Navigationspfad: Startseite > Dokumente & Recherche > Textarchiv > > Serie Debatten > Historische Debatten - (1953-1957)
60 Jahre Bundestagsgeschichte - das sind 16 Legislaturperioden, acht Bundeskanzler und unzählige Reden, die im Plenum des Parlaments gehalten wurden. Einige Debatten in dieser Zeit waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Dispute und Entscheidungen der bisherigen 16 Wahlperioden.
Es ist früher Morgen, als am 13. August 1961 rund 10.000
Volks- und Grenzpolizisten mitten in Berlin beginnen, das
Straßenpflaster aufzureißen und aus Asphaltstücken
und Steinen Barrikaden zu errichten. Betonpfähle werden in den
Boden gerammt, Stacheldraht gespannt.
Mit Ausnahme von 13 Kontrollpunkten schließt die DDR an diesem Tag alle Sektorenübergänge zwischen West und Ost, auch S- und U-Bahnverbindungen werden unterbrochen. Selbst das Brandenburger Tor wird abgeriegelt. Der Bau der Berliner Mauer beginnt.
Was für die Bevölkerung ein Schock ist, trifft auch die
bundesrepublikanische Politik recht unvorbereitet. Die Abriegelung
Berlins war ein gut gehütetes Staatsgeheimnis der
DDR-Regierung. Zwar meldete der Bundesnachrichtendienst (BND) schon
Anfang August, "das Pankower Regime" bemühe sich um die
sowjetische Einwilligung zu einer Absperrung Berlins.
Am 12. August berichtete der BND sogar, das Zentralkommitee habe beschlossen, den Berliner Ost-Sektor schon "in den nächsten Tagen" abzuriegeln, um den Flüchtlingsstrom von Ost nach West zu stoppen. Wann genau aber die DDR handeln würde, ist jedoch unklar – auch der Regierung in Bonn.
Die befindet sich dieser Tage mitten im Wahlkampf: Es ist
Sommerpause im Bundestag, nur wenige Wochen später, am 17.
September, soll das Parlament neu gewählt werden. Dennoch
kommen die Abgeordneten am 18. August 1961 zu einer
außerordentlichen Sitzung zusammen.
Es ist eine emotionale Debatte, zu deren Beginn Bundeskanzler Konrad Adenauer ans Rednerpult tritt, um eine Regierungserklärung abzugeben. Auch Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin, ist nach Bonn gereist, um im Bundestag gegen die Situation zu protestieren.
Der Bundeskanzler verurteilte als erster Redner der Debatte die
Abriegelung scharf: Das Viermächteabkommen sei damit klar
gebrochen worden. Aber: Das"Ulbricht-Regime" habe so gegenüber
der gesamten Welt" die politische Bankrotterklärung einer
16-jährigen Gewaltherrschaft abgegeben. Moskau und sein
"Marionettenregime" planten damit, den "freien Teil der deutschen
Reichshauptstadt von der freien Welt abzuschnüren".
Doch das ließen die Bundesregierung und ihre westlichen Verbündeten nicht zu, versicherte Adenauer: "Der Nato-Rat hat erklärt, die Freiheit Berlins aufrechtzuerhalten."
War Adenauers Regierungserklärung noch von einem
staatsmännischen Tenor getragen, so hielt Willy Brandt eine
flammende Rede gegen "das schreiende Unrecht", das den Menschen in
Berlin angetan werde. "Was zusammengehört, ist weiter
auseinandergerissen, es wird brutal zerschlagen", empörte sich
der Regierende Bürgermeister und forderte die Vereinten
Nationen auf, einzugreifen: Die "flagrante Verletzung der
Menschenrechte" müsse international gebrandmarkt werden, so
Brandt.
Gleichzeitig erteilte er aber militärischen Drohgebärden
der Westalliierten eine Absage: Er könne nur vor einer Haltung
warnen, "die Ulbricht ermutigt, seine Politik der vollendeten
Tatsachen fortzusetzen".
Der Abgeordnete Erich Mende (FDP) forderte die Fraktionen trotz
Wahlkampfs zur Geschlossenheit auf. Alle seien angehalten, nach
diesem 13. August, der als "schwarzer Tag" in die Geschichte
eingehen werde, in "engster Zusammenarbeit mit unseren Partnern"
die Bedrohung von Berlin abzuwenden. Ein neues "neuen Korea"
müsse verhindert werden.
Beinahe zum Tumult kam es, als Arno Behrisch als letzter Redner das Wort ergriff und dabei den Westen der Mitschuld an der aktuellen Krise bezichtigte. Der Abgeordnete hatte kurz zuvor die SPD aus Protest gegen ihre außenpolitische Linie verlassen und nutzte nun seine Rede, um auch die Politik der Bundesregierung zu kritisieren: Die Berlin-Krise beruhe, so Behrisch, auf einer "monumentalen Fehleinschätzung" der seit 1952 vom Westen demonstrierten "Politik der Stärke".
Um "Frieden und Freiheit in Einheit" zu erreichen, hätte man
sich um einen Kompromiss mit denen bemühen müssen, die
"das Faustpfand in der Hand" hielten, sagte der Behrisch.
Doch aller – auch internationaler– Protest verhallt letztlich ohne Resultat. Die DDR-Regierung baut in den folgenden Wochen und Monaten die provisorische Abriegelung aus Stacheldraht zur schwer bewachten Grenzanlage aus.
Mehr als 28 Jahre lang trennt so die Berliner Mauer Ost und West
und zementiert – im wahrsten Sinne des Wortes –- die
deutsche Teilung. Viele Menschen verlieren ihr Leben bei dem
Versuch, diese Grenze zu überwinden. Die genaue Anzahl der so
genannten Maueropfer ist bis heute unklar: Historiker sprechen von
125 bis 206 Toten.