Navigationspfad: Startseite > Presse > Pressemitteilungen > 2010 > 28.02.2010
Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 01. März
2010
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen
Veröffentlichung –
Im Streit um die „Hartz IV“-Äußerungen des FDP-Vorsitzenden und Außenamtchefs Guido Westerwelle stellt die Grünen-Parlamentarierin Katrin Göring-Eckardt die Eignung des Ministers für ein Regierungsamt in Frage. „Vor der Wand des Auswärtigen Amtes Innenpolitik als FDP-Chef zu machen, zeigt, dass da jemand Amt und Regierungsverantwortung nicht gewachsen ist“, sagte Göring-Eckardt in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 01. März 2010). Die Art, wie Westerwelle Menschen ohne Arbeit abqualifiziere, sei reine Klientelpolitik, die allein auf Wählerstimmen abziele und wenig mit Verantwortung zu tun habe. „Zur rot-grünen Regierungszeit war uns klar, dass wir Verantwortung für das ganze Land hatten. Westerwelle hat offenbar nur Verantwortung für die FDP und ihre möglichen Wähler“, fügte die Bundestagsvizepräsidentin hinzu.
Die Grünen-Politikerin verteidigte zugleich das Abstimmungsverhalten ihrer Fraktion bei der Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr. Es gebe Grünen-Abgeordnete, die der Verlängerung am vergangenen Freitag zugestimmt haben, während andere sich enthalten oder dagegen gestimmt hätten. Das zeige, „ dass es bei uns nach wie vor eine große Diskussion darüber gibt, die unsere Verantwortung wiederspiegelt“, betonte Göring-Eckardt: „Dass wir fragen, was wir zusätzlich beim humanitären Aufbau tun können, ist wichtig – und dass wir uns gleichzeitig nicht vor der Frage verstecken, wie man ziviles Engagement in Afghanistan absichern muss.“ Diese Diskussion habe ihre Partei lange auch stellvertretend für die Gesellschaft geführt.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Göring-Eckardt, als Präses der EKD-Synode
haben Sie eng mit der Ratsvorsitzenden Margot Käßmann
zusammengearbeitet, die nach einer Alkohol-Fahrt
zurückgetreten ist. Ein überstürzter Rücktritt
oder eher beispielhaft auch für andere Bereiche wie die
Politik?
Göring-Eckardt: Für mich persönlich
war es in erster Linie traurig, weil ich sehr gut mit Margot
Käßmann zusammengearbeitet habe und wir ein ganz gutes
Team waren an der Spitze der EKD. Aber es war kein
überstürzter Rücktritt, sondern eine klare
Überlegung, wie man gradlinig in einem Amt wirken und –
was ihr immer wichtig gewesen ist und bleibt – auch
glaubwürdig sein kann. Das hat sie zu ihrer Entscheidung
gebracht. Sie hatte die Unterstützung des Rates der EKD, von
vielen anderen, besonders von „ganz normalen“
Kirchenmitgliedern. Aber sie hat sich an eigenen hohen
Ansprüchen gemessen – und war insofern doch wieder
beispielhaft für das Handeln einer Kirchenfrau.
Müssen öffentliche Personen wie Bischöfe
oder Abgeordnete Vorbild sein?
Göring-Eckardt: Wir sind alle ganz normale Menschen
und machen Fehler. Die Frage ist, wie man mit seinen Fehlern
umgeht. Dabei hat Margot Käßmann einen sehr harten
Schnitt gezogen – für sie selbst hart, aber auch
für unsere Kirche. Das muss aber jeder individuell immer
für sich selbst entscheiden. Wer in der Öffentlichkeit
steht, muss trotzdem wissen, dass genau hingeschaut wird, wie man
sich verhält. Dass ich mich nicht anders verhalten sollte, als
ich es von anderen erwarte, gehört auf jeden Fall dazu.
Käßmann hatte sich auch kritisch zu
Afghanistan geäußert. Im Bundestag enthielten sich jetzt
viele Grüne bei der Mandats-Verlängerung. Wie sehr
trägt Ihre Fraktion den Afghanistan-Einsatz noch?
Göring-Eckardt: Wir fühlen eine hohe
Verantwortung für das Geschehen in Afghanistan. Das zeigt sich
auch daran, dass bei uns nicht einer Vorgaben macht und dann so
abgestimmt wird. Wir haben Abgeordnete, die zugestimmt haben,
andere haben sich enthalten oder dagegen gestimmt. Das zeigt, dass
es bei uns nach wie vor eine große Diskussion darüber
gibt, die unsere Verantwortung wiederspiegelt. Auch wenn sich
Mandat und Strategie verändert haben, kann man nicht sagen,
dass schon das Notwendige an humanitärer Hilfe geleistet wird.
Viele von uns treibt auch um, welches Vertrauen wir in
Bundesregierung und Bundeswehr-Leitung haben nach dem
Kundus-Zwischenfall...
... als bei einem Luftangriff auf Tanklaster viele
Menschen ums Leben kamen...
Göring-Eckardt: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wer
einem Einsatz der Bundeswehr zustimmt, muss darauf vertrauen
können, dass gut durchdacht ist, was dabei geschieht. Im
Moment ist dieses Vertrauen zumindest angekratzt.
Fürchten Sie nicht, dass die Enthaltung oder
Nein-Stimmen vieler Grünen in der Bevölkerung eher die
pauschale Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes stärkt als den
Ruf nach mehr zivilem Engagement?
Göring-Eckardt: Unser Abstimmungsverhalten ist ja
gerade nicht pauschal. Dass wir fragen, was wir zusätzlich
beim humanitären Aufbau tun können, ist wichtig –
und dass wir uns gleichzeitig nicht vor der Frage verstecken, wie
man ziviles Engagement in Afghanistan absichern muss. Diese
Diskussion haben wir lange auch stellvertretend für die
Gesellschaft geführt.
Für Aufregung sorgen derzeit auch die „Hartz
IV“-Äußerungen von FDP-Chef Westerwelle. Sie haben
ihm eine „Abschottungspolitik“ vorgeworfen, weil er die
Mittelschicht als Opfer sieht.
Göring-Eckardt: Westerwelle versucht nicht, die
Mittelschicht abzuschotten, sondern sein Wählerpotenzial. Die
Art, wie er Leute ohne Arbeit abqualifiziert, ist reine
Klientelpolitik, die allein auf Wählerstimmen zielt und wenig
mit Verantwortung zu tun hat. Zur rot-grünen Regierungszeit
war uns klar, dass wir Verantwortung für das ganze Land
hatten. Westerwelle hat offenbar nur Verantwortung für die FDP
und ihre möglichen Wähler. Vor der Wand des
Auswärtigen Amtes Innenpolitik als FDP-Chef zu machen, zeigt,
dass da jemand Amt und Regierungsverantwortung nicht gewachsen
ist.
Derzeit wird wieder viel über Schwarz-Grün
spekuliert – vor allem mit Blick auf Nordrhein-Westfalen.
Eine wertkonservative Grüne wie Sie müsste daran doch
Gefallen finden.
Göring-Eckardt: Aber die CDU ist eben nicht
wertkonservativ, das hieße ja, Werte zu bewahren. Für
Leute, die überlegen, Grün zu wählen, ist es eine
wichtige Orientierung, dass die Grünen in Nordrhein-Westfalen
klar Jamaika ausgeschlossen haben...
...also mit CDU und FDP zu koalieren.
Göring-Eckardt: Man muss auch fragen, was Schwarz und
Grün in einem Bundesland verbindet. In Hamburg war es ein
großer Schritt für die Union, bei der Bildungsreform auf
die Grünen zuzugehen. Ob so ein großer Schritt in
Nordrhein-Westfalen gelingt? Da muss man skeptisch sein. Deswegen
haben die Grünen dort eindeutig gesagt, dass ihre
Präferenz Rot-Grün ist. Ansonsten muss man, wenn
Schwarz-Grün am Ende die Alternative zu einer großen
Koalition ist, schauen, ob es genügend Inhalte für eine
Zusammenarbeit gibt. Da muss man sehr skeptisch sein.
In NRW lieber Rot-Grün, in Hamburg
Schwarz-Grün, an der Saar Jamaika: Sind die Grünen eine
beliebige Funktionspartei geworden?
Göring-Eckardt: Wir sind keine Funktionspartei,
sondern eine Inhaltspartei. Wir stehen glaubwürdig für
das Feld der Umweltpolitik, aber auch für eine moderne
Sozialstaatpolitik. Und wir können glaubwürdig
erklären, ob das, was wir in einer Regierung umsetzen
könnten, für eine Koalition reicht oder nicht. Das ist
nicht regieren um des Regierens willen, sondern um unsere Konzepte
umzusetzen.
Welche Koalition mit Grünen-Beteiligung können
Sie sich im Bund 2013 überhaupt nicht vorstellen?
Göring-Eckardt: Man weiß nicht, was bis dahin
noch passiert, aber dass ich mir Jamaika nicht vorstellen kann mit
der heutigen FDP, mit Guido Westerwelle und seiner Sozialpolitik,
kann ich sagen. Und mit der Linkspartei? Da bin ich sehr
zurückhaltend, auch wegen ihres Umgangs mit der Vergangenheit.
Das ist für mich als Ostdeutsche ein wichtiges
Kriterium.
Bald jährt sich die erste freie Volkskammerwahl.
Fast 20 Jahre später hat die Wahlbeteiligung gerade bei jungen
Ostdeutschen im vergangenen Herbst einen Tiefstand erreicht. Was
ist da schief gelaufen?
Göring-Eckardt: Wenn ich Schüler frage, wo sie
sich einbringen und etwas erreichen können, kommt oft das
Pauschalurteil: Nirgendwo – weil die da oben machen, was sie
wollen. Dabei machen viele in Vereinen und Verbänden bis hin
zum Schülersprecherrat mit und sind dafür zu
begeistern, dass sie etwas erreichen können, wenn sie sich
einmischen. Es macht immer Sinn, wenn es direkte demokratische
Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Ich habe das in Thüringen
gemerkt, wo mehrere Volksbegehren auf den Weg gebracht wurden. Da
war keine Politikverdrossenheit zu spüren – die Leute
fragten auf der Straße , wo sie etwa für eine bessere
Familienpolitik unterschreiben können.
Auch Bundestagsdebatten wecken eher selten Interesse an
Politik. Ein Vorschlag von Parlamentspräsident Lammert
lautet, dass Abgeordnete vom Platz statt vom Pult aus sprechen,
damit Debatten lebendiger werden.
Göring-Eckardt: Wir haben so eine Situation ja schon
bei Zwischenfragen: Es ist viel spannender, wenn dann hin und
her diskutiert wird. Ich bin auch ein Fan von Zwischenrufen, bei
denen es einen Dialog im Parlament gibt. Unsere Aufgabe als
Abgeordnete ist nicht, am Pult einen Zettel abzulesen. Debatte
heißt vielmehr auch, sich auf den Vorredner zu beziehen und
auf Beiträge einzugehen, die während der eigenen Rede
kommen. Die freie Rede ist ein wichtiger Punkt. Und wir sollten
viel mehr das Instrument offener Ausschusssitzungen
nutzen.