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Diesen Moment wollte sich Rita Süssmuth nicht nehmen lassen. Mit dem ihr eigenen Gespür für den historischen Augenblick trat die CDU-Abgeordnete und Parlamentspräsidentin am Mittwoch, dem 8. März 1995, beim Tagesordnungspunkt Drei als Erste ans Rednerpult im Bonner Plenarsaal. "Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, heute zum ersten Mal in der Geschichte des Internationalen Frauentages eine Debatte im Parlament zu führen, und zwar auf Grund einer interfraktionellen Initiative der Frauen", eröffnete sie die Aussprache - 84 Jahre nach dem ersten Weltfrauentag und 18 Jahre, nachdem die Vereinten Nationen diesen als offiziellen Gedenktag anerkannt hatten.
Süssmuth, bekannt für ihren eigenen Kopf, brach in ihrer Rede 1995 eine Lanze für Frauenquoten - schon damals im Gegensatz zur offiziellen Linie ihrer Partei und der schwarz-gelben Koalition. "Wir alle wünschten uns, wir bräuchten diese Krücken nicht, aber wir haben Jahrzehnt für Jahrzehnt erleben müssen, dass es notwendig ist, und dass die Freiwilligkeit ihre Grenzen hat", betonte die frühere Frauenministerin und fügte hinzu: "Ich glaube nicht mehr an das Ammenmärchen, dass sich das alles von selbst nur durch Qualität und Qualifikation vollzieht." Das Protokoll vermerkt "Beifall im ganzen Hause".
Die damalige Bundesfrauenministerin Claudia Nolte (CDU) pflichtete Süssmuth bei, ohne sich freilich der Forderung ihrer Amtsvorgängerin anzuschließen. Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern sei solange nicht erreicht, wie "Frauen in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft lediglich mit einem Anteil von drei Prozent vertreten sind", erläuterte Nolte.
Die Zahlen haben sich bis heute - jedenfalls in den großen Unternehmen - nicht wesentlich geändert: Nach Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung lag der Anteil von Frauen in den Vorstandsetagen der 200 größten deutschen Firmen im Jahr 2010 bei 3,2 Prozent.
Für die SPD, die in einem Entschließungsantrag Frauenquoten für Ausbildungsplätze und arbeitsmarktpolitische Instrumente verlangte, hob Ingrid Holzhüter schon 1995 hervor: "Wir haben die Gleichberechtigung erst dann erreicht, wenn es überall so viele mittelmäßige Frauen wie Männer gibt."
Die Grünen-Abgeordnete Rita Grießhaber richtete ihr Augenmerk auf den Bundestag selbst. "Ermöglichen wir die Hälfte der Plätze für die Frauen in diesem Hause", forderte sie und warb für einen entsprechenden Entschließungsantrag ihrer Fraktion. Erstmals betrug der Frauenanteil der Abgeordneten in der 13. Legislaturperiode mit 26,2 Prozent mehr als ein Viertel (heute 31,12 Prozent).
Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) warf den beiden Oppositionsfraktionen damals vor, "nur einen halben Weg" zu gehen, "wenn sie mit Quoten und gewissermaßen mit Zwang etwas verändern wollen". Die Kernfrage der "Vereinbarung von Beruf und Familie" bleibe dabei ungelöst.
Vier Jahre später - Rot-Grün hatte 1998 gerade die Macht übernommen und Bundeskanzler Gerhard Schröder Familienministerin Christine Bergmann (beide SPD) zuständig für "Frauen und das ganze andere Gedöns" erklärt - zeigten sich SPD und Grüne überzeugt, mit dem geplanten Gleichstellungsgesetz eine verpflichtende Frauenquote für die Privatwirtschaft einzuführen.
Die Parlamentarische Staatssekretärin Edith Niehuis (SPD) verwies am 4. März 1999 auf das Grundgesetz. Dies erkläre die tatsächliche Gleichberechtigung zum Staatsziel. Und Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) sagte, ohne Quote würden "weiterhin auch bei gleicher Qualifikation nur Männer eingestellt".
Für die FDP hielt Ina Lenke dagegen. Zwar hätten SPD und Grüne mit ihren Quoten parteiintern Erfolg. Mit Quotenregelungen in Betrieben werde jedoch "keine Handbreit mehr Frauenpolitik" stattfinden, sondern es werde vielmehr "Umgehungstatbestände" geben, prophezeite die FDP-Politikerin.
Einen Lackmustest für die Wirkung einer verpflichtenden Frauenquote gab es freilich nicht: Im Bundesgleichstellungsgesetz von 2001 fehlte eine solche; Rot-Grün setzte nach Intervention der Wirtschaftsverbände auf eine so genannte freiwillige Selbstverpflichtung und damit auf den guten Willen der Unternehmen.
Parlamentsvizepräsidentin Petra Bläss (PDS) äußerte aber bereits in der Debatte 1999 Zweifel an diesem Konzept, "denn diese Gesellschaft hatte jahrelang Zeit, Frauen freiwillig eine gleichberechtigte Position innerhalb der Wirtschaft einnehmen zu lassen".
Für die Union versuchte Bärbel Sothmann (CDU), mit einem Appell an die Unternehmen zu helfen, den Frauenanteil in den Chefetagen zu erhöhen: "Verstehen Sie die Frauenförderung nicht länger als Schmusekurs! Frauenförderung in Unternehmen dient handfesten wirtschaftlichen Interessen."
Nachdem sich der Bundestag zum Frauentag 2001 mit dem Entwurf zum Gewaltschutzgesetz befasste, richtete sich am Freitag, dem 7. März 2008, der Blick der Abgeordneten wieder auf das Thema Arbeitsmarkt und Frauen.
Die SPD-Vizefraktionschefin Elke Ferner erinnerte an den schwarz-roten Koalitionsvertrag, wonach die freiwillige Vereinbarung in Sachen Aufstiegschancen von Frauen in der Privatwirtschaft zu überprüfen sei. "Ich sage klipp und klar: Die freiwillige Vereinbarung ist gescheitert", stellte Ferner fest und drängte zu verpflichtenden Schritten.
"Denn wenn es in dem bisherigen Tempo weitergeht, dann warten noch unsere Urenkelinnen darauf, dass Frauen paritätisch in Führungspositionen oder gar Aufsichtsgremien der deutschen Wirtschaft vertreten sind", sagte sie und fügte, leicht resigniert, hinzu: "In 50 Jahren wird zum Internationalen Frauentag wahrscheinlich noch fast das Gleiche beklagt wie heute."
Schauen wir mal, ob Ferner in ein paar Jahrzenten ähnlicher Weitblick in frauenpolitischen Fragen attestiert werden kann wie Marie Juchacz. In der ersten Rede einer Frau in einem deutschen Parlament konstatierte die Sozialdemokratin am 19. Februar 1919 mit Blick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter: "Wir wissen, dass hier noch mit sehr vielen Dingen der Vergangenheit aufzuräumen ist, die nicht von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sind." (mpi)