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Bundestagsvizepräsidentin Gerda Hasselfeldt hat die Leistung des Bundesverfassungsgerichts für die Demokratie in Deutschland gewürdigt. Beim Festakt aus Anlass des Wechsels in der Präsidentschaft des Gerichts von Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier zu Prof. Dr. Andreas Voßkuhle sagte Hasselfeldt am 14. Mai 2010 in Karlsruhe, dies mit einem "gewissen Stolz“ festzustellen, sei ihr ein besonderes Anliegen.
Jede gerichtliche Entscheidung, jede Norm der Gesetzgebung, jeder Verwaltungsakt könne auf den Tisch des Verfassungsgerichts kommen. Die Richter könnten alle diese staatlichen Akte für verfassungswidrig und damit unwirksam erklären, wenn ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegt. Diese Kompetenz werde zu Recht als "Krönung des Rechtsstaats“ bezeichnet. Dem Gericht sei es überaus erfolgreich gelungen, diese "für unsere Demokratie so bedeutsame Aufgabe“ zu erfüllen.
Das Verfassungsgericht zeichnen nach den Worten Hasselfeldts im Wesentlichen zwei Funktionen aus: Hüter der Verfassung zu sein, aber auch - ein Stück weit - Gestalter der Verfassung. Das erste geschehe durch Interpretation und Konkretisierung des Verfassungsrechts, das zweite durch dessen Verdeutlichung und Fortentwicklung.
Die dem Grundgesetz zugrunde liegenden Rechtswerte sollen damit auf neue Sachverhalte des Lebens und der Gesellschaft angepasst werden, unterstrich die Vizepräsidentin, die ihr Grußwort namens des Deutschen Bundestages sprach. Als Beispiele nannte sie das vom Gericht entwickelte "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ und das so genannte Computergrundrecht, das wesentlich mit dem Namen des scheidenden Präsidenten Professor Papier verbunden sei.
Zu seinem national wie international hohen Ansehen habe das Verfassungsgericht selbst beigetragen. Es habe seine umfassenden Befugnisse zurückhaltend ausgeübt - und dabei den Grundsatz richterlicher Selbstbeschränkung klug beachtet. Auch sei es nicht der Versuchung erlegen, die vielen aus politischen Anlässen unterbreiteten Fälle nach anderen als nach rechtlichen Grundsätzen zu entscheiden.
Dass das Gericht in die Rollenverteilung der Verfassungsorgane nicht eingegriffen habe, sei vor allem eine Folge dieser richterlichen Selbstbeschränkung, unterstrich Hasselfeldt. Dies schließe nicht aus, dass das Gericht die Zuständigkeiten der Verfassungsorgane bei Bedarf im Wege der Auslegung präzisiert.
Hasselfeldt nannte zwei Beispiele, die die Befugnisse des Bundestages betreffen. Zum einen gehe es um die Festlegung, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee sei. Jeder Auslandseinsatz der Bundeswehr unterliege seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994 dem Parlamentsvorbehalt - eine Zustimmung des Bundestages sei also jeweils erforderlich.
Als zweites Beispiel nannte die Vizepräsidentin das Urteil zum europäischen Einigungsvertrag von Lissabon aus dem Juni 2009. Hier habe der Zweite Senat des Gerichts unter Vorsitz des damaligen Vizepräsidenten Voßkuhle klargemacht, dass die nationalen Parlamente, also auch der Bundestag, die "wesentlichen Legitimationsgeber“ für den europäischen Integrationsprozess sind. Dies habe zur Folge, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten d es Bundestages in europarechtlichen Fragen deutlich gestärkt würden.
Das Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander kann nach den Worten Hasselfeldts durchaus von Interessengegensätzen geprägt sein, die gelegentlich zu gewissen Spannungen führten. Das Grundgesetz habe dieses Verhältnis im Sinne einer „gegenseitigen Gewaltenbeschränkung“ gestaltet.
Organe des Staates seien indes keine "Inseln der Seligen“, die der demokratischen Debatte enthoben sind: "Sie sollen es auch nicht sein“, betonte die Vizepräsidentin. Demokratie lebe von der lebendigen Auseinandersetzung, von Interessengegensätzen und ihrem Ausgleich, der immer wieder neu verhandelt werden müsse. “Ich meine, dass unsere in diesem Sinne streitbare Demokratie durchaus ein Erfolgsmodell ist“, sagte Hasselfeldt.
Alle Verfassungsorgane seien sich über ein "konstruktives Miteinander“ einig. "Es liegt in ihrer gemeinsamen Verantwortung, das Grundgesetz zum Wohle der Bürger umzusetzen.
Hasselfeldt dankte Hans-Jürgen Papier, der das Ansehen des Gerichts gemehrt und mit seinem unabhängigen Urteil die öffentlichen Debatten zu vielen grundlegenden Themen nachhaltig beeinflusst habe.
Papiers Nachfolger Andreas Voßkuhle habe als bisheriger Vizepräsident durch "klare Urteilsfähigkeit und hohes Kommunikationsvermögen“ seine Kompetenz unter Beweis gestellt. Auch Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof als neuem Vizepräsidenten und Prof. Dr. Andreas Paulus als neuem Richter im Ersten Senat wünschte Hasselfeldt alles Gute.