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Die Gesundheitspolitik ist das Reizthema dieses Herbstes: Bereits die Debatten zur Gesundheitsreform in den letzten Sitzungswochen hatten immer wieder zum Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition geführt. Und auch die Debatte am Dienstag, 23. November 2010, um den Haushalt des Gesundheitsministeriums (17/2500, 17/2502) in der vom Haushaltsausschuss beschlossenen Fassung (17/3514, 17/3523) sorgte wieder für heftige Diskussionen. Der Bundestag stimmte dem Entwurf mit Koalitionsmehrheit zu, drei Änderungsanträge der Linksfraktion (17/3827, 17/3828, 17/3829) fanden keine Mehrheit.
15,78 Milliarden Euro umfasst der Einzelplan 15, davon fließen 13,3 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds. Zwei Milliarden Euro gehen als gesetzlicher Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung. Der SPD-Haushälter Ewald Schurer wies deshalb in seinem Redebeitrag darauf hin, mit 477 Millionen Euro blieben nur drei Prozent des Einzelplanvolumens als "eigentlicher materieller Kern des Hauses“.
Für Prävention und Suchtbekämpfung bliebe kaum noch Geld übrig, hier noch - wie geschehen - zu kürzen, sei "inhaltlich grundfalsch“. Diese Kritik wies Gesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) zurück: Der Titel für Maßnahmen zur Prävention sei von 13,2 Millionen Euro auf 13 Millionen Euro gekürzt worden; hier von "Kaputtsparen“ zu sprechen, "entbehrt jeder Grundlage“. Er warf den Sozialdemokraten vor, ein durchgerechnetes Modell einer Bürgerversicherung schuldig geblieben zu sein. Auch das, was von den Grünen mit Plänen mit der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und der Einschränkung der Familienmitversicherung geplant werde, habe "mit einem fairen Lastenausgleich nichts zu tun“.
Für die FDP betonte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Ulrike Flach, der Bundeszuschuss zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung bringe erstmals eine "soziale Absicherung“, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung würden damit "einkommens- und konjunkturunabhängiger“. Die Alternativen der Opposition bezeichnete Flach als "Phantommodell“ und Rohentwürfe für eine "Zwangsversicherteneinheitskasse“.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, warf den Grünen vor, in ihrem Alternativmodell zwar konkreter zu werden als die SPD, aber unehrlich zu sein: So solle die Entlastung beim Beitragssatz mit der Abschaffung der privaten Krankenversicherung erreicht werden, ohne dass man genau sagen könne, wie dies funktionieren solle.
So werde in dem Modell der Bündnisgrünen nicht ehrlich gesagt, dass mittlere Einkommen zusätzlich belastet werden sollen - die Grünen seien tatsächlich aber die "Partei der Enteignung der Mittelschicht“ und würden die Leistungsträger der Gesellschaft weiter belasten wollen. Die Koalition hingegen gehe "den Weg der Ehrlichkeit“, indem sie auch bei der anstehenden Reform der Pflegeversicherung klar sage, dass es teurer werde, weil es einen fairen Ausgleich brauche.
Die Opposition wiederholte ihre Kritik am eingeleiteten Systemwechsel in der Gesundheitspolitik: Der Bundesgesundheitsminister nutze den Bundeszuschuss "zur Einleitung eines Paradigmenwechsels“ hin zur Kopfpauschale, der künftig Versicherte und Patienten "einseitig belastet“, so Ewald Schurer. Dies seien "politisch gefährliche Weichenstellungen“.
Die SPD-Gesundheitsexpertin Elke Ferner sagte, Schwarz-Gelb sei von dem Wunsch beseelt, die sozialen Sicherungssysteme "zu individualisieren und privatisieren“. Die Koalition sei "ideologisch verblendet“, das sehe man auch an den Koalitionsplänen zum Umbau der Pflegeversicherung, die allein die hohen Renditeerwartungen der privaten Versicherungsunternehmen bedienten.
Für Die Linke wies deren Haushaltsexperte Michael Leutert darauf hin, dass nach der schwarz-gelben Gesundheitsreform Arbeitgeber nur einmalig zahlen müssten, Arbeitnehmer aber vierfach zur Kasse gebeten würden. Sie müssten sowohl für ihre Arbeitnehmerbeiträge, die Kopfpauschale, Zuzahlungen und die Praxisgebühr als auch über ihre Steuergelder für den Bundeszuschuss der gesetzlichen Krankenversicherung für das Gesundheitssystem aufkommen.
Nach Meinung der gesundheitspolitischen Sprecherin der Linken, Dr. Martina Bunge, schickt Gesundheitsminister Rösler "Deutschland als Geisterfahrer auf die Autobahn“; das gehe auch aus dem am 22. November in Berlin veröffentlichten Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO hervor. Dieser sei eine "schallende Ohrfeige“ für die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik. Kopfpauschale und Zuzahlungen "müssen weg“, so Bunge. Dafür müsse im Bereich der Prävention deutlich mehr getan werden.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen warb Sven-Christian Windler für das Modell seiner Partei für eine Bürgerversicherung. Diese werde für alle Bürger einen einheitlichen Rechtsrahmen bieten und dafür sorgen, dass niemand sich entziehen könne. Privilegien und Subventionierungen der privaten Krankenversicherung sollen abgeschafft, Einkommensquellen wie Kapital- und Mieterträge für die Verbreiterung der Finanzierungsbasis der Krankenversicherung herangezogen werden.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, verteidigte das grüne Modell der Bürgerversicherung. Es werde schwer, Belege dafür zu finden, dass geringe und mittlere Einkommen damit stärker belastet würden als bisher. Einkommen bis 5.500 Euro würden damit vielmehr entlastet. Man wolle die private Krankenversicherung nicht abschaffen, sondern sie einem fairen Wettbewerb aussetzen. Mit den Angriffen auf das grüne Modell lenke die Koalition nur von der eigenen Gesundheitsreform ab, die ihr inzwischen "peinlich“ sei. (suk)