Navigationspfad: Startseite > Presse > Pressemitteilungen > 2010 > 07.11.2010
Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 08. November
2010)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen
Veröffentlichung –
Im Streit um eine mögliche Lockerung des Embryonenschutzes in Deutschland erwartet der SPD-Ethikexperte René Röspel spannende Auseinandersetzungen im Bundestag. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 08. November 2010) verwies Röspel auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni dieses Jahres zur sogenannten Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der künstlich erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf etwaige Krankheiten untersucht werden. Der Richterspruch habe „die bisherige Einschätzung, die Präimplantationsdiagnostik sei in Deutschland nicht zulässig, über den Haufen geworfen“, sagte der SPD-Abgeordnete. Dies erfordere eine gesetzliche Regelung, die das Verfahren entweder verbietet oder es mit Einschränkungen oder ganz zulässt. „Seit dem Lesen der Begründung denke ich darüber nach, wie wir mit diesem Urteil umgehen. Ich bin da noch nicht fertig“, fügte der frühere Vorsitzende des parlamentarischen Ehtikbeirates hinzu.
Er erinnerte zugleich an die Debatte über den Import embryonaler Stammzellen vom Januar 2002, die von Journalisten als „Sternstunde des Parlaments“ bezeichnet worden sei: „Das waren fünf Stunden mit rund 40 Redebeiträgen, alle individuell, sortiert eher nach Pro und Contra. Ich habe selten eine Parlamentsdebatte erlebt, in der über die ganze Zeit so viele Kollegen dabeigeblieben sind und die Argumente und Positionen aufgesogen haben“. Ähnlich sei dies beim Thema Patientenverfügung gewesen mit häufigeren Debatten und unterschiedlichen Entwürfen. „Das wird sicher wieder kommen für die Präimplantationsdiagnostik“, zeigte sich Röspel überzeugt.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Röspel, nachdem die Debatte um einen
parlamentarischen Ethikbeirat schon fast beendet schien, wurde die
Entscheidung im Ausschuss mehrfach verschoben. Haben Sie noch
Hoffnung, dass das Gremium kommt?
Röspel: Ja, vor allem deshalb, weil ich im
Gespräch mit einigen Kolleginnen und Kollegen der Koalition
unter der Hand immer wieder höre, dass ihrer Meinung nach so
ein Ethikbeirat sinnvoll wäre. Und angesichts aktueller
Ereignisse wie des Urteils zur Präimplantationsdiagnostik
wäre es nicht verkehrt, ein solches Gremium zu haben, das die
Diskussion zum Embryonenschutz bündeln und mit Anforderungen
an den Deutschen Ethikrat versehen könnte.
Warum wäre das sinnvoll?
Röspel: Zum einen gibt es Äußerungen
seitens des Deutschen Ethikrates, wonach man dort gern einen
Ansprechpartner im Deutschen Bundestag hätte. Dafür eine
Person wie den Bundestagspräsidenten zu benennen, wäre
schwierig, günstiger wäre ein Gremium mit klarer
Legitimation und einer Zusammensetzung nach dem Proporz. Das
würde es uns zum anderen erleichtern, bestimmte Aufträge
und Fragestellungen an den Deutschen Ethikrat zu übermitteln.
Momentan ist vollkommen unklar, wie so eine Beauftragung ablaufen
müsste. Die Herbeiführung eines Bundestagsbeschlusses zur
Beauftragung des Deutschen Ethikrates wäre wohl eine Nummer zu
groß.
Sie sind ja einer der Ethikexperten des Bundestags und
haben alles schon erlebt, von den Ethik-Enquete-Kommissionen
über den Beirat bis hin zur jetzigen Phase ohne Gremium. Was
hat am besten funktioniert?
Röspel: Die Enquete-Komissionen waren von ihrer
Arbeitsfähigkeit und den Themen, die bearbeitet werden
konnten, ideal. Die Möglichkeit, regelmäßig Kontakt
zu Sachverständigen zu haben und ein Thema im Dialog zu
erarbeiten, es wachsen zu sehen und wissenschaftliche Referenten
für die Feinarbeit zu haben, war richtig gut und wichtig. Ich
finde, die Berichte der Enquete-Kommissionen sind nicht nur gut zu
lesen, sondern haben sich in der öffentlichen Debatte und in
Gesetzesvorschlägen niedergeschlagen. Das war das richtige
Gremium, weil die Parlamentarier verpflichtet waren, die Themen
auch zu bearbeiten und sie in die Fraktionen mitzunehmen...
...und der parlamentarische Beirat?
Röspel: Der parlamentarische Beirat war von
vornherein flügellahmer. Wir haben mehrfach über die
Geschäftsordnung und unsere Möglichkeiten diskutiert,
weil die Union anders als alle anderen Fraktionen eigentlich nicht
wollte, dass inhaltlich gearbeitet wurde. Dennoch war gerade am
Anfang der Deutsche Ethikrat relativ nah am Beirat. Wir haben
schnell zusammengesessen und gemerkt, dass es da ein offenes Ohr
gab und vielleicht sogar das Verlangen zu erfahren, was die
Parlamentarier wollen. Ich glaube, wir konnten einige Tipps geben,
wo es Sinn machen würde, langfristige Projekte zu machen
– etwa zur Ressourcenverteilung im Gesundheitswesen. Nach
einer ersten Kennenlernsitzung gab es sogar vom Ethikrat heraus die
Überlegung, inhaltlich gemeinsame Projekte zu machen.
Wie kommen Abgeordnete eigentlich zu ihren
Überzeugungen in ethisch schwierigen Fragen?
Röspel: Man muss versuchen, unterschiedliche Wege zu
identifizieren und sich dann entscheiden. Ich glaube, dass anfangs
relativ viele Abgeordnete ziemlich offen waren, was embryonale
Stammzellforschung anbelangte –weil die meisten
überhaupt nicht genau wussten, worum es da ging, welche
ethischen Implikationen das haben kann und ob es stimmt, dass das
für die Forschung so ungemein wichtig ist. Bei mir war es etwa
beim Thema Patientenverfügung so, dass ich zunächst gar
nicht Bescheid wusste. Ich habe dann ausgehend von der Position,
dass ich natürlich alleine entscheiden will, wie mein Sterben
aussieht, gemerkt, das ist schwieriger und komplizierter als
gedacht. Ich habe dann geschaut, welcher Richtung ich folgen und
welches Angebot ich machen könnte. Dass wir das immer mit
einem Fuß in der Fraktion getan haben und von Kollegen zu
Diskussionen in den Wahlkreis eingeladen wurden, war eine besonders
wichtige Rückkopplung.
Stellt sich bei diesen Themen die Frage nach der
Fraktionsdisziplin?
Röspel: Rot-Grün ist damit sehr unkompliziert
und offen umgegangen – das weiß ich, weil ich damals an
einem der Stammzell-Anträge mitgearbeitet habe. Da war sofort
klar, dass es keinen Fraktionszwang geben würde. Beim zweiten
Antrag zur Stichtagsregelung in der großen Koalition waren
einige Kollegen von der Union zurückhaltender, weil sie der
Regierung nicht widersprechen wollten. Ich denke aber, es haben
fast alle begriffen, dass so etwas nicht über
Fraktionsdisziplin zu handhaben ist.
Gibt es bestimmte Debatten, die Ihnen als sehr
eindringlich und schwierig in Erinnerung geblieben sind?
Röspel: Das war fraglos der ganze Stammzellbereich
– es waren ja Journalisten, die die entsprechende Debatte im
Januar 2002 als Sternstunde des Parlaments bezeichnet haben. Das
waren fünf Stunden mit rund 40 Redebeiträgen, alle
individuell, sortiert eher nach Pro und Contra. Ich habe selten
eine Parlamentsdebatte erlebt, in der über die ganze Zeit so
viele Kollegen dabeigeblieben sind und die Argumente und Positionen
aufgesogen haben. Ähnlich war das beim Thema
Patientenverfügung mit häufigeren Debatten und
unterschiedlichen Entwürfen. Das wird sicher wieder kommen
für die Präimplantationsdiagnostik.
Das alles sind Themen, die oft in Gruppenanträgen
münden, bei denen die Fraktionsgrenzen zum Teil aufgelöst
werden. Wie geht man so etwas an?
Röspel: Das Schwierige ist, die Leute zu finden, die
man dazu ansprechen kann – es läuft ja niemand mit einem
Schild zu seiner Position auf dem Kopf herum. Das ist zwar
urdemokratisch, aber richtig aufwändig. Es muss einen Kern
geben, der einen ersten Entwurf macht, der mit denen geschliffen
wird, die dazu kommen. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem man
den Kasten zumacht. Und damit geht man dann herum und wirbt um
Unterstützung.
Welche Ethik-Themen stehen in der nächsten Zeit
an?
Röspel: Es gab im Juni ein Urteil des
Bundesgerichtshofs, das die bisherige Einschätzung, die
Präimplantationsdiagnostik sei in Deutschland nicht
zulässig, über den Haufen geworfen hat. Dies erfordert
eine gesetzliche Regelung, die entweder das Verfahren verbietet
oder es mit Einschränkungen oder ganz zulässt. Seit dem
Lesen der Begründung denke ich darüber nach, wie wir mit
diesem Urteil umgehen. Ich bin da noch nicht fertig.
Auf der Agenda wird auch das Thema Organspende
stehen.
Röspel: Dazu hat die Enquete-Kommission in ihrer
letzten Phase eine Angehörung gemacht, aus der ich damals
abgeleitet habe, dass es nicht ein Problem bei Zustimmung oder
Widerspruch gibt, sondern ein organisatorisches. Es gab einen
Ländervergleich und man konnte – je nachdem, ob es
Transplantationsbeauftragte gab, oder es sich um kleine
ländliche Kliniken oder große städtische handelte
– bei der Verfügbarkeit von Organspenden durchaus
Unterschiede sehen. Manche Krankenhäuser sparen es sich etwa,
rund um die Uhr mindestens einen Neurologen im Dienst zu haben, der
in der Lage ist, den Hirntod zu diagnostizieren. Ich glaube, es
gibt dazu schon eine ganze Menge Material, das analysiert werden
kann, um zu klären, wo die Probleme liegen.
Also kommt ein Gruppenantrag?
Röspel: Bei der Organspende scheint mir das nicht
notwendig zu sein. In NRW hat eine veränderte
Krankenhausfinanzierung zu einer höheren Zahl von Organspenden
geführt. Dafür braucht man keinen Gruppenantrag, sondern
muss die Regierung zu einer Gesetzesänderung auffordern.
Das Interview führte Susanne Kailitz.
René Röspel ist seit 1998 MdB.
In der aktuellen Themenausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ zu „Grenzen des Lebens“, Nr. 45, lesen Sie:
Weitere Themen sind unter anderem: Zwischen Freigabe und Verbot – Stammzellenimporte spalten die Fraktionen. Kinder sind keine Produkte – über die vorgeburtliche Diagnostik. Zwischenwelten – Komapatienten nehmen mehr wahr als bislang erwartet. Bestattungsriten – zwischen Gruft und Fußballstadion. Der gespendete Herzschlag.
Mit der Beilage „Aus Politik und
Zeitgeschichte“.
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