Navigationspfad: Startseite > Presse > Pressemitteilungen > 2010 > 14.03.2010
Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 15. März
2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
-
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), fürchtet wachsende Gefahren für die Bundeswehr infolge des neuen Afghanistan-Mandats. „Die neue Strategie des ‚Partnering‘, also der engeren Kooperation mit der afghanischen Armee, bedeutet eine größere Angriffsfläche für die Soldatinnen und Soldaten und damit ein höheres Risiko“, sagte er in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 15. März 2010). „Die Gefahr wächst, dass Soldaten verwundet oder sogar getötet werden.“ Zugleich verwies Robbe auf einen massiven Ärztemangel bei der Bundeswehr. „Die Arbeit ist sowohl finanziell als auch aufgrund der hohen Belastung einfach zu unattraktiv, vor allem bei schwierigen Auslandseinsätzen wie dem in Afghanistan.“ Wer jedoch in der Sanität Kompromisse mache, laufe Gefahr, dass die ohnehin schwierige Situation der deutschen Soldaten im Auslandseinsatz zusätzlich erschwert werde. „Für die Sanität ist es nicht mehr fünf Minuten vor, sondern fünf Minuten nach zwölf“, stellte der Wehrbeauftragte klar.
Robbe begrüßte dennoch, dass das Afghanistan-Mandat mit einer breiten Mehrheit im Bundestag verabschiedet worden ist. Er betonte aber, dass die Bundeswehr eine reine Parlamentsarmee sei. Daraus leite sich „eine besondere politische und moralische Verantwortung des Parlaments“ ab. Der Bundestag müsse darüber nachdenken, sagte Robbe, wie er noch stärker vermitteln könne, dass er hundertprozentig hinter den Soldaten stehe.
Robbe, dessen fünfjährige Amtszeit am 12. Mai endet, legt am 16. März seinen neuen Wehrbericht vor. Als Nachfolger kandidiert der FDP-Abgeordnete Hellmut Königshaus.
Das Interview im Wortlaut:
Hinter Ihnen liegen turbulente Wochen: Bizarre
Aufnahmerituale und Alkoholmissbrauch in der Bundeswehr machten
Schlagzeilen, der Afghanistan-Einsatz wurde verlängert und neu
bewertet. Überwiegen bei Ihnen derzeit die Sorgen oder haben
Sie auch Grund zur Freude?
Die vielen Baustellen, mit
denen ich es gerade zu tun habe, sind für mich nicht gerade
Anlass zu heller Freude. Das hat in erster Linie mit dem
Afghanistan-Einsatz zu tun und den Veränderungen, die sich aus
dem neuen Mandat ergeben. Die Tatsache, dass wir noch nicht wissen,
welche Auswirkungen diese Veränderungen haben werden, bereitet
mir Kopfzerbrechen.
Die Bundeswehr beteiligt sich in Afghanistan jetzt an
einem „bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären
Völkerrechts“. Begrüßen Sie diese
Klarstellung?
Durchaus, denn das Ziel des Einsatzes
ist jetzt exakter beschrieben als in der Vergangenheit. Das ist
wichtig, auch für die Rechtssicherheit der Soldaten.
Warum sind Sie trotzdem so besorgt?
Die
neue Strategie des „Partnering“, also der engeren
Kooperation mit der afghanischen Armee, bedeutet eine
größere Angriffsfläche für die Soldatinnen und
Soldaten und damit ein höheres Risiko. Militärexperten
schließen nicht aus, dass sich die Situation im Norden
Afghanistans, zumindest vorübergehend, wesentlich
verschärfen kann. Die Gefahr wächst, dass Soldaten
verwundet oder sogar getötet werden. Diese Problematik
belastet unsere Soldaten.
In welcher Form?
Wichtig ist, dass die
Soldaten alles bekommen, was für eine optimale Sicherheit
notwendig ist. Wenn der schlimmste Fall eintritt und ein Soldat im
Kampfeinsatz sein Leben verliert, muss es Hilfe und
Unterstützung für die Angehörigen geben – und
zwar langfristig. Hier sehe ich noch erheblichen Nachholbedarf bei
der Bundeswehr.
Immer mehr Soldaten kehren traumatisiert aus dem Ausland
zurück. Hilft die Bundeswehr den Betroffenen
genug?
Ich bin sehr dankbar, dass meine Forderungen
im Parlament auf fruchtbaren Boden gefallen sind. So soll es
künftig bessere Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten
geben. Der Verteidigungsausschuss hat zudem schon im Juli 2009
beschlossen, dass ein Forschungs- und Kompetenzzentrum für
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) eingerichtet
werden soll. Die Bundeswehr lernt mit jedem Einsatz. Deshalb ist
ein enger Wissenschafts- und Informationstransfer, auch mit dem
Ausland, sehr wichtig. Ich hoffe, dass wir bald über ein
Institut zur Behandlung von PTBS verfügen.
Angesichts der zunehmenden Risiken, denen die Soldaten
ausgesetzt sind, ist es unverständlich, dass es der Bundeswehr
ausgerechnet an Sanitätern und Fachärzten für
Psychiatrie mangelt. Der Bundeswehr laufen seit Jahren die
Ärzte weg. Was läuft schief?
Die
Sanität ist nach wie vor eines meiner größten
Sorgenkinder. Die Sanitätsführung hat nicht rechtzeitig
auf die wachsenden Herausforderungen reagiert, insbesondere mit
Blick auf das Personal. Allein 2009 haben 130 Bundeswehrärzte
gekündigt. Die Arbeit ist sowohl finanziell als auch aufgrund
der hohen Belastung einfach zu unattraktiv, vor allem in
schwierigen Auslandseinsätzen wie dem in Afghanistan. Jetzt
hat die Sanitätsführung endlich
Lösungsvorschläge vorgelegt. Aber noch ist unklar, wie
sie finanziert werden sollen. Ich muss es deutlich sagen: Für
die Sanität ist es aus meiner Sicht nicht mehr fünf
Minuten vor, sondern bereits fünf Minuten nach zwölf. Wer
in der Sanität Kompromisse macht, läuft Gefahr, dass die
ohnehin schwierige Situation der deutschen Soldaten im
Auslandseinsatz zusätzlich erschwert wird.
Sie weisen auf den Ärztemangel in der Bundeswehr
seit Jahren hin. Trotzdem ist kaum etwas passiert. Ist es für
Sie nicht frustrierend, dass Sie immer wieder die selben Dinge
anmahnen müssen?
Ich wusste vorher, dass es
mühsam wird. Frustriert sind vor allem die Soldaten. Die sagen
mir: „Wir schätzen sehr, dass Sie sich für uns
einsetzen, aber in Ihrem letzten Bericht stehen eine ganze Reihe
von Themen, die sich auch in Ihrem aktuellen Bericht wieder
finden.“ Und sie haben Recht! Das macht deutlich, wie
mühsam es offensichtlich in der Bundeswehr ist, Dinge
voranzubringen und zu verändern. Die Tatsache, dass es
trotzdem einigermaßen funktioniert, ist ein Beleg für
das unglaublich hohe Improvisationstalent der Soldaten.
Ihr neuer Jahresbericht erscheint am 16. März. Gibt
es denn auch positive Entwicklungen?
Leider habe ich
viele Stichworte, wie den genannten Ärztemangel oder die
Defizite bei der Ausrüstung wieder aufnehmen müssen, weil
es noch keine befriedigenden Lösungen gibt. Aber ja, es konnte
auch nachgebessert werden, nicht zuletzt, weil die
militärische Führung und auch die politisch
Verantwortlichen im Verteidigungsministerium inzwischen
aufmerksamer zuhören.
Wo gibt es Fortschritte?
Beispielsweise
hat sich in der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Dienst ein
neues Bewusstsein gebildet. Für kaum einen militärischen
Führer ist das heute noch ein Fremdwort. Und auch die
politische Führung versucht, diesem Thema einen hohen
Stellenwert einzuräumen. Bisher gibt es aber auch da nur
Konzepte und kaum Konkretes. Betreuungsplätze für Kinder
sind zum Beispiel immer noch rar.
Bundespräsident Horst Köhler hat einmal von
einem „freundlichen Desinteresse“ gegenüber der
Bundeswehr gesprochen. Warum klafft eine so große Lücke
zwischen Bedeutung und Akzeptanz der Armee?
Ich sehe
da vor allem ein großes Informationsdefizit. Die
Öffentlichkeit erfährt zu wenig über die
Lebenswirklichkeit, die Arbeitswelt und die schwierigen Seiten des
Soldatenberufes. Hier tun meiner Auffassung nach auch die Medien
noch zu wenig. Deshalb hat es unsere Gesellschaft bis zum heutigen
Tag nicht verstanden, den Soldaten die moralische
Unterstützung zu geben – in der Kirche sprechen wir von
Nächstenliebe –, die sie mit Recht erwarten dürfen.
Darunter leiden die Soldaten, die im Einsatz ihren Kopf hinhalten
müssen, tatsächlich. Das sagen sie mir sogar noch
deutlicher als den Abgeordneten oder dem Minister.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat
vergangene Woche in einem Vortrag vor Bundeswehrsoldaten betont,
sie wüssten, „dass sie sich auf ihr Parlament verlassen
können“. Können sie das wirklich? Im Bundestag
haben diesmal 111 Abgeordnete gegen das neue Afghanistan-Mandat
gestimmt, 46 haben sich enthalten.
Das neue Mandat
ist mit einer breiten Mehrheit im Bundestag, auch von weiten Teilen
der Opposition, verabschiedet worden. Dennoch kritisieren viele
Soldaten natürlich auch die Politik, weil sie teilweise zu
wenig hervorhebt, was die Soldaten leisten. Diese Kritik sollte
Anlass sein, darüber nachzudenken, wie wir noch mehr
vermitteln können, dass das Parlament hundertprozentig hinter
ihnen steht.
Immerhin ist die Bundeswehr eine reine
Parlamentsarmee.
Ja, die Bundesregierung kann
beschließen, was sie will, aber kein Soldat wird je einen
Stiefel auf fremden Boden setzen, wenn der Bundestag dem nicht
explizit zustimmt. Daraus kann man eine besondere politische und
moralische Verantwortung des Parlaments gegenüber den Soldaten
ableiten.
Ihre fünfjährige Amtszeit endet am 12. Mai.
Welchen Rat geben Sie Ihrem designierten Nachfolger Hellmut
Königshaus von der FDP?
(lächelt) Ich habe
keine Ratschläge zu erteilen. Wer mir aufmerksam zugehört
hat und aufmerksam meine Berichte liest, braucht keine
Empfehlungen.
Die Fragen stellte Johanna Metz
Reinhold Robbe (SPD) ist seit Mai 2005 Wehrbeauftragter des
Bundestages. Davor war er dreieinhalb Jahre Vorsitzender des
Verteidigungsausschusses.