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Die Ostfassade des Paul-Löbe- Hauses akzentuieren zwei weithin grün leuchtende je 10 Meter hohe Neonlichtskulpturen des Leipziger Künstlers Neo Rauch. Geschickt hat der Maler die geheimnisvolle Aura seiner Gemälde auf diese Skulpturen übertragen: Zwei Männer, jeweils in leicht abgewandelter Haltung auf einer Leiter stehend, scheinen freundlich zu winken oder nach einer nicht sichtbaren Baumfrucht zu greifen. Ihre symbolhaften Gebärden lassen sich als Anspielung deuten auf eine natürliche Hortikultur ebenso wie auf die Kultur des demokratischen Gemeinwesens, auf die Gesten eines Redners oder eines Menschen, der nach hohen Zielen greift.
Die zwei Leuchtskulpturen sind auf jeweils einer Außenwand angebracht, einander gegenübergestellt, doch durch eine Glaswand getrennt. So vertraut und realistisch die beiden Figuren wirken, so geheimnisvoll bleibt ihr Tun: Es sind Figuren aus einer Geschichte, die nur sie alleine kennen und deren Geheimnis sie nicht enthüllen.
In der Öl-Zeichnung „Die Winde“ aus der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages hat Neo Rauch eine ähnliche mehrdeutige Szene gestaltet: Auf eine riesige Kabeltrommel wird ein Kabel mühsam von einem einzelnen Mann aufgerollt, von einer weiteren Winde schlängelt sich das Kabel geradezu lebendig wie eine Riesenschlange in die Brandung des Meeres, an dessen Horizont ein großer Dampfer eine markante Rauchwolke ausstößt – oder ist er gar in Brand geraten? Vor der zweiten Kabeltrommel liegt ein Mann hingestreckt, offenkundig verunglückt, eine Frau kniet neben ihm. Bildelemente und Bildaufbau tragen dazu bei, den Betrachter zu verunsichern und eine bedrohliche Stimmung zu erzeugen: So ist vom Bildaufbau her nicht eindeutig erkennbar, ob es sich um eine zusammenhängende Szene handelt oder zwei simultane Szenen und in welchem Zusammenhang die beiden Szenen stehen. Nach rechts läuft das Bild in einen leere Bildfläche aus, so dass die Bildelemente zwischen Abbildlichkeit und Abstraktion changieren, das Bild wirkt unfertig skizzenhaft, als ob es während einer abenteurlichen Reise entstanden sei. Die Verunsicherung des Betrachters steigern der undurchschaubare Plot und die einzelnen Requisiten: Die monumentale Winde wirft riesige schwarze Schatten, das ebenso schwarze Meer und die schwefelgelbe Farbe der Winde erzeugen eine diffus-bedrohliche Stimmung, verstärkt durch den offenkundig verletzt oder tödlich verunglückt am Boden Liegenden. An welchem Projekt arbeiten die Menschen dort, welche Rolle spielt das ferne Schiff am Horizont und warum hilft niemand dem Verletzten und der Frau? Aber Neo Rauchs bilderbuchartig gemalten Figuren, halb amerikanische Comic-Helden, halb sozialistische Helden der Arbeit, verraten Auftraggeber und Auftrag nicht.
Neo Rauch hat es vermocht, diese surreale Stimmung seiner Zeichnungen und Gemälde an der Außenfassade des Paul- Löbe-Hauses in das ungewöhnliche Medium einer monumentalen Leuchtskulptur zu übertragen. Der Betrachter wird in den Bann eines Geheimnisses gezogen, zumal die Skulptur ihre größte Wirkung erst in der Nacht entfaltet, wenn sie markant über der dunklen Spree leuchtet. Ihm eröffnen sich Anspielungen auf die einst in diesem Bereich des Spreebogens Ost und West trennende Grenze oder auf die Menschen, die sich über die Grenze hinweg zuwinkten. Auch in Zukunft werden die Männer auf der Leiter ihr Geheimnis nicht preisgeben. Sie grüßen die Spaziergänger entlang der Spree von der Fassade des Paul-Löbe-Hauses herab freundlich über den Fluß hin und heißen sie im Parlamentsviertel willkommen, an der Stelle, an der das Paul- Löbe- und das Marie-Elisabeth- Lüders-Haus symbolisch und real eine Brücke zwischen dem einst getrennten Ost- und West-Berlin schlagen – mit der Architektur von Stephan Braunfels und mit der Installation von Neo Rauch.
Text: Andreas Kaernbach,
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages