin der Ausbau von mehr Kontroll- und Mitwirkungsrechten für das Parlament. So wird der Petitionsausschuss im Grundgesetz verankert und seine Befugnisse werden erweitert, besonders gegenüber Ämtern und Behörden. Weitere Enquete-Kommissionen arbeiten an drängenden Fragen der Zeit, etwa zum Verhältnis von Frau und Gesellschaft.