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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 15. November
2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
-
Der Brigadegeneral a.D. und Nato-Experte, Klaus Wittmann, äußerte in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ Zweifel, ob mit einem eleganten Text im neuen Strategischen Konzept der Nato, das nächste Woche auf dem Gipfel in Lissabon vorgestellt wird, die unterschiedlichen Auffassungen im Bündnis schon erledigt seien. Dies betreffe auch die taktischen Atomwaffen der Amerikaner in Europa. Wittmann forderte, das ganze Konzept der nuklearen Teilhabe auf den Prüfstand zu stellen. Dann wäre vielleicht eines Tages auch nukleare Mitsprache ohne solche vorwärts stationierten Systeme möglich. Das könne aber nur die Allianz gemeinsam machen. Insofern stehe er dem Vorstoß Außenminister Westerwelles, die amerikanischen taktischen Atomwaffen in Deutschland abzuschaffen, eher kritisch gegenüber.
Das Interview im Wortlaut:
Sie sprachen auf der Berliner Sicherheitskonferenz zur
neuen Strategie der Nato. Sicherheitspolitisch ist fast nichts mehr
so wie es einmal war. Muss sich die Nato neu
erfinden?
Die Nato muss sich nicht neu erfinden, aber
sie muss ihre Relevanz neu begründen, sowie ihre Rolle und
ihren Charakter neu definieren und erklären.
In Prag hat Präsident Obama von der Vision einer
nuklearwaffenfreien Welt gesprochen. Wie lange wird die Nato am
Prinzip der atomaren Abschreckung festhalten?
Obamas
Rede hat natürlich eine Dynamik ausgelöst und große
Erwartungen geweckt. Was er im zweiten Teil seiner Rede
geäußert hat: So lange diese Waffen in der Welt sind,
werden wir ein atomares Arsenal behalten, wird oft
übersehen.
Wie passt die Forderung von Außenminister
Westerwelle, die amerikanischen taktischen Atomwaffen in
Deutschland abzuschaffen, in dieses Bild?
Mag sein,
dass die taktischen Atomwaffen der Amerikaner in Europa nur mehr
symbolischen Wert haben, aber ihr Abzug außerhalb eines
größeren Zusammenhanges wäre unbedacht, hätte
ebenfalls symbolische Bedeutung. Man sollte das ganze Konzept der
nuklearen Teilhabe auf den Prüfstand stellen. Dann wäre
vielleicht eines Tages auch eine nukleare Mitsprache ohne solche
vorwärts stationierten Systeme möglich. Das kann aber nur
die Allianz gemeinsam machen. Insofern sehe ich den Vorstoß
des Außenministers eher kritisch.
Sicherheit und Stabilität umfassen auch politische,
wirtschaftliche, soziale, kulturelle und ökologische Aspekte.
Kann ein Militärbündnis hier überhaupt wirksam
werden?
Es gibt für kein Sicherheitsproblem auf
dieser Welt eine „militärische Lösung“. Man
muss militärische und zivile, staatliche, nichtstaatliche und
internationale Organisationen zu einer besseren Kooperation
bringen. Die Nato kann nur ein Element im gemeinsamen Versuch sein,
mit Sicherheitsproblemen fertig zu werden.
Welche spezifische Rolle fällt ihr da
zu?
Die Nato hat sich bescheiden in das Konzert der
sicherheitsrelevanten Organisationen einzufügen. Mit ihren
Streitkräften, ihrer Kommandostruktur und einer
jahrzehntelangen Erfahrung in multinationaler militärischer
Zusammenarbeit. Sie muss zugleich, was ihr bisher leider nicht
gelungen ist, den Eindruck vermeiden, sie wolle alle anderen
organisieren anstatt sich mit ihnen zu koordinieren. Wenn der
Nato-Generalsekretär sagt, die Nato sei der „hub“
des internationalen Sicherheitssystems, dann schrillen überall
die Alarmglocken des Misstrauens.
Ist aber nicht militärische Sicherheit
Voraussetzung für alles andere?
Ich stehe einer
sequenziellen Sicht – erst Sicherheit, dann Entwicklung
– eher kritisch gegenüber. Es muss fast simultan
passieren. Wenn die Bevölkerung nicht schnell Fortschritte in
ihren Lebensumständen sieht, dann kippt das, und die
Friedenstruppen werden zunehmend als Besatzer wahrgenommen.
Sehen Sie die Mission in Afghanistan als historischen
Ausnahmefall oder ist sie ein Modell für das künftige
Handeln der Nato?
Wenn ich die Bundeswehrreform
betrachte – Expeditionsarmee, Interventionsarmee, Armee im
Einsatz – dann denke ich, dass Afghanistan nach den dortigen
traumatischen Erfahrungen für lange Zeit der letzte derart
umfangreiche Einsatz gewesen sein wird, auf den sich 28
Nato-Mitglieder einigen können.
Die Nato sieht sich neuen Bedrohungen gegenüber:
Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Terrorismus,
Gefährdung der Energieversorgung, Umweltprobleme. Ist sie
damit nicht überfordert?
Die Verwundbarkeit
moderner Gesellschaften ist offenkundig. Das sind globale Probleme,
und kein Staat kann alleine mit diesen Herausforderungen fertig
werden. Da spielt die Nato jeweils eine unterschiedlich bedeutende
Rolle. Insoweit sollte das neue Strategische Konzept sich der
begrenzten Möglichkeiten eines Nato-Beitrags gerade in diesen
Fragen bewusst bleiben.
Was heißt dann heute
„Verteidigung“?
Es stellen sich da ganz
neue Fragen. Wenn General Klaus Naumann, der frühere
Generalinspekteur der Bundeswehr, im Vergleich zu den
„weapons of mass destruction“ die
Angriffsmöglichkeiten auf Computersysteme als „weapons
of mass disruption“ bezeichnet, dann könnte das in
seiner Wirkung sehr gut dem nahekommen, was man einen bewaffneten
Angriff nennt. Auch hier gilt der Satz von Clausewitz: „Der
Krieg ist ... ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten
Falle seine Natur ändert.“
Sehen Sie im Cyber War ein genuin militärisches
Schlachtfeld?
Überhaupt nicht. Zumal bei
derartigen Angriffen das Problem der Identifizierung des Angreifers
fast unlösbar ist. Die Nato muss ihre eigenen
Kommandovorrichtungen sichern und den Betroffenen beistehen. Das
heißt aber noch lange nicht, dass es hier eine rein
militärische Antwort gibt. Die alte Maxime, ein Angriff auf
einen ist ein Angriff auf alle, sollte man heute so interpretieren:
Was Euch sicherheitspolitisch Sorgen bereitet, ist auch für
uns ein Thema. Daher bin sehr dafür, dass Artikel 4 des
Vertrags von Washington (consultation) rigoros aktiviert wird.
Wie kann das Verhältnis der Nato zu Russland
verbessert werden?
Vom neuen Strategischen Konzept
müsste ein Signal ausgehen, das ich als konditioniertes
Angebot für eine ganz breite Zusammenarbeit bezeichnen
würde. Konditioniert, weil man schon ein gewisses Umdenken
seitens Russlands thematisieren und erwarten darf: Die
Überwindung der Kalten-Kriegs-Klischees über die Nato,
einen russischen Beitrag zum Sicherheitsgefühl seiner Nachbarn
statt dessen Unterminierung und anderes mehr. Für uns gilt
aber auch: Wir haben den russischen „imperialen
Phantomschmerz“ nicht verstanden, bei den
Beitrittswünschen der Ukraine und Georgiens russische
Interessen missachtet und die Konzeptentwicklung des
Raketenabwehrsystems nicht vernünftig betrieben. Die Nato
sollte selbstkritisch ihren Anteil an der Verantwortung für
die Verschlechterung des Verhältnisses in den letzten zehn
Jahren anerkennen.
Wird die Allianz infolge der Europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und der Hinwendung der
USA zum pazifischen Raum nicht marginalisiert?
Das
glaube ich nicht. Europa wird allerdings auf absehbare Zeit zu
größeren Operationen und zur Übernahme der
alleinigen Verantwortung für seine Sicherheit nicht imstande
sein. Die transatlantische Verbindung – auch wenn sich das
Augenmerk der Amerikaner verständlicherweise mehr dem Pazifik
zuwendet – wird ihren Wert behalten. Es gibt keine Verbindung
so gleichgesinnter Nationen, auf den gleichen Werten beruhender
Staaten und so guter Freunde wie innerhalb der Nato. Das sollte man
nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Was sind eigentlich die Kernaufgaben der
Nato?
Zunächst im Schutz ihrer Mitglieder durch
Kooperation, Abschreckung, gemeinsame Verteidigung und
gegenseitigen Beistand; dann in der Konsultation in allen
sicherheitsrelevanten Fragen; und schließlich in der
Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft und mit
Partnern, um global zur Krisenverhinderung und -bewältigung
beizutragen. Das Problem ist, dass sich die Allianz in vielen
Fragen nicht wirklich einig ist. Ich habe meine Zweifel, ob durch
einen eleganten Text im Strategischen Konzept die unterschiedlichen
Auffassungen schon erledigt sind.
In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ Nr. 46, lesen Sie:
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