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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 17. Mai 2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
-
Die Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, Petra Merkel (SPD), fühlt sich von der Bundesregierung bei den Stabilisierungsmaßnahmen für den Euro hintergangen. Dass die Euro-Turbulenzen bereits bei den Beratungen über die Griechenland-Hilfen nicht absehbar gewesen sein sollen, „ist kaum zu glauben“, sagte Merkel in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 17.5.2010). Die Märkte würden doch von der Bundesregierung beobachtet. „Ich persönlich fühle mich schon hintergangen, da nicht vorstellbar ist, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht informiert gewesen sein soll“, kritisierte die SPD-Politikerin.
Kritisch äußerte sich Merkel zur Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Bundestag bei der Verabschiedung des EU-Stabilisierungsprogramms in Brüssel: „Die Regierung hätte wenigstens die Fraktionsspitzen telefonisch von ihrer beabsichtigten Zustimmung zu der EU-Verordnung in Kenntnis setzen sollen und um eine Stellungnahme bitten müssen.“ Dass die Information erst am nächsten Tag gegeben worden sei, mache die Sache schwierig, sagte Merkel, die eine Prüfung der Frage ankündigte, ob die Bundesregierung gegen geltendes Recht verstoßen habe. „Im Grundgesetz ist eindeutig geregelt, dass die Bundesregierung vor ihrer Mitwirkung an Rechtsakten der Europäischen Union dem Parlament Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss“, sagte Merkel. Es könnten sich Klagemöglichkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht ergeben.
Zur Höhe des Euro-Stabilisierungsprogramms sagte die Haushaltsausschuss-Vorsitzende: „Ich bekomme eine Gänsehaut, der Betrag ist gruselig.“ Sie befürchte, dass die Regierung bei den Beratungen des Pakets wie schon bei der Griechenland-Hilfe aufs Tempo drücken werde. Merkel forderte von der Regierung „vor der abschließenden Beratung im Bundestag die Vorlage des gesamten europäischen Vertragswerkes zum Stabilisierungsmechanismus. Uns liegt bisher nur ein Teil der europäischen Übereinkunft vor. Wichtige Details fehlen. So wollen wir genau wissen, ob Deutschland mehr bezahlen muss, wenn ein Mitgliedstaat seinen Anteil nicht bezahlen kann.“
Das Interview im Wortlaut:
Der Schutzschirm für Griechenland ist gespannt.
Würden Sie jetzt griechische Staatsanleihen
kaufen?
Ich lege mein Geld ganz konventionell an, und
das heißt bei mir in erster Linie auf dem Sparbuch. Aber man
kann jetzt auch griechische Anleihen kaufen, denn die sind mit dem
europäischen Schutzschirm wieder sicher.
Am Freitag, den 7. Mai, hat der Bundestag den deutschen
Beitrag am Hilfspaket für Griechenland beschlossen. War zu
diesem Zeitpunkt wirklich nicht absehbar, dass die Währung
insgesamt und nicht nur Griechenland wankt?
Dass die
Euro-Turbulenzen nicht absehbar gewesen sein sollen, ist kaum zu
glauben. Die Märkte wurden und werden doch von Kanzleramt und
Finanzministerium beobachtet – gerade auch für die
Vorbereitung des europäischen Finanzministertreffens am 9. Mai
in Brüssel.
Hat die Regierung den Parlamentariern also etwas
verheimlicht?
Das frage ich mich auch! Ich
persönlich fühle mich schon hintergangen, da nicht
vorstellbar ist, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
nicht informiert gewesen sein soll.
Was empfinden Sie, wenn es beim neuen Hilfspaket um
Größenordnungen bis zu einer dreiviertel Billionen Euro
geht?
Ich bekomme eine Gänsehaut, der Betrag ist
gruselig. Beim Bankenrettungsschirm 2008 haben wir als
Parlamentarier schon gesagt, in dieser Schnelligkeit dürften
wichtige Beschlüsse nicht mehr durch das Parlament gehen.
Damals musste aber schnell gehandelt werden. Jetzt musste die
Griechenland-Hilfe wieder innerhalb einer Woche durch das Parlament
gebracht werden. Und kaum ist die Tinte unter dem Gesetz
trocken, kommt ein gigantisches Hilfsprogramm für Europa mit
einer unvorstellbar hohen Summe von über 700 Milliarden Euro
auf die Tagesordnung.
Muss es wieder so schnell gehen?
Ja, ich
fürchte, es wird aufs Tempo gedrückt. Es wird in dieser
Woche die erste Beratung und eine Öffentliche Anhörung
geben. Als Abgeordnete verlangen wir aber vor der
abschließenden Beratung im Bundestag die Vorlage des gesamten
europäischen Vertragswerkes zum Stabilisierungsmechanismus.
Uns liegt bisher nur ein Teil der europäischen
Übereinkunft vor. Wichtige Details fehlen. So wollen wir genau
wissen, ob Deutschland mehr bezahlen muss, wenn ein Mitgliedstaat
seinen Anteil nicht bezahlen kann.
Oft ist von gehetzten Parlamentariern die Rede, die kaum
Mitwirkungsrechte haben, weil alles im Schweinsgalopp durch die
Gremien muss. Ist da was dran?
Wir haben als
Abgeordnete das Recht, uns zu informieren und unabhängige
Sachverständige anzuhören. Davon machen wir auch
Gebrauch. Die Fraktionen beraten, die zuständigen
Ausschüsse ebenfalls, und wir diskutieren jeden Gesetzentwurf
zweimal im Plenum. Tatsächlich beschäftigen wir uns schon
seit Ausbruch der Krise mit der Situation auf den
Finanzmärkten. Es sind aber unglaublich komplexe, schwierige
Themen. Ich weiß nicht, ob jeder sie bis zum Schluss
durchdringen kann. Nichts desto trotz muss jeder Abgeordnete
schließlich entscheiden. Diese Entscheidung kann einem keiner
abnehmen.
Von der Opposition kommen Vorwürfe, die Regierung
hätte den Bundestag nicht über die EU-Verordnung zum
neuen Hilfspaket informiert, obwohl es vorgeschrieben ist. Sehen
Sie das auch so?
Im Grundgesetz ist eindeutig
geregelt, dass die Bundesregierung vor ihrer Mitwirkung an
Rechtsakten der Europäischen Union dem Parlament Gelegenheit
zur Stellungnahme geben muss. Die Regierung ist mit dem
Ministerratsbeschluss zum Stabilisierungsmechanismus einen
Rechtsakt eingegangen, der gravierende Auswirkung auf die
Bundesrepublik und auf die Mitwirkungsrechte des Parlaments hat. Ob
gegen geltendes Recht verstoßen wurde, werden wir prüfen
lassen. Die Bundesregierung sollte sehr vorsichtig sein: Wenn die
Rechte des Parlaments nicht beachtet werden, könnten sich
Klagemöglichkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht ergeben.
Ich erinnere daran, dass in der Vergangenheit sogar
Verfassungsklagen von Mitgliedern der Regierungsfraktionen erhoben
worden sind.
Was hätte die Regierung tun
müssen?
Die Regierung hätte - selbst in der
Nacht - wenigstens die Fraktionsspitzen telefonisch von ihrer
beabsichtigten Zustimmung zu der EU-Verordnung in Kenntnis setzen
sollen und um eine Stellungnahme bitten müssen. Das wäre
auch eine Beteiligungsform gewesen, aber dass sie die Information
erst am nächsten Tag gegeben hat, macht die Sache
schwierig.
Wenn von den Gewährleistungen Teile fällig
werden und der Bund einspringen muss, wird der Haushalt schwer
belastet. Die Koalition hat sich bereits von der Steuerreform
verabschiedet. Stehen öffentliche Leistungen wie der Anspruch
auf Kita-Plätze auf dem Spiel?
Es sieht im
Moment nicht danach aus, dass die eingegangenen Bürgschaften
fällig werden. Aber unabhängig davon kann der Haushalt
nur durch ziemlich drastische Sparmaßnahmen die
Schuldenbremse einhalten. Der Bund muss ohnehin ab 2011 zehn
Milliarden Euro pro Jahr sparen. Darin sind die Bürgschaften,
mögliche Zinserhöhungen und andere sonstige Zusagen der
Bundesregierung noch nicht einmal enthalten. Ich fände es
jedoch fatal, wenn, wie von Teilen der CDU vorgeschlagen, bei den
Bildungsausgaben gespart würde.
EU-Währungskommissar Olli Rehn will sich in die
Haushaltspolitiken der Mitgliedsländer einmischen und fordert
die Vorlage der Etatentwürfe in Brüssel. Wäre das
das Ende des Budgetrechts des Parlaments?
Unsere
Haushalte sind immer öffentlich. Brüssel kann sich die
Entwürfe jederzeit besorgen. Wenn Herr Rehn allerdings den
Etat kontrollieren oder gar in ihn eingreifen möchte, dann
steht das Budgetrecht des Deutschen Bundestages in der Tat auf dem
Spiel. Das Budgetrecht werden wir nicht aufgeben. Es kann nicht
einfach so weggefegt werden. Wenn Brüssel allerdings daran
denken sollte, eine Art haushaltspolitisches Frühwarnsystem
einzurichten, wäre das eine gute Idee.
Während der Bundestag ein Rettungspaket nach dem
anderen verabschiedet, gehen die Spekulationen munter
weiter.
Die Bundesregierung unternimmt viel zu wenig
gegen die Spekulation. Deshalb hat sich die SPD-Fraktion bei der
Abstimmung über das Griechenland-Paket enthalten. Rettung und
Regulierung müssen Hand in Hand gehen. Es ist fahrlässig,
das Schwungrad mit Milliarden-Bürgschaften weiter zu drehen,
aber die Regulierung zum Beispiel durch Einführung einer
Finanztransaktionsteuer und ein Verbot von Leerverkäufen
von Aktien zu unterlassen. Keinesfalls können wir warten, bis
sich die ganze Welt auf eine Finanztransaktionsteuer geeinigt hat.
Europa muss hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Die Kanzlerin meint, dass Haushalts-Sünder aus der
Währungsunion ausgeschlossen werden sollen. Eine gute
Idee?
Nein. Zum jetzigen Zeitpunkt geht das ohnehin
nicht, weil die Spekulation sich gleich auf das nächste Land
der Eurozone stürzen würde. Mit einer Regulierung der
Finanzmärkte und der Installation eines Frühwarnsystems,
um Defizitsündern rechtzeitig auf die Spur zu kommen,
wäre schon viel gewonnen. Etwas kommt hinzu: Die harten
Reformen, die Griechenland jetzt umsetzen muss, wirken auf jeden
potenziellen Defizitsünder abschreckend. Die Verhältnisse
in Europa sind am ehesten mit einer Familie zu vergleichen. Da gibt
es auch immer mal Meinungsverschiedenheiten, und es werden auch
Fehler gemacht, aber man setzt nicht einfach ein Familienmitglied
vor die Tür.
Petra Merkel (SPD) ist Vorsitzende des Haushaltsausschusses