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Die Frage eines Europäischen Währungsfonds muss nach Einschätzung der Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Petra Merkel (SPD), mittel- oder langfristig geklärt werden. In einem am 22. März erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" sagt die Berliner Abgeordnete, Hilfsmaßnahmen für notleidende Euro-Länder wie Griechenland stünden im Augenblick überhaupt nicht an. "Die Griechen sagen selbst, wir brauchen Euer Geld nicht, wir brauchen politische Unterstützung. Und das machen wir auch gerne, wenn wir gefragt werden. Wir sind nicht die Besserwisser, sondern wir müssen darauf vertrauen, dass ein Land auch diese schwierige Situation meistern kann." Das Interview im Wortlaut:
Frau Merkel, der Bundestag hat am 19. März den Haushalt 2010 verabschiedet. Sie haben vor fünf Monaten den Ausschussvorsitz übernommen. Was hat Sie in Ihrem neuen Amt am meisten überrascht?
Am meisten überrascht hat mich die Intensität, mit der der Ausschuss immer wieder diskutiert. Und zwar auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Es hat sehr unterschiedliche Abstimmungsmehrheiten gegeben - das finde ich immer sehr faszinierend. Bei der Schlussabstimmung über den Etat eines Ministeriums hat sich dann natürlich immer die Regierungsmehrheit durchgesetzt.
Wichtig sind neben Ihnen im Ausschuss auch die Sprecher der fünf Fraktionen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit denen?
Sehr konstruktiv. Ich versuche mit dem Ausschusssekretariat den Service für die Obleute und die einzelnen Abgeordneten anzubieten. Wichtig ist, dass wir die Arbeit des Ausschusses so gut wie möglich vorbereiten. Wichtig ist auch, dass im Ablauf weder Regierungs- noch Oppositionsfraktionen begünstigt oder benachteiligt werden.
Der Haushaltsausschuss gilt als mächtigster Ausschuss im Bundestag. Hat die Vorsitzende Macht?
Ich weiß nicht. Was uns besonders macht, ist der Zugang zu allen Ministerien. Das gibt es in den anderen Ausschüssen nicht. Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass gerade bei den Haushaltsberatungen die Ministerinnen und Minister anwesend sind.
Lassen Sie uns zum Haushalt 2010 kommen. Er gilt als Etat des Übergangs von der Großen Koalition zu Schwarz-Gelb. Wo sehen Sie als SPD-Haushälterin noch eine sozialdemokratische Handschrift?
90 Prozent sind so geblieben wie Peer Steinbrücks Vorlage aus dem letzten Sommer. Dann gab es eine erheblich bessere wirtschaftliche Entwicklung als gedacht. Wir haben befürchtet, dass viel mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit geraten. Die Kurzarbeit war ein entscheidendes Instrument, mit dem dies zum Glück verhindert werden konnte. Deswegen gab es weniger Arbeitslose und wir mussten weniger Schulden machen als noch im Sommer geplant.
Sie sind sicherlich nicht mit allen Entscheidungen der jetzigen Koalition einverstanden. Was kritisieren Sie besonders?
Als Mitglied meiner Fraktion habe ich mich gewundert, warum die Koalition die Neuverschuldung auf 80,2 Milliarden Euro festsetzt und keine symbolische Zahl unter 80 Milliarden Euro anstrebt. Das könnte damit zusammenhängen, wie man von Seiten der Regierung in die neue Schuldenregel reingehen will. Meine Vermutung ist, dass die Regierung sich dadurch eine größere Möglichkeit verschaffen will, auch in den nächsten Jahren noch Schulden aufnehmen zu können. Wir werden mindestens 10 bis 15 Milliarden Euro Kürzungen haben pro Jahr, wenn wir die Schuldenregel auf der Bundesebene einhalten wollen.
Sie haben eben gesagt, ab dem nächsten Jahr müssen jedes Jahr mehr als zehn Milliarden Euro eingespart werden. Hätte man damit nicht schon in diesem Jahr beginnen sollen?
Es wäre natürlich möglich gewesen, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz nicht aufzulegen, mit Steuererleichterungen und damit Steuerausfällen. Dann hätten wir jetzt auch weniger neue Schulden machen müssen. Aber ich denke, die Regierung muss jetzt mit dem Haushalt 2011 zeigen, in welche Richtung sie weitergehen will.
Sie haben doch sicherlich Vorstellungen davon, wo die Regierung kürzen will. Was erwarten Sie für 2011?
Wenn man sich die Reden für die Vorlage des Haushaltsentwurfs 2010 vor Augen hält, dann ging es dabei schon um Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II, auch die Frage der Höhe der Renten. Da gab es auch ziemlich eindeutige Aussagen, dass man da rangehen will. Das werden wir sicherlich Auseinandersetzungen haben.
Wird die Regierungskoalition bei den Einnahmen etwas machen?
Das sieht nicht danach aus. Wenn ich mich richtig erinnere, dann haben die Koalitionsparteien gesagt, dass sie keine Steuererhöhungen in dieser Legislaturperiode wollen. Die SPD hat ein anderes Modell. Wir haben gesagt, wir wollen so etwas wie einen Bildungssoli haben, weil wir den Bereich Bildungsausgaben und Bildungspolitik auch als ein wichtiges Element im Haushalt wiedergespiegelt sehen wollen. Wir sind auch der Meinung, dass diejenigen, die durch die Unterstützung des Staates gestärkt aus der Krise hervorgegangen sind, stärker zur Kasse gebeten werden müssen.
Wären Steuersenkungen haushaltpolitisch sinnvoll?
Als Sozialdemokratin kann ich das nicht sinnvoll finden. Es würde bedeuten, dass noch mehr bei den Ausgaben gekürzt werden muss. Wir brauchen die Sicherung der Einnahmen. Das bedeutet, dass die Steuern fließen müssen. Ich kann mich durchaus daran erinnern, dass wir in der Föderalismuskommission II mit den Ländern darum gestritten haben, inwieweit der Bund nicht die Steuern auf Bundesebene mit einer eigenen Steuerverwaltung einziehen könnte. Wir hatten dabei auch große Unterstützung vom Bundesrechnungshof. Aber der Großteil der Länder wollte es nicht. Und man muss jetzt, wo die Länder auch zunehmend in die Finanzkrise geraten, überlegen, ob man das nicht noch einmal aufgreift. Denn das würde bedeuten, dass man eine einheitliche Steuererhebung in allen Bundesländern hat.
Wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund der Wahl in Nordrhein-Westfalen, dass die Koalition keine neue mittelfristige Finanzplanung vorgelegt hat?
Dass die Landtagswahl am 9. Mai eine erhebliche Rolle spielt für alle möglichen Entscheidungen dieser Koalition, ist ganz offensichtlich. Das gilt auch für die Tatsache, dass man keine Finanzplanung vorlegt. Es ist zwar rechtlich nicht erforderlich, aber es wäre schon auch ein Signal gewesen, dass man sich ernsthaft um eine seriöse Finanz- und Haushaltspolitik kümmert.
Wir haben bisher über die Möglichkeiten des Haushaltes gesprochen, Entscheidungen zu treffen, die richtig oder falsch sein können. Aber im Moment hat man das Gefühl, dass auf den Haushalt Risiken zulaufen, die von einem Bundespolitiker nicht mehr zu beherrschen sind. Stichworte: Finanzkrise und Griechenland. Sehen Sie da eine Gefahr?
Es ist eine Gefahr, aber gleichzeitig auch eine Chance. Das Parlament hat auch mit Unterstützung der Opposition in ungewöhnlich schneller Weise zum Beispiel das Finanzmarktstabilisierungsgesetz verabschiedet. Dass so etwas möglich ist, bedeutet aber auch, dass in einer solch extremen Krisensituation scheinbar der Staat als derjenige gesehen wird, dem auch Verantwortung übertragen werden kann. Das hat er auch ganz bewusst genutzt. Wir müssen zukünftig Maßnahmen treffen, dass solch eine Krise nicht wiederkehrt. Das werden das Europäische Parlament und der Deutsche Bundestag weiter vorantreiben müssen.
Soll sich Deutschland an den Kosten für Hilfsmaßnahmen für notleidende Euro-Länder wie zum Beispiel Griechenland beteiligen?
Das steht im Augenblick überhaupt nicht an. Die Griechen sagen selbst, wir brauchen euer Geld nicht, wir brauchen politische Unterstützung. Und das machen wir auch gerne, wenn wir gefragt werden. Wir sind nicht die Besserwisser, sondern wir müssen darauf vertrauen, dass ein Land auch diese schwierige Situation meistern kann.
Also zur Zeit kein Europäischer Währungsfonds?
Die Frage nach dem Europäischen Währungsfonds muss man lang- oder mittelfristig klären. Ob so etwas notwendig sein wird, muss man diskutieren.