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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 20. Dezember
2010)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen
Veröffentlichung –
Die SPD-Sportexpertin Dagmar Freitag fordert, die Strategien und Methoden im Anti-Doping-Kampf immer wieder zu hinterfragen. „Der Kampf gegen Doping ist auch in Deutschland längst nicht so weit, wie es die Verantwortlichen gelegentlich darstellen“, sagt die Vorsitzende des Bundestag-Sportausschusses in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 20. Dezember 2010). Ziel der Bemühungen müsse es sein, „den sauberen Sportler vor den Betrügern zu schützen“. Vor diesem Hintergrund spricht sich Freitag dafür aus, die Schaffung eines Straftatbestandes Sportbetrug „ernsthaft zu prüfen“.
Die SPD-Politikerin äußert sich in dem Interview skeptisch zu einer eventuellen Liberalisierung des Sportwettenmarktes. „Mir erschließt sich die Argumentation für eine Kommerzialisierung als den richtigen Weg zur Eindämmung von Wettkriminalität und Spielsucht nicht.“ Sie könne nicht erkennen, warum „ein mehr an Anbietern zu einem Weniger an Spielsucht führen soll“.
Angesichts von Studienergebnissen, wonach in Deutschland viele Kinder übergewichtig und motorisch unterentwickelt seien und zu wenig Sport treiben würden, sieht die Sportausschuss-Vorsitzende Anknüpfungspunkte für eine Zuständigkeit des Bundes. „Wir können nicht untätig zuschauen, wie aus bewegungsarmen Kindern von heute die kranken Erwachsenen von morgen werden“, sagt Freitag mit Verwies darauf, dass Bewegungsarmut krank machen und das Gesundheitssystem belasten würde, was wiederum vor allem Bundessache sei.
Interview im Wortlaut:
Frau Freitag, macht die Doping-Problematik Ihnen nicht
langsam den Spaß am Sport kaputt?
An manchen
Tagen schon. Wenn ich nicht noch daran glauben würde, dass es
auch saubere Sportler gibt, würde ich aus der Sportpolitik und
meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Vizepräsidentin des
Deutschen Leichtathletik-Verbandes ausscheiden. Einer meiner
persönlichen Arbeitsschwerpunkte – im Ehrenamt wie auch
in der Politik – ist das Ziel, den sauberen Sportler vor den
Betrügern zu schützen.
Glauben Sie, dass saubere Sportler überhaupt noch
gewinnen können?
Ja, das glaube ich. Es gibt
Sportler, die aufgrund ihrer psychischen Stärke, ihres
Talentes und durch Training Leistungen erreichen, die herausragend
sind. Solche Athleten können natürlich einen Wettkampf,
in dem alles passt, auch gewinnen.
Unlängst hat der Dopingexperte Perikles Simon die
Ineffizienz des deutschen Anti-Dopingkampfes angeprangert und von
Dunkelziffern von 30 bis 40 Prozent gedopter deutscher
Spitzensportler gesprochen. Schwarzmalerei oder
vorstellbar?
Mit dieser Aussage wollte Simon sicher
vor allem aufrütteln. Ich habe ihn so verstanden, dass der
Kampf gegen Doping längst nicht soweit ist – auch in
Deutschland nicht – wie es die Verantwortlichen gelegentlich
darstellen. Obwohl unser eigenes Anti-Doping-System sicherlich
besser ist als in vielen anderen Ländern, müssen auch wir
unsere eigenen Strategien und Methoden immer wieder hinterfragen.
Auch wir in Deutschland können noch besser werden.
Ein weiterer Schritt beim Anti-Doping-Kampf soll der
indirekte Beweis sein. Es braucht nicht unbedingt eine positive
Blut- oder Urinprobe, sondern es reicht eine Veränderung im
Blutprofil. Claudia Pechstein war die erste, die daraufhin gesperrt
wurde. Zurecht?
Das Doping-Verfahren gegen Claudia
Pechstein gilt als abgeschlossen. Ich habe die Entscheidungen der
nationalen und internationalen Gremien zur Kenntnis genommen und
diese nicht zu bewerten. Ich stelle einfach nur fest: Claudia
Pechstein ist wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt
worden.
Im Gegensatz zu Pechstein ist der deutsche
Tischtennis-Olympiadritte Dimitrij Ovtcharov positiv auf
Clenbuterol getestet worden. Ovtcharov argumentierte, er habe
verunreinigte Nahrung bei einem Turnier in China zu sich genommen
und kam um eine Sperre herum. Wird da nicht mit zweierlei Maß
gemessen?
Mit dem Fall beschäftigt sich die
Nationale Anti-Doping-Agentur noch – und jetzt auch wieder
der Deutsche Tischtennis Bund. Für mich ergeben sich daraus
zwei Probleme. Zum einen fände ich es besser, wenn unsere
Spitzenverbände ein solches Verfahren direkt einem
unabhängigen Schiedsgericht übergeben würden. Zum
zweiten ist durch die Entscheidung des Präsidiums des
Deutschen Tischtennis Bundes die „strict liability“
außer Kraft gesetzt worden. Das ist ja das Instrument, auf
das sich der organisierte Sport immer wieder beruft und welches
bedeutet, dass der Sportler seine Unschuld beweisen muss, anders
als in Strafverfahren. Er ist demnach für das verantwortlich,
was sich in seinem Körper befindet. Es darf nicht ausreichen
zu sagen, man habe wohl mit Clenbuterol verseuchtes Fleisch in
China gegessen. Ich sehe das mit einer gewissen Sorge und bin auf
den Fortgang des Verfahrens gespannt.
Könnte bei der Dopingbekämpfung ein strenges
Anti-Dopinggesetz mit dem Straftatbestand
„Sportbetrug“, der die strafrechtliche Verfolgung von
Dopingsündern ermöglichen würde, hilfreich
sein?
Zum Schutz der sauberen Sportler fände ich
eine ernsthafte Prüfung, ob dies sinnvoll und umsetzbar
wäre, wichtig. Und falls es das ist, sollte es auch getan
werden. Schließlich hat die bayerische Justizministerin Beate
Merk (CSU) bereits einen entsprechenden Entwurf vorgelegt.
Es passiert aber nichts…
Es gibt
bislang weder im Bundesrat noch im Bundestag eine ernsthafte
Prüfung des Vorschlags. Wir haben das in der vergangenen
Wahlperiode in der großen Koalition diskutiert, aber ich habe
bei der Union keinerlei Interesse daran feststellen
können.
Thema Sportwetten. Rechnen Sie mit einer Liberalisierung
des Sportwettenmarktes?
Die endgültige
Entscheidung der Bundesländer fällt erst im kommenden
Jahr. Die Ministerpräsidenten haben sich zwei Richtungen offen
gelassen. Einmal die Aufrechterhaltung des Monopols des staatlichen
Anbieters „Oddset“ unter Berücksichtigung der
Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes. Oder aber eine
Öffnung im Bereich der Sportwetten mit einer Vergabe von
Konzessionen an bestimmte Anbieter, die dann auch Steuern in
Deutschland zahlen müssten, was natürlich wiederum
Einfluss auf ihre Quoten haben wird. Mir erschließt sich die
Argumentation für eine Kommerzialisierung als den richtigen
Weg zur Eindämmung von Wettkriminalität und Spielsucht
nicht.
Warum nicht?
Weil mir nicht klar ist,
warum der Wetter, dem es ohnehin egal zu sein scheint, ob er sich
illegal betätigt, zu einem konzessionierten legalen Anbieter
mit schlechterer Quote gehen sollte. Und auch nicht, warum ein Mehr
an Anbietern zu einem Weniger an Suchtgefahr führen soll.
Diverse Studien haben zu beunruhigenden Ergebnissen
geführt: Deutschlands Kinder sind zu dick, sind motorisch
unterentwickelt und treiben zu wenig Sport. Grund zur Sorge
für die Bundestags-Sportausschussvorsitzende oder ein Problem
der Länder?
Ich sehe hier durchaus
Anknüpfungspunkte für eine Zuständigkeit des Bundes.
Wir können nicht untätig zuschauen, wie aus
bewegungsarmen Kindern von heute die kranken Erwachsenen von morgen
werden. Mangelnde körperliche Bewegung führt schon in der
Schule zu geringerer Leistungsfähigkeit – und auch
später im Beruf. Bewegungsarmut macht krank und belastet unser
Gesundheitssystem – und das vor allem ist Bundessache.
Auf welchem Wege kann man junge Menschen zum Sport
bringen?
Auf keinen Fall darf man es erzwingen
wollen. Sport muss vor allem Freude machen. Da geht es nicht immer
um Spitzenleistungen, sondern auch um das Erreichen der ganz
individuellen Leistungsgrenze. Das geht aber nur, wenn man als Kind
erlebt, dass Sporttreiben Spaß machen kann. Aus diesem Grunde
bin ich auch eine Verfechterin von Bewegungskindergärten, von
denen es leider noch viel zu wenige gibt. Auch darf der Sport in
der Schule nicht weiter zum Stiefkind verkümmern und geringer
geschätzt werden als der Mathe- oder Fremdsprachenunterricht.
Kinder und Jugendliche sollten sich im Sport wohl fühlen und
möglichst auch in einen Verein gehen, weil ich denke, dass man
gerade beim gemeinsamen Sporttreiben viel für seine
persönliche Entwicklung lernen kann. Deshalb bin ich, obwohl
eigentlich nur für den Spitzensport zuständig, auch eine
vehemente Unterstützerin des Breitensports. Er ist vor allem
die Basis für ein lebenslanges Sporttreiben!
Was hat Ihnen persönlich der Sport
gegeben?
Viele unterschiedliche Erfahrungen, die ich
nicht missen möchte. Ich habe als Kind mein sportliches Herz
an die Leichtathletik verloren und bin im Grunde im Stadion
groß geworden. Natürlich mit dem Ziel, so gut wie
möglich zu werden. Das hat nicht geklappt, aber es hat mich
geprägt. Ich hatte ein Ziel und habe dafür trainiert.
Dabei habe ich auch gelernt, wie bitter es ist zu verlieren, aber
auch, dass die Welt dann nicht unter geht. Und ich habe gelernt,
mich mit Anstand über Siege zu freuen. Das alles hat mir
natürlich auch bei meiner beruflichen Laufbahn im Bundestag
geholfen.
Das Interview führten Knut Teske und Götz
Hausding.
Dagmar Freitag (57) ist Vorsitzende des Sportausschusses. Die
SPD-Politikerin ist seit 1994 im Bundestag.
In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“, Nr. 51, lesen Sie:
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