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Experten haben sich am Mittwoch, 27. Oktober 2010, in einer öffentlichen Anhörung des Menschenrechtsausschusses ausdrücklich für die Religionsfreiheit als wichtigen Bestandteil der europäischen Identität und als universelles Menschen- und Freiheitsrecht ausgesprochen. Dazu gehöre auch, betonte etwa Rosemarie Will, die Bundes- vorsitzende der Humanistischen Union, keine Religionen zu privilegieren und damit andere Religionen zu diskriminieren. Europa dürfe zum Beispiel von islamischen Religionsgemeinschaften "nicht mehr und nicht weniger“ als von anderen einfordern. Grundlegend sei die Beachtung der Regeln der freiheitlichen Verfassungsordnung.
Einmütig wandten sich die sechs Sachverständigen in der mehr als dreistündigen Sitzung gegen eine Fokussierung auf Muslime in der aktuellen Integrationsdebatte. So bezeichnete der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, die jüngsten Diskussionen als "verstörend“.
Der Islam werde allzu oft pauschal in die Nähe von Intoleranz und Fundamentalismus gerückt. Marginalisiert werde hingegen, dass ein Großteil der Muslime in Deutschland und Europa "nichts Böses mache“. Er verwies darauf, dass viele Probleme mit Einwanderern weniger mit Religion, sondern vielmehr mit sozial beschreibbaren Prozessen zu tun hätten.
Auch Matthias Rohe vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa, betonte, viele Muslime hätten längst aus Überzeugung Ja gesagt zu den europäischen Grundwerten. Man könne die Muslime in Europa nicht in Sippenhaft nehmen für demokratische Defizite in ihren Herkunftsländern, die sie nicht zu verantworten hätten. (joh)
Der Publizist und Orientalist Navid Kermani, Sohn iranischer Eltern, die in der 1950er Jahren zum Studieren nach Deutschland gekommen waren, sprach angesichts der jüngsten Debatten von einer "Existenzfrage“. Wohin solle seine Familie gehen, wenn Europa Menschen wie ihn und seine Eltern nicht wolle, fragte er und appellierte an die Abgeordneten "enthusiastische Europäer“ zu sein.
Europa besitze einen Wertekanon, zu dem man sich unabhängig von der Nation, Rasse, Religion oder Kultur bekenne oder nicht bekenne, betonte er.
Der Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit, Thomas Schirrmacher, sagte, viele Muslime und Mitglieder aus orthodoxen Kirchen kämen aus Ländern, in denen die Religionsfreiheit nicht oder kaum gewährleistet sei: "Ihnen fehlt die positive Erfahrung.“ Die Aufgabe, diese positive Erfahrung zu vermitteln, liege bei den Religionsgemeinschaften selbst und nicht in erster Linie beim Staat. Er forderte von den Muslimen in Deutschland und Europa, öffentlich zu erklären, wie sie zur Religionsfreiheit stehen und ob sie diese auch anderen Religionen und Glaubensgemeinschaften zugestehen.
In der anschließenden Aussprache sagte Erika Steinbach (CDU/CSU), erstaunlicherweise gebe es um viele Menschen anderer religiöser Zugehörigkeit in Europa, wie Bahais, Hindus oder Buddhisten, keine Debatten mit ähnlicher Problemlage wie bei den Muslimen. Es zeigten sich in Teilen dieser religiösen Gruppe "Abschottungstendenzen“ und Züge von Intoleranz, während ein erheblicher Teil der Muslime jedoch "mit beiden Füßen auf unserem Kontinent“ lebe.
Christoph Strässer (SPD) sagte hierzu, aus seiner Sicht tragen "Teile jeder Religion und jeder Religionsgemeinschaft in sich einen Ansatz von Intoleranz“. Ingrid Hönlinger (Bündnis 90/Die Grünen) fügte hinzu, jede Religion habe "ihre Fundamentalisten“.
Marina Schuster (FDP) plädierte dafür, Islamzentren an deutschen Universitäten einzurichten. Deutschland solle sich an der Ausbildung beteiligen. Dies könne einen Dialog fördern und zur Entwicklung eines europäisch geprägten Islam in einem säkularisierten Rechtsstaat beitragen.
Annette Groth (Die Linke) wies wie Rosemarie Will darauf hin, dass Religionsfreiheit auch Gleichberechtigung von Religionen und Religionsgemeinschaften bedeute. Jedoch seien einige in Europa "wesentlich gleichberechtigter und privilegierter“ als andere, kritisierte sie.
Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen), zeigte sich am Ende der Sitzung erstaunt über den großen Konsens unter den Experten. Dieser sei offenbar größer als auf dem Podium, konstatierte er, und stellte die Frage in den Raum, ob "wir in der Politik möglicherweise mehr Probleme sehen als es gibt“. (joh)