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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. April 2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
-
Die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, rechnet mit einer Zustimmung der Basis zur Beibehaltung der Doppelspitze. „Ich glaube, dass die Doppelspitze für Partei- und Geschäftsführung kommt“, sagte die Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. April). Falls die Mitglieder doch dagegen seien, müsse die jetzige Parteiführung gründlich beraten, wie sie damit umgehe. „Ich meine, dann kann es nicht so weitergehen, als wäre nichts geschehen“, sagte Kipping. Die Mitgliederbefragung der Linkspartei endete am vergangenen Freitag, das Ergebnis der Stimmenauszählung soll am heutigen Sonntagnachmittag bekanntgegeben werden.
Die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion begrüßte die Pläne der Bundesregierung zur Verlängerung des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes. „Ich freue mich, dass die Ministerin unseren alten Vorschlag, die Kurzarbeit länger zu fördern, aufgreift“, sagte sie. Deutliche Kritik hingegen äußerte sie an der geplanten Grundgesetzänderung zur Jobcenterreform. Der Kompromiss von CDU und SPD führe zu einer Ausweitung jener Städte und Gemeinden, die Arbeitslose in Eigenregie betreuen. „Arbeitsmarktpolitik darf aber nicht nach dem Flickenteppichprinzip funktionieren“, sagte Kipping. Mit der weiteren Kommunalisierung drohe auch eine „Kannibalisierung der Kommunen untereinander“, warnte die Sozialpolitikerin. Sie befürchtet einen „Überbietungswettbewerb zwischen den Kommunen bei Zuschüssen an Firmen, die Erwerbslose einstellen“.
Kipping kritisierte auch das von der Bundesregierung geplante Programm für unter 25-jährige Hartz-IV-Bezieher. Sie sehe „die Gefahr, dass die Leute in irgendwelche Maßnahmen gestopft werden, die sie nicht wirklich weiterbringen“. Unterschwellig schwinge der Vorwurf mit, „das Problem sei ein Mangel an Arbeitsbereitschaft“. Dabei sei das eigentliche Problem ein Mangel an guten Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. „So fehlen 93.000 Lehrstellen“, sagte die Sozialpolitikerin. Bei den anstehenden Haushaltsberatungen sieht die Arbeitsausschussvorsitzende „keine Einsparmöglichkeiten“ beim Etat des Bundesarbeitsministeriums.
Das Interview im Wortlaut:
Im Ausland wird das deutsche Jobwunder neidisch
bestaunt, weil es trotz Krise kaum mehr Arbeitslose gibt. Was
machen wir besser als andere?
Wir sind besser darin,
die Statistiken zu schönen, weil wir nicht diejenigen
mitzählen, die in einer Maßnahme oder Fortbildung
stecken oder frühverrentet wurden. Den Optimismus, es werde
auf dem Arbeitsmarkt nun besser werden, teile ich nicht, weil in
vielen Branchen die konjunkturelle Krise auf eine strukturelle
Krise trifft. Was tatsächlich Schlimmeres verhindert hat, ist
die staatliche Förderung der Kurzarbeit.
Unter dem Beifall der Gewerkschaften will die
Bundesarbeitsministerin die Kurzarbeit nun länger
fördern. Außerdem gelingt ihr offenbar die lange
umstrittene Jobcenterreform. Beißt sich die Opposition an
Ursula von der Leyen die Zähne aus?
Ich freue
mich über jede Frau, die Erfolg hat, das vorweg. Ich freue
mich auch, dass die Ministerin unseren alten Vorschlag, die
Kurzarbeit länger zu fördern, aufgreift. Die
Jobcenterreform sehe ich allerdings kritisch.
Warum?
Das Bundesverfassungsgericht hat
gesagt, dass die Jobcenter in ihrer heutigen Form verfassungswidrig
sind. Jetzt soll einfach die Verfassung geändert werden, das
ist bedenklich. Der Kompromiss von CDU und SPD enthält die
Ausweitung der Optionskommunen, also jener Städte und
Gemeinden, die Arbeitslose in Eigenregie betreuen.
Arbeitsmarktpolitik darf aber nicht nach dem Flickenteppichprinzip
funktionieren. Mit der weiteren Kommunalisierung droht auch eine
Kannibalisierung der Kommunen untereinander. Gemeint ist ein
Überbietungswettbewerb zwischen den Kommunen bei
Zuschüssen an Firmen, die Erwerbslose einstellen.
Die vergangene Woche stand ganz im Zeichen der
Arbeitsmarktpolitik: vier Plenardebatten, zwei Anhörungen und
die Arbeitsmarktbeschlüsse des Kabinetts. Die Ministerin will
sich jetzt verstärkt um Problemgruppen bei Hartz IV
kümmern. Das müsste Ihnen doch
gefallen.
Die Ankündigung, unter 25-Jährige
müssten binnen sechs Wochen ein Angebot annehmen, sonst drohe
die Streichung des Arbeitslosengeldes II, beschreibt doch nur, was
wir längst haben. Ich sehe vielmehr die Gefahr, dass die Leute
in irgendwelche Maßnahmen gestopft werden, die sie nicht
wirklich weiterbringen. Unterschwellig schwingt bei den
Regierungsvorstößen der Vorwurf mit, das Problem sei ein
Mangel an Arbeitsbereitschaft. Dabei ist das eigentliche Problem
ein Mangel an guten Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. So fehlen
93.000 Lehrstellen. Der Ruf nach noch mehr Sanktionen soll doch nur
von diesem Scheitern der Politik ablenken.
Was spricht gegen Sanktionen, wenn ein Arbeitsloser
offensichtlich nicht kooperativ ist?
Das ist nicht
der Punkt. Im Jahr 2008 wurden über 250.000 Mal Sanktionen
gegen unter 25-Jährige verhängt: Davon in gerade einmal 4
Prozent der Fälle, weil jemand ein so genanntes zumutbares
Arbeitsangebot abgelehnt hat, dagegen in 60 Prozent der Fälle,
weil Fristen versäumt wurden. Die Linke fordert: Sanktionen
müssen abgeschafft werden.
Die Linksfraktion hat gerade einen Antrag mit
umfassenden Reformvorschlägen eingebracht: zehn Euro
Mindestlohn, mehr Streikrechte, mehr betriebliche
Gesundheitsförderung, mehr Rechte für Frauen und Eltern.
All das gefährde Arbeitsplätze, konterten die
Regierungsfraktionen. Was entgegnen Sie?
Im
Unterschied zur Wirtschaft ist in der Politik nicht nur
betriebswirtschaftliches, sondern auch volkswirtschaftliches Denken
gefragt. Der Kurs der vergangenen Jahre mit Niedriglohnsektor,
wachsenden Einkommens- und Vermögensunterschieden hat uns in
die Krise geführt. Denn zum einen ging die Massenkaufkraft
zurück, zum anderen wuchs dadurch der Druck in der
Spekulationsblase. Wenn es einen Mindestlohn gäbe,
könnten sich wieder mehr Menschen Friseurbesuche oder
Handwerkerleistungen leisten. Und die Unternehmen sind nicht
gezwungen, sich mit Dumpinglöhnen zu unterbieten.
Union und FDP befürchten Jobabbau durch einen
Mindestlohn für alle.
Der Mindestlohn ist auf
dem Vormarsch, wir sind die Vorreiter. Inzwischen sind
Gewerkschaften, SPD und Grüne dafür, innerhalb der CDU
bröckelt die Blockade, immerhin will man dort inzwischen ja
auch Branchenmindestlöhne.
Die Schuldenbremse verlangt einen Sparkurs, wie ihn
Deutschland noch nie gesehen hat. Auch beim riesigen Etat des
Bundesarbeitsministeriums muss es Einschnitte geben, fordern die
Haushälter. Wo kann gespart werden?
Da sehe ich
keine Einsparmöglichkeiten. Ich würde eher das
Ehegattensplitting abschaffen, was 20 Milliarden Euro pro Jahr
bringt, oder als Pazifistin bei der Bundeswehr oder beim
Verfassungsschutz kürzen. Statt zu sparen kann man aber auch
die Einnahmen erhöhen. Wer zum Beispiel durch den Handel mit
Aktien Gewinne erzielt, sollte stärker zur Kasse gebeten
werden. Deswegen sind wir Linke für eine
Börsenumsatzsteuer.
Mit linken Positionen, die Sie gerne pointiert
vortragen, müssen Sie sich als Vorsitzende des Ausschusses
für Arbeit und Soziales in den Sitzungen zurückhalten.
Fällt Ihnen der Rollenwechsel leicht?
Ich trenne
die Tagungsleitung klar von der politischen Argumentation. Im
Ausschuss wechsele ich bei Themen, für die ich für meine
Fraktion inhaltlich verantwortlich bin, den Platz und übergebe
die Leitung an meinen Stellvertreter von der Union. So ist ganz
klar, wann ich Moderatorin bin und wann ich als sozialpolitische
Sprecherin der Linken argumentiere.
Haben Ausschussvorsitzende mehr Einfluss als
„normale“ Bundestagsabgeordnete?
Die
formalen Kompetenzen sind durch die Geschäftsordnung begrenzt.
Aber ich habe mehr Kontakte und ein Mehr an Öffentlichkeit.
Und ich kann den einen oder anderen Punkt setzen. Auf dem
Höhepunkt der von FDP-Chef Westerwelle angestoßenen
Debatte über die spätrömische Dekadenz zum Beispiel
habe ich gemäß dem Motto „Nicht nur über,
sondern auch mit Erwerbslosen reden“ die Obleute aller
Fraktionen zu einem Gespräch mit Erwerbsloseninitiativen
eingeladen, die Sanktionen bei Hartz-IV-Beziehern aussetzen
wollen.
Die Hoffnungen Ihrer Partei ruhen für die Wahl in
NRW auf einem Landesverband, der selbst in Ihren Reihen als Gruppe
von Sektierern und Fundamentalisten wahrgenommen wird. Wie passt
das zusammen?
Da picken sich die Medien Einzelheiten
aus dem Programm wie die Forderung nach dem Recht auf Rausch heraus
und skandalisieren das. In Bayern wird das Recht auf Rausch beim
Oktoberfest geradezu kollektiv praktiziert. Außerdem wehre
ich mich gegen diese Einteilung der Linkspartei. Für mich
laufen die Konfliktlinien anders: zum Beispiel zwischen einem
konservativen und einem emanzipatorischen Verständnis von
Links. Letzterem hänge ich an und trete etwa für ein
bedingungsloses Grundeinkommen für alle ein.
Ihre Partei befragt derzeit die Mitglieder zur
Beibehaltung der Doppelspitze, die auf dem Parteitag im Mai
beschlossen werden soll. (Das Ergebnis lag bis zum
Redaktionsschluss noch nicht vor, die Red.) Was, wenn die Mehrheit
dagegen ist?
Ich glaube, dass die Doppelspitze
für Partei und Geschäftsführung kommt. Falls die
Mitglieder doch dagegen sind, muss die jetzige Parteiführung
gründlich beraten, wie sie damit umgeht. Ich meine, dann kann
es nicht so weitergehen, als wäre nichts geschehen.
Katja Kipping (32) ist Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag und stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei.