Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > November 2010 > Sachverst�ndige f�r st�rkere Rolle von "Reform-Mullahs" in Afghanistan
Berlin: (hib/RP) Unter dem Eindruck der wachsenden Skepsis der Bev�lkerung gegen�ber dem Afghanistan-Einsatz und einer forciert gef�hrten Abzugsdiskussion befasste sich der Ausw�rtige Ausschuss am Dienstag in einer �ffentlichen Anh�rung zum Thema ”Kriterien zur Bewertung des Afghanistan-Einsatzes“. In den Stellungnahmen der Gutachter wurde die Ungewissheit �ber die weiteren Perspektiven bis zur �bergabe der Verantwortung an die afghanische Seite deutlich. Die Gutachter waren sich darin einig, dass die Mindestanforderungen, die an die Effizienz und die Legitimit�t der afghanischen Institutionen gestellt werden m�ssen, nur partiell von der Regierung in Kabul erf�llt werden.
G�be es Schulnoten f�r Pr�sident Karsais Bem�hungen um eine ”bessere Regierungsf�hrung“, so Citha D. Maa� von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, w�rde er die Note 6 erhalten. Exemplarisch seien die enge Verflechtung mit der Drogen- und Schattenwirtschaft und die in gro�em Stil gef�lschten Wahlen, mit deren Ergebnis sich der Westen abgefunden habe. Die Bindung an Karsai, �ber den man inzwischen die Kontrolle verloren habe, sei damit unabwendbar. Da damit zu rechnen sei, dass der �bergabeprozess die Konsolidierung von informellen Patronagenetzwerken von Pr�sident Karsai und der von ihm kooptierten Machthaber beg�nstigen werde, k�nnten auch Reformen immer weniger von au�en, d.h. durch die internationalen Geber, eingefordert werden. Deshalb sollte der Schwerpunkt auf die St�rkung von innerafghanischen Reformkr�ften gelegt werden, die in einem generationenlangen Prozess Ver�nderungen ”von innen“, d.h. aus der afghanischen Gesellschaft heraus, einfordern. Mangels einer formalen Rolle von politischen Parteien seien ”Reformkr�fte“ in einem breiten gesellschaftlichen Sinn zu definieren: junge Afghanen und Afghaninnen, wirtschaftlich �berlebensf�hige afghanische NGOs, zivilgesellschaftliche Gruppen, aufgeschlossene Parlamentarier und Parlamentarierinnen, aber auch: traditionelle Autorit�ten wie z.B. reformorientierte Dorf- und Stammes�lteste und Geistliche (”Reform-Mullahs“).
Babak Khalatbari von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Islamabad h�lt gleichwohl eine �bergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Kr�fte im Jahr 2011 schon in bis zu 10 Provinzen m�glich. Der Idee, einen Fonds f�r integrationswillige Militante aufzulegen, stehe er allerdings skeptisch gegen�ber. Schon jetzt mache sich unter afghanischen Soldaten und Polizisten ein gewisser Unmut bemerkbar. Es werde hinterfragt, warum reum�tige Radikalislamisten mit finanziellen Anreizen bedacht werden, wenn gleichzeitig Staatsdiener t�glich ihr Leben f�r ein Monatsgehalt von rund hundert Dollar riskierten. Ein m�gliches Versagen der afghanischen Armee und der Polizeikr�fte, die in Zukunft eine Schl�sselrolle in Afghanistan einnehmen sollen, k�nnte den Kollaps des Landes zur Folge haben.
Entgegen Babak Khalatbari sehen Citha D. Maa� und Jan Koehler vom Osteuropa-Institut der Freien Universit�t Berlin den Zenith der Machtentfaltung der Taliban l�ngst nicht �berschritten. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei verwies auf das offenbar unersch�pfliche Reservoir der Taliban, deren K�mpfer immer j�nger und immer radikaler seien und mit dem gesteigerten Operationstempo mithalten k�nnten. Im n�chsten Fr�hsommer, so Nachtwei, schlage die Stunde der Wahrheit und es werde sich erweisen, ob sich die j�ngsten Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft gelohnt haben.
�bereinstimmend wurde die j�ngst erfolgte Strategie der ”decapitation“, d.h. der T�tung oder Gefangennahme von Taliban-Kommandeuren auf mittlerer Ebene durch Spezialkommandos als kontraproduktiv bewertet, da damit nicht nur eine Vielzahl neuer K�mpfer nachwachsen w�rde, sondern potenzielle Verhandlungspartner abhanden k�men. Im �brigen stehe die Forderung an die Taliban, bei einer Machtbeteiligung eine gewisse ”Rote Linie“ - Verfassung, Menschenrechte, Rechte der Frauen - nicht zu �berschreiten, unverkennbar zur Disposition - wobei, so Jan Koehler, die Menschenrechte nicht nur von den Taliban, sondern von erheblichen Kr�ften in Karsais Regierung in Frage gestellt w�rden.
Das Projekt einer Evaluierung des politisch-milit�risch-zivilen Afghanistan-Einsatzes sahen alle Sachverst�ndigen als �berf�llig an, wiesen aber zugleich aber auf die erheblichen methodischen Probleme des von der Bundesregierung vorgelegten Kriterienkatalogs bei einer Bewertung der Wirksamkeit des deutschen und internationalen Engagements und damit des Sinns des Einsatzes hin.
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