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Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 25. Oktober
2010)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
-
Trotz guter Wachstumszahlen ist die Finanz- und Wirtschaftskrise für den Vorsitzenden des Bundestags-Finanzausschusses, Volker Wissing (FDP), noch nicht ausgestanden. „Wir erleben jetzt die zweite Stufe der Krise“, sagte er der Wochenzeitung „Das Parlament“. Nach der Vertrauenskrise im Bankensektor fragten die Märkte jetzt: „Kann man den hoch verschuldeten Staaten überhaupt trauen?“ Die Verschuldungspolitik der Vergangenheit sei ein Fehler gewesen, weil sie die Staaten in die Abhängigkeit der Finanzmärkte getrieben habe, sagte der Finanzexperte und forderte „ein monetäres, also auf die Währung bezogenes, Völkerrecht“. Im Wettlauf um den attraktiveren Standort nähmen manche Länder derzeit hohe Risiken für das Weltfinanzsystem in Kauf. „Es darf nicht sein, dass sich eine Volkswirtschaft bequem einrichtet und wenn es kracht, muss es die Weltgemeinschaft richten“, sagte Wissing. Weil in dieser globalisierten Welt alles mit allem verknüpft sei, brauche man einheitliche völkerrechtliche Regeln. „Die haben wir im Sicherheitsbereich auch. Dort werden auch Dinge von Ländern quasi erzwungen, damit alle in Frieden und geordnet leben können“, sagte Wissing.
Im Rückblick auf den Beginn der Krise und das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) vom Herbst 2008, dass die Spareinlagen sicher seien, zeigte sich Wissing nachdenklich. Steinbrück sei damals „kein Haushaltsgesetzgeber und nicht einmal Mitglied des Parlaments“ gewesen. „Es gab keine Ermächtigung für diese Zusage, es war im Grunde ein Bluff“, sagte Wissing. „Einklagbar wäre das nicht gewesen.“ Aber in der heiklen Situation sei es um die Frage gegangen: „Schafft man es, ein psychologisches Signal zu senden, um die Märkte zu beruhigen?“
Das Interview im Wortlaut:
Vor zwei Jahren erreichte die Finanzkrise ihren Höhepunkt. Ist das Schlimmste jetzt überstanden?
Nein. Wir erleben jetzt die zweite Stufe der Krise. Die erste Stufe war im Herbst 2008, als die Banken sich misstrauten und sich untereinander kein Geld mehr liehen. Dann haben die Staaten gesagt, wir versuchen dieses Vertrauen mit staatlichen Garantien wieder herzustellen. Jetzt fragen die Märkte: Kann man den hoch verschuldeten Staaten überhaupt trauen?
Was sind für Sie die wichtigsten Lehren aus der Krise?
Es wurde deutlich, dass wir bei den internationalen Regelungen für die Finanzmärkte ein Vakuum haben. In der Vergangenheit haben wir Deregulierung erlebt, es gab einen Wettlauf bei der Frage „Wer hat den attraktivsten Standort für Finanzmärkte?“ Dadurch ist etwas passiert, was in einer Marktwirtschaft nicht passieren darf: Leute sind Risiken eingegangen, für die andere gerade stehen mussten. Heute wissen wir, dass die Finanzmärkte einheitlich reguliert und intelligent kontrolliert werden müssen.
Die FPD gehörte jahrelang zu den glühendsten Verfechtern der Deregulierung. Hatte sich Ihre Partei verrannt?
Ein freier Markt ist für die FDP nach wie vor wichtig. Markteingriffe können die Wirtschaft auch massiv behindern. Allerdings war es beim Finanzmarkt so, dass es viele kleine problematische Regulierungen gab, aber die großen Rahmenvorschriften gefehlt haben. Die Freiheit der Märkte wirkt nur dann positiv, wenn diejenigen, die diese Märkte nutzen, auch die Verantwortung für ihr Tun tragen. Risiko und Haftung dürfen nicht entkoppelt sein. Dennoch: Manche Regulierungen sind unsinnig. Der Staat sollte keine Investitionsentscheidungen bewerten. Deshalb wehre ich mich, wenn etwa Spekulationen generell verteufelt werden.
Was ist gut an Spekulationen?
Risiko ist etwas Gutes, denn Risikobereitschaft ist die Quelle von Wachstum. Daraus schöpfen Volkswirtschaften die Kraft für Sozialleistungen. Deswegen ist es zu kurz gesprungen, wenn man Spekulationen unterbindet. Nur die Verluste aus Spekulationen dürfen eben nicht sozialisiert werden. Dafür muss der Staat sorgen.
Welche drei politischen Krisenpräventions-Maßnahmen sind die wichtigsten?
Derzeit wird international vereinbart, dass die Banken in Zukunft höheres Eigenkapital vorhalten müssen – das ist das, was unter dem Stichwort Basel III läuft. Das tut den Banken furchtbar weh, muss aber sein. Vor allem für die deutschen Banken ist das eine Kraftanstrengung, da sie im internationalen Vergleich ein eher dünneres Polster haben.
Und zweitens?
Das Zweite, was ich wichtig finde, ist die Reform der Aufsichtsstrukturen. Die EU baut gerade neue Institutionen auf: Eine Behörde in London wird die Banken überwachen, eine in Frankfurt die Versicherer und eine in Paris die Börsen. Bisher gab es da keine internationale Zusammenarbeit, die Aufsicht endete an der nationalen Grenze. Das war im Fall der Hypo Real Estate verheerend. Als die Bank im Ausland die Depfa gekauft hatte, eine Aktiengesellschaft irischen Rechts mit Hauptsitz in Dublin, war das weder genehmigungspflichtig noch begleitet von der Aufsicht. So konnte der Bankenvorstand entscheiden, dass für den Steuerzahler ein Risiko eingekauft wird.
Und drittens?
Dass die Staaten sich endlich an den Abbau der Schulden machen. Die Verschuldungspolitik der Vergangenheit war ein Fehler, weil sie die Staaten in die Abhängigkeit der Finanzmärkte getrieben hat. Sind die Haushalte aber solide, kann ihnen die Spekulation nichts anhaben. Auf lange Sicht brauchen wir ein monetäres, also auf die Währung bezogenes, Völkerrecht.
Was meinen Sie damit?
Im Wettlauf um den attraktiveren Standort nehmen manche derzeit hohe Risiken für das Weltfinanzsystem in Kauf. Es darf nicht sein, dass sich eine Volkswirtschaft bequem einrichtet und wenn es kracht, muss es die Weltgemeinschaft richten. Weil in dieser globalisierten Welt alles mit allem verknüpft ist, braucht man einheitliche völkerrechtliche Regeln. Die haben wir im Sicherheitsbereich auch. Dort werden auch Dinge von Ländern quasi erzwungen, damit alle in Frieden und geordnet leben können.
Ihren Optimismus bezüglich internationaler Absprachen in Ehren, doch konnten sich weder die G20-Staaten noch die EU bisher auf eine einheitliche Steuer auf Finanztransaktionen einigen...
Diese Finanztransaktionssteuer wird völlig überschätzt. Die Opposition behauptet, dass man mit der Steuer regulierend in die Finanzmärkte eingreifen könnte. Das halte ich für Mumpitz. Ernst zu nehmende Ökonomen sagen, das Gegenteil ist der Fall, schlimmer noch, die Finanzmärkte würden durch die Steuer unberechenbarer.
Wieso das?
Wenn ich die Zahl der Transaktionen senke, dann sinkt die Treffsicherheit der Informationen der Märkte, also auch die Effizienz. Unpräzisere Märkte sind schwerer zu kontrollieren als präzisere Märkte. Und weniger effiziente Märkte führen zu weniger Wachstum und weniger Steueraufkommen. Und noch was: Die Banken würden die Belastung sowieso auf die Kunden abwälzen.
Befürworter der Steuer sagen, dass der kleine Sparer kaum belastet würde, da er nicht dauernd Wertpapiere kauft und verkauft.
Auch viele „normale“ Sparer haben eine Hausratversicherung, eine Renten- oder Lebensversicherung, diese basieren auch auf Wertpapieren. Dort gibt es viele Transaktionen. Die Rendite würde sinken, was zu niedrigeren Versicherungsleistungen führt.
Der Bundestag hat dutzende Gesetze gegen die Krise beschlossen. Was war für Sie persönlich aufwühlend?
Bewegend war für mich die Schuldenbremse. Das war ein Meilenstein, sowas kann man noch seinen Enkeln erzählen. Mit dieser Grundgesetzänderung wurde so viel für die Generationengerechtigkeit getan wie nie zuvor. Und beim ersten Bankenrettungspaket mit den gigantischen Milliardensummen habe ich meine Verantwortung so stark gespürt wie sonst nur bei Bundeswehreinsätzen.
Dann waren wir geschockt, als die Griechenland-Hilfe fällig wurde. Da ich in meiner Position sehr früh in die Pläne eingebunden war, bin ich mir schnell ganz sicher gewesen, dass die Hilfe richtig war. Aber ich war auch sehr beunruhigt, da ich die Fragilität der Finanzmärkte kannte, etwa aus Gesprächen mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank.
Bundeskanzlerin Merkel und der damalige Finanzminister Steinbrück sagten zu Beginn der Krise: „Die Spareinlagen sind sicher“. Sie bewegten sich damals auf sehr dünnem Eis, denn für diese Garantie fehlte die Legitimation, also die Rechtsgrundlage und auch der parlamentarische Rückhalt. Warum haben Sie und Ihre Parlaments-Kollegen das später nie thematisiert?
Wir waren auch erstaunt damals. Herr Steinbrück war ja kein Haushaltsgesetzgeber und nicht einmal Mitglied des Parlaments. Es gab keine Ermächtigung für diese Zusage, es war im Grunde ein Bluff. Einklagbar wäre das nicht gewesen. Aber es ging in der heiklen Situation um die Frage: Schafft man es, ein psychologisches Signal zu senden, um die Märkte zu beruhigen...
.... und den Ansturm der Sparer auf die Banken zu verhindern...
.... ja, das war die Sorge. Es war eine Frage des Vertrauens in die Entschlossenheit der Regierung. In diesem Fall war es gut, dass die Deutschen mehr Vertrauen in den Staat als in die Finanzmärkte haben. Ähnlich heikel war es auch bei Griechenland. Wenn die Banken dort kein Geld mehr hätten auszahlen können, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, wann die Spanier oder Portugiesen das Vertrauen in die Sicherheit ihrer Ersparnisse verloren hätten. z
In der aktuellen Themenausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ zu „Zwei Jahre Finanz- und Wirtschaftskrise“, Nr. 43, lesen Sie:
- Deutschland – noch einmal davongekommen. Crashs kommen und gehen, sind also ganz normal und doch verheerend (Seite 1)
- Interview: Volker Wissing (FDP), Vorsitzender des Finanzausschusses: Risiko ist etwas Gutes (Seite 2)
- Gesetze: Von den Konjunkturpaketen über die Schuldenbremse bis zur Eurorettung – das Urteil zweier Experten (Seiten 4/5)
- Ursachen: Marktversagen oder Politikversagen? Dritte Variante: Die Krise war unvermeidlich (Seite 6)
- Finanzmärkte: Sind wir jetzt vor Crashs sicher? Gier ist nicht gesetzeswidrig – Fragen und Antworten rund um die Krise (Seite 9)
- Hot Dogs und Bohnen – Obamas Wähler warten auf die Wende. Die Rezession ist formal vorbei, aber die Arbeitslosigkeit steigt (Seite 10)
- US-Schulden: „Unser Dollar, euer Problem „– Sparen ja, aber später. US-Präsident Obama kann sich das leisten (Seite 11)
- Schulden runter, aber wie? (Seite 14)
Weitere Themen:
Atom: Vor dem Ausstiegs-Ausstieg.
Getroffen, gestrauchelt, aber nicht untergegangen: Wie sich die Region Remscheid durch die Krise lavierte.
Konjunktur: War’s das jetzt? – Unerwarteter Aufschwung in Deutschland.
Kein Anzeichen von Folter.
Interview mit Bankexperte Thomas Hartmann-Wendels.
Mit der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“. Heute: Europa und der Euro.