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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 27. September
2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
-
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, warnt die Regierung davor, über die Höhe der Hartz-IV-Sätze nach rein politischen Gesichtspunkten zu entscheiden. „Bisher gibt es nur Gerüchte über Zahlen“, sagte er im Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. „Wenn aber der Koalitionsausschuss darüber berät, dann finde ich das schwierig, weil das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, es dürfe keine rein politische Entscheidung sein, sondern das, was da gerechnet wird, müsse methodisch haltbar, nachvollziehbar und transparent sein“.
Auch die von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) geplante Methode zur jährlichen Anpassung der Regelsätze hält Schneider für problematisch. In ihrem Referentenentwurf hatte die Ministerin skizziert, die Höhe anhand eines Mixes aus der Lohnentwicklung und den Preissteigerungen fortschreiben zu wollen. „Das ist aus unserer Sicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar nicht zu vereinbaren“, kritisierte Schneider. Das Verfassungsgericht habe die derzeitige Fortschreibungen anhand des Rentenwertes, der im Wesentlichen an den Lohn gekoppelt ist, mit der Begründung abgelehnt, dass die Entwicklung der Renten nichts mit dem Bedarf zu tun habe. „Das Gleiche gilt für die Lohnentwicklung“, sagte Schneider. „Gerade die Tatsache, dass wir mehr und mehr Menschen im Niedriglohnsektor haben und dass mehr und Menschen mit Hartz IV aufstocken müssen, zeigt, dass sich Löhne durchaus unter dem Bedarf entwickeln können und deshalb nicht herangezogen werden sollten zur Fortschreibung der Regelsätze.“
Die von der Arbeitsministerin geplante Chipkarte, mit der bedürftige Kinder Nachhilfestunden, Vereinsbeiträge und andere Leistungen bezahlen sollen, hält Schneider für ungeeignet. Von Chipkarten- oder Gutscheinsystemen, die pauschal Beträge enthalten, „halten wir nicht so viel, weil es einfachere und weniger bürokratische Lösungen gibt“, sagte der Sozialexperte.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Schneider, Bundesarbeitsministerin von der Leyen
(CDU) will am heutigen Montag die Höhe der neuen
Hartz-IV-Regelsätze bekanntgeben. Was erwarten
Sie?
Bisher gibt es nur Gerüchte über
Zahlen. Wenn aber der Koalitionsausschuss darüber berät,
dann finde ich das schwierig, weil das Bundesverfassungsgericht
gesagt hat, es dürfe keine rein politische Entscheidung sein,
sondern das, was da gerechnet wird, müsse methodisch haltbar,
nachvollziehbar und transparent sein.
Welcher Regelsatz wäre Ihrer Meinung nach
angemessen?
Bei den Zahlen, die uns vorliegen, kommt
man bei Erwachsenen auf Beträge zwischen 420 und 440 Euro.
Für die Kinder müssten die Regelstufen je nach
Altersstufe zwischen 25 und 33 Prozent erhöht werden –
aber ohne Bildungspaket. Wenn man das Bildungspaket einführt
– was die Ministerin vorhat und was wir für sehr
vernünftig halten – kann der Regelsatz etwas geringer
erhöht werden.
Was ist ihre Hauptkritik an den bisherigen
Hartz-IV-Regelsätzen für Kinder?
Bislang
gibt es keine Kinderregelsätze, sondern lediglich
Kürzungen vom Erwachsenensatz. Seit es Hartz IV gibt, werden
jetzt erstmals Regelsätze für Kinder errechnet. Bislang
waren es, wie es das Bundesverfassungsgericht nannte,
Schätzungen ins Blaue.
Die Ministerin will mehr Ausgaben für Bildung bei
hilfsbedürftigen Kindern; das wird in ihrem ersten
Reformentwurf deutlich. Kommt jetzt das, was Sie schon lange
fordern?
Damit kommt etwas längst
Überfälliges. Jetzt geht es darum, was Kinder in
Deutschland brauchen. Dass die Ministerin diese Diskussion
aufgreift, begrüßen wir sehr. Jetzt wird gefragt, wie
einem Kind vor Ort die Teilhabe an Geselligkeit, Kultur, Sport und
Musik gesichert werden kann.
Was halten Sie von dem Vorhaben, das Geld als Sach- und
Dienstleistungen zu erbringen?
Das ist
vernünftig. Es macht doch keinen Sinn, jedem Kind pro Monat
4,33 Euro für Nachhilfe auszuzahlen – da muss konkret
die Nachhilfe gewährt werden. Von Chipkarten- oder
Gutscheinsystemen, die pauschal Beträge enthalten, die
eingelöst werden können, halten wir nicht so viel, weil
es einfachere und weniger bürokratische Lösungen gibt.
Zudem kommen die Übergangsvorschriften im Referentenentwurf
noch ganz ohne Gutscheine aus; das ist ein ganz einfaches System
der Teilhabe vor Ort, bei dem Pauschalen gezahlt werden und die
Träger direkt eingebunden werden. Diese
Übergangsregelungen sind das Beste am ganzen Entwurf.
Ihr Verband hat hier einen Verstoß gegen das
Gleichbehandlungsgebot befürchtet –
warum?
Wir müssen sicherstellen, dass nicht nur
die Kinder im Hartz-IV-Bezug dieses Bildungspaket bekommen, sondern
alle Kinder, die sich in der gleichen materiellen Situation
befinden. Die jetzige Regelung im Entwurf ist wahrscheinlich
verfassungskonform. Diese wird aber in einer denkbar
ungünstigen Art und Weise umgesetzt. Aber diese Frage muss
noch abschließend geprüft werden.
Was halten Sie von dem, was über die Rechenmethode
für die neuen Sätze bisher bekannt geworden
ist?
Die Berechnungsgrundlagen sind in wesentlichen
Punkten noch nicht offen gelegt. Im Referentenentwurf steht
lediglich, dass man genügend Fallzahlen aus der Statistik
herausholen will, es ist aber nicht darin enthalten, wie genau die
so genannten Referenzgruppen gebildet werden. Wenn feststeht,
welche Positionen aus der Statistik überhaupt
berücksichtigt werden, dann werden wir das genau prüfen.
Das Einzige, was bekannt ist, ist die Art und Weise, wie die
Regelsätze zwischen den fünfjährigen statistischen
Erhebungen fortgeschrieben werden sollen, nämlich anhand eines
Mixes aus der Lohnentwicklung und den Preissteigerungen. Das ist
aus unserer Sicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
Februar nicht zu vereinbaren.
Warum?
Das Bundesverfassungsgericht hat
Fortschreibungen anhand des Rentenwertes, der im Wesentlichen an
den Lohn gekoppelt ist, mit der Begründung abgelehnt, dass die
Entwicklung des Rentenwertes nichts mit dem Bedarf zu tun hat. Das
Gleiche gilt für die Lohnentwicklung. Gerade die Tatsache,
dass wir mehr und mehr Menschen im Niedriglohnsektor haben und dass
mehr und Menschen mit Hartz IV aufstocken müssen, zeigt, dass
sich Löhne durchaus unter dem Bedarf entwickeln können
und deshalb nicht herangezogen werden sollten zur Fortschreibung
der Regelsätze.
Es gibt künftig neue Ausgabenposten, die bislang
nicht zum Existenzminimum zählten, wie Internet oder
Praxisgebühr - das müssten Sie doch
begrüßen?
Da wird es auf die Höhe
ankommen. Auch in der alten Statistik waren Ausgaben für EDV,
Software und Kommunikation enthalten, die jedoch nicht
vollständig berücksichtigt wurden. Richtig ist, dass die
Praxisgebühr enthalten ist – aber von nichts anderem
sind wir auch ausgegangen.
Außerdem wurden Haushalte als Referenzgruppe
herangezogen, die zu den untersten 20 Prozent in der
Einkommensstatistik zählen und nicht wie befürchtet zu
den untersten 15. Da hat das Ministerium doch auf die Kritik
reagiert.
Ja, offenbar. Die Modellrechnungen mit 15
Prozent haben wir gleich für schwierig gehalten –
erstens weil hier das Bundesverfassungsgericht wieder sagen
könnte, dass das plötzlich ein willkürlicher Wechsel
wäre und weil zweitens bei 15 Prozent die Fallgruppen, mit
denen man überhaupt statistisch arbeiten kann, so klein
werden, dass man wohl nicht mehr in allen Punkten valide Ergebnisse
bekäme.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat ein eigenes
Konzept „Kinder verdienen mehr“ vorgelegt. Was steht da
drin?
Der Unterschied zum jetzigen Referentenentwurf
ist, dass wir die Kinderförderung nicht im Sozialgesetzbuch
II, also bei der Grundsicherung für Arbeitslose, regeln
wollen. Sie gehört unserer Ansicht nach in das Kinder- und
Jugendhilfegesetz. Wir wollen die Teilhabe vor Ort durch einen
Rechtsanspruch aller Kinder und Jugendliche auf angemessene
Maßnahmen ihrer Förderungen sicherstellen und dadurch,
dass Kindern im Hartz-IV-Bezug oder aus anderen einkommensschwachen
Familien diese Leistungen ohne Gebühr angeboten werden.
Hat man Ihre Expertise aufgegriffen?
Wir
haben unser Konzept mit der Spitze des Arbeitsministeriums intensiv
diskutiert und sehen im Entwurf, dass wesentliche Anregungen
eingeflossen sind. Über mangelnde Einbeziehung darf unser
Verband sich nicht beklagen. Zudem ist uns aufgefallen: Erstens
fällt im Entwurf erstmals seit der Existenz von Hartz IV der
Begriff der Menschenwürde, das ist ein großer
Unterschied zu früheren Hartz-Reformen. Das Gesetz hat damit
die Chance, menschlicher und würdiger zu werden. Ein zweiter
großer Unterschied betrifft das Verhältnis zum
gemeinnützigen Sektor. Da, wo es um die Förderung von
Kindern geht, haben wir ein klares Bekenntnis zu den Trägern
der Jugendhilfe. Das ist in der Vergangenheit nicht der Fall
gewesen.
Die CSU rechnet schon jetzt mit einer Klagewelle gegen
die Reform. Werden Sie sich daran beteiligen?
Wir
müssen erstmal abwarten, was im Gesetz steht. Das einzige
Problem, das ich sehe, ist der Mix aus Nettolohn und
Preissteigerungsraten – das halten wir nicht für
verfassungskonform. Ob es zu einer Klagewelle kommt, hängt von
den Details ab. Wenn etwa die Bewilligungen zu rigide erteilt
werden, etwa für Nachhilfeunterricht, bin ich überzeugt,
dass Klagen kommen. Wenn es um das Schicksal der Kinder geht, sind
Eltern im Zweifel nicht zimperlich.
Ulrich Schneider (52) ist Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“, Nr. 39, lesen Sie:
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