Kundus-Affäre: Merkel geht auf Distanz zu Jung

Untersuchungsausschuss (Kundus) - 11.02.2011

Berlin: (hib/KOS/MPI) Bundeskanzlerin Angela Merkel ist im Untersuchungsausschuss zur Kundus-Affäre deutlich auf Distanz zum seinerzeitigen Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (beide CDU) gegangen. Mehrfach wies die CDU-Politikerin am Donnerstagabend darauf hin, dass sie selbst schon unmittelbar nach dem von einem Bundeswehr-Oberst angeordneten und von zwei US-Piloten ausgeführten Bombardement in der afghanischen Kundus-Region vom 4. September 2009 im Gegensatz zu Jung die Existenz ziviler Opfer nicht ausgeschlossen habe. Die Regierungschefin betonte, sie habe Jung wiederholt gedrängt und aufgefordert, in seinen öffentlichen Erklärungen diese Möglichkeit ebenfalls einzuräumen. Nach drei Tagen sei Jung schließlich auf ihre Linie eingeschwenkt. Der damalige Verteidigungsminister, der zunächst nur von ”terroristischen Taliban“ als Opfern des Luftschlags gesprochen hatte, war Ende November 2009 vom zwischenzeitlich übernommenen Amt des Arbeitsministers zurückgetreten, um die Verantwortung für die umstrittene Informationspolitik des Verteidigungsministeriums in der ersten Phase nach dem Angriff zu übernehmen.

Der Ausschuss soll Umstände, Hintergründe und Konsequenzen des Bombardements zweier von den Taliban entführter Tanklaster durchleuchten, bei dem bis zu 142 Tote und Verletzte samt vielen Zivilisten zu beklagen waren. Dieser Luftschlag zählt zu den gravierendsten Vorfällen in der Geschichte der Bundeswehr. Nach Angaben Merkels lässt sich nicht mehr aufklären, wie viele Opfer genau es bei dem Angriff gab.

Die Kanzlerin erläuterte im Ausschuss, dass sich Jung trotz ihres Drängens, alle verfügbaren Informationen zu dem Bombardement in seine öffentlichen Stellungnahmen einzubeziehen, zunächst allein auf Berichte aus Afghanistan gestützt habe, die nur Taliban als Opfer erwähnt hätten. Laut der Zeugin war es in jenen Tagen ”sich überstürzender, widersprüchlicher Meldungen“ hingegen schon bald zwar nicht erwiesen, aber doch ”sehr wahrscheinlich“, dass sich Zivilisten unter den Leidtragenden des Luftschlags befanden. So habe bereits am Tag nach dem Angriff der Oberkommandierende der alliierten Truppen in Afghanistan, Stanley McChristal, in einer Klinik einen zehnjährigen Jungen mit Brandwunden besucht.

Mit den Worten ”Das Gegenteil war der Fall“ wies Merkel Kritik von Oppositionsabgeordneten zurück, sich nicht entschieden genug und nicht lückenlos für die Aufklärung des Kundus-Bombardements eingesetzt zu haben: Alle Unterstellungen, die Regierung sei nicht an Aufklärung interessiert gewesen oder habe sie wegen des seinerzeitigen Wahlkampfs sogar unterbinden wollen, seien haltlos. Als zentralen Beleg für die Aufklärungsbemühungen der Regierung und der Nato führte sie den Untersuchungsbericht der Nato zu dem Luftangriff an. Grünen-Obmann Omid Nouripour wies indes daraufhin, dass diese Expertise nicht öffentlich zugänglich sei.

Rückendeckung in der Kundus-Affäre gab die Kanzlerin dem jetzigen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der mit der Bildung der schwarz-gelben Koalition Jung an der Spitze des Verteidigungsministeriums abgelöst hatte. So habe sie ”keine Einwände“ dagegen gehabt, dass auf Drängen des CSU-Politikers Staatssekretär Peter Wichert und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan Ende November 2009 ihren Hut nehmen mussten. Guttenberg hatte Schneiderhan und Wichert vorgeworfen, ihm wesentliche Informationen zum Angriff auf die Tanklaster wie vor allem einen Feldjägerbericht der Bundeswehr vorenthalten zu haben. Merkel bezeichnete es auch als ”gut nachvollziehbar“, dass Guttenberg unter Einbeziehung der ihm zunächst nicht bekannten Informationen sein anfängliches Urteil revidierte, das Kundus-Bombardement sei militärisch angemessen gewesen.

Die CDU-Politikerin lobte die ”gute Zusammenarbeit“ mit dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei der Aufarbeitung des Luftangriffs. Sie habe keinen Anlass gesehen, Kritik an dem SPD-Politiker zu üben. Steinmeier habe die Tragweite des Vorfalls von Kundus erkannt und diesen im Bundestagswahlkampf nicht gegen die CDU genutzt.

Mit dem Auftritt Merkels und zuvor Steinmeiers beendete der Untersuchungsausschuss seine Zeugenvernehmungen. Der Abschlussbericht soll bis zum Sommer erarbeitet werden.

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