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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 21. Juni 2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
-
Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) rechnet mit einem Erfolg des Bundespräsidentenkandidaten von Union und FDP, Christian Wulff, bereits im ersten Wahlgang. Dies sei „politisch ohne Alternative“, sagte Solms im Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Er schätze Joachim Gauck, den Kandidaten von SPD und Grünen, sehr, aber „seine Wahl würde politisch ganz anders interpretiert“. Zur Ankündigung einiger FDP-Politiker, Gauck zu wählen, sagte Solms: „Zum Schluss werden manche ihre Neigungen zurückstellen und das tun, was politisch vernünftig ist.“ Der FDP-Politiker sieht die Regierung und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht beschädigt, falls Wulff im ersten und zweiten Wahlgang doch keine Mehrheit bekomme sollte. „Dann gibt es einen dritten Wahlgang wie 1994 bei Roman Herzog. Das ist nicht schön, aber so ist nun mal das Verfahren“, sagte Solms.
Der FDP-Finanzexperte schloss zugleich Steuererhöhungen entschieden aus. „Weder eine Erhöhung der Einkommensteuer noch der Umsatzsteuer wird es mit uns geben“, sagte er, „dann müsste sich die Union die Stimmen woanders suchen“. Steuererhöhungen wären „ein Bruch des Koalitionsvertrages. Auch die Union muss Kurs halten.“ Vom G20-Gipfel Ende Juni in Toronto erwartet sich Solms keinen Durchbruch für die Regulierung der Finanzmärkte. Die Finanztransaktionssteuer sei „international tot“.
Solms, der seit 30 Jahren dem Bundestag angehört und seit zwölf Jahren dessen Vizepräsident ist, kritisierte zudem den Parlamentarismus der heutigen Zeit. Es habe sich ein „zentralistisches Denken verbreitet“, auf Seiten der Bundesregierung genauso wie im Parlament. „Bei der Bundesregierung spürt man stärkere Allmachtsfantasien und im Bundestag immer häufiger die Neigung, der Bundesregierung mehr und mehr zu folgen, anstatt sie kritisch zu begleiten“, sagte Solms.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Solms, was geht eher zu Ende: Die
Fußballweltmeisterschaft oder die schwarz-gelbe
Koalition?
Natürlich die Fußball-WM, und
Deutschland hat gute Chancen, ins Endspiel zu kommen. Die
schwarz-gelbe Koalition wird noch eine Weile halten, muss sich aber
gewaltig anstrengen.
Da ist Jörg-Uwe Hahn, der in Hessen
FDP-Vorsitzender ist, pessimistischer. Er sagte in einem Interview:
„Entweder wir kriegen in Berlin die Kurve oder es ist bald
Schluss mit der Koalition“.
Die Koalition ist
in einem Tief, das will ich nicht bestreiten. Aber gerade
weil das so ist, haben alle drei Koalitionspartner kein Interesse
daran, jetzt Neuwahlen anzustreben oder einen Koalitionswechsel,
der eine Neuwahl provozieren könnte.
Einzelne FDP-Landespolitiker wollen bei der
Bundespräsidentenwahl für den Kandidaten von SPD und
Grünen stimmen. Wackelt die rechnerische Mehrheit von
Christian Wulff, den Union und FDP ins Rennen
schicken?
Ich gehe davon aus, dass Herr Wulff es
schaffen wird, und zwar im ersten Wahlgang, weil das politisch ohne
Alternative ist – unabhängig davon, was man über
die beiden Kandidaten denkt. Ich schätze Joachim Gauck sehr,
sein zentrales Thema „Freiheit“ steht auch
für uns Liberale im Zentrum. Aber seine Wahl würde
politisch ganz anders interpretiert. Zum Schluss werden manche ihre
Neigungen zurückstellen und das tun, was politisch
vernünftig ist.
Falls Wulff nicht im ersten und zweiten Wahlgang
gewählt wird, wären Regierung und Bundeskanzlerin dann
nicht schwer beschädigt?
Nein. Dann gibt es
einen dritten Wahlgang wie 1994 bei Roman Herzog. Das ist nicht
schön, aber so ist nun mal das Verfahren. Man sollte das nicht
dramatisieren.
Böse Zungen behaupten, die Union benötige die
FDP für die Bundespräsidentenwahl, danach würden CDU
und CSU Steuererhöhungen durchboxen.
Ich mache
mir Sorgen um die Motive, die hinter diesen Forderungen stehen.
Wenn man Aufschwung und Wachstum will, auch um die
Haushaltsprobleme zu lösen, dann muss man alles unterlassen,
was dem entgegensteht. Steuererhöhungen in der jetzigen
Situation wären Gift für Wachstum und Beschäftigung.
Ein erhöhter Spitzensteuersatz würde alle
Personengesellschaften und Einzelkaufleute treffen, die zwei
Drittel der Arbeitsplätze bereitstellen. Aber auf deren
Investitionsfähigkeit sind wir angewiesen. Diese Unternehmen
müssen das Wachstum weitgehend selbst finanzieren, da die
Banken gegenwärtig nur eingeschränkt Kredite
bereitstellen können.
Schließen Sie Steuererhöhungen
aus?
Ja, weder eine Erhöhung der Einkommensteuer
noch der Umsatzsteuer wird es mit uns geben. Das gebietet die
ökonomische Vernunft. Dann müsste sich die Union die
Stimmen woanders suchen. Das weiß Herr Schäuble.
Steuererhöhungen wären im Übrigen ein Bruch des
Koalitionsvertrages. Auch die Union muss Kurs halten.
Die Opposition hält das 80-Milliarden-Sparpaket
für sozial unausgewogen. Halten Sie an den Einschnitten
fest?
Der Staat kann nur da sparen, wo er etwas
ausgibt. Der größte Posten ist der Sozialhaushalt.
Deshalb kommen wir nicht umhin, auch da entschlossen zu sparen. Und
zwar dort, wo die sozialen Wirkungen der Sozialleistungen nicht
treffsicher sind.
Wieso ist das Elterngeld für Hartz-IV-Bezieher, das
gestrichen werden soll, nicht treffsicher?
Das
Elterngeld ist doch eingeführt worden, damit Eltern einen
Ersatz für den Arbeitslohn haben. Wer aber nicht arbeitet,
braucht auch keinen Ersatz. Den bekommt er ja schon durch Hartz
IV.
Die Massenproteste zeigen: In der Öffentlichkeit
dominiert der Eindruck, dass Sie bei den sozial Schwachen
sparen.
Dem widerspreche ich. Bestimmte
Interessengruppen mögen das so sehen. Und ich finde die
Berichterstattung teilweise auch einseitig. Wenn berichtet
würde: „Fünf Milliarden Euro sparen wir bei den
Unternehmen, fünf im Sozialbereich und drei in der
öffentlichen Verwaltung“, wäre das ausgewogen.
Ist es ausgewogen, wenn die Beteiligung der Banken an
den Kosten der Krise erst 2012 greifen, während die
Sozialkürzungen schon 2011 beginnen?
Das ist in
der Tat eine offene Flanke. Aber da sind wir an internationale
Vereinbarungen gebunden, die Finanzmärkte sind nun mal global.
So lange man nicht weiß, wie die G20-Staaten, die EU und der
Währungsverbund die Banken zur Kasse bitten wollen, so lange
kann man schwer nationale Maßnahmen vorauseilend
beschließen. Dass Alleingänge nichts bringen, sehen Sie
doch am Verbot von Leerverkäufen: Die Betroffenen verlagern
solche Umsätze ins Ausland. Der Alleingang schadet dem
deutschen Kapitalmarkt.
War der deutsche Alleingang bei den Leerverkäufen
also ein Misserfolg?
Abwarten – Politik besteht
ja auch aus psychologischen Elementen. Man zeigt, das man bereit
ist zu handeln. Aber man muss auch einen Weg finden, der nicht zu
viel Schaden auslöst. Problematisch etwa wäre eine
nationale Steuer auf Finanzgeschäfte.
Inwiefern?
Als in Schweden zum Beispiel in
den 1990er Jahren eine Börsenumsatzsteuer eingeführt
wurde, sind die Börsenumsätze etwa zu 80 Prozent sofort
nach London abgewandert. Nach zwei Jahren hat man die Steuer wieder
abgeschafft, aber die Umsätze sind nicht zurückgekommen.
Das würde uns hier genauso passieren. Sinnvoller
wäre eine Finanzaktivitätssteuer. Als
Bemessungsgrundlage würden Gewinne und Gehälter
herangezogen. Aber auch das kann Deutschland nicht im Alleingang
machen. Wenn der Kapitalmarkt abwandert, werden die
Finanzierungsbedingungen für Investitionen in Deutschland
schlechter. Das würde unseren Wirtschaftsstandort langfristig
schwächen.
Was erwarten Sie vom G20-Gipfel, der Ende Juni in
Toronto stattfindet?
Die Finanztransaktionssteuer,
die SPD und Linke fordern, wollen viele andere Länder
wie Kanada oder Australien nicht, auf Deutsch gesagt: international
ist sie „tot“. Deshalb müssen wir klären, ob
wir europäisch die Finanzaktivitätssteuer hinbekommen.
Und national sollten wir zügig die Bankenaufsicht verbessern.
Leider ist diese Reform gerade mal wieder auf die lange Bank
geschoben worden.
Wie bitte?
Unstrittig zwischen Union und
FDP ist, dass die Bankenaufsicht bei der Bundesbank angesiedelt
werden soll. Aber wir sind uns nicht einig bei der Frage, in
welcher Rechtsform dies umgesetzt werden soll. Die Pläne des
Finanzministeriums, die noch aus Peer Steinbrücks Zeiten
stammen, würden dazu führen, dass die Bankenaufsicht zwar
organisatorisch bei der Bundesbank stattfindet, der Finanzminister
aber trotzdem das Sagen hat. Das würde die Neutralität
der Bundesbank beeinträchtigen. Das wollen wir und große
Teile der Union nicht.
Sie sitzen seit 30 Jahren im Bundestag, sind seit
zwölf Jahren Bundestagsvizepräsident. Wie hat sich in der
Zeit der Parlamentarismus verändert?
Der
Parlamentarismus hat sich durch den Umzug von Bonn nach Berlin
verändert. Es hat sich ein zentralistisches Denken verbreitet,
auf Seiten der Bundesregierung genauso wie im Parlament. Bei der
Bundesregierung spürt man stärkere Allmachtsfantasien und
im Bundestag immer häufiger die Neigung, der Bundesregierung
mehr und mehr zu folgen, anstatt sie kritisch zu begleiten. Die
Kontrollfunktion des Parlaments ist damit geringer geworden, was
ich bedenklich finde. Wir müssen das wieder ändern.
Hermann Otto Solms (69) ist Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Bundesschatzmeister der FDP.