Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > November 2010 > Anhörung: Verfassungsmäßigkeit der neuen Hartz-IV-Sätze bleibt umstritten
Berlin: (hib/ELA/TYH) Die neuen Hartz-IV-Regelsätze und das Bildungspaket für Kinder stießen bei der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am heutigen Montag auf ein geteiltes Echo. Während einige Sachverständige die neuen Sätze des Gesetzentwurfs der Fraktionen von CDU/CSU und FDP ( 17/3404) als transparent berechnet und verfassungskonform bezeichneten, zweifelten andere die Verfassungsmäßigkeit an.
Die Bundesregierung habe eine ”anerkannte Methode“ der Berechnung der Sätze benutzt, sagte Professor Georg Cremer von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. Die Berechnungen genügten den ”Ansprüchen“, die die Karlsruher Richter formuliert hätten, ergänzte Reiner Höft-Dzemski vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. Gleichwohl äußerte der Sozialexperte Kritik: Die veränderte Berechnung des Regelbedarfs von Erwachsenen auf Grundlage der untersten 15 Prozent der Einpersonenhaushalte anstelle der untersten 20 Prozent wie bisher üblich sei zwar ”hinsichtlich der statistischen Zuverlässigkeit ausreichend“, sagte Höft-Dzemski. Doch fehlte im Gesetzentwurf ”jegliche Begründung für die Abweichung“. Er plädiere daher für die untersten 20 Prozent, sonst könne der Eindruck entstehen, dass die Regierung die Veränderung vorgenommen habe, um einen Anstieg der Sätze zu vermeiden.
Verfassungsrechtliche Bedenken an den neuen Regelsätzen äußerte Dr. Jürgen Borchert. Je genauer man bei den statistischen Verfahren hinschaue, ”desto mehr Zweifel stellen sich ein“, sagte der Sozialrichter. Seine Hauptkritikpunkte: Die Abweichung von 20 auf 15 Prozent bei der Referenzgruppe der Einpersonenhaushalte, die Tatsache, dass so genannten ”verdeckt Arme“ nicht aus der Stichprobe heraus gerechnet worden seien und dass bestimmte Berechnungsverfahren von Einpersonenhaushalten auf Familien übertragen würden. Zudem gebe es in dem Datenmaterial eine ”Fülle von Ungereimtheiten“, sagte Borchert. Auch die Einzelsachverständige Professor Anne Lenze hält ”das gesamte Paket für verfassungsrechtlich höchst riskant“. Ebenfalls kritisch äußerte sich Ragnar Hoenig vom Sozialverband Deutschland (SoVD). Problematisch sei die Berechnung der Kinderregelsätze, die ”statistisch unsicher“ seien. Daher halte er weitere Untersuchungen für erforderlich.
Das 700-Millionen-Euro-Bildungspaket für Kinder stieß bei der Mehrheit der Sachverständigen auf grundsätzliche Zustimmung. Das Paket sei ”sachgerecht und zielführend“, sagte Dr. Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag. Durch das Gutscheinsystem sei – anders als bei Geldleistung – leichter zu bewerkstelligen, dass die Hilfe auch bei den Kinder ankomme. Gleichwohl sah sie wie auch viele andere Experten große administrative Schwierigkeiten. Einige Experten warnten vor Parallelstrukturen zur schon bestehenden Kinder- und Jugendhilfe, wenn künftig auch die Jobcenter zuständig sein sollten. Heinrich Alt von der Bundesagentur für Arbeit (BA) versicherte, die BA sei in intensiven Gesprächen mit den Kommunen, den Trägern der Jugendhilfe und den Wohlfahrtsverbänden. ”Wir werden eine Umsetzung hinkriegen, die akzeptabel ist“, sagte Alt.
Einige Experten kritisierten den bürokratischen Aufwand, der mit dem Bildungspaket verbunden sein werde. Die zu erwartenden Kosten des Verfahrens stünden in keinem angemessenen Verhältnis zum Wert der Leistungen, sagte Rolf-Dietrich Kammer vom Bundesrechnungshof. ”Mindestens ein Viertel der Leistungen geht in Bürokratiekosten“, schätzte der Einzelsachverständige Norbert Struck. Einige Experten plädierten dafür, statt der vielen einzelnen Maßnahmen des Pakets die Infrastruktur für Bildung insgesamt flächendeckend besser auszubauen. Ingo Kolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund nannte als Beispiele die Schulsozialarbeit oder auch den Ausbau der Kitas. Die Einzelsachverständige Dr. Irene Becker begrüßte das Bildungspaket zwar grundsätzlich, mahnte jedoch mehr Transparenz an. Es sei unklar, wie die Regierung auf 10 Euro pro Monat für die Mitgliedschaft in den Bereichen Sport oder Musik komme. Das Geld reiche weder für das Erlernen eines Instruments noch für eine Vereinsmitgliedschaft.
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