Navigationspfad: Startseite > Dokumente & Recherche > Textarchiv > > Serie Wahlperioden > Der 3. Deutsche Bundestag (1957-1961)
Die Bundestagswahl am 27. September 2009 folgte auf ein Jubiläum: Vor 60 Jahren, am 7. September 1949, trat die Volksvertretung in der provisorischen Hauptstadt Bonn zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Anlass für einen Rückblick auf 16 Wahlperioden, auf Meilensteine, Wendemarken, Personen und Entscheidungen.
Mitte der sechziger Jahre sieht sich die Regierungskoalition mit
großen Herausforderungen konfrontiert. Die Konjunktur der
Wiederaufbaujahre lässt nach. In der DDR hat sich eine
kommunistische Diktatur etabliert. Nach dem Mauerbau vom 13. August
1961 ist die innerdeutsche Grenze hermetisch abgeriegelt.
Nach der Bundestagswahl am 17. September 1961 ziehen erstmals nur drei Parteien in das Parlament ein: Die Union bleibt mit 45,3 Prozent stärkste Fraktion, verliert jedoch ihre absolute Mehrheit. Die Sozialdemokraten erreichen 36,2 und die Liberalen 12,8 Prozent. Alle anderen Parteien scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde.
Union und FDP vereinbaren eine Koalition, nachdem Konrad Adenauer
(CDU) seinen Rücktritt im Laufe der Legislaturperiode
zugesichert hatte. Er tritt im Oktober 1963 zurück und der
Bundestag wählt den Wirtschaftsminister und Vizekanzler Ludwig
Erhard (CDU) zu seinem Nachfolger.
Zu den Sternstunden des Parlaments zählt die Debatte um das Recht der Verjährung von Schwerstverbrechen. Nach dem damaligen Recht verjährten Mord, Beihilfe zum Mord und Mordversuch nach 20 und Totschlagsverbrechen nach 15 Jahren. Die Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen hatte 1945 begonnen, die Verjährungsfrist wäre damit im Frühjahr und Sommer 1965 abgelaufen.
Nach intensiven Parlamentsdebatten beschließt der Bundestag
1965 zunächst, die Verjährungsfrist mit der Gründung
der Bundesrepublik beginnen zu lassen. Stichtag wurde der 1. Januar
1950.1969 wird der Bundestag die Verjährungsfrist für
Verbrechen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden,
abermals verlängern und die Verfolgungsverjährung
für Völkermord ganz aufheben.
In der Sommerpause 1964 holt ein Telegramm die Abgeordneten des
Bundestages für eine Sondersitzung zurück nach Bonn. Die
zuvor von der Regierung gebilligte Erhöhung der
Telefongebühreneinheit um vier Pfennige steht in der
öffentlichen Kritik. Die oppositionelle SPD-Fraktion hatte
eine Sondersitzung wegen der geplanten Erhöhung der Telefon-
und Fernschreibgebühren beantragt. Zuvor war der Bundestag
erst einmal in der Sommerpause zusammengerufen worden, und zwar
1961 aus Anlass des Baus der Berliner Mauer.
Der Westen bemüht sich um ein entspanntes Verhältnis zum Ostblock. Handelsbeziehungen zu einigen Ostblockstaaten sollen aufgebaut werden. Mit dem Passierscheinabkommen vom 17. Dezember 1963 gelingt es in Berlin erstmals, die Mauer durchlässiger zu machen. Über Weihnachten können West-Berliner wieder ihre Verwandten im Ostteil der Stadt besuchen. Von 1963 bis 1966 werden acht Passierscheinabkommen ausgehandelt, die große Besucherzahlen zur Folge haben.
Innerhalb des Bonner Kabinetts bestehen sehr unterschiedliche
Ansichten über die Gestaltung der Beziehungen zu den
Ostblockstaaten und zur DDR. Außenminister Gerhard
Schröder (CDU) hofft, durch die Aufnahme von Handelskontakten
mit den Staaten im sowjetischen Machtbereich in Ostmittel- und
Südosteuropa die DDR zu isolieren und für die Sowjetunion
auf Dauer untragbar zu machen. 1963 werden deshalb
Handelsverträge mit Polen, Rumänien und Ungarn
abgeschlossen. Im März 1964 folgt die Unterzeichnung eines
entsprechenden Abkommens mit Bulgarien.
Da sein außenpolitisches Konzept auf die umfassende
Isolierung der DDR ausgerichtet ist, steht Schröder den
Passierscheinabkommen skeptisch gegenüber. Diese werden im
Wesentlichen auf Initiative des Ministers für Gesamtdeutsche
Fragen, Erich Mende (FDP), und des Regierenden Bürgermeisters
von Berlin, Willy Brandt (SPD), ausgehandelt. Ihr Sinn liegt darin,
unterhalb der staatlichen und völkerrechtlichen Anerkennung
menschliche Begegnungen in Berlin zu ermöglichen und dadurch
die deutsche Frage in Bewegung zu halten.
Die deutsch-französische Beziehung, die sich besonders seit der Präsidentschaft Charles de Gaulles zu einem engen Verhältnis entwickelte, wird im Januar 1963 mit einem Freundschaftsvertrag besiegelt.
Da der Bundestag die deutsch-französischen Beziehungen nicht
als exklusive Allianz verstanden wissen will, fügt er dem
Abkommen mit Rücksicht auf die USA eine Präambel hinzu.
Darin werden die multilateralen Verpflichtungen der Bundesrepublik
betont.
Im Mai 1965 nehmen die Bundesrepublik und der Staat Israel diplomatische Beziehungen auf. Daraufhin ziehen fast alle arabischen Staaten – mit Ausnahme Tunesiens, Marokkos und Libyens – ihre Botschafter aus Bonn ab. Ägypten und etliche andere Länder wenden sich verstärkt der DDR zu.
Walter Ulbricht wird vom ägyptischen Präsidenten Gamal
Abd el Nasser mit großen Ehren empfangen; zu einer formellen
Anerkennung der DDR durch Ägypten kommt es jedoch nicht.
Jordanien und der Jemen nehmen schon 1967 beziehungsweise 1969 die
Beziehungen zur Bundesrepublik wieder auf.
Der Kanzlerwechsel wird als Einschnitt empfunden und als solcher auch von Erhard verstanden und praktiziert. In seiner Regierungserklärung kündigt Erhard eine "Politik der Mitte und der Verständigung" und einen "neuen politischen Stil" an. Nach Jahren des strengen Regiments Adenauers versteht sich Erhard als "Volkskanzler“, bei dem es liberaler und kooperativer zugehen soll.
Bereits im November 1962 ist eine größere
Kabinettumbildung vonnöten: Als Folge der
„Spiegel-Affäre“ legt Bundesverteidigungsminister
Franz Josef Strauß (CSU) sein Amt nieder. Strauß musste
vor allem deshalb zurücktreten, weil er in den Fragestunden am
7. und 8. November 1962 im Bundestag seine Rolle bei der Verhaftung
von Conrad Ahlers verschwiegen hatte.
Ahlers hatte die Affäre durch seinen Artikel „Bedingt
abwehrbereit“ ausgelöst. Strauß war Bundesminister
für besondere Aufgaben und seit 1955 für Atomfragen, bis
er 1956 zum Verteidigungsminister berufen wurde. Später wurde
er Bundesminister der Finanzen (1966 bis 1969). Von 1978 bis zu
seinem Tod 1988 amtierte er als Ministerpräsident des
Freistaates Bayern.