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Mit der Mehrheit von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken hat der Bundestag am Mittwoch, 1. Dezember 2010, die Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" beschlossen. Die vier Fraktionen hatten dazu einen gemeinsamen Antrag ( 17/3853) eingebracht. Keine Mehrheit fand ein gleichlautender Antrag der Linksfraktion ( 17/3990), die einen ursprünglichen Antragsentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Abstimmung vorgelegt hatte. Es ist dies in der laufenden Wahlperiode die zweite Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages neben der in diesem Jahr bereits eingesetzten Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft".
Die künftige Enquete wird aus 34 Mitgliedern bestehen - 17 Bundestagsabgeordnete und die gleiche Anzahl externer Sachverständiger, die von den Fraktionen entsprechend den Mehrheitsverhältnissen benannt werden. Die CDU/CSU-Fraktion stellt sechs, die SPD vier, die FDP drei und Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen stellen je zwei Mitglieder.
Der Auftrag an die Kommission sieht vor, den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft zu ermitteln, einen ganzheitlichen Wohlstands- oder Fortschrittsindikator zu entwickeln und die Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung von Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischem Fortschritt auszulotsen.
Ferner soll sie den Einfluss von Arbeitswelt, Konsumverhalten und Lebensstilen auf Möglichkeiten nachhaltigen Wirtschaftens untersuchen und konkrete politische Handlungsempfehlungen für ein ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaften entwickeln.
Zu Beginn der Debatte lehnte der Bundestag mit der Koalitionsmehrheit einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab, Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) herbeizuzitieren.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) stellte eingangs klar, dass die Kommission nicht systemkritisch an der sozialen Marktwirtschaft kritteln solle. Ebenso wenig gehe darum, Krisen- und Rohstoffszenarien zu entwerfen und politisches Kapital daraus zu schlagen.
Spannend sei vielmehr, den Stellenwert von Wachstum und Wirtschaft unter dem Eindruck des demografischen Wandels zu untersuchen, sagte der CSU-Abgeordnete. Auch sollte das Thema in den kommenden drei Jahren nicht mit Pessimismus und gegen den technischen Fortschritt gerichtet angegangen werden. Die "German Angst" müsse in den Hintergrund rücken. Auch sei Deutschland keine "Öko-Insel", die Dinge müssten daher international vorangetrieben werden.
Sein Fraktionskollege Bernhard Kaster sagte, der Auftrag an die Enquete stelle die "richtige Frage", wie die Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen in Zukunft auf den Weltmärkten sein müsse. Die Unionsfraktion definiere Wachstum längst nicht mehr quantitativ.
Wir werden weiterhin ein qualitatives Wachstum brauchen", sagte Kaster und begründete dies mit der demografischen Entwicklung und der Staatsverschuldung. Qualitatives Wachstum müsse den Sozialstaat sichern und finanzieren und die Schöpfung bewahren.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Frank-Walter Steinmeier sprach von einer "Riesenaufgabe" für die Enquete-Kommission. Das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft sei nach dem Ausbruch der Finanzmarktkrise geschwunden, aber auch das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Demokratie und der demokratischen Institutionen.
Der Bürgerprotest komme aus der Mitte der Gesellschaft. Die "Warnzeichen" müssten ernst genommen werden, sagte Steinmeier. Es müssten Probleme der Zeit angegangen werden, die über die Wahlperioden hinausgehen.
"Die Leute haben ein Gespür dafür, dass da was auseinanderfällt." Das, was an Vertrauensverlust und Zukunftsangst sichtbar werde, müsse aufgegriffen werden. Ein neues Navigationssystem müsse gesucht werden, "das nicht mehr einfach nur Bruttoinlandsprodukt heißen kann."
Die Frage sei, wie viel Teilhabe am Wohlstand möglich sei und wer die Kosten knapper Ressourcen trage. "Wir müssen die soziale mit der ökologischen Frage neu verbinden", so Steinmeier.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP) sagte, der Rahmen der sozialen Marktwirtschaft sei grundlegend. Die FDP begrüße die Enquete-Kommission, nicht weil sie sich in die Reihen der Wachstums- und Fortschrittsskeptiker begeben habe, sondern um Wachstums- und Fortschrittsskepsis zu begegnen. Ein rein materiell ausgerichtetes Wachstum tauge nicht als Modell für die Zukunft.
Das reale Bruttoinlandsprodukt sei eine qualitative Größte. Es geh nicht um "mehr", sondern um "besser". Wachstum müsse nicht zwangsläufig mit steigendem Ressourcenverbrauch einhergehen.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssten so gestaltet werden, dass die externen Effekte besser abgebildet werden. Die sozialen Defizite wirtschaftlichen Stillstands seien gravierender als die des Wachstums, betonte der Bundestagsvizepräsident.
Eine stagnierende Wirtschaft bedeute gesellschaftliche Erstarrung. Deutschland brauche Wachstum, das mehr Lebensqualität ermöglicht, Ressourcen schont und zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise beiträgt. Grundlage könne immer nur der eigenverantwortliche Bürger und nicht das bevormundete Objekt politischer Steuerung sein.
"Kapitalistisches Wirtschaften führt in die Sackgasse", unterstrich Sabine Leidig von der Linksfraktion. "Reichtum und Armut wachsen gleichzeitig", stellte sie fest. Einerseits würden private Geldvermögen angehäuft, andererseits würden immer mehr mit Niedriglöhnen abgespeist, und auch an der öffentlichen Kultur werde gespart.
90 Prozent der Bevölkerung wollten nicht "Wachstum um jeden Preis". Bürgerinitiativen gegen Großprojekte entstünden, weil es nicht mehr Lebensqualität und Zukunftsperspektiven durch teure Großprojekte gebe.
Für Die Linke stellten sich die Fragen der Verteilung und der Arbeit, etwa, ob es neben einer Mindestsicherung nach unten auch Grenzen des Reichtums nach oben geben müsse.
Es gebe Produktionsbereiche, die schrumpfen, wie Autos und Flugzeuge, und solche, die wachsen, wie etwa die sozialen Dienstleistungen, sagte Leidig. Die Prozesse erforderten politisches Handeln, man könne sie nicht den Märkten überlassen.
Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, Wachstum bedeute nicht automatisch mehr soziale Gerechtigkeit: "Wir leben nicht mehr in der Ludwig-Erhard-Zeit." Die Koalition, die auf die soziale Marktwirtschaft abstelle, müsse beweisen, "dass wir noch eine soziale Marktwirtschaft sind und wie es um das Soziale in Deutschland bestellt ist, wenn die Wirtschaft gerade mal nicht wächst".
Spannend sei, ob diese Frage durch den Glauben an ökonomische und Ressourceneffizienz gelöst werden kann. Beispielsweise stelle sich die Frage, ob die Erfolge bei der Verminderung der Abfallmengen vom Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren wieder aufgefressen werden. (vom)