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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 03. Mai 2010)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen
Veröffentlichung –
Der Vorsitzende der Bundestags-Europaausschusses, Gunther Krichbaum (CDU), fordert als Konsequenz aus der Griechenland-Krise eine Stärkung der EU-Kommission „in einem entscheidenden Punkt“. Um eine Situation wie in Griechenland künftig zu verhindern, schlug Krichbaum in einem Interview der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 03. Mai 2010) vor, der europäischen Statistikbehörde Eurostat einen direkten Zugriff auf die Haushaltszahlen der Mitgliedstaaten einzuräumen. Eurostat „sollte nicht auf die Zahlen vertrauen müssen, die ihr die Mitgliedstaaten liefern. Denn diese können richtig oder falsch sein, wie man am Beispiel Griechenland sieht“, argumentierte er. Die Regel solle allerdings nur für Staaten gelten, die die EU-Defizitkriterien verletzen.
Zugleich wandte sich der CDU-Abgeordnete dagegen, ein Land bei Überschreitung der Euro-Defizitkriterien mit Strafzahlungen zu belegen. Es sei für ihn nie einleuchtend gewesen, warum ein Staat, der diese Kriterien aufgrund finanzieller Schwierigkeiten verletzt, zusätzlich mit einer solchen Strafzahlung belangt werden solle. „Darin erkenne ich keinen Sinn, weil es die Situation nur noch verschärft”, kritisierte Krichbaum. Eine Möglichkeit, Druck auf solche Staaten auszuüben, sieht er darin, ihre Stimmrechte in der Euro-Gruppe zeitweise zu suspendieren. „Ein Mitgliedstaat, der keinen Beitrag zur Stabilität des Euro liefert, sondern diese gefährdet, müsste dann damit rechnen, dass er von der weiteren Mitbestimmung für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen wird”, argumentierte der Ausschussvorsitzende.
Mit Blick auf die aktuelle Griechenland-Krise nannte er „rasche Hilfen”, die von einer möglichst breiten Mehrheit im Bundestag getragen werden, „alternativlos”. Es sei jetzt „oberste Priorität, dass sich die Finanzmärkte wieder beruhigen und Griechenland in die Lage versetzt wird, sich am Markt zu refinanzieren”. Entsprechende Hilfsmaßahmen erfolgten auch „im ureigensten Interesse” Deutschlands, fügte Krichbaum hinzu und warnte: „Ein finanzpolitischer Dominoeffekt würde auch uns treffen.”
Das Interview im Wortlaut:
Der Bundestag soll in dieser Woche über
Finanzhilfen für Griechenland entscheiden. Ist das ein Fass
ohne Boden?
Krichbaum: Das könnte es werden, wenn wir jetzt nicht
rasch handeln. Daher ist oberste Priorität, dass sich die
Finanzmärkte wieder beruhigen und Griechenland in die Lage
versetzt wird, sich am Markt zu refinanzieren.
Welche Rolle spielt der Bundestag?
Krichbaum: Bei derart wesentlichen Entscheidungen muss das
Parlament schon aus Verfassungsgründen beteiligt werden. Um
eines klar zu stellen: Es wird kein Geld aus dem Bundeshaushalt
nach Griechenland fließen, sondern Deutschland bürgt
für den KfW-Kredit.
Viele Menschen sind aber gegen Finanzhilfen für
Griechenland. Können wir uns diese Solidarität
überhaupt leisten?
Krichbaum: Ja, denn wir dürfen nicht vergessen, dass
diese Hilfsmaßnahmen auch in unserem ureigensten Interesse
erfolgen. Ein finanzpolitischer Dominoeffekt würde auch uns
treffen. Wir müssen immer auch das europäische
Gesamtinteresse im Blick haben und dafür sind rasche Hilfen,
die von einer möglichst breiten Mehrheit im Parlament getragen
werden, alternativlos.
Was schlagen Sie konkret vor, um eine Situation wie in
Griechenland in Zukunft zu verhindern?
Krichbaum: Wir müssen die Europäische Kommission
in einem entscheidenden Punkt stärken: Die europäische
Statistikbehörde Eurostat muss auf die Haushaltszahlen der
Mitgliedstaaten direkt zugreifen können. Sie sollte nicht auf
die Zahlen vertrauen müssen, die ihr die Mitgliedstaaten
liefern. Denn diese können richtig oder falsch sein, wie man
am Beispiel Griechenland sieht. Das ist der Grund, weshalb ich den
Vorschlag von Olli Rehn begrüßt habe. Ich bin allerdings
für eine Einschränkung: Die Regel sollte nur für
Staaten gelten, die die EU-Defizitkriterien verletzen.
Welche Sanktionen könnten Sie sich
vorstellen?
Krichbaum: Für mich war es nie einleuchtend, warum
ein Staat, der die Euro-Defizitkriterien aufgrund finanzieller
Schwierigkeiten verletzt, zusätzlich mit einer Strafzahlung
belangt werden soll. Darin erkenne ich keinen Sinn, weil es die
Situation nur noch verschärft. Eine Möglichkeit,
tatsächlich Druck auszuüben, wäre für mich, die
Stimmrechte in der Euro-Gruppe zeitweise zu suspendieren. Ein
Mitgliedstaat, der keinen Beitrag zur Stabilität des Euro
liefert, sondern diese gefährdet, müsste dann damit
rechnen, dass er von der weiteren Mitbestimmung für eine
bestimmte Zeit ausgeschlossen wird.
EU-Währungskommissar Olli Rehn hat vor kurzem
vorgeschlagen, dass die EU-Kommission die Haushalte der
Mitgliedstaaten stärker kontrollieren soll. Ist das nicht ein
Angriff auf das Budgetrecht der nationalen Parlamente?
Krichbaum: Ich warne hier vor reflexartigen Reaktionen.
Natürlich wird jeder Parlamentarier darauf hinweisen, dass die
Aufstellung und die Kontrolle des Haushalts die
Königsdisziplin jedes Parlaments ist. Das muss auch so
bleiben. Auf der anderen Seite darf sich so etwas wie in
Griechenland nicht wiederholen. Daher muss die Klinge des
Stabilitätspaktes geschärft werden. Wir dürfen nicht
erst handeln, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und nur
hektisch versuchen, den Rettungsring hinterherzuwerfen.
Wäre ein europäischer Währungsfonds, wie
ihn Finanzminister Schäuble jüngst vorgeschlagen hat,
eine Lösung?
Krichbaum: Der Sprung zu einem europäischen
Währungsfonds würde nicht ohne eine Vertragsänderung
gehen. Die letzten Erfahrungen mit einer Vertragsänderung
– dem Vertrag von Lissabon – waren ernüchternd.
Der Prozess hat etwa zehn Jahre gedauert und forderte
beträchtliche Anstrengungen. Deshalb sollten wir schauen, dass
wir zunächst Maßnahmen finden, die unterhalb der
Schwelle zur Vertragsänderung liegen.
Der Vertrag von Lissabon ist seit dem 1. Dezember 2009
in Kraft. Merken Sie das bereits in Ihrer täglichen
Arbeit?
Krichbaum: Unsere Rechte als Parlamentarier wurden nicht
nur durch den Lissabon-Vertrag, sondern vor allem auch durch die
deutschen Begleitgesetze zum Vertrag entscheidend gestärkt.
Mehr Rechte bedeutet aber auch mehr Verantwortung, die wir jetzt
wahrnehmen müssen.
Sind die Abgeordneten selbstbewusster geworden?
Krichbaum: Ja, das größere Selbstbewusstsein
zeigt sich beispielsweise darin, dass der Bundestag verstärkt
Stellungnahmen zu europäischen Themen abgibt. Ein anderes
Beispiel: EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat noch vor
seiner Anhörung im Europäischen Parlament bei uns im
Europaausschuss seine Vorstellungen von seinem zukünftigen Amt
erläutert.
Ist das nicht ein Dilemma: Der Bundestag will die
Europapolitik aktiv mitgestalten, die Regierung soll aber bei
europäischen Verhandlungen nicht zu stark eingeschränkt
werden?
Krichbaum: Es ist richtig und wichtig, dass ein Parlament
der Regierung auf die Finger schaut, schließlich kontrolliert
das Parlament die Regierung und nicht umgekehrt. Auf der anderen
Seite darf das Parlament nicht vergessen, dass die Regierung in
Europa auch handlungsfähig bleiben muss.
Was heißt das in der Praxis?
Krichbaum: Wir wissen, dass die Regierung bei
Verhandlungen in Brüssel oft Kompromisse eingehen muss. Da
wäre es kontraproduktiv, wenn sie sich bei jedem Schritt ans
Telefon hängen müsste, um die Zustimmung aus Berlin
einzuholen. Wenn die Regierung aber von unserer Linie abweicht,
muss sie dem Parlament Rede und Antwort stehen.
Nach den neuen Begleitgesetzen hat die Bundesregierung
den Bundestag möglichst früh über EU-Vorhaben zu
informieren. Wie zufrieden sind Sie damit bislang?
Krichbaum: Wir haben natürlich schon vor dem
Lissabon-Vertrag Informationen von den Bundesregierung bekommen und
waren damit in 80 Prozent der Fälle zufrieden. Vieles ist
jetzt aber verbindlicher geregelt: So erhalten wir beispielsweise
die Berichte aus den sogenannten Ratsarbeitsgruppen, die sehr
wichtig sind, weil dort neue Vorschläge für
europäisches Recht vorbereitet werden.
An Informationen mangelt es nicht?
Krichbaum: Die größte Herausforderung ist doch,
bei all dieser Informationsflut die richtigen Informationen
herauszufiltern. Theoretisch könnte jeden Tag ein LKW voller
Papiere aus Brüssel und Straßburg vorfahren. Es ist
deshalb wichtig, dass Fachleute im Bundestag vorsortieren, welche
Dokumente für unsere Beratungen relevant sind.
Bevor ein Dokument vorliegt, ist in Brüssel aber
schon viel passiert. Wie informieren Sie sich im Vorfeld?
Krichbaum: Der Bundestag hat ein eigenes
Verbindungsbüro in Brüssel. Es setzt sich zur Hälfte
aus Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung und der Fraktionen
zusammen. Sie beobachten dort: Was wird in Europa gesprochen, was
wird gedacht, in welche Richtungen gehen die Diskussionen? Manche
bezeichnen das als „Frühwarnsystem“. Ich halte
wenig von dem Begriff, weil er den Eindruck vermittelt, als
müssten wir bei allem gewarnt werden, was aus Europa kommt.
Das ist der falsche Grundsatz. Europa muss gestaltet werden,
Deswegen wäre „Frühwecksystem“ passender.
Wenn ein Bürger auf Sie zukommt, der –
vielleicht auch wegen der Griechenland-Krise – an Europa
zweifelt und Sie nach dem Sinn der Europäischen Union fragt:
Was antworten Sie ihm?
Krichbaum: Wir hatten noch nie eine so lange
Friedensperiode auf diesem Kontinent, wir haben das Glück,
heute wirklich von Freunden umgeben zu sein. Europa hat aber nicht
nur Frieden, sondern auch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
Wohlstand gebracht. Vielleicht gehen wir mit alldem manchmal zu
selbstverständlich um.