Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > April 2011 > Diskussion über Ambivalenz des Fortschritts
Mit der Diskussion am Montag wollte die Kommission einen Beitrag zur theoretischen Fundierung ihrer Arbeit leisten. Das Gremium soll das rein ökonomisch und quantitativ ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt als Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen weiterentwickeln, um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien ergänzen und so letztlich Wege zu einem qualitativen Wachstum aufzeigen.
Laut Zimmer haben sich Fortschrittsglauben und Fortschrittsideologie erst im 18. und 19. Jahrhundert herausgebildet. Im Mittelalter habe dies angesichts der konkreten Lebensumstände mit desaströsen Erfahrungen wie den schlimmen Folgen des Untergangs des Römischen Reiches oder der Pest nicht zur Debatte gestanden. Eine Änderung sei erst mit der Renaissance eingetreten, von da an seien wissenschaftliche Erkenntnisse in zunehmendem Maß offenbar geworden. In der frühen Neuzeit sei man dann bemüht gewesen, so der Abgeordnete, konkrete Wege zu einer im Prinzip utopischen Welt aufzuzeigen. Im Gefolge solcher Theorien sei ”Fortschritt zu einer Sache gesellschaftlicher Planung“ geworden. Vor allem in Deutschland habe aber bereits im 19. Jahrhundert eine Fortschrittskritik eingesetzt, die in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Alternativbewegung gespeist habe. Heute könne es kein Zurück zu einem uneingeschränkt positiven Begriff von Fortschritt und Wachstum aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert geben.
Müller betonte, dass die in der Aufklärung wurzelnde Moderne ”eindrucksvolle Beispiele“ für Fortschrittlichkeit liefere: die steigende Beherrschung von Natur und Technik, eine bessere Gesundheit und Nahrungsversorgung, ein längeres Leben, eine Steigerung des Wohlstands und mehr Informationen. ”Grenzenlosigkeit“ und ”Maßlosigkeit“ des Fortschrittsdenkens hätten jedoch auch zu den ”ökologischen Katastrophen unserer Zeit“ geführt. Der Sachverständige forderte, als Konsequenz die Entgegensetzung von Mensch und Natur durch die Idee der Nachhaltigkeit zu überwinden. Es gehe darum, ”die Natur in die Gesellschaft zurückzuholen“. Ausdruck der Entfremdung sei es, wenn fälschlicherweise von ”Umwelt“ gesprochen werde als sei nicht auch der Mensch Teil der Natur. Die Natur, so Müller, müsse als ”partnerschaftliche Mitwelt“ wahrgenommen werden, ”das brauchen wir heute“.
Der Sachverständige Karl-Heinz Paqué widersprach der These, Wachstum sei erst eine Idee des 19. Jahrhunderts gewesen. Schon das Mittelalter sei von solchen Bestrebungen geprägt gewesen, auch wenn kein konzeptionelles Denken über Wachstum existiert habe. Paqué sagte, schon im 13. Jahrhundert hätten norditalienische Städte eine gezielte Standortpolitik mit Steuererleichterungen und zinsfreien Krediten betrieben. Und bereits im 9. Jahrhundert habe Karl der Große viel für Modernisierungen in der Landwirtschaft getan und etwa die Weinbautechnik weiterentwickelt. Der Wissenschaftler: ”Schon vor der Industrialisierung gab es Bemühungen um mehr Effizienz beim Arbeitseinsatz.“
Aus Sicht des Sachverständigen Ulrich Brand wurzeln die heutigen Krisen nicht nur in dem historisch komplizierten Verhältnis von Mensch und Natur: Eine wesentliche Rolle spielten in der ”kapitalistischen Moderne“ auch die Prinzipien von Profit und Konkurrenz.
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