Nutzen, Grenzen und Zwänge des Wachstums

Wolkenkratzer im Bau

Mit der Diskussion über die vom Finanz- und Wirtschaftssystem ausgehenden Wachstumszwänge zielt die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" bei ihrer nächsten Sitzung am Montag, 27. Juni 2011, "auf einen Kern unseres Auftrags“, so die Gremiumsvorsitzende Daniela Kolbe. Die Abgeordnete erwartet eine "muntere und lebendige Debatte“ mit dem Schweizer Ökonomen Prof. Dr. Hans Christoph Binswanger, für die SPD-Abgeordnete ein "ausgewiese- ner Experte“ auf diesem Gebiet.

Die Sitzung wird am Dienstag, 28. Juni, zeitversetzt ab 8.45 Uhr im Parlamentsfernsehen und im Web-TV auf www.bundestag.de übertragen.

Qualitatives Wachstum definieren

Eine der zentralen Fragestellungen, um welche die Erörterungen der 17 Parlamentarier und 17 Sachverständigen kreisen werden: Gehen von der Kreditfinanzierung in Privatwirtschaft und Staatshaushalten Zwänge zu immer mehr Wachstum aus, da die Rückzahlung der Schulden samt Zinsen ohne ein wirtschaftliches Plus nicht zu machen ist? Die Sitzung beginnt um 13 Uhr im Raum E 700 im Paul-Löbe-Haus in Berlin.

Die Enquete-Kommission soll das rein ökonomisch und quantitativ ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen weiterentwickeln und etwa um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien ergänzen. Letztlich soll die Arbeit des Gremiums in die Definition dessen münden, was als qualitatives Wachstum gilt und wozu beispielsweise die Entkoppelung des Ressourcenverbrauchs von der Steigerung der Wirtschaftsleistung gehört.

Geldschöpfung als Motor des Wachstums

Aus Sicht Kolbes lautet eine der Logiken einer auf Wachstum basierenden Wirtschaft so: "Der Kapitaleinsatz muss sich lohnen.“ Binswanger hat in seinen wissenschaftlichen Arbeiten analysiert, dass die Kreditfinanzierung von Investitionen und damit die Geldschöpfung unvermeidbar in Wachstumszwängen enden müssten, da die Rückzahlung der Schulden und zusätzlich der Zinsen erwirtschaftet werden müsse.

Die Zinsen sind sozusagen der Gewinn des Kreditgebers gelten, deren Begleichung nur bei einem Wertzuwachs, also einem Wachstumsplus, möglich ist. Insofern ist für den eidgenössischen Wissenschaftlicher die Geldschöpfung der Motor des Wachstums.

Folgen für die gesamte Volkswirtschaft

Kolbe weist darauf hin, dass Wachstumsnotwendigkeiten den Unternehmen Wettbewerbszwänge auferlegten, die zu steten Produktivitätssteigerungen führten. Die problematische Folge sei, dass für die Herstellung eines Produkts immer weniger Arbeitsleistung und damit auch weniger Arbeitskräfte erforderlich seien, was wegen der daraus resultierenden Belastung des Arbeitsmarkts gravierende Folgen für die gesamte Volkswirtschaft nach sich ziehe.

Ein funktionierender Arbeitsmarkt hänge damit von Wachstum ab, so die Kommissionsvorsitzende. Gleiches gelte dann auch für die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme, die auf der Erwerbsarbeit gründen und die somit ebenfalls auf ein den Arbeitsmarkt stützendes Wachstum angewiesen seien.

Nullwachstum und Stabilität

Diese wirtschaftliche Schlüsselstellung des Wachstums wirft für die Debatte mit Binswanger aus Sicht Kolbes die Frage auf, ob Nullwachstum und Stabilität überhaupt möglich seien. Der Wissenschaftler gehe optimistisch davon aus, dass man in diese Richtung umsteuern könne.

Die SPD-Abgeordnete: "Wir wollen mit Binswanger über die Frage reflektieren, ob eine moderne Volkswirtschaft mit niedrigeren Wachstumsraten auskommen kann und ob und wie dann etwa die Sozialversicherungssysteme noch zu finanzieren sind.“

Renommierter Wachstumskritiker

Binswanger, 1929 geboren, war bis zu seiner Emeritierung Professor für Volkswirtschaft an der Universität St. Gallen. In den neunziger Jahren war er zeitweise Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie. Der Ökonom gilt als einer der Inspiratoren einer ökologischen Steuerreform und als renommierter Wachstumskritiker.

Seine Positionen hat Binswanger uunter anderem in seinem Buch "Die Wachstumsspirale“ erläutert. Als Konsequenz aus seiner Kritik plädiert er etwa für Unternehmensmodelle wie Stiftungen oder Genossenschaften, die weniger Wachstumsdruck entfalten. (kos)

Zeit: Montag, 27. Juni 2011, 13 Uhr
Ort:  Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal: E 700

Interessierte Besucher können sich beim Sekretariat der Kommission (Telefon: 030/227-37372, Fax: 030/227-36538, E-Mail: enquete.wachstum@bundestag.de) unter Angabe des Vor- und Zunamens sowie des Geburtsdatums anmelden. Zur Sitzung muss das Personaldokument mitgebracht werden (Westeingang des Paul-Löbe Hauses gegenüber dem Bundeskanzleramt benutzen).

Bild- und Tonberichterstatter können sich beim Pressereferat (Telefon: 030 227-32929 oder 32924) anmelden.