Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2010 > Vertrauensfrage Schmidt
Das eine gilt als Waffe des Parlaments, das andere als Druckmittel des Kanzlers. Und doch dienen die Regelungen, die das Grundgesetz f�r das konstruktive Misstrauensvotum und die Vertrauensfrage festlegt, ein und demselben Zweck: Sie sollen daf�r sorgen, dass Regierungskrisen schnell �berwunden werden und kein Zustand eintritt, in dem das Land keine handlungsf�hige Regierung besitzt. In der 60-j�hrigen Bundestagsgeschichte wurde bislang f�nf Mal von einem Regierungschef die Vertrauensfrage gestellt, zwei Mal versuchte das Parlament, den Kanzler per Misstrauensvotum zu st�rzen. Ein R�ckblick auf entscheidende Stunden im Plenum. Folge 3: 1982 - Helmut Schmidt stellt die Vertrauensfrage.
Er war der zweite Bundeskanzler - und nach Willy Brandt auch der zweite Sozialdemokrat in diesem Amt -, der in seiner Regierungszeit die Vertrauensfrage stellte: Helmut Schmidt. Doch hatte Brandt dieses Instrument zehn Jahre vorher genutzt, um die Abstimmung gezielt zu verlieren und Neuwahlen herbeizuf�hren, so war Schmidts Vertrauensfrage im Februar 1982 der Versuch, sich der Regierungsmehrheit zu versichern, da nach acht Jahren die sozialliberale Koalition zerr�ttet war.
Die Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 hatten SPD und FDP nach einem polarisierenden Wahlkampf mit deutlicher Mehrheit gegen die Union gewonnen, doch bald erwies sich insbesondere die Debatte um den NATO-Doppelbeschluss f�r beide Koalitionspartner als gro�e Belastungsprobe.
Im Mai 1981 drohten sowohl Schmidt als auch sein Vize-Kanzler Hans-Dietrich Genscher (FDP) ihren Fraktionen mit R�cktritt, sofern diese ihnen nicht in der Frage des NATO-Doppelbeschlusses folgten. Die Unterzeichnung des Vertrages am 12. Dezember 1979 hatte in der Bev�lkerung zu Protesten gef�hrt. (sas)
Der Beschluss sah n�mlich zwar Abr�stungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion vor, f�r den Fall des Scheiterns dieser Verhandlungen aber auch die M�glichkeit einer Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Europa.
Der Widerstand gegen diese Nachr�stung wuchs - und fand zunehmend auch unter SPD-Mitgliedern Sympathisanten. Helmut Schmidt, Initiator und Bef�rworter des NATO-Doppelbeschlusses, konnte sich der Unterst�tzung seiner eigenen Partei nicht mehr sicher sein.
Doch auch der wirtschaftspolitische Kurs des Kanzlers sorgte f�r Z�ndstoff in der Koalition: Insbesondere in der Frage, wie am besten auf die Wirtschaftskrise und die steigende Arbeitslosigkeit zu reagieren sei, nahmen die Differenzen zwischen FDP und SPD zu. Schmidts arbeitsmarktpolitisches Programm war in der Koalition heftig umstritten.
Als der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner in der �ffentlichkeit Zweifel �u�erte, ob alle Abgeordneten der Regierungsparteien diesen Kurs mittragen w�rden, sah sich Bundeskanzler Schmidt zur Flucht nach vorne gezwungen. Ebenfalls �ffentlich betonte er, dass das arbeitsmarktpolitische Programm seiner Regierung sicher die Zustimmung des Parlamentes f�nde.
Dennoch brachte Schmidt am 3. Februar 1982 den Antrag ein, dass der Deutsche Bundestag ihm sein Vertrauen aussprechen m�ge. Ein ebenso demonstrativer wie gewagter Schritt, da der Bundeskanzler die Vertrauensfrage nicht direkt an die Abstimmung �ber eine Gesetzesvorlage kn�pfte.
Zur Abstimmung kam es fristgem�� 48 Stunden sp�ter, am 5. Februar 1982. Als erster Redner der Debatte erkl�rte der Bundeskanzler, was ihn zu diesem Schritt bewogen hatte: Er wolle mit der Vertrauensfrage ein "Signal der Klarheit" geben. Es habe viele "Spekulationen um den Kurs der Friedens- und Sicherheitspolitik" gegeben, so Schmidt, "manche Vorkommnisse" h�tten den Zusammenhalt in der Koalition zeitweise "unklar" erscheinen lassen.
Doch die Bundesregierung stehe weiterhin gemeinsam f�r eine "Politik des Dialogs und der Kooperation mit dem Osten", wie sie Brandt und Scheel begonnen h�tten, au�erdem f�r die Bewahrung des sozialen Friedens und die Sicherung der Besch�ftigung.
Schmidt k�ndigte eine "Gemeinschaftsinitiative f�r Arbeitspl�tze, Wachstum und Stabilit�t" an, um der Wirtschaftskrise wirkungsvoll zu begegnen. Daf�r, aber auch f�r die Sicherheitspolitik, bitte er nun den Bundestag um eine "Erneuerung des Vertrauens".
Dr. Helmut Kohl, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU und Parteivorsitzende der CDU, kritisierte Schmidts Vorgehen scharf: Der Bundeskanzler habe nicht einmal den Mut, die Vertrauensfrage mit einem bestimmten politischen Vorhaben zu verkn�pfen.
Stattdessen w�nsche er sich eine "Generalvollmacht" f�r seine "nebelhafte" Politik. Der NATO-Doppelbeschluss werde im Bundestag haupts�chlich von der Union getragen, nicht von der SPD, betonte der Oppositionsf�hrer. Die langwierige Debatte �ber den Kurs in der Wirtschaftspolitik, inklusive "zahlreicher, regelm��ig widerspr�chlicher Vorschl�ge", habe zudem kein Vertrauen in die Regierung geschaffen und "viele Mitb�rger get�uscht".
Auch die Entscheidung zur Erh�hung der Mehrwertsteuer erweise sich als sch�dlich. Die Abstimmung �ber die Vertrauensfrage sei also reine Taktik. Sie solle eine "allgemeine Zustimmung vorspielen", so der CDU-Politiker. Ein solches "Man�ver" aber nutze weder dem Land, noch Schmidt selbst: "Herr Bundeskanzler, Sie verpf�nden nicht nur Ihre Amtsautorit�t, sondern auch Ihre pers�nliche Autorit�t."
Das wollte Willy Brandt so nicht stehen lassen. Die Vertrauensfrage diene dem Ziel, die "volle Handlungsf�higkeit der Regierung vor der deutschen, europ�ischen und internationalen �ffentlichkeit unter Beweis zu stellen", sagte der SPD-Parteivorsitzende, der als dritter Redner vor das Bundestagsplenum trat.
Dies sei notwendig, um die "von der Opposition und Teilen der �ffentlichkeit gen�hrten Zweifel nachdr�cklich zu widerlegen". Den Vorwurf der Uneinigkeit in der Frage des NATO-Doppelbeschlusses wies Brandt ebenfalls zur�ck: "Die SPD macht sich das Leben nicht leicht." Aber eines bringe sie immer wieder fertig: die Sorgen der B�rger aufzunehmen und "durchzudiskutieren". Gleichwohl habe der Bundeskanzler f�r seine Politik das Vertrauen von Partei und Fraktion.
Dies best�tigte auch Wolfgang Mischnick. Die Freien Demokraten st�nden zur Regierung Schmidt/Genscher, so der der FDP-Fraktionsvorsitzende, daf�r gebe es "gute Gr�nde". Der Liberale betonte die gemeinsame, auf "Verst�ndigung und Frieden ausgerichtete Politik": Vor der ersten sozialliberalen Koalition unter Brandt und Walter Scheel sei die "Deutschlandpolitik auf dem Nullpunkt" angekommen.
Gegen den Widerstand der Union h�tten SPD und FDP mit ihrer Politik des Ausgleichs und der Entspannung aber "ein Mehr an Sicherheit und Stabilit�t in Europa" erreicht. Das wolle man fortsetzen. In der Innenpolitik h�tten die Koalition�re zudem bewiesen, dass sie die "St�rkung der Rechte des einzelnen B�rgers gleicherma�en wichtig nehmen wie die Sicherung des sozialen Friedens".
Wie erhofft gewann Bundeskanzler Schmidt die Vertrauensfrage deutlich: Von 493 abgegebenen Stimmen erhielt er 269. 226 Abgeordnete stimmten gegen ihn. Enthaltungen gab es keine. Die Verk�ndung dieses Ergebnisses durch Bundestagspr�sident Richard St�cklen (CSU) l�ste lang anhaltenden Applaus in den Reihen der SPD- und FDP-Fraktionen aus.
Doch wie fragil die Bundesregierung war, zeigte sich schon bald: Rund ein halbes Jahr sp�ter, im September 1982, verlie�en die FDP-Minister geschlossen das Kabinett. Am 1. Oktober st�rzte der Bundestag schlie�lich Helmut Schmidt als Bundeskanzler. Die sozialliberale Koalition war zerbrochen. Neuer Regierungschef einer schwarz-gelben Regierung wurde Helmut Kohl.