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Es war eine Meldung mit Seltenheitswert: Mehrere Zeitungen berichteten Ende Juni 2010, dass der FDP-Abgeordnete Jimmy Schulz Stichworte einer Rede im Bundestag von seinem iPad abgelesen habe - obwohl der Einsatz von Computern im Plenum verboten ist. Dieser "Tabubruch" des Parlamentariers sei nun ein Fall für den Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages, vermeldete die Presse. Damit rückte ein Gremium in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, das eigentlich eher selten Schlagzeilen macht, obwohl es eine durchaus wichtige Rolle spielt: der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.
Ihn beschäftigen vor allem innere parlamentarische Angelegenheiten. Drei Aufgaben sind dabei zentral: Nach Bundestagswahlen und Europawahlen ist der Ausschuss Ansprechpartner für eventuelle Einsprüche gegen den Ablauf der jeweiligen Wahl.
Zweitens wacht er über die Immunität der Abgeordneten, die sie vor ungerechtfertigter Strafverfolgung schützen und die Funktionsfähigkeit sowie das Ansehen des Parlaments wahren soll.
Schließlich ist der Ausschuss quasi als Schiedsrichter im parlamentarischen Betrieb für die Auslegung und Änderung der Geschäftsordnung zuständig. Er erarbeitet Lösungen bei Konflikten im Plenum und in den Ausschüssen - wie aktuell im Streit um das iPad.
Was die wenigsten außerhalb des parlamentarischen Betriebes aber wissen: Eigentlich verstecken sich im Gewand des Ausschusses zwei Ausschüsse, die sogar teilweise unterschiedliche Mitglieder haben. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung gehört zu den 22 ständigen Ausschüssen des Bundestages und wird aufgrund seiner besonderen Zuständigkeiten auch "1. Ausschuss" genannt.
In der laufenden 17. Wahlperiode besteht er aus 13 Mitgliedern, die von den Fraktionen nach Proporz benannt wurden. Derzeit gehören ihm damit fünf Parlamentarier der CDU/CSU-Fraktion an, drei der SPD und zwei der FDP. Auch Die Linke stellt zwei Mitglieder, Bündnis 90/Die Grünen stellen einen.
Daneben existiert aber noch ein Wahlprüfungsausschuss - trotz der Namensähnlichkeit nicht zu verwechseln mit dem 1. Ausschuss -, der für die Prüfung von Einsprüchen gegen den Ablauf von Wahlen zu Beginn einer jeden Legislaturperiode neu eingerichtet wird.
Anders als die Mitglieder des 1. Ausschusses werden die neun Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses direkt vom Plenum gewählt. Dabei kommt es durchaus vor, dass einige Abgeordnete nicht gleichzeitig beiden Ausschüssen angehören.
So ist etwa Volker Beck (Grüne) im 1. Ausschuss Mitglied, nicht aber im Wahlprüfungsausschuss. Dort wird seine Fraktion von Josef Winkler vertreten. Derzeit sind vier Unionsabgeordnete, zwei Sozialdemokraten und jeweils ein Abgeordneter von FDP, Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen Mitglied im Wahlprüfungsausschuss.
Diese Aufteilung in zwei Ausschüsse mag verwirrend wirken, ist aber in der Praxis unproblematisch. Schließlich haben die Ausschüsse unterschiedliche Aufgaben - der 1. Ausschuss berät Geschäftsordnungsfragen und Immunitätsangelegenheiten, der Wahlprüfungsausschuss Beschwerden gegen Bundestags- und Europawahlen. Auch die Sitzungen finden getrennt statt. Grundsätzlich gilt: Bei Bedarf wird getagt, üblicherweise donnerstags im Paul-Löbe-Haus des Bundestages.
Vorsitzender beider Ausschüsse ist Thomas Strobl. Der 50-jährige CDU-Abgeordnete aus Heilbronn leitete bereits in der vergangenen 16. Wahlperiode die Sitzungen der beiden Gremien. Wie er, der Rechtsanwalt von Beruf ist, verfügen auffällig viele Mitglieder des 1. Ausschusses über einen juristischen Hintergrund. Sieben von 13 Mitgliedern haben zuvor Rechtwissenschaften studiert, teils dann als Anwalt oder Richter gearbeitet.
Doch Voraussetzung für die Mitarbeit im Ausschuss ist natürlich ein Jurastudium nicht. "Als Abgeordnete sind wir Repräsentanten des Volkes, und das besteht - Gott sei Dank - auch nicht nur aus Juristen", sagt Strobl. Die entscheidende Voraussetzung für die Arbeit im Bundestag sei nicht ein bestimmter Beruf: "Wenngleich aber juristische Kenntnisse bei der Arbeit im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auch nicht schaden können."
Wie ein rechtswissenschaftliches Seminar sollte man sich die Sitzungen dennoch nicht vorstellen. Natürlich werde diskutiert, allerdings "eher ergebnisbezogen als parteipolitisch." Der Ausschuss sei bemüht, seine Beschlüsse im Konsens zu fassen, so der Vorsitzende.
Weil sich aber der 1. Ausschuss mit Themen beschäftigt, die die innere Ordnung des Parlaments betreffen, macht er auch nicht in dem Maß Schlagzeilen wie andere Ausschüsse - der Finanzausschuss oder der Arbeits- und Sozialausschuss etwa. Themen wie Elterngeldkürzung, Mehrwertsteuererhöhung oder Bundeswehreinsätze bewegen die Gemüter meist mehr, als beispielsweise die Frage, ob Computer im Plenarsaal erlaubt sind - oder wie die Geschäftsordnung des Parlaments an die Bestimmungen des Lissabon-Vertrags angepasst wird.
Eine Aufgabe übrigens, der sich der Ausschuss seit dem Inkrafttreten des EU-Reformvertrags am 1. Dezember 2009 intensiv widmet. Die neuen Mitwirkungsrechte, die dieser den nationalen Parlamenten einräumt, müssen auf die Geschäftsordnung des Bundestages übertragen werden. So wird künftig etwa der bestehende Paragraf 93 (Zuleitung und Überweisung von EU-Dokumenten) um zwei weitere, die Paragrafen 93c und 93d, erweitert werden.
Dass die Ausschussarbeit aufgrund dieses Arbeitsschwerpunktes eher weniger in der breiten Öffentlichkeit als in Expertenkreisen wahrgenommen wird, stört Strobl wenig: "Unser Ausschuss erledigt kein Massengeschäft." Dennoch hätten Entscheidungen in Immunitätsangelegenheiten bereits - unbeabsichtigt - zu erheblicher Medienresonanz geführt.
Tatsächlich sorgte zuletzt der Fall des früheren Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss, der im Mai vom Landgericht Karlsruhe wegen Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie verurteilt worden war, für Aufsehen. Der Ausschuss hatte zuvor die Immunität des Abgeordneten aufgehoben und damit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zugelassen.
Später warf der Anwalt des Angeklagten dem Gremium vor, gegen den Grundsatz der Geheimhaltung verstoßen und an einer "medialen Inszenierung" der Untersuchungen mitgewirkt zu haben.
Eine Anschuldigung, die der Ausschussvorsitzende zurückweist: Der Grundsatz, nach dem die Beratungen über die Zustimmung zu staatsanwaltlichen Ermittlungen streng vertraulich abzulaufen haben, sei stets gewahrt geblieben. "Im Fall Tauss haben wir sogar dessen Namen und Fraktionszugehörigkeit im Ausschuss zunächst verschwiegen." Zudem seien die Mitglieder gebeten worden, bis zum Beginn der Durchsuchungen den Sitzungssaal nicht zu verlassen und ihre Handys abzuschalten.
Ebenso wie die Immunitätsverfahren gehört auch die Überprüfung von Abgeordneten auf eine Stasi-Mitarbeit zu den heikleren Aufgaben des Ausschusses, die seine Mitglieder zu besonderer Diskretion verpflichtet. Hierbei geht es darum, Abgeordnete - entweder auf eigenen Antrag hin oder bei entsprechenden Anhaltspunkten auch gegen ihren Willen - auf eine Mitarbeit oder politische Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR zu überprüfen.
Verständlich, dass die Sitzungen des 1. Ausschusses deshalb unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. "Angesichts des teilweise brisanten Materials geht das gar nicht anders", erklärt Strobl.
Dass aber der Ausschuss insgesamt den Ruf hat, im Verborgenen zu arbeiten, kann Strobl nicht ganz verstehen. "Sicher, man nennt uns manchmal die Dunkelkammer des Bundestages", scherzt er. Doch diesen Titel trage das Gremium zu Unrecht.
Zwar tage es stets nichtöffentlich, aber mit 'Geheimniskrämerei’ habe dies nichts zu tun. Schließlich ließen auch die anderen ständigen Bundestagsausschüsse nur in Einzelfällen die Öffentlichkeit zu Sitzungen zu. Und noch ein weiteres Argument gegen die vermeintliche Geheimniskrämerei hat Strobl parat: "Alle unsere Beschlussempfehlungen an das Bundestagsplenum sind öffentlich zugänglich."
Das gilt auch für den Wahlprüfungsausschuss, der sich mit der Überprüfung der Bundestagswahl im vergangenen September befasst hat. Gegen diese hatte es 163 Einsprüche gegeben - vor allem von Parteien und Gruppierungen, deren Landeslisten nicht zugelassen wurden oder die aufgrund der fehlenden Parteieigenschaft gar nicht an der Weil teilnehmen konnten. Aber auch gegen die Briefwahl und oder die Identitätskontrollen im Wahllokal hatte es Beschwerden gegeben.
Der Bundestag hat am 8. Juli eine erste Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu 33 Einsprüchen gegen die Bundestagswahl ( 17/2250) angenommen. 24 Wahleinsprüche wurden zurückgewiesen, weil sie unzulässig oder unbegründet waren, in neun Fällen wurden das Verfahren eingestellt. Zugleich wies der Bundestag auf Empfehlung des Ausschusses ( 17/2200) 26 Einsprüche gegen die Europawahl vom 7. Juni 2009 zurück und stellte vier Verfahren ein. Über 24 von insgesamt 54 Wahleinsprüchen hatte das Parlament bereits zuvor entschieden ( 17/1000).
Neun Monate nach der Wahl steht der Bericht des Wahlprüfungsausschusses zur Bundestagswahl 2009 aber noch aus. Auch wann er voraussichtlich dem Bundestagsplenum zur Abstimmung übergeben - und damit auch veröffentlicht wird - ist noch offen. "Viele Wahleinsprüche betreffen komplizierte Fragestellungen, und wir müssen alle mit großer Sorgfalt prüfen", erklärt Strobl.
Dazu gehöre auch, die Einsprüche der Bürger an den jeweiligen Kreis- und Landeswahlleiter oder den Bundeswahlleiter für eine Stellungnahme zu senden. Diese werde dann an den jeweiligen Beschwerdeführer übersandt, um ihm Gelegenheit zur Gegenäußerung zu geben. "Ein zeitaufwendiges Verfahren", gibt Strobl zu. Aber ein notwendiges. (sas)