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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 12. April 2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
–
Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), hat den deutschen Automobilherstellern eine falsche Modellpolitik vorgeworfen. „Deutsche Autobauer setzen auf schnelle und teure Protzautos, die sind im globalen Maßstab unverantwortlich und nur noch einer Elite verkäuflich“, erklärte Hermann in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 12. April). Die Automobilindustrie wäre gut beraten, „schleunigst aufzuwachen und auf kleine, effiziente und klimafreundliche Fahrzeuge umzusteigen“, sagte Hermann weiter. Nach Ansicht des Abgeordneten wird die Automobilbranche ohne eine andere Modellpolitik „alsbald zur Nischenbranche wie die deutsche Elektronikbranche, die in den 1960er Jahren den globalen Markt beherrschte und heute dort quasi nicht mehr existiert“.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Hermann, wie sind Sie denn heute zum Bundestag
gekommen?
Mit der S-Bahn und zu Fuß.
Für die Abgeordneten gibt es eine Fahrbereitschaft,
die in ganz Berlin genutzt werden darf – ist das ein
überflüssiger Luxus?
Nein, auch ich brauche
ab und zu den Fahrdienst. Es gibt halt Situationen, wo wir
Abgeordnete im Zeitstress sind oder viel Gepäck dabei haben.
Mich ärgert aber, dass wir mit schwergewichtigen
Rennreiselimousinen transportiert werden, die wir im
innerstädtischen Verkehr nun gar nicht brauchen. Kleine,
klimafreundliche Stadtautos, am besten sogar Elektrofahrzeuge,
wären da angesagt.
Kommt es denn vor, dass mehrere Abgeordnete ein Auto
benutzen?
Manchmal. Nach namentlichen Abstimmungen am
Freitag wollen viele zum Flughafen – da müssen wir uns
auf die Fahrzeuge verteilen. Das allerdings kann problematisch
werden.
Wieso?
Abgeordnete pflegen im Auto
Telefonate zu führen, zuweilen auch politisch heikle. Da ist
es schlecht, wenn man mit der Konkurrenz aus einer anderen Fraktion
in einem Wagen sitzt.
Genau das indes ist das Prinzip nachhaltiger Logistik: Optimale
Auslastung des Transports und Verkürzung der Wege.
Wer setzt diese Potenziale eher um – die Politik
oder die Wirtschaft?
Für die Wirtschaft gibt es
den ökonomischen Antrieb, kostengünstig zu
transportieren, Lkw besser auszulasten oder schwere Lasten
auf die Schiene zu setzen. Die Politik dagegen hat sich in den
letzten 20 Jahren auf Bekenntnisse zur Verlagerung des Verkehrs auf
die Schiene beschränkt, ohne Strategie.
Was sind denn die Potenziale grüner
Logistik?
Die Fahrzeuge brauchen effizientere
Motoren, könnten durch Eco-Driving und Tempolimit für
Kleintransporter viel Sprit sparen oder gleich mit Biokraftstoffen
fahren. Die Citylogistik muss zukünftig verstärkt auf
Hybrid- und Elektroantriebe setzen. Und den größten
Klimaeffekt könnten wir erzielen, wenn mehr Lkw-Ladungen auf
Schienen rollen. Damit würde man den CO-2-Ausstoß pro
Tonnenkilometer auf rund ein Drittel reduzieren.
Der Schienengüterverkehr ist doch schon jetzt
ausgelastet.
Es müssen ungenutzte Nebenstrecken
reaktiviert werden. Aber vor allem müssen die Engpässe
beseitigt werden. Wir brauchen eine intensive zehnjährige
Ertüchtigungs- und Ausbauphase für den
Güterverkehr.
Die Grünen setzen auf
Wachstum?
Gerade an den Schnittstellen wie dem
Kombinierten Verkehr zwischen Straße und Schiene oder
Wasserstraße und Straße muss viel verbessert werden,
müssen Terminals ausgebaut werden. Da ist es besonders fatal,
dass gerade in der Schlussrunde der Haushaltsberatung die
Fördersummen für den Kombinierten Verkehr fast halbiert
worden sind. Dort zu streichen ist dumm – und das Gegenteil
dessen, was seit Jahren von allen gefordert wird.
Die Grünen wollen dem steigenden Bedarf an
Mobilität mit weniger Verkehr begegnen. Ist das nicht ein
totaler Gegensatz?
Wir wollen Mobilität für
alle sichern. Aber das heißt nicht automatisch, dem Verkehr
immer mehr Raum zu verschaffen, sondern: Wohlstandswachstum vom
Verkehrswachstum entkoppeln, regionale Wirtschaftskreisläufe
fördern, anstatt Güter immer weiter zu
transportieren.
Sie fordern mehr Maut?
Lkw unter
zwölf Tonnen zahlen gar keine Maut, während auf der
Schiene jede Tonne bemautet wird. Die Schiene ist nicht
konkurrenzfähig, und das muss sich ändern.
Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe
klingt schön und gut – aber bleibt das nicht ein hehrer
Wunsch?
Die Märkte haben sich anders
entwickelt.
Der Politik sind nicht die Hände gebunden, denn sie bestimmt
über Steuern und Abgaben die Preise des Transports. Notwendig
ist auch eine neue Stadt- und Raumentwicklungspolitik, die Wohnen
und Arbeiten unter dem Leitbild „Stadt der kurzen Wege“
wieder zusammenführt. Vor achtzig Jahren machte die
räumliche und funktionale Trennung noch Sinn, weil die
Industrie laut und dreckig war – heute sind selbst diese Jobs
sauber und lärmen kaum. Das heißt: Schluss mit reinen
Wohngebieten auf der grünen Wiese und Reaktivierung
innerstädtischer Brachflächen.
Dieser Trend ist doch gar nicht mehr umkehrbar. Die deutsche Provinz entvölkert sich. Wie sollen für die Menschen dort Arbeitsplätze vor der Haustür entstehen?
Dieser Trend ist nicht vom Himmel gefallen, sondern jahrzehntelang von der Politik gefördert worden. Das Steuersystem zum Beispiel hat das Pendeln gefördert. Diesen ökologischen Wahnsinn müssen wir beenden.
Eine neue Verkehrspolitik kostet viel Geld: für
Forschung und Ausbau wie der Schienenwege. Woher nehmen, ohne die
Wirtschaftsleistung zu hemmen?
Ich weiß, dass
Verkehrsinfrastruktur und der Betrieb sehr viel kosten. Aber
angesichts der Tatsache, dass wir in den nächsten Jahren wegen
der gigantischen Staatsverschuldung und der Schuldenbremse
dramatisch sparen müssen, wird es keine Steigerungsraten
für den Ausbau der Infrastruktur geben. Die Verkehrspolitik
muss sich also überlegen, wie sie effizienter mit ihren
Mitteln umgeht. Es gibt immer noch ungeheure Verschwendung, auch im
Bereich des Schienenbaus. Da gibt es milliardenteure
Prestigeprojekte wie Stuttgart 21, die dem System und dem Kunden
wenig bis nichts bringen oder sogar schaden. In Deutschland
funktioniert das so: Man baut eine Neubaustrecke, die auf wenigen
Kilometern unheimlich schnell ist, aber davor und danach hapert es,
weil die Zulauf- und Nebenstrecken unsaniert vor sich her
dämmern.
Die Schweizer setzen auf eine höhere
Durchschnittsgeschwindigkeit der Bahn. Statt um Hochgeschwindigkeit
kümmern sie sich um abgestimmte Verbindungen.
Sie bauen ihr Schienensystem nur so aus, dass es einen landesweiten, integralen Taktfahrplan verbessert. Die Schweizer hängen nicht an einer nationalen Automobilindustrie-Tradition, sie verstehen sich eher als Eisenbahnland. Das macht den Kopf frei für innovative Lösungen.
Deutschland ist Autoland. Das ist doch ein Segen
für die Arbeitsplätze, oder?
Das ist ein
Märchen. Mit 750.000 Arbeitsplätzen ist die
Automobilindustrie nicht mehr so bedeutend, wie sie tut. Allein im
Bereich der Umwelt- und Energietechniken gibt es 1,8 Millionen
Jobs, im Bereich des Gesundheitswesens sind es drei bis vier
Millionen. Dennoch würde keiner fordern: Baut mehr
Krankenhäuser, damit wir endlich mehr Arbeitsplätze
haben. Die Fortschritte bei Umwelttechnik und Klimaanforderungen
für Automobile kommen übrigens nicht aus Deutschland,
sondern werden sogar in der Regel von Deutschland in Brüssel
bekämpft.
Wird zu sehr auf die Autos geschaut?
Vor
allem auf die Falschen. Deutsche Autobauer setzen auf schnelle und
teure Protzautos, die sind im globalen Maßstab
unverantwortlich und nur noch einer Elite verkäuflich. Daher
wäre die Automobilindustrie gut beraten, schleunigst
aufzuwachen und auf kleine, effiziente und klimafreundliche
Fahrzeuge umzusteigen. Wenn sie das nicht tut, wird sie alsbald zur
Nischenbranche wie die deutsche Elektronikbranche, die in den
1960er Jahren den globalen Markt beherrschte und heute dort quasi
nicht mehr existiert.