Navigationspfad: Startseite > Presse > Pressemitteilungen > 2010 > 28.03.2010
Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 29. März
2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
-
Die Kommunen pochen auf mehr Mitwirkungsrechte bei Gesetzen mit finanziellen Auswirkungen auf Städte und Gemeinden. In der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 29.März) forderte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, „dass man ins Grundgesetz schreibt, dass bei Gesetzen mit Auswirkungen auf die Kommunen die Kommunalen Spitzenverbände beteiligt werden müssen“. Dabei könne man sich an Österreich orientieren, wo eine ähnliche Regelung bereits existiert.
Die Kommunen hätten das Gefühl, dass Bundes- und Landespolitiker den Bürgern „gerne immer mehr Wohltaten versprechen, die wir am Ende bezahlen müssen“, sagte Landsberg mit Blick auf die von der Bundesregierung am 4. März ins Leben gerufene Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzen. Die Kassenlage der Kommunen sei aber inzwischen „nicht dramatisch, sie ist katastrophal“. So seien die Sozialausgaben in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen, klagte der Hauptgeschäftsführer: „In diesem Jahr werden es schon 42 Milliarden Euro sein“.
Insbesondere die Eingliederungshilfe für Behinderte steige stark an, erläuterte der Kommunalvertreter, dessen Verband 12.500 Städte und Gemeinden mit insgesamt mehr als 47 Millionen Einwohnern repräsentiert. Warum die Kommunen dafür „in diesem Jahr über 13 Milliarden Euro aufbringen sollen, weiß ich nicht – das ist doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, fügte er hinzu und forderte eine „echte Diskussion, was der Staat noch realistischerweise leisten kann und soll. Nur dann werden wir aus dem Schuldensumpf herauskommen“. Für Steuersenkungen sieht Landsberg keinen Spielraum: „Es wird mittelfristig zu Steuererhöhungen kommen müssen“.
Das Interview im Wortlaut:
Das Dorf Niederzimmern verkauft seine Schlaglöcher
für 50 Euro pro Stück, die Kleinstadt Quickborn pumpt
ihre Einwohner an, Mühlheim an der Ruhr spart bei
Todesanzeigen für Ehrenbürger. Sind die Kommunen wirklich
so knapp bei Kasse?
In jeder Lokalzeitung
können Sie lesen, dass Kämmerer Schwimmbäder oder
Theater schließen müssen. Viele Kommunen wissen schlicht
nicht mehr, wie sie ihre Haushalte aufstellen sollen. Die
Kassenlage ist nicht dramatisch, sie ist katastrophal. Im
vergangenen Jahr haben die Kommunen 7 Milliarden Euro Minus
gemacht, dieses Jahr fehlen voraussichtlich 12 Milliarden.
Was ist die Ursache?
Zum einen liegt das
an der Wirtschaftskrise, weil den Kommunen die Einnahmen
wegbrechen, insbesondere die Gewerbesteuer. Im Schnitt gingen die
Einnahmen in 2009 um rund 20 Prozent zurück. Gleichzeitig
müssen wir immer mehr Aufgaben finanzieren, vor allem im
Sozialbereich. Da hatten wir schon in 2009 über 40 Milliarden
Euro Ausgaben, in diesem Jahr werden es schon 42 Milliarden sein,
unter anderem weil die Arbeitslosigkeit zunimmt. Die Sozialausgaben
sind in den vergangenen zehn Jahren um über 50 Prozent
angestiegen – und das Schlimme daran ist, dass wir darauf
keinen Einfluss haben.
Was sind die größten
Ausgabenposten?
Das ist die stark steigende
Eingliederungshilfe für Behinderte. Warum die Kommunen in
diesem Jahr über 13 Milliarden Euro aufbringen sollen,
weiß ich nicht – das ist doch eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ein großer Posten ist auch
die Grundsicherung im Alter für über 65-Jährige, die
zuvor Hartz IV bekommen haben. Dafür mussten die Kommunen 2009
über 3,8 Milliarden Euro aufwenden, im Jahr 2003 waren es nur
1,5 Milliarden. Dann schultern wir den Kita-Ausbau für die
unter Dreijährigen. Da haben zwar Bund und Länder Geld
beigesteuert, aber das reicht längst nicht. Und ich
befürchte, dass auch die geplanten 750.000 Plätze nicht
ausreichen werden, weil die Nachfrage größer sein
wird.
Sind nicht einige Kommunen auch selbst Schuld an der
Misere, da sie in guten Jahren nicht gespart haben oder auch
schlicht über ihre Verhältnisse
lebten?
Fehler gibt es im Einzelfall immer. Die
Kommunen haben flächendeckend nicht über ihre
Verhältnisse gelebt: Wir haben in zehn Jahren über
360.000 Stellen abgebaut, gleichzeitig ist der Service besser
geworden. In guten Jahren wurden sogar Schulden getilgt. Die
Kassenkredite, die eigentlich nur für kurzfristige
Engpässe gedacht sind, steigen rasant an. Inzwischen werden
damit immer öfter laufende Ausgaben finanziert. Die Kommunen
zusammen haben solche Kredite von über 35 Milliarden Euro.
Noch im Jahr 2000 waren es nur 7 Milliarden.
Wo sind denn die Mittel aus dem Konjunkturpaket II
geblieben?
Mit diesen rund 13 Milliarden Euro wurden
bislang zirka 29.000 Projekte finanziert. Das Handwerk hat
profitiert und daher kaum Leute entlassen müssen. Aber zum
Vergleich: Das Deutsche Institut für Urbanistik beziffert
unseren Investitionsbedarf bis 2020 auf über 700 Milliarden
Euro, um die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen.
Was muss passieren?
Wir brauchen eine
grundlegende Reform der Sozialsysteme, eine echte Diskussion, was
der Staat noch realistischerweise leisten kann und soll, nur dann
werden wir aus dem Schuldensumpf herauskommen. Die Kommunen haben
das Gefühl, dass die Politiker von Bund und Ländern den
Bürgern gerne immer mehr Wohltaten versprechen, die wir am
Ende bezahlen müssen.
Meinen Sie die aktuelle Diskussion um die
Hartz-IV-Regelsätze?
Das ist ein gutes Beispiel.
Man kann ja, wie die Wohlfahrtsverbände, sehr wohl dafür
sein, dass die Regelsätze auf 420 Euro steigen sollen, aber
man muss wissen, dass wir dann statt 6,7 Millionen 8,7 Millionen
Leistungsempfänger haben, weil es dann mehr Aufstocker gibt.
Zusätzlich würden bei den Kommunen mehr Ausgaben bei den
Kosten für die Unterkunft der Hartz-IV-Empfänger
entstehen. Das Spiel kann so nicht weitergehen, das ist unfair.
Wie sähen faire Regeln aus?
Die
Kommunen brauchen mehr Mitwirkungsrechte, und zwar dringender denn
je: Denn heute, wo Bundespolitiker permanent über Bildung,
Familie oder Integration sprechen, gewinnen die Kommunen an
Bedeutung, denn die meisten Dinge werden ja vor Ort konkret
umgesetzt. Daher fordern wir, dass man ins Grundgesetz schreibt,
dass bei Gesetzen mit Auswirkungen auf die Kommunen die Kommunalen
Spitzenverbände beteiligt werden müssen. Wir könnten
uns an Österreich orientieren, dort gibt es einen in der
Verfassung verankerten Konsultationsmechanismus: Bei Gesetzen, die
die Kommunen belasten, muss in einem Gremium aus Bund, Ländern
und Kommunen eine Einigung über die Finanzierung erzielt
werden.
Glauben Sie, dass in der von der Bundesregierung gerade
ins Leben gerufenen Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen
solche Vorschläge durchkommen?
Ich bin
optimistisch, weil der Druck hoch ist. Wir haben das jüngst
beim Kompromiss zum Erhalt der Jobcenter gesehen, das ging
plötzlich auch. Die Bürger spüren zunehmend, dass
die Kommunalfinanzen in einer Schieflage sind. Und sie wissen: Ohne
Stadt ist kein Staat zu machen. Es ist auch wichtig, dass wir in
der Gemeindefinanzkommission nicht nur über die Gewerbesteuer
und andere Steuerarten sprechen, also die Einnahmenseite, sondern
auch über die für uns so belastenden Ausgaben reden.
Langfristig müssen wir die Einnahmen erhöhen und die
Ausgaben kürzen, damit die Städte und Gemeinden dauerhaft
ihre Aufgaben ohne Schulden finanzieren können. Es wird
mittelfristig zu Steuererhöhungen kommen müssen, auch der
Bundespräsident hat dies zu Recht thematisiert.
Wieso halten die Kommunen unverändert an der
konjunkturanfälligen Gewerbesteuer als Haupteinnahmequelle
fest?
Ich kenne keine bessere Idee. Wir haben in der
Gemeindefinanzkommission 2003 Modelle und Alternativen
geprüft. Damals wurde diskutiert, dass die Kommunen einen
Hebesatz auf die Körperschaftssteuer bekommen sollten. Wenn
wir uns darauf eingelassen hätten, sähe es jetzt noch
schlechter aus – die Körperschaftsteuer ist im
vergangenen Jahr um 55 Prozent eingebrochen. Oder es wird gesagt:
Schafft doch die Gewerbesteuer ab und die Kommunen bekommen einen
Hebesatz auf die Einkommensteuer. Das funktioniert meiner Meinung
nach auch nicht: Soll denn der normale Steuerzahler Lasten
übernehmen, die bisher die Wirtschaft getragen hat? Wir reden
hier – in guten Jahren – von 38 bis 39 Milliarden
Euro.
Und was halten Sie von einem höheren Anteil an der
Umsatzsteuer, die ja weniger konjunkturanfällig
ist?
Das ist doch unrealistisch, die müsste dann
um mehr als vier Prozentpunkte steigen. Wir schlagen vor, die
Gewerbesteuer umzubauen. Die freien Berufe, zum Beispiel
Rechtsanwälte, Architekten und Zahnärzte sollten
ebenfalls zahlen...
... wie es auch die SPD in der Bundestagsdebatte zu
Kommunalfinanzen am 25. März gefordert
hat...
... es ist doch formal kein Unterschied, ob
der Zahnarzt zehn Beschäftigte hat, die Parkplätze und
Infrastruktur nutzen, oder der kleine Handwerker. Die Betroffenen
sollen das ja auch mit der Einkommensteuer verrechnen können,
so wäre die Belastung für den Einzelnen nicht besonders
groß, aber für die Kommunen wäre das ein
erhebliches Einnahme-Plus und es würde die Gewerbesteuer
stabilisieren. Denn zum Zahnarzt muss man schließlich auch,
wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist.
Gerd Landsberg ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, dessen Mitgliedsverbände über 12.500 Städte und Gemeinden mit mehr als 47 Millionen Einwohnern repräsentieren.